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Unbekanntes Schlesien - die Wiederentdeckung einer der reichsten Kulturlandschaften im Herzen Europas.
Als Goethe 1790 durch Schlesien reist, schreibt er von unterwegs an Herder und schwärmt davon, welch «_sonderbar schönes, sinnliches und begreifliches Ganze_» er dort entdeckt habe. Im Zentrum: das Hirschberger Tal, eine der reichsten und idyllischsten Kulturlandschaften Mitteleuropas. Genau zweihundert Jahre nach dem Besuch des Dichterfürsten öffnete sich diese Welt der Maler und Träumer erneut und erwachte aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf - mit dem Ende des Kalten Krieges…mehr

Produktbeschreibung
Unbekanntes Schlesien - die Wiederentdeckung einer der reichsten Kulturlandschaften im Herzen Europas.
Als Goethe 1790 durch Schlesien reist, schreibt er von unterwegs an Herder und schwärmt davon, welch «_sonderbar schönes, sinnliches und begreifliches Ganze_» er dort entdeckt habe. Im Zentrum: das Hirschberger Tal, eine der reichsten und idyllischsten Kulturlandschaften Mitteleuropas. Genau zweihundert Jahre nach dem Besuch des Dichterfürsten öffnete sich diese Welt der Maler und Träumer erneut und erwachte aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf - mit dem Ende des Kalten Krieges kehrte ein beinah schon vergessener Sehnsuchtsort in das europäische Bewusstsein zurück.
Hans-Dieter Rutsch macht sich auf, Schlesien und das Hirschberger Tal zu erkunden, lässt sich von seinen Bewohnern die Geschichte dieses «_preußischen Arkadiens_» erzählen und spürt den Schicksalen nach, die sich damit verbinden: Wir erfahren etwa, wie sich Caspar David Friedrich von der Schneekoppe, dem höchsten Berg des Riesengebirges, zu einem seiner berühmtesten Gemälde inspirieren ließ, von Gerhart Hauptmanns Rückzugsort in Agnetendorf oder von Hagen Hartmann, der das Schloss, das einst seinen Vorfahren gehörte, vor dem Verfall rettete. Es sind bewegende Geschichten, die Hans-Die-ter Rutsch aufgezeichnet hat - Geschichten über Schlesien und die Deutschen und über eine lange vergessene Kulturlandschaft, die gerade ihre Wiedergeburt erlebt.
Autorenporträt
Hans-Dieter Rutsch, geboren 1954, arbeitete als Dramaturg, Autor und Regisseur beim DEFA Studio für Dokumentarfilme in Babelsberg. 1995 begründete er die Havel-Film Babelsberg. Er realisierte über fünfzig Dokumentationen, Features und Reportagen vor allem zu Themen der ostdeutschen und osteuropäischen Zeitgeschichte. 2012 erschien sein Buch 'Die letzten Deutschen. Schicksale aus Schlesien und Ostpreußen'.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2015

Unterhalb des Riesengebirges
Hans-Dieter Rutsch lädt zur Neuentdeckung Schlesiens – und behandelt die spannende polnische Gegenwart leider nur am Rande
Berlin, Bahnhof Friedrichstraße. An den Stahlstreben künden Firmenstempel mit der Aufschrift „Beuchelt & Co 1923 Grünberg i. Schlesien“ von einer scheinbar fernen Vergangenheit. Im Stadtteil Kreuzberg hält die U-Bahn-Linie 1 am „Schlesischen Tor“, in der Nähe von Schlesischer, Ohlauer oder Grottkauer Straße. Haben die historischen Namen jedoch noch irgendeine Bedeutung im kollektiven Bewusstsein? Der Bedeutung Schlesiens für die Deutschen geht Hans-Dieter Rutsch in seinem Buch „Preußisches Arkadien“ nach. Er fragt in elf Kapiteln nach dem, „was Schlesien für die Deutschen als Kulturraum, als kulturelle Erfahrung war“. Gleichzeitig konstatiert er: „Als sei Schlesien eine Welt ohne jede Gegenwart und in einem schwarzen Loch verschwunden, geschluckt von der Weltgeschichte, aufgesogen in ein Nirgendwo.“ Rutsch möchte seinen Lesern sowohl die polnische Gegenwart näherbringen als auch für die Wiederentdeckung der deutschen Kulturgeschichte werben, denn für ihn war Schlesien einst „eine Zukunftswerkstatt der Deutschen“.
  Mit dem Verlust Schlesiens als Folge des Zweiten Weltkriegs ging auch eine kulturelle Amnesie einher. In der deutschen Geschichte ist Schlesien zwar vielfältig präsent, aber auf den ersten Blick kaum mehr sichtbar. Früher sagte man, jeder richtige Berliner stamme aus Schlesien. Die Trottoirs der Berliner Altbauviertel stammen aus den Granitsteinbrüchen im schlesischen Strehlen. Mitten in der Hauptstadt erinnert die Hedwigs-Kathedrale an die Zeit nach den Schlesischen Kriegen, als viele Landesbewohner als neue preußische Untertanen nach Berlin zogen. In ihrem Gotteshaus verehrten sie die Schutzpatronin Schlesiens, die heilige Hedwig. Gleichgültig, ob sie in polnischer oder deutscher Sprache beteten, zu Jadwiga oder Hedwig, entstand mit dieser Kirche ein Stück Schlesien in Berlins Mitte. Von jener historischen Nähe blieb kaum etwas im Bewusstsein zurück: „Den Nachgeborenen blieb das vage Gefühl, Schlesien sei nichts weiter als jene Landschaft gewesen, in der die Deutschen ihre Lust auf Eroberung überkam. Größer konnte ein Irrtum nicht sein“.
  Was aber verbindet die Mehrheit der Deutschen aktuell mit Schlesien? Können die Deutschen noch das Konterfei der Schneekoppe auf einstigen Reformhausprodukten mit dem höchsten Berg des Riesengebirges verbinden? Schlesier haben Deutschlands Kultur und Gesellschaft entscheidend mitgeprägt durch Persönlichkeiten wie Kurt Masur, Dieter Hildebrandt, Dietrich Bonhoeffer, Arnold Zweig, Jochen Klepper, Alfred Kerr, Ferdinand Lassalle, Fritz Stern, Max Herrmann-Neiße, Gerhart Hauptmann, Adolph Menzel, Helmuth von Moltke, Hanna Schygulla oder Janosch, aber auch durch die aus Oberschlesien stammenden Fußballer Miroslav Klose und Lukas Podolski. Schlesiens Prominentenliste ließe sich mühelos fortsetzen. Die alte Odermetropole Breslau war eines der wichtigsten kulturellen Zentren des Landes, in besonderem Maß auch für die deutsch-jüdische Geschichte. Nach 1945 schien das Thema jedoch verstaubt, rückwärtsgewandt, kontaminiert.
  Rutsch schreibt über seine eigene Erfahrung als Kind schlesischer Eltern: „Viele Jahre verband ich, nach dem Krieg in eine vertriebene Familie hineingeboren, das Wort Schlesien mit dem Geruch jener Luft, die heute noch zwischen den Möbeln von Trödelläden steht.“ Es war ein unbekanntes Land, betrauert von den Menschen, die es verlassen mussten, als verlorene Heimat.
  Der Dokumentarfilmer und Autor Rutsch nimmt seine Leser mit auf Entdeckungsreise. Für ihn ist es gleichzeitig eine persönliche Spurensuche. Obwohl 1954 in der DDR geboren, wo das Thema der alten Heimat im Osten ein gesellschaftliches Tabu war, zeigt er immer wieder, wie im geschützten Raum der Familie an Schlesien erinnert wurde. Diese persönlichen Einblicke in seine Familienbiografie sind besonders spannend, weil sie symptomatisch für den Umgang mit verlorener Heimat sind: Heimweh, Trauer über den Verlust, Polarisierung, Verwerfungen, Wiederannäherungen – das alles verbirgt sich ebenfalls hinter dem Begriff Schlesien. Rutsch entfaltet schöne Mosaike schlesischer Kulturgeschichte, ungewohnte Porträts. Johann Wolfgang Goethe, Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel, die Hohenzollern. Eindrücklich belegt er, dass der Aufstieg Preußens und später Deutschlands ohne Schlesien nicht denkbar war.
  Damit leistet der Autor wichtige Aufklärung über eine in Deutschland lange vergessene Landschaft. Manchmal schwingt er sich dabei zu verstiegenen Höhen auf, wodurch einiges überkomponiert wirkt. Leider bleibt es bei dem Fokus auf der deutschen Vergangenheit, ein sentimentaler Abgesang, während die spannende polnische Gegenwart, etwa mit den biografischen Erfahrungen der neuen Schlesier, die nach 1945 in „Polens wilden Westen“ (Beata Halicka) kamen, nur marginal berührt wird. Diesen Teil der Geschichte Schlesiens nach 1945 bleibt das Buch weitgehend schuldig. Rutsch verkürzt seine Mosaike dadurch auf eine kleindeutsch-borussische Perspektive, etwa auf die Entdeckung des Riesengebirges für die deutsche Nationalgeschichte. Das „preußische Arkadien“, so wunderbar der Titel auch klingen mag, ist irreführend und deshalb nicht mehr als ein Ausschnitt, der zeitlich, geografisch und thematisch die große Geschichte Schlesiens nicht abzubilden vermag.
  Schlesien – ein „zehnfach interessantes Land – mit diesem Goethe-Zitat lädt Rutsch zur Neuentdeckung ein. Seine Einladung kann man getrost annehmen, das Experiment wagen und mit ihm auf den Spuren schlesischer Kultur wandeln. Doch bleibt das Buch schwer einzuordnen: Es ist weder ein historisches Sachbuch noch eine Geschichte Schlesiens. Vielmehr wirkt es wie eine sentimental anmutende Sammlung von Porträts, deren halbfiktionale Passagen etwa des wandernden Caspar David Friedrich manchmal peinlich anmuten. Es ist der Abgesang auf ein deutsches Schlesien ohne polnische Gegenwart. Damit befördert Rutsch – vermutlich unbewusst – das, was er dem einstigen verklärenden Blick der Deutschen auf Schlesien zu Recht unterstellt und mit seinem Buch eigentlich zu überwinden sucht.
  Das heutige Schlesien hat auf vielgestaltige Weise das deutsche Erbe angenommen. Polnische Schlesier entdecken ihre Heimat, in die ihre Eltern oder Großeltern mit wenigen Habseligkeiten kamen. Die deutsche Vergangenheit ist für sie bereits Teil ihrer regionalen Identität, eine Folge atemberaubender kultureller Aneignungsprozesse. Pessimistisch, ja rückwärtsgewandt, beschreibt Rutsch jedoch eine versunkene Welt: „Eigentlich ist die ganze Landschaft unterhalb des Riesengebirges mit der Schneekoppe ein Kunstwerk, eine vergessene Kulturlandschaft. Eine Welt im Dornröschenschlaf.“
  Hier ist jedoch zu fragen: Wer sind die Adressaten dieser sehr deutschen Perspektive? Vor unseren Augen passiert schließlich Erstaunliches: Das alte Schlesien ist längst zu neuem Leben erwacht. Die von Rutsch geforderte Wiederentdeckung der deutschen Vergangenheit findet täglich statt. Wer auf dem Breslauer Ring, im Hirschberger Tal oder Glatzer Bergland unterwegs ist, merkt, dass Schlesien schon lange keine „Terra incognita“ mehr ist. Vielmehr erweisen sich die neuen schlesischen Lebenswelten als quicklebendig.
  Berlin, Bezirk Prenzlauer Berg. Im schicken Szenekiez liegt das jüngst eröffnete „Restaurant Breslau“. Neue Schlesier kommen aus Polen in die deutsche Hauptstadt, auf der Speisekarte polnische Spezialitäten. Vor unseren Augen wird auch in Berlin ein neues Kapitel schlesischer Geschichte geschrieben. Die Restaurantbetreiber werben selbstbewusst mit dem alten deutschen Namen der schlesischen Metropole. Hier trifft man das moderne polnische Schlesien, das das deutsche Erbe schon längst angenommen hat.
ANDREAS KOSSERT
  
  
  
Hans-Dieter Rutsch: Das preußische Arkadien. Schlesien und die Deutschen. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2014. 272 Seiten, 19,95 Euro.
E-Book: 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Mit gemischten Gefühlen hat Rezensent Andreas Kossert Hans-Dieter Rutschs unter dem Titel "Das preußische Arkadien" erschienenes Buch über Schlesien gelesen. Durchaus bewegt folgt der Kritiker den Erinnerungen des Autors an seine Kindheit als Sohn schlesischer Eltern, begleitet ihn durch die von Verlust, Trauer und Heimweh geprägten Bilder der fast vergessenen Landschaft, lernt etwas über kulturelle und historische Bedeutung Schlesiens und liest interessante, kulturgeschichtliche Porträts. Zugleich muss der Rezensent aber gestehen, dass Rutsch, bei allem aufklärerischen Verdienst, die polnische Gegenwart nur am Rande berührt, überhaupt vermisst Kossert einen Blick auf die Geschichte nach 1945. Darüber hinaus erscheint ihm so manches halbfiktionale Porträt, etwa das eines wandernden Caspar David Friedrichs, ein wenig zu rührselig. Etwas weniger Rückwärtsgewandtheit hätte diesem Buch gut getan, meint der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH
Unterhalb des Riesengebirges

Hans-Dieter Rutsch lädt zur Neuentdeckung Schlesiens – und behandelt die spannende polnische Gegenwart leider nur am Rande

Berlin, Bahnhof Friedrichstraße. An den Stahlstreben künden Firmenstempel mit der Aufschrift „Beuchelt & Co 1923 Grünberg i. Schlesien“ von einer scheinbar fernen Vergangenheit. Im Stadtteil Kreuzberg hält die U-Bahn-Linie 1 am „Schlesischen Tor“, in der Nähe von Schlesischer, Ohlauer oder Grottkauer Straße. Haben die historischen Namen jedoch noch irgendeine Bedeutung im kollektiven Bewusstsein? Der Bedeutung Schlesiens für die Deutschen geht Hans-Dieter Rutsch in seinem Buch „Preußisches Arkadien“ nach. Er fragt in elf Kapiteln nach dem, „was Schlesien für die Deutschen als Kulturraum, als kulturelle Erfahrung war“. Gleichzeitig konstatiert er: „Als sei Schlesien eine Welt ohne jede Gegenwart und in einem schwarzen Loch verschwunden, geschluckt von der Weltgeschichte, aufgesogen in ein Nirgendwo.“ Rutsch möchte seinen Lesern sowohl die polnische Gegenwart näherbringen als auch für die Wiederentdeckung der deutschen Kulturgeschichte werben, denn für ihn war Schlesien einst „eine Zukunftswerkstatt der Deutschen“.

  Mit dem Verlust Schlesiens als Folge des Zweiten Weltkriegs ging auch eine kulturelle Amnesie einher. In der deutschen Geschichte ist Schlesien zwar vielfältig präsent, aber auf den ersten Blick kaum mehr sichtbar. Früher sagte man, jeder richtige Berliner stamme aus Schlesien. Die Trottoirs der Berliner Altbauviertel stammen aus den Granitsteinbrüchen im schlesischen Strehlen. Mitten in der Hauptstadt erinnert die Hedwigs-Kathedrale an die Zeit nach den Schlesischen Kriegen, als viele Landesbewohner als neue preußische Untertanen nach Berlin zogen. In ihrem Gotteshaus verehrten sie die Schutzpatronin Schlesiens, die heilige Hedwig. Gleichgültig, ob sie in polnischer oder deutscher Sprache beteten, zu Jadwiga oder Hedwig, entstand mit dieser Kirche ein Stück Schlesien in Berlins Mitte. Von jener historischen Nähe blieb kaum etwas im Bewusstsein zurück: „Den Nachgeborenen blieb das vage Gefühl, Schlesien sei nichts weiter als jene Landschaft gewesen, in der die Deutschen ihre Lust auf Eroberung überkam. Größer konnte ein Irrtum nicht sein“.

  Was aber verbindet die Mehrheit der Deutschen aktuell mit Schlesien? Können die Deutschen noch das Konterfei der Schneekoppe auf einstigen Reformhausprodukten mit dem höchsten Berg des Riesengebirges verbinden? Schlesier haben Deutschlands Kultur und Gesellschaft entscheidend mitgeprägt durch Persönlichkeiten wie Kurt Masur, Dieter Hildebrandt, Dietrich Bonhoeffer, Arnold Zweig, Jochen Klepper, Alfred Kerr, Ferdinand Lassalle, Fritz Stern, Max Herrmann-Neiße, Gerhart Hauptmann, Adolph Menzel, Helmuth von Moltke, Hanna Schygulla oder Janosch, aber auch durch die aus Oberschlesien stammenden Fußballer Miroslav Klose und Lukas Podolski. Schlesiens Prominentenliste ließe sich mühelos fortsetzen. Die alte Odermetropole Breslau war eines der wichtigsten kulturellen Zentren des Landes, in besonderem Maß auch für die deutsch-jüdische Geschichte. Nach 1945 schien das Thema jedoch verstaubt, rückwärtsgewandt, kontaminiert.

  Rutsch schreibt über seine eigene Erfahrung als Kind schlesischer Eltern: „Viele Jahre verband ich, nach dem Krieg in eine vertriebene Familie hineingeboren, das Wort Schlesien mit dem Geruch jener Luft, die heute noch zwischen den Möbeln von Trödelläden steht.“ Es war ein unbekanntes Land, betrauert von den Menschen, die es verlassen mussten, als verlorene Heimat.

  Der Dokumentarfilmer und Autor Rutsch nimmt seine Leser mit auf Entdeckungsreise. Für ihn ist es gleichzeitig eine persönliche Spurensuche. Obwohl 1954 in der DDR geboren, wo das Thema der alten Heimat im Osten ein gesellschaftliches Tabu war, zeigt er immer wieder, wie im geschützten Raum der Familie an Schlesien erinnert wurde. Diese persönlichen Einblicke in seine Familienbiografie sind besonders spannend, weil sie symptomatisch für den Umgang mit verlorener Heimat sind: Heimweh, Trauer über den Verlust, Polarisierung, Verwerfungen, Wiederannäherungen – das alles verbirgt sich ebenfalls hinter dem Begriff Schlesien. Rutsch entfaltet schöne Mosaike schlesischer Kulturgeschichte, ungewohnte Porträts. Johann Wolfgang Goethe, Caspar David Friedrich, Karl Friedrich Schinkel, die Hohenzollern. Eindrücklich belegt er, dass der Aufstieg Preußens und später Deutschlands ohne Schlesien nicht denkbar war.

  Damit leistet der Autor wichtige Aufklärung über eine in Deutschland lange vergessene Landschaft. Manchmal schwingt er sich dabei zu verstiegenen Höhen auf, wodurch einiges überkomponiert wirkt. Leider bleibt es bei dem Fokus auf der deutschen Vergangenheit, ein sentimentaler Abgesang, während die spannende polnische Gegenwart, etwa mit den biografischen Erfahrungen der neuen Schlesier, die nach 1945 in „Polens wilden Westen“ (Beata Halicka) kamen, nur marginal berührt wird. Diesen Teil der Geschichte Schlesiens nach 1945 bleibt das Buch weitgehend schuldig. Rutsch verkürzt seine Mosaike dadurch auf eine kleindeutsch-borussische Perspektive, etwa auf die Entdeckung des Riesengebirges für die deutsche Nationalgeschichte. Das „preußische Arkadien“, so wunderbar der Titel auch klingen mag, ist irreführend und deshalb nicht mehr als ein Ausschnitt, der zeitlich, geografisch und thematisch die große Geschichte Schlesiens nicht abzubilden vermag.

  Schlesien – ein „zehnfach interessantes Land – mit diesem Goethe-Zitat lädt Rutsch zur Neuentdeckung ein. Seine Einladung kann man getrost annehmen, das Experiment wagen und mit ihm auf den Spuren schlesischer Kultur wandeln. Doch bleibt das Buch schwer einzuordnen: Es ist weder ein historisches Sachbuch noch eine Geschichte Schlesiens. Vielmehr wirkt es wie eine sentimental anmutende Sammlung von Porträts, deren halbfiktionale Passagen etwa des wandernden Caspar David Friedrich manchmal peinlich anmuten. Es ist der Abgesang auf ein deutsches Schlesien ohne polnische Gegenwart. Damit befördert Rutsch – vermutlich unbewusst – das, was er dem einstigen verklärenden Blick der Deutschen auf Schlesien zu Recht unterstellt und mit seinem Buch eigentlich zu überwinden sucht.

  Das heutige Schlesien hat auf vielgestaltige Weise das deutsche Erbe angenommen. Polnische Schlesier entdecken ihre Heimat, in die ihre Eltern oder Großeltern mit wenigen Habseligkeiten kamen. Die deutsche Vergangenheit ist für sie bereits Teil ihrer regionalen Identität, eine Folge atemberaubender kultureller Aneignungsprozesse. Pessimistisch, ja rückwärtsgewandt, beschreibt Rutsch jedoch eine versunkene Welt: „Eigentlich ist die ganze Landschaft unterhalb des Riesengebirges mit der Schneekoppe ein Kunstwerk, eine vergessene Kulturlandschaft. Eine Welt im Dornröschenschlaf.“

  Hier ist jedoch zu fragen: Wer sind die Adressaten dieser sehr deutschen Perspektive? Vor unseren Augen passiert schließlich Erstaunliches: Das alte Schlesien ist längst zu neuem Leben erwacht. Die von Rutsch geforderte Wiederentdeckung der deutschen Vergangenheit findet täglich statt. Wer auf dem Breslauer Ring, im Hirschberger Tal oder Glatzer Bergland unterwegs ist, merkt, dass Schlesien schon lange keine „Terra incognita“ mehr ist. Vielmehr erweisen sich die neuen schlesischen Lebenswelten als quicklebendig.

  Berlin, Bezirk Prenzlauer Berg. Im schicken Szenekiez liegt das jüngst eröffnete „Restaurant Breslau“. Neue Schlesier kommen aus Polen in die deutsche Hauptstadt, auf der Speisekarte polnische Spezialitäten. Vor unseren Augen wird auch in Berlin ein neues Kapitel schlesischer Geschichte geschrieben. Die Restaurantbetreiber werben selbstbewusst mit dem alten deutschen Namen der schlesischen Metropole. Hier trifft man das moderne polnische Schlesien, das das deutsche Erbe schon längst angenommen hat.

ANDREAS KOSSERT

  
  
  
Hans-Dieter Rutsch: Das preußische Arkadien. Schlesien und die Deutschen. Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2014. 272 Seiten, 19,95 Euro.
E-Book: 16,99 Euro.

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