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Noch nie ist Polens Entwicklung im 20. Jahrhundert so umfassend und fundiert aufgearbeitet worden. Wlodzimierz Borodziej legt die klassische Opfererzählung beiseite und zeichnet ein differenziertes und anschauliches Bild der polnischen Geschichte im Kontext gesamteuropäischer Veränderungen.
"Wo liegt Polen?" Mit dieser Frage beginnt das lebendig geschriebene Buch über Deutschlands Nachbarn, der nach über 100 Jahren staatlicher Nichtexistenz mit dem Ende des Ersten Weltkriegs erneut als Akteur auf das europäische Parkett trat und in den 1980er Jahren den Sturz des Kommunismus in Europa…mehr

Produktbeschreibung
Noch nie ist Polens Entwicklung im 20. Jahrhundert so umfassend und fundiert aufgearbeitet worden. Wlodzimierz Borodziej legt die klassische Opfererzählung beiseite und zeichnet ein differenziertes und anschauliches Bild der polnischen Geschichte im Kontext gesamteuropäischer Veränderungen.

"Wo liegt Polen?" Mit dieser Frage beginnt das lebendig geschriebene Buch über Deutschlands Nachbarn, der nach über 100 Jahren staatlicher Nichtexistenz mit dem Ende des Ersten Weltkriegs erneut als Akteur auf das europäische Parkett trat und in den 1980er Jahren den Sturz des Kommunismus in Europa einleitete. Es verfolgt die bewegte Geschichte des Landes in einem turbulenten Jahrhundert: von der Teilungszeit und der Staatsgründung über die deutsche und die sowjetische Besatzungsherrschaft, das kommunistische Regime bis zum EU-Beitritt. Nicht nur politische und wirtschaftliche Entwicklungen, sondern auch Kultur und Alltag werden plastisch geschildert und machen begreiflich, warum Polen heute so ist, wie es ist.
Autorenporträt
Wlodzimierz Borodziej ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Warschau und Vorsitzender des Beirats des Hauses der Europäischen Geschichte in Brüssel.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.12.2010

Polnischer Sonderweg?
Lakonisch und kenntnisreich: Wlodzimierz Borodziejs
beeindruckende Geschichte Polens im 20. Jahrhundert
Polen bietet hinreichend Stoff für ein politisch-historisches Kolossalgemälde, für Dramen, Tragödien, Untergänge und Wiedergeburten. Vor vierzig Jahren, am 7. Dezember 1970, kniete Willy Brandt unerwarteterweise nieder, als er vor dem Ehrenmal für die Aufständischen des jüdischen Ghettos in Warschau einen Kranz niederlegte. Viele Polen nehmen es ihm bis heute übel, dass er des Aufstands der Polen, der ein Jahr später, 1944, stattfand, nicht so gedachte.
Der Historiker Norman Davies hat unsere Nachbarn mit fast metaphysischen Begriffen „im Herzen Europas“ verortet. Jerzy Holzer, auch ein Historiker, hat die kulturelle Verwandtschaft mit Europa betont. Der Publizist Adam Krzeminski mahnt Polen und die Europäer, sich gemeinsam die Herausforderung klar zu machen, die sie bewältigen müssen. Wlodzimierz Borodziej (sein Nachname spricht sich: Borodschäij ) geht einen anderen Weg als diese Autoren: Er will Polens „nationale Wurzeln“ bloßlegen und zugleich das 20. Jahrhundert vollkommen entpathetisieren: Kein polnischer Sonderweg, kein negativer Exzeptionalismus, Ende der Opfergeschichte!
Wer Borodziej kennt, hört ihn bei der Lektüre seines Buches nahezu sprechen, selbstironisch, zurückgenommen, andeutend und mit leichtem Wiener Anklang, weil er dort „Matura“ gemacht hat, das Abitur. Als er jüngst in Berlin über die Pläne für eine Stätte in Danzig sprach, die an das Kriegsende erinnern soll, schimmerte durch, wie sehr er sich mit seinem Geschichtsbild weiterhin in der Defensive sieht und wie skeptisch er auf die „geistige Lage der Zeit“ in Polen blickt. Noch spukt das Kaczynski-Denken in vielen Köpfen – Feinde werden gebraucht, obwohl das nationalkonservative Lager derzeit in verschiedene Parteiungen zerfällt.
Aber Borodziej, ein intimer Kenner der deutsch-polnischen Verwobenheit, resigniert nicht: Schon sein lehrreicher Abriss über den Warschauer Aufstand legt nahe: Mit der Solidarnosc 1980 haben die Polen die Summe der Aufstandserfahrung gezogen und endlich Erfolg gesucht, statt sich – wie polnische Literaten es traditionell gern taten – an Niederlagen zu berauschen.
Keineswegs „exotischer“ sei die Geschichte Polens im 20. Jahrhundert als die anderer Länder, schreibt der Autor. Unter die Oberfläche verlagert wird damit das Drama, dort allerdings bebt es weiter. Das macht den eigentümlichen Tonfall, ja die Spannung dieser Besichtigung eines Zeitalters aus, das damit beginnt, dass es Polen gar nicht mehr gab. Erst 1920 erstand es ja wieder.
Im Ohr hat man, wie Borodziej, Jahrgang 1956, gelegentlich subtil und witzig – zuletzt bei der Verleihung des Ossietzky-Preises in Oldenburg – von seinem Aufwachsen als junger Mann unter der Herrschaft der Arbeiterpartei erzählt, ohne sich als „Held“ zu gerieren. Unfrei waren sie und frei zugleich. Indoktriniert wurden sie, aber wie selbstverständlich verschlang er West-Autoren. „Systematisch terrorisiert“ wurden sie, „bedroht fühlen sollte sich jeder“. Nicht nur Leszek Kolakowski emigrierte. Und dennoch – die Polen nahmen es nicht hin. Man spürt bei der Lektüre: Es ist auch sein Leben und Lernen, von der Gomulka-Ära der 60er über die Gierek-Jahre der 70er bis zum Danziger Werft-Aufstand 1980 und dem Runden Tisch im Juni 1989, vom der Borodziej berichtet.
Sein Land betrachtet er von innen, liebevoll-kühl, er sieht es in seinen Stärken und seinen Schwächen. Ein Akteur mit Eigenleben blieb es sogar in den sieben „Stalinjahren“ nach dem Krieg. Jede Menge Fakten aus dem Alltäglichen lernt man: Da geht es um die Unterschiede zwischen Stadt und Land, das Erziehungssystem, die Industrieproduktion. Dieser besondere strukturelle und soziologische Blick macht begreifbar, wie unterschiedlich die Welten waren. Willy Brandt, entsinne ich mich, schilderte gelegentlich schmunzelnd, wie ihn der polnische Regierungschef Cyrankiewicz bei der Fahrt vom Flughafen nach Warschau zuallererst danach fragte, wie denn zu Hause die Ernte gewesen sei. Auf vieles gewappnet hatte der deutsche Gast sich, darauf aber nicht.
Heikle Fragen spart Borodziej nicht aus, so die nach dem Antisemitismus im frühen 20. Jahrhundert und unter Gomulka. Andrzej Wajdas Polen-Filme tauchen ebenso auf wie die Höhe der Sparguthaben bei kleinen Leuten und der Schwarzhandel. Die Versorgungslage mit Wurst und Fleisch war ein Dauerthema, ebenso: die Schlangen vor den Lebensmittelläden, die Zahl der Urlaubstage. Mit der Zeit wurden die Freiheiten größer, die Röcke kürzer, der katholische Episkopat verzweifelte schier.
So entsteht das Bild eines mitteleuropäischen Durcheinanders, eines auch nach dem Zweiten Weltkrieg multikulturellen Landes: beinahe grenzenlos, vielreligiös, wodurch Polen – und das ist die Pointe – als Vorläufer des künftigen Europa erscheint. Volkspolen hatte eine Brückenfunktion: Es blickte nach Westen, obwohl es eingebunden war in den Osten. Die Chance, die darin steckte, wurde nach 1989 hierzulande sträflich unterschätzt.
Stalin hieß zwar der „faktische Taufpate“. Aber die „neuen Arbeiter“, theoretisch die herrschende Klasse, blieben „letztlich unberechenbar“. Ja, ihnen gelang es, „Schritt für Schritt im Alltag einen parallelen ‚sekundären Staatssozialismus’ zu etablieren“. Diese Differenz zwischen dem „primären“ und dem „sekundären“ Sozialismus „sollte die Geschichte dieses Staates bis an sein Ende prägen“.
Das macht, pardon, dann doch den polnischen „Sonderweg“ aus, das ist das Wunder. Schon allein deswegen verdient das Land alle nachbarschaftliche Empathie. Jemand wie Borodziej, der aufzeigt, wie ein ganzes Land sich sukzessive emanzipiert, steht quer zu dem platten Bild, in der kommunistischen Ära habe es keinerlei Schattierungen gegeben, weshalb man alle kommunistischen Länder kompromisslos hätte bekämpfen müssen – bis heute flackert dieser Wunsch nach der großen Abrechnung, der Ruf nach dem Henker immer neu auf und spaltet das Land.
Aber wäre dann der friedliche, unblutige Übergang 1989 wirklich geglückt? Wohl kaum. Mehr noch: Borodziej illuminiert sich gar nicht damit, aber ohne die Kunst des vorsichtigen Auslotens, wie weit man innerhalb des Systems gehen könne, hätte es die Renaissance Gesamteuropas nicht gegeben. Polen glitt „vom Westen in den Osten ab“, schreibt Borodziej, aber man lernt zugleich zu begreifen, weshalb es von sich aus zurückzukehren vermochte in die Mitte Europas, noch vor dem Mauerfall.
Drei Mal immerhin, so der Autor, habe Polen im 20. Jahrhundert „europäische Geschichte geschrieben“: 1920, als es die Rote Armee schlug, 1939, als es sich Hitler-Deutschland widersetzte, und schließlich 1980 mit Solidarnosc. Polen heute, bilanziert er gleichwohl, sei „kein neues Land“. Heißt das, es war und es bleibt ein Land „in der Mache“, wie das auch von Deutschland gesagt worden ist? Ja, so verstehe ich Borodziejs schnörkellos-intelligente Fallstudie über sein Land, die 2004 endet, kurz vor Beginn der beunruhigenden Doppelherrschaft der Kaczynski-Zwillinge. Man lernt, den Untergrund zu verstehen, und rätselt, wohin dieser Eigensinn führt und wie er nutzbar gemacht werden kann an Europas gemeinsamem Tisch.   GUNTER HOFMANN
WLODZIMIERZ BORODZIEJ: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. C. H. Beck Verlag, München 2010. 489 Seiten, 26, 95 Euro.
Gunter Hofmann war Redakteur bei der Zeit. Im kommenden Frühjahr erscheint sein Buch „Polen und Deutsche. Der Weg zur europäischen Revolution 1989/90“.
Unfrei waren die Polen,
ihre Freiheit nahmen sie sich
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Gunter Hofmann bedenkt Wlodzimierz Borodziejs Geschichte Polens im 20. Jahrhundert mit viel Lob. Er schätzt den Autor als profunden Kenner der "deutsch-polnischen Verwobenheit" und sympathisiert mit dessen lakonischen Ton. Borodziejs Darstellung der Geschichte seines Landes, seiner Stärken und Schwächen scheint ihm "liebevoll-kühl". Deutlich wird für den Rezensenten, wie Polen selbst in den Stalinjahren ein "Akteur mit Eigenleben" blieb, sich allmählich emanzipierte und schließlich 1980 mit der Solidarnosc erfolgreich die "Summe der Aufstandserfahrung" zog. Hofmann hat bei der Lektüre auch eine Menge alltäglicher Fakten gelernt, etwa über das Erziehungssystem, die Industrieproduktion, den Schwarzhandel, die Stadt-Land-Unterschiede und so weiter. Sein Fazit: eine "schnörkellos-intelligente Fallstudie" über Polen.

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