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Dieses Schlüsseldokument zur Geschichte des öffentlichen Rechts versetzt den Leser in das Herz des "Denkkollektivs" der sog. "Schmitt-Schule" und ist von intensiver Zuwendung und erregendem argumentativen und sachlichen Ernst getragen. Dabei sperrt sich Schmitt auch immer wieder gegen Böckenfördes "Schmitt-Projekt" als den Versuch einer politisch-theologischen Zügelung, juristischen Kanonisierung und Adaption für die Bundesrepublik. Die Edition wird durch weitere Korrespondenzen und Materialien ergänzt. Eine Auswahl von kleineren Texten Böckenfördes dokumentiert die ständige Auseinandersetzung…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Schlüsseldokument zur Geschichte des öffentlichen Rechts versetzt den Leser in das Herz des "Denkkollektivs" der sog. "Schmitt-Schule" und ist von intensiver Zuwendung und erregendem argumentativen und sachlichen Ernst getragen. Dabei sperrt sich Schmitt auch immer wieder gegen Böckenfördes "Schmitt-Projekt" als den Versuch einer politisch-theologischen Zügelung, juristischen Kanonisierung und Adaption für die Bundesrepublik. Die Edition wird durch weitere Korrespondenzen und Materialien ergänzt. Eine Auswahl von kleineren Texten Böckenfördes dokumentiert die ständige Auseinandersetzung mit der Schmitt-Forschung sowie die Transformation von dessen "Politischer Theologie" in die neuere Lage und Zeit.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Oliver Weber findet den von Reinhard Mehring herausgegebenen Briefwechsel zwischen Ernst-Wolfgang Böckenförde und Carl Schmitt aufschlussreich in vielerlei Hinsicht. Zum einen bedeutet ihm die "sorgfältige" Edition die Einmütigkeit der beiden Briefeschreiber in ihren Positionen, auch wenn die Verbindung laut Weber nicht unbedingt auf gemeinsamen politischen Grundeinstellungen basiert, zum anderen wird für ihn sichtbar, inwieweit sich Böckenförde und Schmitt über das Weltgeschehen verständigen. Das hält auch für heutige Leser noch immer "erhellende Einsichten" bereit, versichert Weber, von "glänzenden" Formulierungen ganz abgesehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2022

Die Hand am Gang der Zeit
Der BRD-Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und Carl Schmitt waren nach dem Krieg befreundet. Was verband sie?
Der erste Brief bleibt noch im Ungefähren. Ernst-Wolfgang Böckenförde und sein älterer Bruder Werner fragen höflich nach, ob sie den „verehrten Herrn Professor in diesen Semesterferien einmal in Plettenberg aufsuchen dürfen“ – bei der Lektüre seiner „Verfassungslehre“ seien noch Fragen geblieben. Doch schon der nächste Brief deutet eine geistig-politische Übereinstimmung an: Man frage sich insbesondere, welche Richtlinien sich „aus den zum Teil widersprüchlichen politischen Grundentscheidungen des Bonner Grundgesetzes gewinnen lassen“. Hinter der Verfassung und ihren Normen steht noch eine „konkrete Ordnung“, die man zuerst verstehen muss, will man die Verfassungsartikel deuten – das dürfte in Plettenberg sofort auf Gefallen gestoßen sein.
Mit diesen beiden Nachrichten aus dem Jahr 1953 eröffnet der von Reinhard Mehring herausgegebene Briefwechsel zwischen dem preisgekrönten Intellektuellen und späteren Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde und dem Staatsrechtler und einstigen „Kronjuristen des Dritten Reichs“ Carl Schmitt den Einblick in eine intensive freundschaftliche Beziehung, die bis zum Tod Schmitts 1985 nicht abreißt. Die Verbundenheit beider ist bekannt. Sie wurde von Böckenförde, der vor drei Jahren verstarb, selbst in zahlreichen Widmungen, Schriften und Interviews freimütig zugegeben. Doch wie genau hatte man sich den Umgang vorzustellen? Als wechselseitige geistige Auseinandersetzung? Als Lehrer-Schüler-Verhältnis? Als bloße Übernahme einzelner Begriffe? Diese sorgfältige Briefedition legt nun eine rhetorische Einmütigkeit offen, die zugleich erstaunlich und im Hinblick auf jemanden, der wie kaum ein Zweiter die Legitimität der Bundesrepublik verteidigt hat, auch erklärungsbedürftig ist.
Schon nach den zwei Briefen der Brüder Böckenförde kommt es zum Treffen in Plettenberg. Die Interpretation der Beziehung zu Schmitt steht unter dem Vorbehalt, dass die meisten Gedanken sicherlich persönlich ausgetauscht worden sind – hiervon findet man in dem Briefwechsel zwar manchmal Andeutungen, doch das meiste verbleibt in der „Stille des Sauerlandes“. Ernst-Wolfgang Böckenförde bedankt sich nachträglich etwa für Anregungen zur Problematik von Enteignung im sozialen Rechtsstaat, lädt Schmitt auch recht bald zu einem Vortrag in diesem Themenumkreis vor Münsteraner Jura-Studenten ein, den Schmitt, der im Zuge der Entnazifizierung jede Chance auf Wiedererlangung eines Lehrstuhls verlor, auch gerne hält. Der kleinste Hauch fachlicher Kritik – eine rechtsgeschichtliche Quelle aus dem 17. Jahrhundert spricht von „Politik“, wo laut Schmitt eigentlich „Polizei“ stehen müsste – wird von dem jungen Böckenförde noch im selben Brief aufgefangen durch einen ellenlangen Verriss einer staatsrechtlichen Neuerscheinung mittels der Grundsätze des Lehrers. Eine Versicherung, doch irgendwie auf der gleichen Seite zu stehen.
Man bemerkt, wie früh sich Böckenfördes spätere Positionen andeuten – und wie eng sie mit Schmitt abgestimmt sind. 1972 wird Böckenförde die „Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung individueller Freiheit“ hervorheben, unter deren Berücksichtigung auch umfangreiche Sozialstaatstätigkeit nicht nur möglich, sondern auch freiheitsförderlich ist. 1957 berichtet er Schmitt seinen Gedanken, wie „leicht“ ein Sozialstaat „in einen totalen Staat i. S. Hitlers umschlagen kann“, wenn diese Unterscheidung nicht beachtet werde. Der Gedanke ist derselbe, auch wenn gegenüber Schmitt die Konnotation noch pessimistisch bleibt. Auch Böckenfördes Qualifikationsarbeiten, insbesondere seine erste juristische Dissertation, aber auch die zweite historische in München und die Habilitationsschrift, das zeigt sich jetzt, wurden in enger Auseinandersetzung mit Schmitt geschrieben. Fragestellung, Methodik, Quellenauswahl, Gliederung und selbst einzelne Kapitel wurden brieflich und persönlich ausgiebig im Labor Plettenberg erprobt.
Welche Art von Lehrerschaft drückt sich hier aus? Die eigentlichen akademischen Lehrer Böckenfördes sind andere: Bei Hans Julius Wolff in Münster und Franz Schnabel in München promovierte und lernte er sein juristisches beziehungsweise historisches Handwerkszeug – was band ihn dann an Schmitt? Im Briefwechsel begegnen dem Leser immer wieder sorgfältig eingestreute Bemerkungen, die Antwort auf diese Frage versprechen. Zum Beispiel ein Brief Böckenfördes aus dem Mai 1955: Zuerst erfolgt ein Kurzreferat – dann eine kulturkritische Note: „Aber die Erörterung solcher grundlegenden Fragen ist heute nicht mehr beliebt, vielleicht weil man nicht gerne den schwankenden Boden analysiert, auf dem man selbst steht.“ Oder ein Brief aus dem April 1958: „Man muß sich ja, gerade als junger Mensch, hüten, daß man in irgendeinen Trend hineingerät und sich davon vereinnahmen läßt und dann die harten Realitäten aus den Augen verliert.“
Über die drei Jahrzehnte hinweg fallen etliche sarkastische Formulierungen über „gewisse Herren“ und „unsere Juristen, die im „arbeitsteiligen Wissenschafts- und Gutachterbetrieb ersticken“ – ganz im Unterschied zu jenen wenigen, „die wirklich die Hand am Gang der Zeit haben“ und einsam sind vor lauter anderen, die sich „auf der Höhe des Geschehens nicht halten können“. Hier zeigt sich: Die Verbindung von Böckenförde und Schmitt liegt nicht auf der Ebene bloßer persönlicher Freundschaft oder wissenschaftlicher Inspiration, schon gar nicht gemeinsamer politischer Grundhaltungen. Der „allwissende Greis“ aus Plettenberg ist für Böckenförde vielmehr die Eintrittskarte in eine herausgehobene intellektuelle Beobachterposition, von der aus der Weltlauf auf eine Art verständlich und kommentierbar wird, die Durchschnittsakademikern und der Öffentlichkeit verschlossen bleibt.
Auf diese Weise erklärt sich, wieso zwischen beiden Briefpartnern kaum größere Differenzen hervortreten – selbst dort nicht, wo Böckenförde offenkundig einen anderen intellektuellen und politischen Weg einschlägt: Böckenförde berichtet dem Theoretiker des autoritären Staates und der Führerdemokratie 1958 von dem Gedanken, „ob nicht individualistische Demokratie und Sozialstaat die notwendigen Endstufen derjenigen Prinzipien sind, aus denen dieser Staat selbst erwachsen und begründet worden ist“. Ein Jahr später erzählt er Schmitt begeistert von der Entzweiungsphilosophie seines zweiten heimlichen Lehrers, des Philosophen Joachim Ritter, der in „konkreten Ordnungen“ denken und dennoch die Menschenrechte bejahen kann: „Prof. Ritter bezeichnete den Staat der Neuzeit als eine Chance!“ Wohlgemerkt: Für Schmitt war „Entzweiung“ das Grundübel der Moderne, das er in etlichen antisemitischen Bemerkungen in seinen Texten den Juden anlastete. Diese eklatanten Unterschiede hinterlassen jedoch kaum Spuren im freundlich-förmlichen Hin-und-Her des Briefwechsels.
Stattdessen dominiert – neben etlichen Literaturhinweisungen und -verschickungen – die Verständigung über die Bedeutung des Weltgeschehens: von der korrekten Stellung Lorenz von Steins im Liberalismus des 19. Jahrhunderts, über Adenauers Wahlkampf 1957, die französische Verfassungskrise – „jetzt haben wir ‚Ausnahmezustand und Bürgerkriegslage‘ in Frankreich“ – bis zu den Studentenrevolten 1968, die Böckenförde schließlich zum Wechsel von Heidelberg auf einen Bielefelder Lehrstuhl veranlassen.
Schmitt, der sich von anderen fortwährend verfolgt und verdächtigt fühlt, ist durchweg pessimistisch, entschuldigt sich manchmal sogar dafür: „Ihr Plan, ein Buch ‚Institutionen des Staatsrechts der BRD‘ zu schreiben, ist sehr riskant. Die Industriegesellschaft kennt keine Institutionen; die apokryphen Reste früherer Institutionen, von denen dieser ‚Staat‘ noch lebt, werden öffentlich desavouiert und geschändet.“ Böckenförde wiederum übernimmt gegenüber Schmitt dessen kulturkritischen Tonfall, deutet aber auch immer wieder vorsichtig Optimismus an: „Oder kann man die Situation anders und vielleicht hoffnungsvoller sehen?“
So gesehen ist der Briefwechsel enorm lesenswert, bringen die beiden einsamen Beobachter der Weltgeschichte doch immer wieder Einsichten hervor, die auch rückblickend erhellend sind. Von glänzenden aphoristischen Formulierungen – „Bonn ist nicht Weimar. Bonn ist vielleicht nicht einmal Bonn. Jedenfalls muss man nach Karlsruhe gehen, um zu wissen, was Bonn ist“ – ganz zu schweigen.
Lesenswert ist der Briefwechsel aber auch im Hinblick darauf, was er nicht enthält. Nur einmal thematisiert Böckenförde direkt Schmitts Antisemitismus: „Ihre Stellung zu den Juden ist mir, wenn ich das sagen darf, immer noch ein Rätsel; aber es kommt mir nicht zu, Ihnen dieserhalb irgendeine Frage zu stellen.“ Der glücklich Spätgeborene, der später „die Verfolgung der deutschen Juden als Bürgerverrat“ deutete, begnügt sich mit dieser Anmerkung. Gegenüber der Öffentlichkeit erklärte er nachträglich, es hätte ihm nicht zugestanden, Schmitt ein „nachgeholtes Spruchkammerverfahren“ zu machen. Die Fokussierung auf das Entscheidende der „geschichtlichen Wirklichkeit“ hilft dabei, auch kleinste Rechtfertigungsforderungen von vornherein auszuschalten: Schmitt übersendet einen Aufsatz aus dem Jahr 1936 mit dem Hinweis, dass „zeitgebundene Äußerungen Sie nicht zu hindern brauchen, das verfassungsgeschichtlich Wesentliche daraus zu entnehmen“. Auch hier sind explizit nationalsozialistische Passagen gemeint. Böckenförde folgt der Leseanleitung offenbar.
Das Verhältnis zwischen Schmitt und Böckenförde bewegt sich weiterhin innerhalb dieser Koordinaten, auch über die Studentenzeit Böckenfördes hinaus. Selbst als dieser längst ordentlicher Professor in Heidelberg geworden war, bleibt es bei der Asymmetrie in der Anrede zwischen dem „verehrten, lieben Professor“ (der gar keinen Lehrstuhl mehr hatte) und dem „lieben Ernst-Wolfgang“. Der quantitative Höhepunkt des Briefwechsels ist den Siebzigerjahren überschritten – Böckenförde ist umfassend in das Wissenschaftssystem eingebunden, später Bundesverfassungsrichter, Schmitt nähert sich seinem 80. Geburtstag, kann kaum mehr reisen oder telefonieren, die Briefe werden immer erratischer. Arbeitet sich man durch das umfangreiche Material, kann man ungefähr ersehen, wie wichtig für Böckenförde das Schmitt’sche Refugium außerhalb des kritisch beäugten akademischen und journalistischen Betriebs war – trotz des grundsätzlichen Zuspruchs, mit der er der Bundesrepublik öffentlich begegnete. Vielleicht ist in dieser distanznehmenden Geisteshaltung, die von dort aus dann auch Bejahung erlaubte, jene Gemeinsamkeit zu suchen, die den Theoretiker der freiheitlichen, modernen Demokratie mit dem „Feind des Rechtsstaates“ bis zuletzt und unzertrennlich verband.
OLIVER WEBER
„Ihr Stellung zu den Juden ist
mir, wenn ich das sagen darf,
immer noch ein Rätsel“
Rhetorische Einmütigkeit, die erklärungsbedürftig ist: Ernst Wolfgang Böckenförde (re.) und Carl Schmitt.
Fotos: Rolf Haid/dpa;privat
Reinhard Mehring (Hg.): Carl Schmitt, Ernst-Wolfgang Böckenförde – Welch gütiges Schicksal, Briefwechsel 1953-1984. Nomos Verlag,
Baden-Baden 2022.
871 Seiten, 169 Euro.
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