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Im Herbst 1853 unterbricht Henry David Thoreau die Arbeit an dem Manuskript seines wichtigsten Werks, »Walden«, um in die Wälder von Maine zurückzukehren. Schon einmal, sieben Jahre zuvor, hat er sich dorthin aufgemacht, um den »Großen Berg« zu besteigen (dt. »Ktaadn«, 2017), nun gilt sein Interesse den Elchen - und neben diesen majestätischen und scheuen Tieren den Ureinwohnern, ihrer Lebensweise und Sprache, sowie den ausgedehnten Kiefernwäldern, die zunehmend Spuren ökonomischer Vernutzung zeigen. Thoreau hat einen Blick für diese Verheerungen und macht sich keine Illusionen darüber, was…mehr

Produktbeschreibung
Im Herbst 1853 unterbricht Henry David Thoreau die Arbeit an dem Manuskript seines wichtigsten Werks, »Walden«, um in die Wälder von Maine zurückzukehren. Schon einmal, sieben Jahre zuvor, hat er sich dorthin aufgemacht, um den »Großen Berg« zu besteigen (dt. »Ktaadn«, 2017), nun gilt sein Interesse den Elchen - und neben diesen majestätischen und scheuen Tieren den Ureinwohnern, ihrer Lebensweise und Sprache, sowie den ausgedehnten Kiefernwäldern, die zunehmend Spuren ökonomischer Vernutzung zeigen. Thoreau hat einen Blick für diese Verheerungen und macht sich keine Illusionen darüber, was sie für Mensch und Natur bedeuten, aber er bewegt sich mit der Achtsamkeit eines Gastes und der Lust eines Entdeckers durch diese Landschaft, als hätte sie vor ihm noch keiner betreten. Die Notizen, die er dabei macht, werden später unter dem Titel »Chesuncook« zu einem Vortrag, dessen Humor und Empfindungsreichtum, dessen Lebendigkeit und Ernst begeistern. Während seinen Begleitern der getötete Elch vom Fell bis zum Geweih zur Trophäe wird, bringt Thoreau als Andenken seiner Reise Schneeschuhe mit.
Autorenporträt
Schriftsteller und Philosoph, 1817 in Concord, Massachusetts, geboren, wo er 1862 starb. Sein Buch Walden; or, Life in the Woods hat ihn weltweit berühmt gemacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2022

Die schärfsten Kritiker der Elche

Läsen besser Henry David Thoreau: In "Chesuncook" beschrieb er 1853 eine Reise in den Norden Maines mit beseeltem Blick auf Tiere und Pflanzen.

Von Jan Wiele

Sosehr Henry David Thoreau auch als Naturmensch und der Wildnis Verbundener bekannt ist, wird doch immer wieder darauf hingewiesen, dass er eigentlich ein Stubenhocker war und sein Heimatstädtchen Concord in Massachusetts kaum je verlassen hat. In der Hütte am Walden Pond, wo er sein berühmtes Buch vom "Life in the Woods" schrieb, das 1854 erschien und für folgende Generationen zu einer Art Waldbibel wurde, war er nicht so ganz autark: Er brachte seiner nahebei wohnenden Mutter die Wäsche und genoss ihre Apfelkuchen, wie etwa der Schriftsteller Paul Theroux anmerkte.

Aber auch wenn Thoreau bei Weitem nicht so viel und so fern reiste wie zum Beispiel seine Zeitgenossen Ralph Waldo Emerson und Nathaniel Hawthorne, hat er doch mit seinen drei Ausflügen nach Norden, die drei Berichte ergaben und 1864 gesammelt unter dem Titel "The Maine Woods" veröffentlicht wurden, die Literaturgeschichte der Naturkunde sowie der Ethnographie geprägt.

In der Einleitung zu einer englischen Ausgabe von "The Maine Woods" charakterisiert Paul Theroux seinen Fast-Namensvetter Thoreau als jemanden, der im Geiste ein kleiner Junge geblieben sei. In dem Essay "Chesuncook", der zuerst in der Zeitschrift "The Atlantic Monthly" erschienen war und sich auf eine Reise von 1853 bezieht, bietet Thoreau dafür freilich auch gute Belege: Er schreibt gleich zu Beginn, als ein Dampfer ihn von Boston nach Bangor gebracht und er sich per Postkutsche und Kanu in Richtung des Landesinneren aufgemacht hat, über die aus dem Nebel ragenden Tannenspitzen: "Es war wie der Anblick und der Duft eines Kuchens für einen Schuljungen."

Diesen zu genießen, dafür plädiert "Chesuncook" in poetischer und euphorischer Weise. Später heißt es etwa nach einem Essen: "Als Nachspeise gönnte ich mir ein großes Stück von Chesuncooks Wäldern und trank in vollen Zügen und mit allen meinen Sinnen vom Wasser des Sees." Eine romantische Vorstellung von Allbeseeltheit, die auch die amerikanischen Transzendentalisten ergriffen hatte, ist in dem Essay vielfach spürbar. Insofern hat für Thoreau auch die von Holzfällern bedrohte Kiefer eine Seele, "so unsterblich wie meine" -, aber ausgerechnet diese bedeutende Stelle tilgte der Herausgeber des "Atlantic Monthly", James Russell Lowell, bei der Erstveröffentlichung, was Thoreau sehr wütend machte.

Er begegnet auf seiner Reise der Natur wie den Menschen mit großer Neugier und dem Willen zum Dokumentieren - insbesondere von Sprache und Gebräuchen der Ureinwohner. Mit einem Indigenen war Thoreau auch Jahre zuvor zum Berg Ktaadn unterwegs gewesen, hier nun ist er es mit dem Sohn eines Penobscot-Stammesführers, der bereits einen englischen Vornamen trägt: Joe Aitteon. "Joe sagte, in seiner Sprache nenne man die Schwarzkopfmeisen kecunnilessu. Der Eisvogel hieß skuscumonsuck; der Bär wassus, Puma lunxus, die Bergesche upahsis."

Im Mittelpunkt des Essays steht die Elchjagd. Thoreau beschreibt das Phänomen zunächst objektiv wie ein Reporter, wundert sich über den "einzigartigen und grotesken Anblick" des Elchs, der ihn an eine Giraffe erinnert, während der Geschmack von Elchfleisch ihn anmutet wie "zartes Rind". Aber bald schon wird deutlich, dass er jene verachtet, deren Ziel es ist, "so viele Elche und wilde Tiere abzuschlachten wie möglich". Und als er dann selbst miterlebt, wie eine Elchkuh und ihr Kalb geschossen werden, spürt man seine Empörung: "Es war ein Trauerspiel zu sehen, dass dieser immer noch warme Körper von einem Messer aufgeschlitzt wurde und zu beobachten, wie die immer noch warme Milch aus dem zerfetzen Euter floss."

Interessanterweise kommt Thoreau aber nicht zu dem Schluss, dass die Ureinwohner mit der Natur besser umgingen als die Kolonisatoren, er spricht auch über sie gnadenlos: "Wie grob und mangelhaft nutzen Indianer und Jäger die Wildnis! Kein Wunder, dass ihr Volk bald ausgerottet sein wird." Die Pointe folgt dann etwas später: Der Einzige, der wirklich im Einklang mit der Natur lebt, ist für Thoreau: der Dichter! "Er ist es, der von der Kiefer den wahrsten Gebrauch macht, er weiß, ob ihr Herz falsch ist, ohne sie aufzuschneiden. Alle Kiefern erbeben sich und seufzen tief, wenn dieser Mann den Waldboden betritt."

So kurios diese Überhöhung des Dichters wirkt, erscheint Thoreau mit seinen in "Chesuncook" geäußerten Ansichten als Vorläufer gleich mehrerer Reformbewegungen. Seine Tierethik ist vergleichbar mit jener Arthur Schopenhauers, ohne dass er dessen Schriften wohl gekannt haben kann (Emerson und Melville immerhin haben sich im späteren neunzehnten Jahrhundert noch auf diese bezogen). Und die Vorstellung, von Licht und Luft allein zu leben, deutet auf die um 1900 auf dem Monte Verità sich tummelnden Aussteiger voraus, ebenso so wie die Tendenz zum Vegetarismus, für die der Beerenliebhaber Thoreau schon häufiger gerühmt wurde. Ganz ausgegoren ist das bei ihm alles freilich nicht, denn im nächsten Absatz gibt es doch wieder Elchfleisch zum Frühstück.

Dennoch ist die Kombination dieser Gedanken nebst einem Schlussplädoyer für die Einrichtung von Naturreservaten, die laut dem Herausgeber Alexander Pechmann schon auf den Naturschützer John Muir hindeuten, überaus bemerkenswert. Mit "Chesuncook" hat der Salzburger Verlag Jung und Jung nach "The Allegash and East Branch" (2012) und "Ktaadn" (2017) nun die Trilogie von Thoreaus Maine-Woods-Essays in deutscher Übersetzung abgeschlossen - die sollten alle kennen, die sich für poetische Kulturgeschichte interessieren.

Henry David Thoreau: "Chesuncook".

Aus dem amerikanischen Englisch und hrsg. von

Alexander Pechmann. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2022. 155 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Jan Wiele sieht in Henry David Thoreaus Essay über eine 1853 absolvierte Reise in den Norden Maines einen Meilenstein der poetischen Kulturgeschichte. Schmunzeln darf der Leser hier allerdings auch, meint Wiele, etwa wenn der Autor sich über den Geschmack von Elchfleisch ergötzt, wenig später dann aber auf die blutige Gewalt der Ureinwohner, auf die er auf seiner Reise triff, im Umgang mit Elch und Kiefer schimpft. Objektivität und Subjektivität, Dokumentarismus und Poesie und Euphorie wechseln sich ab, meint Wiele.

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