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Ausgezeichnet als das historische Buch des Jahres und beste Biografie des Jahres von "DAMALS - Das Magazin für Geschichte".
Wer war Claus von Stauffenberg? Die Figur des Oberst, der am Mittag des 20. Juli 1944 die Bombe zündete, die Hitler töten sollte, blieb in der Literatur immer schemenhaft. Wir kennen den langen Weg der Opposition, der schließlich zu dem Anschlag geführt hat, aber bis heute besitzen wir kein überzeugendes Bild von der Persönlichkeit des Attentäters. Weil wir in erster Linie nach moralischen Kriterien urteilen, tun wir uns mit der Einordnung des militärischen Widerstands…mehr

Produktbeschreibung
Ausgezeichnet als das historische Buch des Jahres und beste Biografie des Jahres von "DAMALS - Das Magazin für Geschichte".

Wer war Claus von Stauffenberg? Die Figur des Oberst, der am Mittag des 20. Juli 1944 die Bombe zündete, die Hitler töten sollte, blieb in der Literatur immer schemenhaft. Wir kennen den langen Weg der Opposition, der schließlich zu dem Anschlag geführt hat, aber bis heute besitzen wir kein überzeugendes Bild von der Persönlichkeit des Attentäters. Weil wir in erster Linie nach moralischen Kriterien urteilen, tun wir uns mit der Einordnung des militärischen Widerstands generell schwer.

Die neue Stauffenberg-Biografie versucht, aufbauend auf dem aktuellen Forschungsstand und unter Berücksichtigung bisher unbekannter Quellen, die Ideenwelt des Attentäters zu rekonstruieren. Die Normen, die sein Denken und Handeln bestimmten, waren für ihn lange Zeit vereinbar mit Hitlers Politik. Erst im Sommer 1942 begann er umzudenken und die politische Verantwortung des Offiziers höher zu stellen als Pflicht und Gehorsam. Als er zwei Jahre später zur Tat schritt, fühlte er sich von den meisten seiner Mitverschwörer im Stich gelassen.

In jedem anderen Land Europas wäre einem Hitler-Attentäter schon wenige Tage nach Kriegsende ein Denkmal errichtet worden. Warum das in Deutschland nicht möglich war, zeigt dieses Buch.
Autorenporträt
Thomas Karlauf, geboren 1955 in Frankfurt am Main, ging nach dem Abitur nach Amsterdam und arbeitete zehn Jahre für die Literaturzeitschrift 'Castrum Peregrini'. Von 1984 bis 1996 war er Lektor bei den Verlagen Siedler und Rowohlt und führt seither eine Agentur für Autoren in Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen die weithin beachteten Biografien 'Stefan George. Die Entdeckung des Charisma' (Blessing 2007) und 'Helmut Schmidt. Die späten Jahre' (Siedler 2016), sein Buch 'Stauffenberg. Porträt eines Attentäters' wurde im Rahmen des DAMALS-Buchwettbewerbs von einer hochkarätigen Jury als 'historisches Buch des Jahres' und als 'Biografie des Jahres' ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Sarah Pines erfährt aus dem Buch von Thomas Karlauf, was Stauffenberg bewog, die Bombe zu legen, immer wieder, entschlossen und ausdauernd. Wenn der Autor dabei Legenden verabschiedet, indem er die anfängliche Hitler-Begeisterung des Attentäters zeigt und als wahren Beweggrund militärisches Kalkül nennt, lauscht Pines gebannt. Kongenial erscheint ihr das Buch insofern, als der Autor der gleichen Gedankenwelt wie Stauffenberg entstamme, dem George-Kreis.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2019

Die Poesie der Tat
Was bewegte Stauffenberg zum Attentat - in einer Lage, da eigentlich nichts mehr zu retten war? Sicher nicht Kritik am Nationalsozialismus. Es war die Lektüre Stefan Georges, schreibt Thomas Karlauf in einer neuen Biographie.

Von Jürgen Kaube

Im Mai 1943 warf die britische Royal Air Force über Deutschland eine Broschüre in Millionenauflage ab. Neben einem Aufruf Churchills enthielt sie eine Rede Thomas Manns über die "apokalyptischen Lausbuben" im Führerhauptquartier und auf ihrer letzten Seite auch ein Gedicht. Es stammte von dem zehn Jahre zuvor in der Schweiz verstorbenen Stefan George. Er hatte es 1907 unter dem Titel "Der Widerchrist" veröffentlicht.

In der Orthographie des Nachdrucks endet es so: "Der Fürst des Geziefers verbreitet sein Reich, / Kein Schatz der ihm mangelt, kein Glück das ihm weicht . . . / Zu Grund mit dem Rest der Empörer! // Ihr jauchzet, entzückt von dem teuflischen Schein / Verprasset was blieb von dem früheren Seim / Und fühlt erst die Not vor dem Ende. // Dann hängt ihr die Zunge am trocknenden Trog, / Irrt ratlos wie Vieh durch den brennenden Hof . . . / Und schrecklich erschallt die Posaune." Wen die britische Armee 1943 hier als Antichrist adressierte, lag auf der Hand. Die erstaunliche Pointe des Raubdrucks aber lag nicht nur in der Massenwirksamkeit, die der Lyrik offenbar zugetraut wurde. Es war wohl eine der höchsten Auflagen, die je ein Gedicht erlebte. Viel mehr noch lag eine objektive Ironie darin, dass ausgerechnet Stefan George zum Einsatz gegen Hitler kam. George, der den Nationalsozialismus in seinen Anfängen begrüßt hatte; der sich selbst einen Einfluss auf diese "nationale Erhebung" zuschrieb; der Führertum, Heldenfeier sowie eine Art deutsch-abendländische Kunstreligion propagierte. Und dessen Jünger vor und nach 1933 zu hohem Anteil dem Nationalsozialismus zuliefen.

Am 20. Juli 1944 war es solch ein Jünger Georges, der den einzigen Umsturzversuch gegen Adolf Hitler versuchte: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Zum 75. Jahrestag seines gescheiterten Sprengstoffanschlags legt Thomas Karlauf, einer der besten Kenner Stefan Georges, eine neue Biographie des Attentäters vor. Sie will verstehen, wie aus dem kriegsbegeisterten Offizier, der zehn Jahre lang meist Gutes über den Nationalsozialismus zu sagen wusste, der Anführer eines Militärputsches wurde.

Dabei versucht Karlauf zwei Deutungen zu vermeiden. Die eine meint, in Stauffenberg und den Seinen das "bessere Deutschland" zu erkennen, das spät, als die Verbrechen des schlechteren unerträglich wurden, sich zum Aufstand gegen das Böse entschloss. Stauffenberg als Tilger der Kollektivschuld. Die andere kann in Stauffenbergs Tat nicht mehr finden als den Versuch einer militärischen Elite, Hitler der ausweglosen Niederlage halber zu beseitigen, in die er Deutschland seit 1941 führte. Stauffenberg als Büttel der Landbesitzerklasse. Die einen machen aus dem Schwaben einen "Ehren-Preußen" (Marion Dönhoff) adligster Gesinnung, die anderen lesen dem Attentäter postum eine lange Liste von Desideraten vor, die er alle nicht erfüllte: Demokrat gewesen zu sein, reserviert gegenüber dem Regime, früh die militärische wie menschliche Katastrophe registriert zu haben und den Massenmord an den Juden.

Für Karlauf war Stauffenberg ein aristokratischer Nationalist, ein Soldat mit geradezu religiöser Verehrung des Offizierskorps und ein Jünger Georges. Dem Dichter war er zusammen mit seinem Bruder schon 1923, fünfzehnjährig, vorgestellt worden. Im selben Jahr schrieb er sich in einem Schulaufsatz das Ziel zu, ein "wirklichkeits- und kampfbewusstes Leben" zu führen, um sich dann "im erhabenen Kampf" für das Vaterland zu opfern. Von diesen Phantasien ließ er niemals ab. Sein Mentor im George-Kreis war der Germanist Max Kommerell, damals der engste Vertraute des Dichters. Man las gemeinsam Jean Paul und Hölderlin, hielt die deutsche Literatur für einen Männerbund, schrieb einander Gedichte, schwärmte vom wahren Deutschland, kommenden Kriegen und den Staufern, die mit den Stauffenbergs aber nur in der Einbildung etwas zu tun hatten.

Apropos wahres Deutschland. Als dessen Verkörperung erschien nicht nur Stauffenberg die Reichswehr, die später Wehrmacht hieß. Sie verstand sich schon zu Weimarer Tagen als so unpolitisch wie der George-Kreis, als wahrer Staat im gar nicht wahren Staate. Überparteilich zu sein, hieß für sie, Parteien abzulehnen. Karlauf verweist auf signifikante Details: Der Oberbefehlshaber des Heeres blieb in der Weimarer Republik den Verfassungsfeiern fern. Man ließ den Reichspräsidenten keine Paraden abnehmen. In den Erlassen der Reichswehr gab es keinen Bezug auf republikanische Einrichtungen, man sprach von der "Reichseinheit", die zu bewahren sei, nicht von der Verfassung.

Zu den besonderen Leistungen von Karlaufs Buch gehört es, dieses vieldeutige, von Tradition, Arroganz, Könnensbewusstsein, aber auch von Opportunismus und Feigheit bestimmte Verhältnis der militärischen, meist preußischen Elite Deutschlands zur Politik zwischen 1918 und 1945 ausführlich auszuleuchten. Aufschlussreich etwa der Irrtum des Generals Ludwig Beck, der sich 1938 einen Aufstand des Offizierskorps gegen den ins Militär übergriffigen Hitler vorstellen konnte, als längst die meisten Offiziere, anders als Beck, ihre Karriere Hitler verdankten.

Für Stauffenberg war das Militär ebenfalls kein Instrument der Politik, sondern trug es Verantwortung für das soziale Ganze. Dieses wiederum stellte er sich als Ständestaat unter der Obhut des angeborenen Herrentums der Adligen vor, die eine Herrschaft der Besten über ein agrarisch geprägtes Deutschland auszuüben hätten. Man fragt sich bei der Lektüre, ob den Herrschaften damals nicht ein Besuch im Ruhrgebiet oder bei der chemischen Industrie gutgetan hätte. Oder ob sie den Rest der Welt nur aus Homer und einem national zugerichteten Hölderlin kannten.

Die Stauffenbergs jedenfalls, Claus und sein Bruder Berthold, meinten, im Nationalsozialismus die Bejahung von Hierarchie, Rasse und Volksgemeinschaft mit einer bäuerlichen, vom "Kampf gegen den Geist der Großstädte" bestimmten Gesinnung verbunden zu sehen. 1944 hieß es dann, diese "Grundideen" seien in ihr Gegenteil verkehrt worden. Auf den Gedanken, dass sie selbst nicht verstanden hatten, was der Nationalsozialismus politisch bedeutete, kamen sie nicht.

Stauffenberg gehörte mithin nicht zu den Gegnern des Regimes. Bis August 1942 finden sich keine Hinweise darauf, dass er je an ein Attentat auf Hitler gedacht hätte. Er war nicht nur ein loyaler, durch Fahneneid gebundener Offizier, sondern sein ganzes Weltbild, in dessen Zentrum ein heiliges Deutschland stand, von dessen Vormacht die Größe Europas abhing, fand er in Übereinstimmung mit dem nationalsozialistischen. Er hätte, sagt er 1932, Hitler gewählt, wenn er als Offizier hätte wählen dürfen. Nach der Machtergreifung nimmt er an einem Fackelzug der SA teil. Noch 1939 schreibt er vom "völkischen Entscheidungskampf", den es zu kämpfen gelte. Seine Distanz zu den Nationalsozialisten bemisst sich also allenfalls nach dem Abstand, in dem er den militärischen Adel ohnehin von allem andern sah.

Absurd darum, "aus Sorge, den Helden zu beschädigen", wie Karlauf schreibt, ihm "lieber gleich den Dolch in die Wiege" zu legen, wie es manche Biographen taten. Stauffenberg war auch nicht "bürgerlich-konservativ". Sein Mut lässt sich nicht zu einem aufschlussreichen politischen Programm aufrunden. Mit anderen Mitgliedern des Widerstands vom 20. Juli teilte er erhebliche Illusionen über die Gegenwart und lange auch über die Zukunft Deutschlands sowie die Bereitschaft der Alliierten zu einem Frieden ohne vollständige Kapitulation.

Was Stauffenberg hingegen unterschied, war seine Bereitschaft zum Attentat. Andere im Widerstand häuften Bedenken: Als Christ dürfe man nicht morden, man solle mit Hitler "ganz offen" sprechen, man brauche eine Revolution und also einen Gesinnungswandel, keinen Staatsstreich, es habe keinen Sinn, Hitler zu töten, wenn dabei nicht auch Himmler stürbe, Soldaten hätten Gehorsam geschworen, und was werde überhaupt das Volk dazu sagen? Stünde man nicht als Verräter am nahen Endsieg da, an den die Betrogenen immer noch glaubten? Manche, wie Carl Goerdeler, der schon lange Denkschriften zum Umsturz verfasst hatte und als neuer Reichskanzler vorgesehen war, hielten offenbar eine Revolte nur dann für sinnvoll, wenn sie sich im Besitz politischer Pläne für alle Fragen danach wusste. Also gar nicht? Eine der aufschlussreichsten Szenen für Karlauf ist das Treffen Stauffenbergs mit dem Sozialdemokraten Julius Leber, in dem sich diese ideologisch weit voneinander Entfernten Ende 1943 rasch einig wurden, dass die Beseitigung Hitlers wichtiger sei als die Ausarbeitung späterer Kabinettslisten.

Was löste Stauffenbergs Bereitschaft dazu aus? Für Karlauf dreierlei: Der Krieg war nicht mehr zu gewinnen, er schien auf den Untergang Deutschlands hinauszulaufen, und er hatte verbrecherische Züge angenommen. Letzteres bezog sich nicht auf den Genozid an den Juden, sondern auf die Befehle Hitlers vom Sommer 1941, in denen der Wehrmacht befohlen wurde, ohne jede Rücksicht auf das Kriegs- und Völkerrecht gegen Feinde, oder wen man dafür hielt, vorzugehen. Mord wurde zum legitimen Mittel erklärt, das Versklaven und Verhungernlassen von Gefangenen desgleichen. Bis den Widerständlern das klar wurde, verging allerdings ein weiteres Jahr. Die Untergebenen des Oberstleutnants Henning von Tresckow etwa, von dem die militärische Opposition gegen Hitler ihren Ausgang nahm und der die meiste Vorarbeit zum 20. Juli leisten würde, hatten jene Befehle ganz pflichtgemäß umgesetzt und nicht etwa mit Entsetzen kommentiert.

Es war also kein Aufstand des Gewissens. Die Berichte über die mörderischen Einsatzgruppen sind Stauffenberg lange bekannt, bevor er das Attentat ins Auge fasst. Bis zum Jahreswechsel 1942/43 meint er noch, man räume mit der "braunen Pest" erst nach dem Sieg auf. Im Mai 1942 erfährt er von Massenerschießungen, aber vor August desselben Jahres gibt es bei ihm in den glaubwürdigen Quellen keinen Hinweis auf Komplottpläne. "Nicht das Entsetzen über die Verbrechen des Nationalsozialismus", so Karlauf, "sondern die Entschlossenheit, den Krieg möglichst rasch zu einem für Deutschland glimpflichen Ende zu bringen", bewegte ihn.

Noch im Januar 1943 kann sich Stauffenberg auch eine Absetzung Hitlers vorstellen. Dann aber, von August desselben Jahres an, setzt er sein ganzes Organisationstalent, seine inwendige Kenntnis der Wehrmacht und seine immense Beredsamkeit dafür ein, nach einem Attentat auch die Machtergreifung des Widerstandes zu sichern. Die Niederlage bei Stalingrad hatte das Problem beseitigt, dem Volk könne ein Putsch als Anschlag auf den ewig siegreichen Hitler erscheinen. Karlauf zeichnet anschaulich nach, was es hieß, diese Lage zur Rekrutierung weiterer Verschwörer zu nutzen, alle Befehlsfäden an sich zu ziehen und die Einreden der verschiedenen Widerständler kleinzuhalten.

Dabei ist Stauffenberg längst sicher, dass es nach dem Attentat mit den Alliierten gar nichts mehr zu verhandeln geben würde. Die vollständige Besetzung Deutschlands zu verhindern, was zunächst sein Motiv war, erschien im Frühjahr 1944 aussichtslos. Stauffenberg fragt sich und Tresckow, ob nicht alles ohnehin zu spät wäre. Das macht es fragwürdig, in seiner Tat den Versuch einer nationalistischen Oberschicht zu erkennen, zu retten, was für sie noch zu retten gewesen sei. Es war für niemanden mehr etwas zu retten. Warum dann aber das Regime nicht seinem Untergang entgegentreiben lassen?

Hier tritt für Karlauf Stefan George wieder hervor. Während des gesamten Krieges spricht Stauffenberg mit seinen Freunden und seinem Bruder über die existentielle Bedeutung, die der Dichter für ihn hat. In seinen eigenen Plänen für die Nachkriegsordnung und in jenem "Eid", in dem die Brüder Stauffenberg den Umsturz begründeten, wirkt das anti-egalitäre Vokabular des Lyrikers nach: naturgegebene Ränge, niedere Triebe des Neides und der Missgunst, Gleichheitslüge, abendländisches Menschentum deutschen Ursprungs, schönes Leben.

Vor allem aber, so Karlauf, war es Georges Apotheose der Tat, die Stauffenberg motivierte. In zahlreichen Versen hatte sie eine Atmosphäre von Umsturz, Verrat und Dolchstoß beschworen: "Und was ihr heut nicht leben könnt wird nie". Georges Verachtung der bürgerlichen Welt hatte sich in diesen Phantasien einer Revolte verdichtet. Jetzt wirkten sie in eine ganz andere Richtung. Es gab, mit anderen Worten, Texte, an deren Sinn sich Stauffenberg moralisch gebunden, von denen er sich beauftragt, an die er sich erinnert fühlte, als sich ihm die Frage stellte, ob er über das Attentat anhand einer Folgenabwägung entscheiden sollte.

"Sagen Sie ihm, daß er für die Träume seiner Jugend soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird", heißt es in "Don Carlos". Nicht, dass Stauffenbergs Träume in irgendeinem Sinne hell und klar gewesen wären. Nicht, dass man sich ihre Verwirklichung je hätte wünschen können. Nicht, dass überhaupt Jugendträume das Maß des politisch Sinnvollen oder moralisch Vertretbaren abgeben sollten. Aber hier taten sie es. In den letzten Absätzen seiner Biographie weist Thomas Karlauf darauf hin, dass Stauffenberg zuletzt kein politisches Programm mitteilte, sondern die Welt beschwor, aus der er kam. Jene merkwürdige Welt, in der Gedichte es vermochten, von Einzelnen als Aufträge zu letzten Entschlüssen gelesen zu werden. Als die Alliierten am 1. Juni 1944 der französischen Résistance mitteilen wollten, die Landung in der Normandie stehe kurz bevor, taten sie das, indem sie im Radio das Programm unterbrachen und die ersten drei Zeilen von Paul Verlaines "Chanson d'automne" vorlesen ließen.

Thomas Karlaufs "Stauffenberg: Porträt eines Attentäters" erscheint am 11. März bei Blessing (368 Seiten, 24 Euro)

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2019

Sie waren sehr allein
Die Menschen, die dem Naziregime trotzten, muss man als Kinder ihrer Zeit verstehen.
Wolfgang Benz und Thomas Karlauf über Größe und Grenzen des deutschen Widerstands
VON JOACHIM KÄPPNER
Der Krieg war fast vorüber, amerikanische Panzer standen am 18. April 1945 bereits am Stadtrand von Ansbach. Der 19-jährige Robert Limpert, ein Nazigegner, den man wegen eines Herzfehlers nicht eingezogen hatte, packte eine Zange und schritt zur Tat. Er durchtrennte das Telefonkabel zum Gefechtsstand des Ansbacher Kampfkommandanten – um zu verhindern, dass der erwartbare Befehl durchkam, die Stadt bis zur letzten Patrone zu halten und damit der Zerstörung auszusetzen. Der Gefechtsstand freilich war längst geräumt, doch eifrige Denunzianten verpfiffen den jungen Mann. Kommandant Ernst Meyer knüpfte Limpert persönlich am Ansbacher Rathaustor auf.
Meyer, ohne Reue, verbrachte ein paar Jahre im Gefängnis. Der Stadtrat lehnte noch 1986 einen Gedenkstein für Limpert als „Kainsmal am Rathaus“ ab. Heute wird seiner als Helden des Widerstands gedacht, doch damit ist die Geschichte noch nicht vorbei. Im Zuge der Nachforschungen erwies sich, dass sich einer berühmtesten Söhne der Stadt, der Mittelalter-Historiker Karl Bosl, während der Entnazifizierung zu Unrecht mit Limperts Tat gerühmt, in Wahrheit aber noch Ende 1944 Durchhalteparolen verkündet hatte.
Ein deutsches Trauerspiel. Wolfgang Benz beschreibt es eindringlich in seinem Buch „Im Widerstand“. Benz, bis 2011 Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat selber bei Karl Bosl das Handwerkszeug des Historikers gelernt: „Er lebte altbayerische Liberalität, barocke Lebensfreude, autoritäre Professorenherrlichkeit und wurde deshalb von seinen Schülern geachtet, gefürchtet, geliebt und geehrt.“ Leben, Tod und Nachleben des Robert Limpert stehen hier auch symbolisch für das schwierige Gedenken der Deutschen an den Widerstand gegen das Hitlerregime. Die Menschen, die der Stimme des Gewissens folgten, wurden später vereinnahmt, geächtet oder vergessen. Ihre Taten hielten den Tätern und Mitläufern einen Spiegel vor, in den sie nicht zu blicken wagten. Erst sehr spät erfuhren die meisten Widerstandskämpfer verdiente Anerkennung.
Benz stellt den Widerstand in seiner Breite vor, von bayerischen Monarchisten über Sozialdemokraten, Christen bis hin zu einfachen Soldaten. Auch die Kommunisten erfahren mehr Würdigung, als dies früher in bundesdeutschen Publikation zur Opposition gegen Hitler üblich war.
In der frühen Bundesrepublik beschränkte sich das Gedenken meist auf das der Adenauer-Republik am verwandtesten erscheinende Dreigestirn aus Militärwiderstand, Bekennender Kirche und dem bürgerlichen Jugendprotest der „Weißen Rose“. Der SED-Staat wiederum glorifizierte den kommunistischen Widerstand weit über dessen notgedrungen begrenzte Wirksamkeit hinaus. Beide Interpretationen verrieten mehr über Selbstbilder der geteilten Nation als über den Widerstand selbst.
Aber was ist eigentlich Widerstand? Gehörte auch die Resistenz dazu, also das Regime still zu missbilligen, heimlich BBC zu hören, sich so wenig wie möglich mit dem System einzulassen? Benz definiert Widerstand strenger als alles „Handeln, das auf grundsätzlicher Ablehnung des Nationalsozialismus beruhte und darauf abzielte, das Ende des Regimes herbeizuführen oder dazu beizutragen“. Man darf, heißt das, den Widerstand nicht größer machen, als er war. Benz beschreibt ihn als individuelle Entscheidung in einer Gesellschaft, die „zum erheblichen Teil zuerst durch die Zustimmung des deutschen Volkes und dann durch den Terror des NS-Staates bestimmt“ war. Wer Widerstand leistete, war meist sehr allein. Doch es gab viele stille Helden, von denen man wenig weiß – etwa bei der Rettung jüdischer Bürger. Solche Helfer bildeten noch immer eine kleine Minderheit, doch Benz schätzt sie immerhin auf „einige Zehntausend Menschen, unter ihnen sicherlich mehr ,kleine Leute‘ mit geringer Bildung und geringem Einkommen, aber intakten Wertbegriffen“.
Es ist gutes und auch gut lesbares Buch. Schwächen hat leider das Kapitel über den jüdischen Widerstand. Die deutschen Juden besaßen praktisch keine Möglichkeit zur Gegenwehr. Und viele, etwa Kommunisten jüdischer Herkunft, verstanden ihren Kampf gegen den Faschismus gar nicht als originär jüdischen Widerstand. Benz streift diese Fragen nur oberflächlich und neigt dazu, ähnlich wie der US-Historiker Raul Hilberg schon 1961, jüdischen Widerstand als statistische Marginalie zu betrachten und weniger in seiner moralischen Bedeutung. Die Massivität von Benz’ Kritik an dem Holocaust-Überlebenden und Widerstandschronisten Arno Lustiger wirkt dabei wenig einfühlsam, ja unangemessen. Lustiger (1924-2012), in Berlin als Kind polnischer Juden geboren, hatte Auschwitz und zwei Todesmärsche überlebt, im April 1945 gelang ihm die Flucht. Die letzten Kriegswochen verbrachte er in US-Uniform. Die unverhoffte Möglichkeit, noch teilzuhaben am Kampf gegen die Peiniger, blieb prägend für sein Leben, er widmete es später der Erforschung jüdischen Widerstandes. „Lustigers Vorstellungen zu folgen“, schreibt aber Benz, setze „viel guten Willen und die Bereitschaft zum Primat von Schuldgefühlen bei seinem Publikum voraus“, was immer das bedeuten soll. Er rügt den angeblichen Versuch, das „Bild martialischer und umfassender Gegenwehr zum Holocaust“ zu zeichnen. Arno Lustiger jedoch hat nichts dergleichen behauptet. Er wollte bloß „den Toten einen Namen, eine Geschichte und eine Stimme geben“. So schrieb er in seinen Memoiren. In den Polemiken gegen Lustiger schwingen obsolete Historikerkonflikte ebenso mit wie ein für Benz eigentlich untypischer akademischer Dünkel. Man hätte lieber mehr über die erhebliche Zahl jüdischer Deutscher gelesen, die sich alliierten Streitkräften anschlossen, etwa die Schriftsteller Hans Habe und Stefan Heym.
Den 20. Juli 1944 schildert Benz voller Respekt, aber ohne ihm jenen Heiligenschein zu verleihen, in dessen Glanz seine Helden gleichsam als Vorkämpfer der bundesdeutschen Demokratie erscheinen sollten. Klarsichtig beschreibt er das Milieu der Offiziere: Wie überaus stolz es war auf seine Ehrbegriffe und wie besonders anfällig doch dafür, sich dem NS-Staat anzubiedern und dessen mörderische Ideologie aufzusaugen oder zumindest zu akzeptieren. Erst im Angesicht der Niederlage wagte eine Minderheit den Anschlag in Hitlers „Wolfsschanze“. Doch selbst wenn er gelungen wäre, so Benz, bestand die Illusion „darin, dass die Patrioten des 20. Juli glaubten“, Hitlerdeutschlands Vernichtungskrieg „als Feldzug nach den Regeln preußischer Soldatentugend und als Verteidigungskrieg für das bedrohte Vaterland weiterführen zu können“. Der Mord an den Juden war nicht ihr primäres Motiv für den Aufstand des Gewissens.
Von Größe und Grenzen des 20. Juli 1944 handelt auch, kenntnisreich und glänzend geschrieben, Thomas Karlaufs Biografie über Claus Schenk Graf von Stauffenberg, den bekanntesten der Verschwörer, der den Aktenkoffer mit der Bombe in Hitlers Besprechungszimmer platzierte. Karlauf beschreibt den enormen Einfluss, den der völkisch-illusionäre Dichterfürst Stefan George auf den jungen Stauffenberg hatte und dessen schwärmerische Ideen vom „abendländischen Menschentum“ prägte. Was sich heute liest wie die Wahnideen eines irren Gurus, galt damals als edle Gesinnung auch für solche, die sich nicht mit den Nazis gemein machen wollten. Wichtiger bleibt die Erkenntnis: Stauffenberg und seine Mitverschwörer waren vor allem Kinder ihrer Zeit.
Als Stauffenberg im Hof des Berliner Bendlerblocks in die Gewehre des Exekutionskommandos sah, rief er die ikonischen Worte: „Es lebe das heilige Deutschland!“ Damit endet Karlaufs Buch, und er schreibt: „Welches Deutschland Stauffenberg auch immer vor Augen stand: Sein letzter Ruf ist nicht als Botschaft an die Nachlebenden zu verstehen, sondern als Beschwörung der Welt, aus der er kam.“
Wolfgang Benz: Im Widerstand. Größe und Scheitern der Opposition gegen Hitler. C. H. Beck, München 2019. 556 Seiten, 32 Euro.
Thomas Karlauf: Stauffenberg. Porträt eines Attentäters. Blessing, München 2019. 366 Seiten, 24 Euro.
Beide deutsche Staaten
glorifizierten den Widerstand –
solange er politisch passte
Was bedeuten Stauffenbergs
letzte Worte vom „heiligen
Deutschland“ für uns heute?
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»Eine sehr eindrucksvolle und überzeugende Analyse von Stauffenbergs Ideenwelt, die sich jeder moralischen Bewertung enthält.« Ian Kershaw