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Zum 95. Geburtstag: Philippe Jaccottets großes Alterswerk zum ersten Mal auf Deutsch
Philippe Jaccottet, der seit Jahrzehnten in Frankreich lebende Schweizer, ist eine der großen Stimmen der europäischen Poesie. Jetzt erscheint der Band seiner späten Zyklen. Diese sprechen vom Alter, vom Bewusstsein der Endlichkeit - und dennoch immer von der lebendigen Welt: "Es kann also sein, dass ich mich nie so wirklich gefühlt habe, in einer so wirklichen Welt wie jetzt - wo das Unbekannte sich nähert, unausweichlich." Philippe Jaccottets Gedichte stehen bewusst in dieser Unsicherheit: "Das…mehr

Produktbeschreibung
Zum 95. Geburtstag: Philippe Jaccottets großes Alterswerk zum ersten Mal auf Deutsch

Philippe Jaccottet, der seit Jahrzehnten in Frankreich lebende Schweizer, ist eine der großen Stimmen der europäischen Poesie. Jetzt erscheint der Band seiner späten Zyklen. Diese sprechen vom Alter, vom Bewusstsein der Endlichkeit - und dennoch immer von der lebendigen Welt: "Es kann also sein, dass ich mich nie so wirklich gefühlt habe, in einer so wirklichen Welt wie jetzt - wo das Unbekannte sich nähert, unausweichlich." Philippe Jaccottets Gedichte stehen bewusst in dieser Unsicherheit: "Das Dazwischen, der offene Garten, vielleicht meine einzige Heimat." Ein großes Alterswerk zum ersten Mal auf Deutsch.
Autorenporträt
Philippe Jaccottet, 1925 in Moudon/Waadtland geboren, 2021 im südfranzösischen Grignan/Drôme gestorben, wurde für sein umfangreiches Werk u.a. mit dem Petrarca-Preis und dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet. 2014 wurde sein Gesamtwerk in die Bibliothèque de la Pléiade aufgenommen. Auf Deutsch erschienen zuletzt Der Unwissende (Gedichte und Prosa, 2003), Truinas, 21. April 2001 (2005), die Anthologie Die Lyrik der Romandie (2008), Notizen aus der Tiefe (2009), Sonnenflecken, Schattenflecken (2015) und Die wenigen Geräusche (Späte Prosa und Gedichte, 2020).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2020

Ein Stückchen Glut
Spätsommerlich, menschenleer: Späte Prosa
des Dichters Philippe Jaccottet
Menschen wird man in „Die wenigen Geräusche“ von Philippe Jaccottet vergeblich suchen. Menschen sind fraglos zu grob und zu laut, um Einlass zu finden in die feinnervigen Skizzen des inzwischen bald 95-jährigen französisch-schweizerischen Autors. Stattdessen schießt ein Eisvogel durch seine Prosa, ein kleines entflammtes Wunder, das im „Käfig der Worte“ jedoch schnell zu sterben droht. Kaum aufgetaucht also ist dieser Eisvogel gleich wieder entschwunden, genau wie das Rotkehlchen, ein Nichts geradezu, oder doch nicht mehr als „ein Stückchen Glut“.
Einen Menschen findet man in „Die wenigen Geräusche“ nur indirekt, als Beobachter an den Grenzen der Wahrnehmung, einen, der dort, wo andere nichts mehr hören oder sehen, noch etwas auszumachen meint, einen, für den die Wolken mehr Gewicht haben als jeder Wolkenkratzer.
Weltabgewandt, so könnte man meinen, ist diese lyrische Prosa, die seit bald sieben Jahrzehnten im idyllischen Weiler Grignan in der Provence entsteht, aber was ist dann Welt? Flüchtlingsströme, Klimakatastrophen, Beziehungsprobleme sind es für Jaccottet auf jeden Fall nicht. Es ist dieses Nichts oder Fast-Nichts, es sind jene Schwellenmomente, die für ihn entscheidend sind.
Momente, in denen sich Welt überhaupt erst öffnet – oder in denen sie sich schließt und im Zweifelsfall wenig zurücklässt, einen winzigen Abdruck in der Erinnerung, eine Tatzenspur höchstens, wie die der Katze, „deren Tage wir beenden mussten: die vollkommene Stille ihrer Schritte, wo immer sie auch hinging – Vorüberhuschen eines hellen Schattens, für uns halb abwesend, wie einem friedlichen Traum entsprungen, ihre nur seltenen Schreie, und diese in letzter Zeit immer kürzer und schwächer. Eine kleine Seele in Pelzpantoffeln, nicht viel, aber dennoch.“
Eine Handvoll Notizen in „Die wenigen Geräusche“ sind anderen Schriftstellern gewidmet, Franz Kafka etwa, der, so erklärt Jaccottet, einer von jenen Schriftstellern sei, die jeden beschämten, der nach ihnen noch schreibt, oder Peter Handke, ein „geschichtsloser Beobachter“, in dem er einen Wahlverwandten erkennt.
Die von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz makellos übersetzten Stücke lassen sich immer wieder als Meditationen über das Alter lesen, als letzte Fragen auch an das eigene Werk, das, wie Jaccottet schreibt, zwar den „Anschein von Offenbarung“ mit sich trage, aber eben ohne Drogen, Askese, ohne Exzess oder Ekstase zustande gekommen sei: „Vielleicht gesteht man dadurch den fehlenden Ernst von alldem.“
So ist denn auch der mögliche Vorwurf entkräftet, in Jaccottets Werk würde die Natur zur Religion erhoben. In der Tat geht seinen Sätzen alles Gebetshafte ab. Weder eitel noch betulich ist diese Prosa, eher karg und ausgebrannt wie die Felder der Provence im Spätsommer. Eine Prosa in Pelzpantoffeln: Nicht viel, aber dennoch.
TOBIAS LEHMKUHL
„Eine kleine Seele in
Pelzpantoffeln, nicht
viel, aber dennoch.“
Philippe Jaccottet:
Die wenigen Geräusche. Späte Gedichte und Prosa. Aus dem
Französischen von
Elisabeth Edl und
Wolfgang Matz. Hanser Verlag, München 2020. 160 Seiten, 23 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.07.2020

In der Dichte des Rätsels
Neues vom Altmeister der französischen Lyrik: Philippe Jaccottets jüngste vier Bücher, versammelt in einem grandiosen Band

Eine Grunderfahrung der modernen Lyrik ist die Stimme, auf das Elementarste reduziert: Atem, Ton, Rhythmus. Sie ruht direkt auf der Basis des Lebens, dem Pochen des Blutes, dem Zischen der Luft. Dank des Ursprungs im und der Nähe zum Gesang, ist die Lyrik der Stimme immer nahe gewesen; zugespitzt hat sich die Erfahrung in der Ära des Verdachts, die die Moderne auch gewesen ist. Ein erster großer Vorläufer ist Giacomo Leopardi (1798 bis 1837), der die katastrophische Einsicht vertrat, dass Leben Leid und Schmerz bedeutet. Kurze Erleichterung nur gibt es im Sturm der Existenz, eine davon bietet der Vogelsang und also - das Ungesagte liegt auf der Hand - die ihm verwandte Lyrik.

Leopardi gehört zum Pantheon von Philippe Jaccottet, einem der großen Dichter französischer Sprache, der am 30. Juni seinen fünfundneunzigsten Geburtstag gefeiert hat. Über seine Poetenexistenz hin, die offiziell 1953 mit der Sammlung "L'Effraie" ("Die Schleiereule") einsetzt, ist dieses Pantheon konstant geblieben, mit Ausnahme der später hinzugekommenen Haiku-Dichter. Auch Jaccottets Lyrik ist es; man hat von einem Frühvollendeten gesprochen, besonders als eine Auswahl aus seinen Notizen der Jahre 1952 bis 2005 vor der Vernichtung gerettet und publiziert wurde ("Sonnenflecken, Schattenflecken", 2013). Seine Vorliebe für Vogelsang zeigt sich dort bereits am 15. Juni 1959: "Gesang des Pirols, von seltsamer Ruhe, wie ein Gesang der Loslösung; während ich Unkraut rupfe." Beim damals Dreiunddreißigjährigen wehte bereits ein Hauch Leopardi - allerdings steht die Reduktion unter positiven Vorzeichen.

Mit "Die wenigen Geräusche" liegen nun die letzten vier Bände des Dichters auf Deutsch vor, von seinen Freunden Elisabeth Edl und Wolfgang Matz aufs würdigste und genaueste ins Deutsche übertragen. Bei der Lektüre kommen einem frühere Gedichte und die Aufzeichnungen in "Sonnenflecken, Schattenflecken" in den Sinn, so, wenn die Nachtigall ihr Lob erfährt: "Vogel, immer versteckt, / Stimme, die uns niemals kennt / und niemals klagt, / Stimme, ganz ohne Schwermut." Die Formen Gedicht und Lesenotiz, Essay und Traumnotat, die fließenden Übergänge zwischen ihnen, die Naturmotivik, die Jaccottet seit dem Umzug in die ländliche Drôme 1953 beschäftigt - alles alte Bekannte.

Veränderungen lassen "Die wenigen Geräusche" ebenfalls erkennen. Es ist ein Alterswerk in der (noch radikaleren) Konzentration aufs Essentielle: "Nicht einfach nur Regen, vielmehr eine Stimme, die vom Regen spricht: Vielleicht könnte man, alles in allem, sich darauf beschränken, auf dieses Fast-Nichts vor dem Hintergrund von nichts?" Auch im (noch größeren) Misstrauen gegenüber rhetorischer Emphase. Zur Blumendichtung des bewunderten Gustave Roud verspürt Jaccottet, der Moos und Blüten doch wunderschöne Zeilen widmet, eine fundamentale Distanz: "Doch sie zur meinen machen, das konnte ich nie; in mir verbanden sich Dinge und Worte weniger gut; die Töne vermochte ich nicht so lange zu halten; der Atem war kürzer, gezwungener, verkrampfter." Vor allem könne er sich nicht vorstellen, Blumen oder Vögel seien Boten, denn "ich hätte nicht gewusst, wer sollte sie ihnen anvertraut haben, diese Botschaft für mich oder für wen auch immer".

Hier wie an anderer Stelle scheint die Frage eines Jenseits, eines Transzendenten auf: Jaccottet scheut weder biblische Bezüge noch religiöse Begriffe, wagt sich - das hat er in "Gedanken unter den Wolken" (1983) gezeigt - an schwerbeladene Worte wie "Freude". Dennoch beantwortet Jaccottet wie sein Wegbegleiter Yves Bonnefoy die Frage nach dem Göttlichen negativ, daran lässt "In der Farbe von Erde", die Schlussüberlegung von "Die wenigen Geräusche", keinen Zweifel. Ausgangspunkt ist eine gewohnt bescheidene Pflanze, "blutrote Flecken des Dunklen Mauerpfeffers" auf einem Felsen: "Beinahe hätte man gar nichts bemerkt." Dann aber notiert er "eine Art innerlichen Aufprall gegen ganz und gar Unbegreifliches", erfährt das "Wunderbare", "Wärme", ja "stille, namenlose Güte". Jaccottet resümiert das Tableau in berührenden Worten, ein Abschiedsbild des Dichters von sich selbst: "Hier und jetzt, in der Dichte des Rätsels, in seiner Wärme, in seiner Stille: Ein alter Mann, vollkommen und unwiderruflich dumm". Und: "Er selbst Bestandteil des Rätsels in seiner allergrößten Verdichtung, und wer weiß, vielleicht sollte er auch dieses Wort ausstreichen - um sie besser zu empfangen, diese Güte, gekommen aus der Erde in der Farbe von Erde, in der Farbe von bald schon untergegangener Sonne, in der Farbe von sehr altem Feuer?"

Neben der ruhigen, kraftvollen Konzentration zeichnet den Band eine gewisse Brüchigkeit aus. Im "Avant-propos" der Pléiade-Ausgabe (2014), mit der Jaccottet als einer von wenigen schon zu Lebzeiten geehrt wurde, hielt José- Flore Tappy fest, dass der Dichter seinen Ruf auch einer Stilisierung verdanke. Er habe zum Eindruck beigetragen, sein Werk habe sich quasi selbst geschrieben, der Autor habe nur "wie auf einem Fluss gelenkt" (so eine Formel in "Fliegende Saat"), sich ansonsten der Strömung hingegeben. In "Die wenigen Geräusche" findet sich Vergleichbares: "Aber dennoch, was hat es auf sich mit diesen Sätzen ohne Gehinke, ohne Brüche, ohne Stottern, ohne Atemnot? Sie scheinen sich ganz von alleine zu weben, damit ich nichts anderes sehe, oder wie anhaltendes Rauschen, das andere Geräusche verdeckt." Erstens jedoch verraten diese Zeilen aus "In Klammern" ein latentes Misstrauen gegenüber dem Klangstrom, zweitens die Angst vor Kraftlosigkeit und Tod. Drittens scheint die Anstrengung auf, die der dichterische Akt verlangt. Ähnlich beiläufig geschieht dies, wenn Jaccottet über einer Notiz rätselt: "Ist es reine Faulheit oder Erschöpfung, dass ich ihnen keine Form mehr geben kann?" So fragt kein Drifter - eher jemand, dem das Rudern schwerfällt.

Verborgene Mühe klingt auch an, wenn Jaccottet die Kunst der Andeutung präzise umreißt. Anlässlich der Schilderung des nächtlichen Himmels schreibt er: "Bewölken wir ihn nicht mit allzu viel Worten, und seien es die hellsten, die uns in den Sinn kommen! Streichen wir sie lieber, ohne zu zögern. Dann bleibt nur eine einzige Biene, Vorhut des Schwarms ihrer Schwestern." Zudem wird hier an uralte Motive angeknüpft, man denke an den antiken Vergleich von Dichterwort mit süßem Honig. Tatsächlich ist Jaccottet bewusster Erbe einer großen Tradition; die Bruch-Rhetorik der Avantgarden verbietet er sich.

Was nun die Geräusche angeht, so lautet eine Beobachtung aus dem Jahr 1952 in "Sonnenflecken, Schattenflecken": "Es müsste ein Augenblick kommen, in dem sich alles erhellt. Doch die kleinsten Geräusche lenken mich ab, vor allem die vertrautesten." Dem steht jetzt, am Ende der Laufbahn, gegenüber: "Diese wenigen Geräusche, in einem wachsenden Schweigen, doch fast die gleichen bei Senancour, bei Leopardi, bei Kafka - ein Strömen in die gleiche Richtung, wie hin zu einer weitgeöffneten Tür: eine Stimme, umso reiner, je ferner sie ist und vielleicht auf immer verloren, eine glitzernde Wiese unter der Sonne, die man nie wieder als dieselbe sieht." Man spürt sie entgleiten, diese Stimme, und genießt das Glück, sie noch zu hören.

NIKLAS BENDER.

Philippe Jaccottet: "Die wenigen Geräusche". Späte Prosa und Gedichte.

Aus dem Französischen von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz. Hanser Verlag, München 2020. 160 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Niklas Bender genießt diese Sammlung mit späten Gedichten von Philippe Jaccottet. Die von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz "genauest" übertragenen letzten vier Bände des Autors bieten Bender viel Bekanntes: die fließenden Übergänge zwischen Gedicht, Notiz und Essay etwa oder die Naturmotivik. Dass der Autor hier noch konzentrierter aufs Wesentliche beschränkt und noch misstrauischer gegenüber der Emphase, dass er das Jenseits und das Transzendente mittels biblischer Bezüge verstärkt in den Blick nimmt, ohne das Göttliche zu bemühen, ruhig, kraftvoll, konzentriert, aber auch brüchiger als sonst, entgeht Bender nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH
"[...] ein Meister der leisen Töne, der zarten Bilder [...]." Barbara Weitzel, Die Welt am Sonntag, 05.04.20