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Mit diesem Doppelband der 'Sämtlichen Werke' liegt Rudolf Borchardts erzählerisches Werk aus den Jahren 1901 bis 1939 jetzt vollständig vor: aus den Handschriften des Nachlasses ediert, nach zeitgenössischen Drucken revidiert, im Detail erläutert und durch Dokumente sowie ein Register weiter erschlossen. Sichtbar wird damit fast schon ein neuer Autor; aus der prunkenden Ästhetik der Jahrhundertwende wächst der hellsichtige Analytiker der brüchigen deutschen Nachkriegsgesellschaft. Mit den Novellen 'Der Hausbesuch' und 'Der unwürdigen Liebhaber' (1929) liefert Borchardt zwei Klassiker des…mehr

Produktbeschreibung
Mit diesem Doppelband der 'Sämtlichen Werke' liegt Rudolf Borchardts erzählerisches Werk aus den Jahren 1901 bis 1939 jetzt vollständig vor: aus den Handschriften des Nachlasses ediert, nach zeitgenössischen Drucken revidiert, im Detail erläutert und durch Dokumente sowie ein Register weiter erschlossen. Sichtbar wird damit fast schon ein neuer Autor; aus der prunkenden Ästhetik der Jahrhundertwende wächst der hellsichtige Analytiker der brüchigen deutschen Nachkriegsgesellschaft. Mit den Novellen 'Der Hausbesuch' und 'Der unwürdigen Liebhaber' (1929) liefert Borchardt zwei Klassiker des One-night-stands, mit dem Roman 'Vereinigung durch den Feind hindurch' (1937) bietet er eine Fallstudie über die Wirtschaftskriminalität der Inflationsjahre. Seine immer auch erotisch aufgeladenen Erzählungen treten damit neben das erst 2018 zur Veröffentlichung freigegebene Spätwerk 'Weltpuff Berlin' (>Sämtliche Werke< XIV), das einen irritierend freizügigen Autor als Berichterstatter seinersexuellen Abenteuer zeigt; das erzählerische Werk liegt damit vollständig vor.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Borchardt, RudolfRudolf Borchardt (1877-1945), geboren in Königsberg/Ostpreußen, wuchs im jüdischen Berlin der Gründerzeit auf. Er studierte Klassische Philologie, wurde nach 1904 in der Toskana seßhaft, war befreundet mit Hugo von Hofmannsthal und Rudolf Alexander Schröder: ein Lyriker, traditionalistischer Kulturkritiker, Übersetzer wie kein zweiter, engagierter öffentlicher Redner und Romancier - Autor eines der vielschichtigsten Werke der deutschen Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Schon zwischen 1919 und 1930 erschien eine erste große Ausgabe bei Rowohlt; die neue, vollständige Edition, veranstaltet von dem Schweizer Antiquar Heribert Tenschert, wird vom Rudolf Borchardt-Archiv herausgegeben.
Rezensionen
Rezensentin Katharina Teutsch empfiehlt zum Lesen und Genießen von Rudolf Borchardts Erzählungen eine "dicke literaturhistorische Brille". Anders ist das "manichäische" Weltbild des Autors mit der Frau als ewigem Sargnagel des "Hoffnungslosen Geschlechts" nur schwer zu ertragen, findet sie. Dass mehr als das von Borchardts Prosa geblieben ist, scheint der Rezensentin aber gleichfalls offenbar. Es handelt sich um faszinierende Erzählungen eines originellen Dichters, psychologisch einfühlsam wie Fontane oder Mann, bei aller Irritation für heutige Leser, so die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2020

Proust war ihm ein Wust

Wir sind nicht, was wir sind: Rudolf Borchardts Erzählungen in kritischer Ausgabe bieten Gelegenheit, manches Vorurteil zu überprüfen.

Rudolf Borchardt verstand sich als kompromissloser Bewahrer literarischer Tradition, doch seit Jahren findet er Aufmerksamkeit eher als Skandalautor: durch die Entdeckung eines "gefälschten", besser fiktiven Briefes an den Freund Hugo von Hofmannsthal zwecks Begradigung der eigenen wirren Biographie, und durch das riesige, aus dem Nachlass edierte Romanfragment "Weltpuff Berlin", das man wohl nur in Deutschland, wo der Begriff der erotischen Literatur weiterhin fehlt, als Pornographie etikettieren konnte. Die große Neuedition der zu Lebzeiten publizierten Erzählungen böte also Gelegenheit, festsitzende Vorurteile zu überprüfen.

Auch hier beginnt es mit einem Paradox. Borchardt lehnte die zeitgenössische Erzählliteratur fast vollständig ab, die französische aber ganz und gar. Von ihm selbst stammt der Bericht, wie er im Gespräch mit Hofmannsthal gegen "alles was von Bourget und dem ,Roman psychologique' herkommt", polemisierte. "Aber da komme ich ja auch her!", habe der Freund "erschreckt" geantwortet. War Borchardt dabei bewusst, was sogar er selbst einem Hauptmotiv des französischen neunzehnten Jahrhunderts verdankte? Sein erzählerisches Werk ist schmal: 1929 erschien der Novellenband "Das hoffnungslose Geschlecht", 1937 der Roman "Vereinigung durch den Feind hindurch". Was die meisten dieser Texte verbindet, ist ihre Grundidee: die Darstellung und Analyse einer Gesellschaft, eines historisch und politisch ganz präzisen Augenblicks, durch die Analyse des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. Was immer er sonst zu sagen wusste über die Kollegen jenseits des Rheins: Diese Grundidee stammt nicht von Goethe oder Kleist, nicht einmal von Fontane, sie stammt vom französischen Gesellschaftsroman, von Stendhals "Rot und Schwarz", Flauberts "Madame Bovary", von Zola, Maupassant bis hin zu jenem Proust, der für Borchardt nichts war als "durchweg Wust und Durcheinander".

Als 1929 "Das hoffnungslose Geschlecht" erschien, staunte die Kritik sofort über dieses offensichtliche Paradox: Der nicht nur literarisch streng konservative Autor bediente sich hier einer Grundform der sonst so bekämpften Moderne. Und nicht nur das, die vier Erzählungen werden im Untertitel ausdrücklich als "zeitgenössisch" bezeichnet, spielen sie doch alle - wie dann auch der Roman - in der unmittelbaren Gegenwart von Entstehung und Publikation, also in der Epoche zwischen den beiden Weltkriegen. Der Autor, der lange nur in unauffindbaren Kleinauflagen publiziert hatte, wollte hier endlich zu einem großen Publikum sprechen - und bei der Gelegenheit auch etwas unternehmen gegen seine dauernden Sorgen um den Lebensunterhalt.

Heute liest man Borchardts Erzählungen als einen extrem polemischen, aber doch sehr luziden Versuch, den Zivilisationsbruch des Ersten Weltkriegs nicht nur in Begriffen der Machtpolitik zu beschreiben, sondern als zerstörerische Revolution innerhalb der innersten Formen privaten Zusammenlebens. Ein kaum zu überschätzender Gewinn der neuen, von Gerhard Schuster mit immensem Wissen kommentierten Ausgabe besteht dabei in dem Schatz der von ihm recherchierten Zeugnisse zu deren Entstehungsgeschichte und Resonanz. Verblüffend, in welchem Umfang die Erzählungen besprochen wurden, und hoch aufschlussreich für die Weimarer Literaturpolitik, wie stark das Paradoxe von Borchardts konservativ-zeitgenössischem Radikalismus damals wirkte. Die hier zum ersten Mal gesammelten Rezensionen vermitteln aus größter Nähe etwas von der Ambivalenz, mit der im Augenblick selbst literarische Werke wahrgenommen wurden, die eine Nachwelt dann schnell in den großen Schubladen von links und rechts verstaut hat.

Die Epoche nach dem Weltkrieg, der damals noch nicht der Erste hieß, ist die von Borchardts stärkstem politischen Engagement, und sein erzählerisches Werk ist der Versuch, jetzt auch literarisch einzugreifen. Schon der Titel ist programmatisch: Das "hoffnungslose Geschlecht" ist jene Generation, die nach der europäischen Katastrophe und der deutschen Niederlage in den Krisenjahren der Weimarer Republik mit den Zerstörungen der alten Gesellschaft leben muss. Und faszinierend ist zu sehen, wie dieser Autor, bis dato Anhänger einer von Dante herkommenden Idee der "Minne", die Umwälzungen der Nachkriegsgesellschaft gerade an der neuen Liebesunordnung einer Zeit verfolgt, die man bald beschönigend die "goldenen Zwanziger" nennen sollte.

Golden ist daran für Borchardt gar nichts. Erstaunlich dagegen seine immense Fähigkeit, Gegenwartsjargon, Alltagssprache und modisch-flotte Gemeinplätze gleichsam als Stimmenimitator hörbar zu machen. Doch wenn etwa in "Die neue Dido" eine mittelbegabte Malerin zu verschärften Mitteln greift, um einen störrischen Urlaubsbekannten endlich in den Heuschober zu zwingen, dann wird sofort erkennbar: Um Realismus geht es hier nicht. Vielmehr gelingt es Borchardt, eine äußerst stilisierte Kunstsprache so erscheinen zu lassen, als spräche hier das pralle Alltagsleben selbst.

Das gewichtigste Stück ist sicher der umfangreiche "Unwürdige Liebhaber". In der stark verdichteten Prosa, die mit einem einzigen Satz einen halben Roman erzählt, ist der Nachhall von Kleist sofort spürbar: "Kurz nachdem die Franzosen das Sanktionsgebiet wieder geräumt hatten und hinter die alte Besetzungslinie zurückgegangen waren, entdeckte ein mit Frau und Kind auf seine überstürzt verlassenen Güter zurückkehrender Gutsbesitzer, ein Freiherr von Klingen, durch bestochene Dienstboten, eine seit geraumer Zeit fortgesetzte Untreue der Baronin mit einem Offizier des dort kantoniert gewesenen, bunt zusammengewürfelten deutschen Freikorps, dem aus Livland stammenden Hauptmann Konstantin von Schenius, und leitete sofort die Scheidung ein." Die Geschichte selbst jedoch hat nichts Antiquarisches: Wenn hier eine solide, standesbewusste Familie widerstandslos zerfällt, obwohl jede und jeder den eindringenden Liebhaber sofort als leeren und eitlen, als "unwürdigen" und zeittypischen Glücksritter erkennt, dann ist gerade dem Konservativen Borchardt bewusst, wie sehr das konservative Familienmodell von innen ausgehöhlt ist.

Der Roman "Vereinigung durch den Feind hindurch" dagegen ist der militärischen Metapher zum Trotz bereits ein Nachhutgefecht - großartig, verzweifelt, aussichtslos. Als er 1937 im Wiener Exil-Verlag von Gottfried Bermann Fischer erscheint, ist der seit Jahrzehnten in Italien lebende Autor durch die deutschen Rassegesetze im nunmehr erzwungenen Exil. Die Handlung spielt noch einmal unmittelbar nach dem Weltkrieg, erzählt die Geschichte zweier Verlobter, die in der hoffnungslosen Inflationszeit fast daran verzweifeln, noch die Basis für ein gemeinsames Leben zu finden; personifiziert wird der "Feind" durch den modernen kapitalistischen Spekulanten Nienhus, der zur Krönung seines parasitären Reichtums jetzt nur noch die junge Frau aus der alten, traditionellen Welt als Beute braucht.

Und dann stehen in Schusters Ausgabe noch die Fragmente des nie geschriebenen Lebensromans "Annus Mirabilis" - viel aufregender als der skandalisierte "Weltpuff". Jahrzehntelang hat Borchardt vergeblich versucht, sein "wunderbares, unbegreifliches" Jahr 1901 - das Jahr seines amour fou und des endgültigen Durchbruchs zur eigenen Dichtung - sich selbst verständlich zu machen. Man wird es nicht als Zufall ansehen, dass er ausgerechnet an den beiden großen autobiographischen Romanen scheiterte, die uns erst durch die Philologie geschenkt wurden. "Wir sind nicht, was wir sind", heißt es in seinem wunderbaren frühen "Sonett an sich selbst". Herrisch betonte Borchardt seinen Anspruch als repräsentative Stimme der Zeit. In den ebenso genauen wie zarten, tastenden Annäherungen des "Annus Mirabilis" verfolgt man gebannt, wie er immer nur an einem scheitert: an sich selbst. Auch - und vielleicht gerade - in Gestalt des Fragments ist das große Kunst.

WOLFGANG MATZ

Rudolf Borchardt: "Sämtliche Werke". Band XIII: Erzählungen, Band 1.

Hrsg. von Gerhard Schuster. Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 792 S., geb., 98,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Katharina Teutsch empfiehlt zum Lesen und Genießen von Rudolf Borchardts Erzählungen eine "dicke literaturhistorische Brille". Anders ist das "manichäische" Weltbild des Autors mit der Frau als ewigem Sargnagel des "Hoffnungslosen Geschlechts" nur schwer zu ertragen, findet sie. Dass mehr als das von Borchardts Prosa geblieben ist, scheint der Rezensentin aber gleichfalls offenbar. Es handelt sich um faszinierende Erzählungen eines originellen Dichters, psychologisch einfühlsam wie Fontane oder Mann, bei aller Irritation für heutige Leser, so die Rezensentin.

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