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Über den grenzenlosen Vernichtungswillen des MenschenIn diesem autobiografischen Roman schildert der Ukrainer Anatolij Kusnezow seine mitteilbaren Erfahrungen als Jugendlicher in dem von Deutschen besetzten Kiew. Er erzählt vom Staunen, mit dem er die deutschen Truppen in Kiew empfing, und von der furchtbaren Enttäuschung, die wenig später folgte. Von der hemmungslosen Grausamkeit der Besatzer in der Schlucht von Babij Jar, aber auch von glücklichen Begegnungen mit den deutschen Soldaten. Er beschreibt aufrichtig und mit größter Genauigkeit die ihn schüttelnden Wirrnisse, und wie er sich…mehr

Produktbeschreibung
Über den grenzenlosen Vernichtungswillen des MenschenIn diesem autobiografischen Roman schildert der Ukrainer Anatolij Kusnezow seine mitteilbaren Erfahrungen als Jugendlicher in dem von Deutschen besetzten Kiew. Er erzählt vom Staunen, mit dem er die deutschen Truppen in Kiew empfing, und von der furchtbaren Enttäuschung, die wenig später folgte. Von der hemmungslosen Grausamkeit der Besatzer in der Schlucht von Babij Jar, aber auch von glücklichen Begegnungen mit den deutschen Soldaten. Er beschreibt aufrichtig und mit größter Genauigkeit die ihn schüttelnden Wirrnisse, und wie er sich durchschlug.Mit der Rückeroberung Kiews durch die Rote Armee erfährt der Halbwüchsige die Fortsetzung des Bösen und mutmaßt ratlos, dass nur ein Gesetz immer gilt: das des Überlebens.Anatolij Kusnezow war 12 Jahre alt, als die Armee Hitlers 1941 in Kiew einmarschierte. Diese Besatzungszeit seiner Heimatstadt und der ihr folgende Umschwung gingen in ihm ein. Die traumatisierende Erinnerung an diese Jahre verließ ihn nie. Sie findet ihren Inbegriff in der "Weiberschlucht", Babij Jar, die Schauplatz unvorstellbaren Grauens wurde. Für Kunezow wurde sie zum Zeichen des grenzenlosen Vernichtungswillen des Menschen und des Aberwitzes des Krieges. Als es ihm endlich gelungen war, seine Erlebnisse niederzuschreiben, erschien das Buch, von der Zensur völlig verstümmelt, 1966 in der Sowjetunion. Nicht zuletzt der Wille, sein Roman-Dokument unverfälscht zu veröffentlichen, führte zu seiner Flucht nach England. 1970 konnte "Babij Jar" im Westen auf Russisch in erweiteter Form erscheinen. Kusnezow hatte sowohl die zensierten Stellen als auch jene, die der inneren Zensur 1966 zum Opfer gefallen waren, wieder eingefügt und im Text kenntlich gemacht.Dieser grandiose Roman liest sich als einzigartiges Zeugnis von Ereignissen, die der Autor dem Vergessen entreissen wollte.Er starb 1979 im Londoner Exil.Sein Buch erscheint hier erstmals unverstümmelt in deutscher Sprache.
Autorenporträt
Anatolij Kusnezow war 12 Jahre alt, als die Armee Hitlers 1941 in Kiew einmarschierte. Diese Besatzungszeit seiner Heimatstadt und der ihr folgende Umschwung gingen in ihm ein. Die traumatisierende Erinnerung an diese Jahre verließ ihn nie. Sie findet ihren Inbegriff in der »Weiberschlucht«, Babij Jar, die Schauplatz unvorstellbaren Grauens wurde. Für Kunezow wurde sie zum Zeichen des grenzenlosen Vernichtungswillen des Menschen und des Aberwitzes des Krieges. Als es ihm endlich gelungen war, seine Erlebnisse niederzuschreiben, erschien das Buch, von der Zensur völlig verstümmelt, 1966 in der Sowjetunion. Nicht zuletzt der Wille, sein Roman-Dokument unverfälscht zu veröffentlichen, führte zu seiner Flucht nach England. 1970 konnte Babij Jar im Westen auf Russisch in erweiteter Form erscheinen. Kusnezow hatte sowohl die zensierten Stellen als auch jene, die der inneren Zensur 1966 zum Opfer gefallen waren, wieder eingefügt und im Text kenntlich gemacht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2002

Die Spur der Goldzähne
Anatolij Kusnezow untersucht das Massaker von Babij Jar

Die Schubladen der sowjetischen Dissidenten sind unerschöpflich. Immer noch kommen Manuskripte daraus hervor, die Jahrzehnte nach ihrer Entstehung endlich verlegt werden. Daß Anatolij Kusnezows jetzt auf deutsch erschienenes Lebenswerk "Babij Jar" die Zeit ganz gut überstanden hat, liegt auch an seiner Form. Es versteht sich als "Roman-Dokument" und versperrt sich schon deshalb einer rein ästhetischen Würdigung. Kusnezow, der die Massaker der SS in der Weiberschlucht bei Kiew als Kind gesehen und miterlebt hat, war von seinem vierzehnten Lebensjahr bis zu seinem frühen Tod 1976 in London davon besessen, Zeugnis abzulegen über diese in der Sowjetunion lange tabuisierten Greuel.

Nachdem er bei Kriegsende in einem Bächlein unweit der heute zugeschütteten Schlucht Kinder dabei beobachtet hatte, wie sie nach angeschwemmten Goldzähnen suchten, begann er seine Notizen. Aus den Kladden wurde im Laufe der fünfziger Jahre ein schweres Manuskript. Aus dem Manuskript wurde 1966 ein um alle brisanten Stellen bereinigtes Buch, mit dem der Autor jedoch nicht zufrieden war.

Schon fünf Jahre zuvor hatte Jewgenij Jewtuschenko mit seinem gleichnamigen Gedicht das Thema in die sowjetische Öffentlichkeit gebracht. Jewtuschenkos Text wurde von Schostakowitsch vertont, ihm gebührte der Eklat bei der Premiere und der Ruhm, in dem er sich bis heute sonnt. Kusnezow, dessen Engagement Jewtuschenko in seiner Autobiographie dankend erwähnt, schrieb nach der enttäuschenden Publikation seines eigenen "Babij Jar" einfach weiter. Er fügte die zensierten Stellen wieder ein, ergänzte einige Passagen und schmuggelte das vollkommen überarbeitete Werk auf einer Dienstreise nach London, von der er nicht mehr zurückkehren sollte. 1970 erschien es in einem kleinen Emigrantenverlag und wurde wieder einmal nicht sonderlich wahrgenommen.

Sein "Babij Jar" ist ein sperriges Werk, das um der Ausführlichkeit willen auf jede Dramaturgie verzichtet. Seine Idee, eine Chronik der deutschen Besatzungszeit in Romanform zu schreiben, ist handwerklich heikel, aber zu verstehen aus dem Mißtrauen des Autors gegenüber den Vorgaben des sozialistischen Realismus. Danach hätte er nur schreiben dürfen, "wie es sein soll", heißt es im Vorwort. Er aber wolle einen "wahren Roman" schreiben und Empfindungen und Taten der Vergangenheit nicht beschönigen. Er unterschlägt nicht die Wonnen des Plünderns, den verbreiteten Antisemitismus, der ihn plötzlich gegen seinen jüdischen Freund aufhetzte, seine Kollaborationsgelüste. Doch als würde er der unbedarften Vorstellung des interesselosen Chronisten selbst nicht ganz trauen, wendet er sich immer wieder an den Leser, um ihm seine besten Absichten zu versichern.

Abgesehen von diesem Pathos, liest sich Kusnezows Buch wie ein facettenreiches Panorama der deutschen Besetzung der Ukraine. Er beginnt mit den Freudentänzen der Großeltern beim Einmarsch der Wehrmacht, die darauf hofften, daß mit den Deutschen endlich Ordnung und Wohlstand in das von der Kollektivierung gebeutelte Land kämen, und endet mit den Bemühungen der Sowjets, die Schlucht zuzuschütten und damit die Erinnerung zu tilgen. Der für das Selbstverständnis der Sowjetunion essentielle Antifaschismus sollte vom sowjetischen Antisemitismus nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Die Kinder, die nach dem Krieg auf den gefrorenen Leichenbergen Schlitten fuhren, hat Kusnezow selber gesehen, seine Schilderungen dessen, was in Babij Jar und dem benachbarten Konzentrationslager geschah, bezieht er aus zweiter und dritter Hand. Er hat ein halbes Leben investiert, um die wenigen Überlebenden des Konzentrationslagers ausfindig zu machen. Ihre Erzählungen über tägliche Erschießungskommandos, die Gaswagen, über vermeintliche Versuche, aus Leichen Seife herzustellen, referiert er ungeprüft, weil es sich oft nicht mehr überprüfen läßt. So gibt es bis heute auch kein Dokument, das beweisen könnte, daß es tatsächlich der sowjetische Geheimdienst war, der nach dem Einmarsch der Deutschen die Hauptstraße von Kiew in die Luft jagte und den Nationalsozialisten damit einen Vorwand lieferte, alle Kiewer Juden in der Schlucht zusammenzutreiben und siebzigtausend Menschen an einem einzigen Tag zu erschießen. Kusnezow kompensiert solche Mängel durch Fülle; bei ihm kommt jeder zu Wort, der zu Babij Jar und dem Krieg etwas zu sagen hat, denn jede Zeitzeugenaussage, jede noch so heikle Erinnerung dient seinem Ziel, die Verbrechen in der Weiberschlucht, über die nie ein Prozeß geführt worden ist, ins Gedächtnis der Menschheit zurückzuzwingen.

Kusnezows naives Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der eigenen Arbeit macht das Buch mitunter schwer lesbar. Doch wenn man weiß, woraus auch der Autor später kein Hehl gemacht hat, nämlich daß er selbst Kollegen, darunter auch Jewtuschenko, für den Geheimdienst der von ihm als geschichtsvergessenes System gegeißelten Sowjetunion bespitzelt hat, hat es beinahe den Anschein, als wolle er sich Anatolij Kusnezow mit diesem verzweifelt aufrichtigen Werk auch von einer persönlichen Schuld reinigen.

STEFANIE FLAMM

Anatolij Kusnezow: "Babij Jar". Die Schlucht des Leids. Aus dem Russischen übersetzt von Irina Nowak. Verlag Matthes & Seitz, München 2001. 480 S., geb., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es ist schon erstaunlich, was immer noch aus den "Schubladen sowjetischer Dissidenten" zum Vorschein kommt, meint Stefanie Flamm. So jüngst "Babij Jar", das Lebenswerk des 1976 in London verstorbenen russischen Schriftstellers Anatolij Kusnezow. Der Autor hatte das Massaker an den Juden von Kiew in der "Weiberschlucht", wo die Nazis an einem Tag 70.000 Menschen erschossen hatten, als Kind mitangesehen und fortan nie vergessen. Dabei war es dem Autor, so Flamm, wichtig, alle Facetten dieser ungeheuerlichen Tat mitzuteilen, auch die, die in der Sowjetunion verschwiegen wurden, wie etwa den russische Antisemitismus und die Kollaboration der Bevölkerung mit den Nazis. Und so werde hier, kündigt die Rezensentin an, nichts ausgespart, auch nicht die "Wonnen des Plünderns". Der "dokumentarische Roman" sei ein vielschichtiges "Panorama der deutschen Besetzung der Ukraine", erkennt Flamm an, wenn gleich Kusnezows "naives Vertrauen in die Wahrhaftigkeit" das Werk an manchen Stellen "schwer lesbar" mache. So würden eine Reihe von Quellen unhinterfragt dokumentiert, dafür komme aber so ziemlich jeder zu Wort, der Zeugnis über Babij Jar ablegen könne, lenkt die Rezensentin ein.

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