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Familie, Freunde, Erinnerung? Darauf hat Architekt Michael Schürtz nie etwas gegeben. Er ist für die Karriere in die Großstadt gezogen und kehrt nur widerwillig für einen Bauleiterjob in seinen Heimatort zurück. Doch die Menschen kommen ihm näher, als er möchte. Und irgendwann muss er einsehen, dass er nie mehr war als das: ein Nobody aus einem Kaff in der norddeutschen Tiefebene. Und dass sein Leben hier und jetzt beginnen kann. »Mit viel Witz und leiser Wehmut erzählt Jan Böttcher von der Rückkehr ins Kaff als Rückkehr zum Ich.« Benedict Wells »Das Kaff zeigt eindrücklich die Unterschiede…mehr

Produktbeschreibung
Familie, Freunde, Erinnerung? Darauf hat Architekt Michael Schürtz nie etwas gegeben. Er ist für die Karriere in die Großstadt gezogen und kehrt nur widerwillig für einen Bauleiterjob in seinen Heimatort zurück. Doch die Menschen kommen ihm näher, als er möchte. Und irgendwann muss er einsehen, dass er nie mehr war als das: ein Nobody aus einem Kaff in der norddeutschen Tiefebene. Und dass sein Leben hier und jetzt beginnen kann. »Mit viel Witz und leiser Wehmut erzählt Jan Böttcher von der Rückkehr ins Kaff als Rückkehr zum Ich.« Benedict Wells »Das Kaff zeigt eindrücklich die Unterschiede zwischen Stadt und Land, Oben und Unten, die kulturelle Kluft. Hier wird der Riss spürbar, der die Welt zurzeit spaltet. Wer die Gegenwart verstehen will, muss Jan Böttcher lesen.« Jan Brandt
Autorenporträt
1973 in Lüneburg geboren, war Jan Böttcher zunächst Songtexter und Sänger der Berliner Band "Herr Nilsson". Seit 2003 hat er fünf Romane veröffentlicht. Mit "Nachglühen" gewann er den Ernst-Willner-Preis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Jan Böttcher lebt in Berlin.Im Aufbau Taschenbuch sind seine Romane "Das Kaff" und "Am Anfang war der Krieg zuende" lieferbar. Mehr Informationen zum Autor unter www.janboettcher.com.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2018

Steig zweimal in denselben Fluss!
Fußball, Nivea und Nutella: Jan Böttchers Provinzroman „Das Kaff“
Auf alter Strecke nach langer Zeit mit dem Rad unterwegs: „Der ganze Wald hört mich kommen. Kiefern wippen im Wind, Buchen fallen sich über dem Weg in die Arme (…), ja, jetzt bin ich mir sicher, jetzt nur noch abwärts. Vom Sattel gleiten, und das Fahrrad rollt ohne mich weiter, bis es über eine Baumwurzel springt, stolpert, stürzt. Mein Handtuch fällt aus dem Korb. Vor Glück, denke ich.“
Michael Schürtz ist zurück. Der Zufall hat den Bauleiter wieder in die norddeutsche Kleinstadt geholt, in der er aufgewachsen ist. Er badet im Fluss, den er aus seiner Kindheit kennt. Doch, dass sein Aufenthalt in dem Kaff, in dem er seit Jahren nur zum Abi-Jubiläum war, nicht unproblematisch sein dürfte, deuten schon die Jungs an, die ihn am Fluss provozieren. Während Schürtz im Wasser ist, verstecken sie seine Sachen. Schürtz wehrt sich, packt den Anführer der Halbstarken am Oberarm, Schraubzwinge - er hat seine Sachen wieder. „So empfangt ihr mich?“ denkt er. „So wollt ihr, dass meine Rückkehr aussieht? Na, dann mal los. Ich bin gewappnet.“
Jan Böttcher selbst, 1973 in Lüneburg geboren, ist, nach dem Kosovo-Ausflug in Y, thematisch wieder nach Deutschland zurückgekehrt, und hat sich dafür, trotz Provinz-Hintergrund, einen Helden ausgesucht, der nur vage autobiografisch gelesen werden kann: Schürtz ist ein etwas härteres Kaliber. Als er damals nach Berlin ging, lernte er eine halbwegs gescheiterte Schauspielerin kennen. Als Liz ihn jetzt, auf Durchreise im Kaff seiner Jugend, besucht, bezeichnet Schürtz ihre Freunde als „linksliberale Lutscher“, natürlich um zu provozieren. Aber er tritt auch sonst nicht ganz unauffällig auf, trägt Budapester von Forzieri und eine Ray Ban Aviator. Helene Michelsen, eine alte Freundin seiner Mutter, meint: „Jung, du siehst bald aus wie’n Zuhälter.“ Die Kleinstädter haben keine Ahnung. Aber immerhin, Sex ist nicht unwichtig für Schürtz.
Zuerst geht es mit Liz schnell zur Sache. Dann lernt er Carla, die Mutter eines der Jungen kennen, die ihn am Fluss belästigt haben, und die beiden kommen schon in ihrer ersten einsamen Kino-Spätvorstellung beinahe zum Ziel. Indem Böttcher einen groß gewordenen Halbstarken zum Ich-Erzähler macht, gibt er seinem Roman eine einfache, halb mündliche Sprache, die mal burschikos passt, dann wieder kantig überzogen wirkt. Aber noch darin liegt eine produktive Spannung zwischen der Figur, die sich als ganzer Kerl sieht, und ihrem Autor.
Soll man einen Typen sympathisch finden, der zum Ex-Masseur seines Fußballvereins, der jetzt auf Krücken geht, und zum alten Platzwart, der sehr krank sein soll, ein engeres Verhältnis hatte als zu den meisten anderen Menschen? Schürtz geht zu einem Spiel. „Spielstärker“ sei „man“ geworden, sinniert er, „fair“, „athletischer auch, als wir es jemals waren“, aber als das Lokalderby 0:3 verloren geht, kommt ihm „doch die Galle hoch“: „Was ist nur aus diesem Verein geworden und wer ist eigentlich dafür verantwortlich? Ist das die Vorbildfunktion der Lalala-Mannschaft, diese zwanghaft integrative und doch völlig haltungslose Nivea- und Nutella-Nationalmannschaft? Wo ist denn der Derbykitzel hin, das Drama, wo ist der Spielzerstörer? Ich muss gestehen, dass mir etwas fehlt. Dass ich mir selbst fehle, dass ich genau an dieser Stelle des Spiels gern einsteigen und aufräumen würde.“
Böttcher schreibt, wie Schürtz der Schnabel gewachsen ist. Immer wieder wird dabei die Grenze zwischen rau, aber herzlich und brutal dumm geschickt ausgereizt. Das funktioniert, weil man bald mitkriegt, dass Schürtz nicht der Macher ist, den er sich gerne glauben würde. Zwar ist aus dem Tischler ein Bauleiter geworden, aber zwei Kompagnons haben ihn ausgebootet. Und sein Abgang aus der Kleinstadt scheint etwas mit dem frühen Tod seiner Mutter zu tun zu haben. Was genau, bleibt lange im Dunkeln. Erst recht in Gesprächen mit seinem fünfundvierzigjährigen, älteren Bruder. Der hat mit irgendetwas erfolgreich gehandelt und sich ein Haus bauen lassen, aber wird von der Kleinstadt-Schickeria nur akzeptiert, wenn er sich als Lokalhistoriker versucht. Etwas näher steht Michael seine Schwester Jul, die in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet hat, und jetzt, auf einem früheren Bolzplatz von Michaels Verein, mitten im Wald Flüchtlinge betreut. Aber auch sie weiß nicht, was in ihm vorgeht.
Ein Problem des Romans sind die Passagen, die Schürtz’ Bauleitertum dokumentieren sollen. Zwei Townhouse-Riegel entstehen, und dabei wirken Sprache und Handlung oft konstruiert facharbeiterhaft. Die (unvollständige) Auflösung der Mutter-Geschichte bringt denn auch das besser funktionierende Fußballmotiv. Kurz bevor Michael aus der Kleinstadt verschwand, hat die Mutter aus dem Nichts heraus Platzwart und Trainer am Platzrand deutlich hörbar sexuell beschimpft. Hatte sie eine Affäre mit dem Platzwart? War der Vater mit den beiden im Puff? Hat der Trainer Michael „Würstchen“ genannt, und ist sie deswegen ausfällig geworden?
Alles bleibt unscharf, ein Nichts an Wichtigkeit, aber in der Provinz ein Eklat und in Michaels Welt eine Katastrophe. Seine Mutter schafft es nicht, sich beim Trainer zu entschuldigen. Was Michael, der sie an ihren Ansprüchen misst, tief enttäuscht. Jahrelang hat sie Moral gepredigt, Kuchen gegessen und Krebs bekommen. Jetzt tut sie einmal etwas und liegt gleich voll daneben. Für Michael war Fußball alles. Jetzt kann er sich dort nicht mehr blicken lassen. Er muss weg.
„Kaff“ ist ein wahrhaftiger, manchmal etwas plakativer Provinzroman, der davon lebt, dass die Konflikte, unter denen seine Figuren leiden, winzig sind. Wo kaum etwas passiert, reicht wenig, um ein Leben zu verderben. Trotzdem kann sich der erwachsene Michael der Klebrigkeit des Orts nicht entziehen. Mit Carla hat er seinen ersten Streit hinter sich. Er holt in Berlin seine Sachen. So erfolgreich war er dort nicht. Hier wird er die C-Jugend trainieren und mit Jul ein Spiel für Flüchtlinge organisieren.
HANS-PETER KUNISCH
Jan Böttcher: Das Kaff. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 267 Seiten,
20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.05.2018

Ein Berlin-Schnösel kehrt heim

Kein Job wie jeder andere: In seinem Roman "Das Kaff" schickt Jan Böttcher einen Architekten aus der Großstadt zurück in jenes Nest, aus dem er einst aufgebrochen war, um die Welt zu erobern.

Der Berlin-Roman war ein großes Thema um die Jahrtausendwende; nicht viele Bücher sind von diesem Hype geblieben. Später ging der Trend schon aus Kontrastgründen wieder in Richtung Provinz, auch weil sich hier leichter ein Figurengeflecht in der Manier des konventionellen Realismus entwickeln lässt - Juli Zehs Großkolportage "Unterleuten" ist eines der erfolgreichsten Beispiele.

Jan Böttcher, ein feinsinnigerer Erzähler, legt nun ein Werk vor, dass aus der Spannung zwischen beiden Polen - Kleinstadt und Metropole - Funken zu schlagen versucht. Es ist die Spannung, in der ja viele Neuberliner leben. Ihr Enthusiasmus für die Metropole hat viel mit der Herkunftswelt zu tun, der sie sich entronnen glauben, und sie schauen auf ihr niedersächsisches oder schwäbisches "Kaff" durch die Berlin-Brille, die alles noch kleiner macht, als es ohnehin schon ist.

Böttcher, geboren 1937 in Lüneburg, der bisher vier Romane veröffentlicht hat, lässt seinen Helden Michael Schürtz nach zwei Berliner Jahrzehnten in sein Kaff zurückkehren. Schürtz ist Architekt, konnte sich gegenüber den Platzhirschen in seinem beruflichen Umfeld aber nicht richtig durchsetzen und wurde von seinen Kompagnons beiseitegedrängt, was einen Grund-Groll in sein Leben gebracht hat. Nun hat er bei einem Reihenhausprojekt in seiner Heimatstadt einen Bauleiter-Job übernommen, für den sich seine Berliner Kollegen "zu schade" waren. Zufall oder Rückkehr? "Dieses Reihenhaus könnte sonstwo stehen. Ich habe einen Job angenommen." So redet es sich der Ich-Erzähler ein. Die gelungene Eingangsszene schildert, wie er beim Bad in der "Ull" - dem Flüsschen des Orts - eine positive Grundstimmung aufzubauen versucht. Ist doch ganz schön hier! Dann aber, während er im Wasser ist, entwendet ihm eine Gruppe Jugendlicher Handtuch und Kleidung. Denen gibt er Bescheid, dreht einem von ihnen den Arm auf den Rücken, dass er vor Schmerz schreit. Die Szene macht klar: Schürtz kehrt zurück im Modus der Kampfbereitschaft.

Oft wird die Berufstätigkeit von Romanfiguren nur behauptet, hier aber erfährt man, womit sich ein Bauleiter so herumschlägt. Schürtz schimpft über die "Trockenbaukanaillen", einem prätentiösen Investor stellt er so geschickt ein Bein, dass der auf der Treppe stürzt und meint, er wäre selbst an einer Stufe hängengeblieben. Am meisten aber rollt der Architekt die Augen bei den Sonderwünschen seiner Kunden - wenn sie ihm den Bauplan zurückschicken mit Verbesserungsvorschlägen, weil sie nicht ganz einverstanden sind mit seinen modernismusgeprägten Ideen von Glas und Licht, Reduktion und glatten Oberflächen.

Klug ist dieser aufreizend arrogante und nicht immer zuverlässige Ich-Erzähler entworfen - eine Figur, die man nicht sympathisch findet, deren Antipathien aber die nötige Reibung in die Darstellung der Kleinstadt bringen. Die hat offenbar doch einige Lebensqualität zu bieten - jedenfalls gibt es Zuzug aus dem Hamburger Großraum, die Bauwirtschaft boomt. Schürtz aber spricht von "Shitty Littleton", und die Lokalzeitung ist für ihn nur "das Käseblatt". Ungute Erinnerungen kommen hoch in der Heimat, alte Geschwisterrivalitäten machen sich wieder geltend. Seinen älteren Bruder nennt Schürtz bloß "Nuss". Er nimmt ihm vieles übel, etwa dass er beim Bau seines Eigenheims die falschen Dachziegel verwendet hat oder dass er sich im Kaff als Alleswisser und wandelndes Stadtarchiv aufspielt. In einem hintersinnigen Kapitel hält "Nuss" einen Vortrag über den mysteriösen "Kellervandalen", der das Städtchen im Winter 1957 heimgesucht hat - Heimatgeschichte, über die der Ich-Erzähler die Nase rümpft, während der Leser kaum vermeiden kann, in ihm einen möglichen Geistesverwandten des "Kellervandalen" zu sehen. Wutmensch und Gutmensch - diese Spannung bestimmt auch das Verhältnis zu seiner Schwester Julia, die in der örtlichen Flüchtlingshilfe arbeitet. Wobei sie beim Wort "Flüchtling" den Bruder behutsam zurechtweist: "Wir nennen sie Neuangekommene." Julias Lebensgefährtin wiederum korrigiert ihn, als er von "Designern" spricht. "Designende" müsse es heißen.

Bei der Lektüre stellt sich immer nachdrücklicher die Frage, warum Schürtz die Stadt vor zwanzig Jahren im Zorn verlassen hat. In der zweiten Hälfte liefert der Roman ein nicht ganz durchsichtiges Familiendrama nach. Die Mutter ist an Krebs gestorben. Sie war der Mittelpunkt eines Kreises von Kuchenesserinnen; das Backen war bei ihr so obsessiv wie der familiär bedingte Zwang zum Kartenspielen beim Vater.

Langsam bricht die innere Feindseligkeit des Protagonisten auf. "Das Kaff" ist ein Roman der Reintegration, ein Heimkehrerroman für Menschen, die in der Hauptstadt an der Hipness-Front gekämpft haben. Eingliedernd wirkt, dass Schürtz, der seine jungen Jahre auf den Bolzplätzen des Kaffs verbrachte, ein Trainer-Nebenjob bei einer Jugendmannschaft angetragen wird. Und dann gibt es die schöne Carla. Sie ist die bald nicht mehr alleinerziehende Mutter eines jener Jungen, die den Bauleiter eingangs beim Bad in der Ull geärgert haben. Ein kleines Patchworkfamilienglück zeichnet sich ab. So schließen sich gleich mehrere Kreise.

Der Roman ist auf diese Weise bemüht, seine vielfältigen Motive zusammenzuhalten. Trotzdem zerfällt er in der zweiten Hälfte ins Episodische. Nicht zufällig erzählen Romane lieber und leichter davon, wie jemand aus der "Normalität" aussteigt, als davon, wie einer in ihr ankommt. Realismus ist zwar eine gute Sache, aber Jan Böttcher kann man vorwerfen, dass er mitunter zu realistisch ist: Über den Details geht ihm die zugkräftige Geschichte verloren. Psychologisch interessant ist "Das Kaff" aber als Entwicklungsroman in der Provinz. Sein Held kommt zu Einsichten. Auch der Berliner Kiez kann sehr leicht Kaff sein, und in der Kleinstadt gibt es Menschen, die Größe haben.

WOLFGANG SCHNEIDER

Jan Böttcher: "Das Kaff". Roman.

Aufbau Verlag, Berlin 2018. 267 S., geb., 20,- [Euro].

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» Jan Böttcher hat sich einen Protagonisten und IchErzähler ausgedacht, der in vollendeter Unreflektiertheit seine Projektion eines rückständigen Milieus ausbreiten darf, um dann von der Wirklichkeit revidiert zu werden. « taz. Die Tageszeitung 20180616