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Ljudmila Ulitzkaja erzählt von drei Freunden, die in der Sowjetunion zu Dissidenten werden. Ilja, der Fotograf, vervielfältigt und verbreitet in seiner Freizeit verbotene Literatur. Als sich Jahre später herausstellt, dass er auch für den KGB tätig war, muss er fliehen. Micha ist Jude und schreibt seit seiner Jugend Gedichte. Wegen seiner Nähe zum Samisdat wird er denunziert und kommt ins Lager. Sanja kümmert sich während Michas Haft um dessen Frau und kleine Tochter. Dennoch hält ihn nach Michas Tod nichts mehr in der Sowjetunion. In ihrem großen Gesellschaftspanorama erzählt Ulitzkaja von…mehr

Produktbeschreibung
Ljudmila Ulitzkaja erzählt von drei Freunden, die in der Sowjetunion zu Dissidenten werden. Ilja, der Fotograf, vervielfältigt und verbreitet in seiner Freizeit verbotene Literatur. Als sich Jahre später herausstellt, dass er auch für den KGB tätig war, muss er fliehen. Micha ist Jude und schreibt seit seiner Jugend Gedichte. Wegen seiner Nähe zum Samisdat wird er denunziert und kommt ins Lager. Sanja kümmert sich während Michas Haft um dessen Frau und kleine Tochter. Dennoch hält ihn nach Michas Tod nichts mehr in der Sowjetunion. In ihrem großen Gesellschaftspanorama erzählt Ulitzkaja von Mut und Verrat, irregeleiteten Idealen, menschlicher Größe und Niedertracht - und immer wieder von der Liebe, die das Handeln der Menschen antreibt.
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, 1943 geboren, wuchs in Moskau auf und ist eine der wichtigsten zeitgenössischen Schriftstellerinnen Russlands. Sie schreibt Drehbücher, Hörspiele, Theaterstücke und erzählende Prosa. Bei Hanser erschienen Die Lügen der Frauen (Erzählungen, 2003), das Kinderbuch Ein glücklicher Zufall (2005), Ergebenst, euer Schurik (Roman, 2005), Maschas Glück (Erzählungen, 2007), Daniel Stein (Roman, 2009), Das grüne Zelt (Roman, 2012), Die Kehrseite des Himmels (2015), Jakobsleiter (Roman, 2017), Eine Seuche in der Stadt (Szenario, 2021), Alissa kauft ihren Tod (Erzählungen, 2022) und zuletzt Die Erinnerung nicht vergessen (2023). 2008 erhielt Ljudmila Ulitzkaja den Alexandr-Men-Preis für die interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland, 2014 den österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2020 den Siegfried Lenz Preis sowie 2023 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und den Günter-Grass-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Rezensentin Sabine Berking ist Ludmila Ulitzkaja die "Grande Dame" der russischen Literatur und nicht weniger hymnisch bespricht sie ihren neuen Roman "Das grüne Zelt". In ihrem ebenso brillanten wie erschütternden "Tolstoi'schem Sittengemälde" der sowjetischen Intelligenzija schaue Ulitzkaja erbittert auf die Breschnew-Ära und die Suche der Oppositionsbewegungen nach Freiheit und alternativen Lebensformen in den Sechzigern zurück, berichtet die Kritikerin. Berking beobachtet Ulitzkajas zahlreiche Helden, allesamt Randfiguren des oppositionellen Alltags, nicht nur dabei, wie ihre Vorstellungen, Träume und Karrieren als Wissenschaftler, Pianisten oder Künstler immer wieder an den politischen und sozialen Verhältnissen zerbrechen, sondern erlebt auch, wie die heranwachsenden Protagonisten versuchen, ihre Angst zu überwinden. Dabei gelinge es der Autorin sowohl gefühlvoll, "wohltuend und altmodisch" zu erzählen, als auch im Rückbezug auf ihre eigene Biografie scharfsinnig an eine schlimme Epoche zu erinnern.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2012

Der Nager und seine Kinder
In ihrem neuen Roman entwirft die russische Autorin Ljudmila Ulitzkaja ein Panorama der sowjetischen Gesellschaft von den fünfziger Jahren bis an ihr Ende
Ljudmila Ulitzkaja ist eine souveräne Kompositeurin zuweilen arg geschwätziger Romane, eine Erzählerin mit langem Atem, die zur Langatmigkeit neigt und doch das Kunststück zuwege bringt, dass Abertausende Leser gespannt den mäandernden Wegen ihrer Familiengeschichten folgen. Alles, wofür diese Moskauer Autorin gelobt wurde, ist auch in ihrem neuen monumentalen Roman „Das grüne Zelt“ vorhanden; allerdings geizt sie auch dieses Mal nicht mit Betrachtungen über Gott und die Welt, Schicksal und Genetik, für die sie schon bisher berüchtigt war.
  Wer darüber hinwegsieht, dass die Erzählerin aus dem Imperfekt des Erzählens immer wieder ins Präsens des Erläuterns wechselt, wird allerdings reich belohnt. Denn „Das grüne Zelt“ ist ein kompositorisch kühner Roman, der das Panorama der sowjetischen Gesellschaft von den Fünfziger- zu den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts entwirft und die Biografien Aberdutzender scharf gezeichneter Figuren miteinander verknüpft.
Drei Freunde aus gemeinsamen Schulzeiten: Der lange, dürre Ilja, der mit dreizehn Jahren Stalins Begräbnis fotografiert, die schwarzen Menschenmassen, die aus lauter Trauer zahllose Mittrauernde zu Tode trampeln; der kleine Sanja, ein hochbegabter Musiker, den raue Schulkameraden so schwer an den Fingern verletzen, dass es mit seiner Laufbahn als Pianist schon vorbei ist, noch ehe sie begonnen hat; und Micha, der jüdische Knabe, der die belanglosen Dinge und alltäglichen Begebenheiten in hymnischen Gedichten besingt. Die drei ungleichen Freunde eint ihre „vollkommene Unfähigkeit zu Prügeleien und Brutalität“, mit der sie anfangs im Gymnasium auf „der untersten Stufe“ der Hierarchie stehen, nach und nach aber, dank der Hilfe eines musischen Lehrers, zu allseits respektierten, insgeheim sogar bewunderten Heranwachsenden aufsteigen.
  Dieser Lehrer ist ein echtes Genie der Menschenkenntnis und Förderung verborgener Talente. Fortwährend grübelt er darüber, wie es gelingen könne, die jungen Menschen mittels einer pädagogischen „Strategie des Erwachens“ zu schöpferischen, harmonisch ihre Talente entfaltenden Persönlichkeiten zu formen. Jeder der Freunde wird später in sich den Widerstreit von Fähigkeit und Interesse verspüren und damit auch die Versuchung, sich selbst, seine Bestimmung, Freunde, Liebe zu verraten.
  Drei Freunde, drei Freundinnen: Olga, klug, hübsch, begabt dafür, sich umschwärmen, verwöhnen zu lassen; Tamara, intelligent, unabhängig von klein auf, den Wissenschaften und mit den Jahren zudem einem religiösen Mystizismus zugeneigt; und Galja, das einfache Gemüt, treu den Freundinnen und treu ihrem Ehemann ergeben, der nur leider als „Nager“, als Spitzel des Geheimdienstes arbeitet und mit der Observation von Galjas Freundinnen und deren Männern beauftragt ist.
  Mehr noch als die drei Freunde sind die drei Freundinnen ganz unterschiedlichen Charakters, was sie verbindet, sind die Erinnerungen an vergangene Kindertage, eingespielte Rollenverhältnisse und eine gewisse Sicherheit, die daraus ersteht. Olga wird an der Seite ihres Mannes Ilja zur Dissidentin, die verbotene Manuskripte abtippt und in Samisdat-Ausgaben verbreitet; Tamara hält es zeitweise wegen ihres jüdischen Lebensgefährten mit dem Zionismus, vollzieht dann aber ihre Wendung zum orthodoxen Christentum; und unverdrossen hält zu ihnen die unterschätzte Galja, deren Lebenswunsch, mit dem „Nager“ ein Kind zu zeugen, erst spät und nur dank der medizinischen Hilfe der Endokrinologin Tamara in Erfüllung gehen wird.
Um diese Hauptfiguren ist eine Vielzahl von Nebenfiguren gruppiert, von denen kaum eine auftritt, ohne dass wir von ihrer Herkunft, dem Werdegang ihrer Eltern, dem Schicksal der Großeltern, ihrem eigen Lebensweg, ihren Krankheiten und Leidenschaften, ihren Liebesverhältnissen und den Umständen ihres Todes unterrichtet werden. Wie es sich für einen richtigen russischen Roman gehört, werden sie mit für uns nicht leicht zu unterscheidenden Namen wie Naum Ignatiewitsch, Issai Semjonowitsch oder Wassili Innokentiewitsch vorgestellt, was die Orientierung im Romangeschehen nicht eben erleichtert. In jeder Familie hat der Stalinismus Lücken geschlagen, hier einen Onkel vors Hinrichtungskommando gestellt, dort eine Tochter ins Lager gebracht, und selbst jene, die zu Schergen wurden, leben unter der sie vergiftenden Angst, eines Tages selbst zu den Opfern zu zählen.
  Ljudmila Ulitzkaja geht aufs Ganze. Im Geflecht der Familien und im Netz der Freundschaften zeigt sie, wie die große Geschichte aus lauter kleinen Geschichten gemacht wird, wie die verständliche Schwäche des einen unheilvolle Auswirkungen auf das Leben des nächsten haben kann, wie Angst und Trotz, Verrat und Widerstand tausendfach ineinander wirken und am Ende das ausmachen, was man später als eine Epoche des Terrors erkennen wird.
Dass es Ulitzkaja gelingt, ein episches Kolossalgemälde Russlands zu bieten, hat mit einem formalen und einem inhaltlichen Aspekt ihrer Literatur zu tun. In ihrer Neigung zum Enzyklopädischen zählt sie seitenlang die Namen von Autoren auf, die im Stalinismus Schullektüre waren, die Namen von Repräsentanten der Ära Chrustschows und die von Dissidenten der bleiernen Jahre unter Breschnew, und sie weiß die Atmosphäre in den winzigen Wohnungen mit den Gemeinschaftsküchen heraufzubeschwören, indem sie die Dinge, die Gerätschaften des Alltags litaneienhaft benennt. Das alles wäre aber nichts, wenn sie nicht die Fähigkeit besäße, jede einzelne ihrer aberdutzend Figuren mit unverwechselbaren Eigenheiten auszustatten.
  Dabei gelingen ihr die nur am Rande ins Geschehen verstricken Gestalten fast besser als die drei Freunde und die drei Freundinnen, die fast im Übermaß mit individuellen Attributen bedacht werden. Zu diesem inhaltlichen Aspekt kommt ein formaler: So altbacken die Sprache Ljudmila Ulitzkajas ist – über den pubertierenden Micha heißt es: „auch in ihm vollzog sich die Mannwerdung“ –, so originell strukturiert sie die immense Stoffmenge. Das achte von 32 Kapiteln etwa skizziert das Leben Olgas von der Wiege bis zur Bahre: Wir erfahren von ihrer Mutter, einer linientreuen Literaturfunktionärin, ihrem Vater, einem liebeskranken General, wir hören von ihrer ersten, eher zufälligen Ehe, von der großen Liebe zu Ilja, von ihrer Arbeit für den Samisdat, vom Verrat Iljas, der sich als Dissident zur Zusammenarbeit mit dem KGB verpflichtet, seine Frau verlässt und emigriert; wir sehen Olga, wie sie über dieser Enttäuschung verbittert und an Krebs erkrankt, eine sensationelle Form der Selbstheilung erlebt und endlich doch mit kaum vierzig Jahren stirbt, nachdem sie vom Tod Iljas in München erfahren hat.
  Auf den 400 Seiten, die folgen, taucht Olga jedoch in anderen Zusammenhängen immer wieder auf, als Kind, Dissidentin, ungelenke Mutter, enttäuschte Liebhaberin, Freundin. Die Chronologie ist aufgehoben, Menschen, auf deren Begräbnis uns die Autorin schon früh mitgenommen hat, sehen wir an späterer Stelle im Buch als begeisterte Besucher einer Opernaufführung oder als ratlose Häftlinge, die beim Verhör Dinge gestehen sollen, von denen sie gar nichts wissen. Formal ist das höchst kunstvoll gemacht, und es wirkt an keiner Stelle erkünstelt. Wie mit Olga hält Ljudmila Ulitzkaja es mit allen Gestalten: Wir wissen schon früh, wann sie Verrat üben, womit sie diesen bezahlen und wie sie zugrunde gehen werden, aber die Romanstruktur ermöglicht es der Autorin, von ihren Figuren stets neue Facetten zu enthüllen.
  Ljudmila Ulitzkaja ist eine Meisterin in der schönen Kunst der literarischen Verschwendung. Was bei sparsamen Autoren, die mit ihren Einfällen, Figuren und Konstellationen Haus halten, für drei, vier Bücher ausgereicht hätte, führt sie freigebig in einem einzigen großen Roman zusammen; einem Roman, der randvoll ist mit traurigen Geschichten und übermütigen Anekdoten und der von kauzigen, melancholischen, gescheiterten, mutigen Menschen erzählt, die zwischen Bewährung und Versagen ihren eigenen Weg durch vier bittere Jahrzehnte Russlands finden mussten.
KARL-MARKUS GAUSS
  
Ljudmila Ulitzkaja wurde 1943 geboren und wuchs in Moskau auf. 2009 erhielt sie den Alexandr-Men-Preis für die interkulturelle Vermittlung zwischen Russland und Deutschland
FOTO: IMAGO
  
  
  
Ljudmila Ulitzkaja: Das grüne Zelt. Roman. Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Carl Hanser Verlag, München 2012. 588 Seiten, 24,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Eine Meisterin in der schönen Kunst der literarischen Verschwendung. Was bei sparsamen Autoren, die mit ihren Einfällen, Figuren und Konstellationen Haus halten, für drei, vier Bücher ausgereicht hätte, führt sie freigiebig in einem einzigen großen Roman zusammen; einem Roman, der randvoll ist mit traurigen Geschichten und übermütigen Anekdoten." Karl-Markus Gauss, Süddeutsche Zeitung, 01.09.12

"Ljudmila Ulitzkaja erkundet in einem grandiosen Roman die Sowjetgesellschaft. Mit ihrem neuesten Buch, ,Das grüne Zelt', macht sie endgültig klar, dass sie in der ersten Liga der russischen Gegenwartsliteratur spielt." Ulrich M. Schmid, Neue Zürcher Zeitung, 01.09.12

"Ulitzkaja bietet Einblicke in die Lebenswelten von Menschen, die sich in einem totalitären Staat für geistige Freiheit und soziale Gerechtigkeit einsetzen. Thema ist die Verantwortung des Einzelnen, sein Gewissen, seine Freiheit." Ruth Wyneken, Frankfurter Rundschau, 05.09.12

"Ljudmila Ulitzkaja, die große Dame der russischen Literatur, hat mit dem Roman ,Das grüne Zelt' ihr Meisterstück vorgelegt - ein beklemmendes Sittengemälde der sowjetischen Intelligenzija." Sabine Berking, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.12

"Ein großartiger Einblick in die inneren Strukturen des russischen 20. Jahrhunderts!" Gregor Ziolkowski, Deutschlandradio Kultur, 06.09.12

"Wer wissen will, wie das Leben in Moskau in den 1950er Jahren bis in die Zeit der Wende hinein unter oppositionellen Akademikern, Künstlern und Intellektuellen aussah, der sollte diesen opulenten und spannenden Roman lesen." Fokke Joel, Stuttgarter Zeitung, 23.11.12

"Dieser Roman beeindruckt durch ein riesiges, souverän organisiertes Figurenensemble. Vor uns entfaltet sich ein ungemein facettenreiches, widersprüchliches Panorama." Tomas Gärtner, Dresdner Neuste Nachrichten, 24./25.11.12

"Ulitzkajas Roman ist nicht nur eine Hommage an die russische Literatur und Musik. Er lässt den Leser in die Abgründe der menschlichen Seele blicken, so dass man nach der Lektüre die Geschichte Russlands und das Wesen der Menschen aus einer anderen Perspektive zu betrachten vermag." Gerhild Wissmann, Die Rheinpfalz, 27.10.12
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