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"Flugblätter sind eine sehr ernst zu nehmende Sache und von allen Arten der Literatur die allerwichtigste. Daher ist es notwendig, sie sorgfältig zu durchdenken und sich dabei kollektiv zu beraten."Wladimir Iljitsch LeninIm Verlauf des Zweiten Weltkrieges werden von allen beteiligten Nationen jeweils mehrere Milliarden Flugblätter über den Fronten und dem Hinterland verschossen, mit Bomben abgeworfen und von Hand zu Hand weitergegeben. Heute schlummern diese eigenartigen Zeugen des Krieges in den Archiven. Dieser Band gibt Einblick in die grauenhafte und faszinierende Welt dieser Blätter -…mehr

Produktbeschreibung
"Flugblätter sind eine sehr ernst zu nehmende Sache und von allen Arten der Literatur die allerwichtigste. Daher ist es notwendig, sie sorgfältig zu durchdenken und sich dabei kollektiv zu beraten."Wladimir Iljitsch LeninIm Verlauf des Zweiten Weltkrieges werden von allen beteiligten Nationen jeweils mehrere Milliarden Flugblätter über den Fronten und dem Hinterland verschossen, mit Bomben abgeworfen und von Hand zu Hand weitergegeben. Heute schlummern diese eigenartigen Zeugen des Krieges in den Archiven. Dieser Band gibt Einblick in die grauenhafte und faszinierende Welt dieser Blätter - vollfarbig und aufwendig gestaltet.Feindflugblätter sind eine Sonderform des auch aus Friedenszeiten bekannten Flugblattes, sie wenden sich direkt an den Kontrahenten im Krieg. Sie versuchen, seine Sprache zu sprechen, ihn zu demotivieren und zum Aufgeben zu bringen. Ihre Auflagen erreichen schwindelerregende Höhen, ihre Bildgewalt und psychologische Tücke ist überwältigend und ihr Besitz ist strengstens verboten. Der Zweite Weltkrieg hat auch diese Form der Propagandakunst auf ein neues Niveau gehoben, und damit deutliche Spuren in der Bildsprache und Typographie des 20. Jahrhunderts hinterlassen.Die Spannweite der hier versammelten 85 amerikanischen, britischen, französischen, sowjetischen und deutschen Blätter reicht vom kleinen Gedicht auf magerem Papier über das aufwendige, knallbunte Comic bis hin zu Ratschlägen zur Selbstverstümmelung, die sich in Streichholzbriefchen verbergen. Die Auswahl wird von Moritz Rauchhaus und Tobias Roth vorgestellt und erläutert. Abgerundet wird der Band durch ein Nachwort von Dr. Christiane Caemmerer, der langjährigen Leiterin der Einblattabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin, deren Sammlung etwa 24.000 Flugblätter aus dem Zweiten Weltkriegumfasst.
Autorenporträt
Rauchhaus, Moritz§Die beiden promovierten Romanisten Moritz Rauchhaus und Tobias Roth arbeiten als Übersetzer, Autoren und Herausgeber und veröffentlichten 2018 im Verlag Das KulturelleGedächtnis gemeinsam das Buch "Wohl bekam's!" Christiane Caemmerer ist Literaturwissenschaftlerin und wissenschaftliche Bibliothekarin. Sie war bis 2019 Leiterin des Referats Einblattmaterialien in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Stephan Speicher mag nicht gerade von einem Schatz sprechen bei diesem von Moritz Rauchhaus und Tobias Roth herausgegebenen Band mit Feindflugblättern aus dem Zweiten Weltkrieg. So interessant die 84 Blätter, je zur Hälfte alliierte und deutsche, Speicher auch erscheinen, wenn sie mal mit erotischen, mal mit antisemitischen Motiven zum Überlaufen auffordern, so sicher scheint ihm ihre Wirkungslosigkeit im Kriegsgeschehen. Die Erklärung der Herausgeber zu ihrer Bedeutung findet er jedenfalls nicht überzeugend. Immerhin konnte Desertion tödliche Folgen haben, bei der Wehrmacht wie bei der Roten Armee, gibt Speicher zu bedenken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.12.2020

Zappelndes Papier
im Baum
Wie der Zweite Weltkrieg als Informationskrieg
geführt wurde und die Flakhelfergeneration
mit Flugblättern das Lesen lernte
VON WILLI WINKLER
Vorne lockt der Fluss den Kulturtouristen, bella Italia glänzt in seiner ganzen Pracht, dazu eine Landestochter, wie sie süße Trauben kredenzt. „Der Po wartet auf dich“, besagt die Inschrift auf Englisch und Urdu, doch auf der Rückseite entfärbt sich die Postkarte zum finsteren Schwarz-Weiß, da wartet der Tod auf den, der sich dem Fluss zu nahen wagt.
Auf einem anderen Blatt fährt ein Hackebeil aus einer Nazi-Uniform, die Schneide ist nicht schartig, sondern ein aufgerissener Mund, der Schnurrbart drüber und ganz oben die Tolle über den bösen Augen – eine Hitler-Karikatur, aber kein Witz, sondern jederzeit bereit, jedem den Kopf abzuschlagen.
Noch ein Beispiel? Hier wird das Leben im Krieg dem im Frieden gegenübergestellt: Auf dem einen Bild küsst ein Mann eine appetitlich dekolletierte Frau, auf dem anderen humpelt ein beinamputierter Soldat. Der Text ist so schlicht, dass es wirkungsvoller gar nicht geht. Links: „Gentlemen bevorzugen Blondinen“. Rechts: „aber Blondinen wollen keine Krüppel“.
Dieses Kontrastprogramm war für die amerikanischen Soldaten gedacht, die ab 1943 von Süden her Italien von den Deutschen zurückeroberten. Sie sollten sich gut überlegen, ob sie Leben und Gesundheit im Kampf gegen Hitler opfern sollten. Und nach Italien, verkündete ein weiteres Blatt, das in bestem Englisch formuliert und mit Temperatur- und Höhenangaben gespickt war, erwarteten die Soldaten noch andere ganz Schwierigkeiten, die Alpen.
„Die Alpen sind die gefährlichsten Berge Europas. Jeder Berg ist eine Festung.“ Und nach dieser militärischen Drohung folgt ein sarkastischer Schluss: „Wer die Gelegenheit bekommt, sie zu besteigen, hat mehr vom Leben, aber wer sich von ihnen fernhält – lebt länger.“
Diese und 25000 weitere Flugblätter, Karten und Bilder sind in der Berliner Staatsbibliothek gesammelt. Sie tragen fast alle Gebrauchsspuren, sind beschrieben, eingerissen, vergilbt, verschmutzt.
Das ist keine hohe Literatur, schon weil die Texte und erst recht die Bilder mit ihrer Botschaft nicht lang herumdrucksen. „Erhalt Dir Deine Lebenskraft!“, geht ein einprägsamer Reim, „Begib Dich in Gefangenschaft!“
Die gegnerischen Soldaten sollen zum Überlaufen bewogen, zumindest soll ihre Wehrkraft zersetzt werden. Die Russen wenden sich an die deutschen Soldaten, die Deutschen an die Soldaten der anrückenden Armeen aus Frankreich, England und den USA.
Einem deutschen Flugblatt, das in Deutschland nur wenigen bekannt war, verschaffte die Royal Air Force (RAF) die größte Aufmerksamkeit. Am 18. Februar 1943, gut zwei Wochen nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad, wurden Sophie Scholl und ihr Bruder Hans verhaftet, als sie im Lichthof der Münchner Universität ihr sechstes Flugblatt abwarfen.
„Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad“, hieß es da. „Dreihundertdreißigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. Führer, wir danken dir!“
Dieser Ton war beste Propaganda gegen Hitler, deshalb wurden die Autoren und Verbreiter auch sofort verurteilt und hingerichtet. Ein Exemplar des Flugblatts gelangte nach England, wo es zum „Manifest der Münchner Studenten“ umgestaltet und Mittel der alliierten Propaganda wurde. Der Text selber war, um ihn als echt deutsch auszuweisen, in gotischer Fraktur gesetzt. In England wusste niemand, dass Hitler Anfang 1943 die „jüdische Schwabacher“ zugunsten der Antiqua abgeschafft hatte.
Joseph Goebbels frohlockte im Tagebuch über die neue Schrift: „Und unsere Sprache kann wirklich Weltsprache werden.“ Außerdem hielt er fest: „Gestern: keine Einflüge ins Reich.“ Das mochte für den Propagandaminister eine Atempause sein, im Juli kehrte das letzte Flugblatt, beglaubigt durch den mittlerweile bekannt gewordenen Tod der Verfasser, nach Deutschland zurück.
RAF-Flugzeuge warfen es in Millionenauflage mit der Einleitung ab: „Wir werden den Krieg sowieso gewinnen. Aber wir sehen nicht ein, warum die Vernünftigen und Anständigen in Deutschland nicht zu Worte kommen sollen.“
Allein die RAF hat 6,5 Milliarden Flugblätter in 29 Sprachen hergestellt und bei ihren „Einflügen“ zur Ergänzung des Bombardements abgeworfen. Peter Rühmkorf erzählt in seinen Erinnerungen, wie er zum Sammler wurde. „Nach jedem Fliegerangriff, gleich nach der Entwarnung, erwachte fieberhaft mein Jagdtrieb. Hörte ich von Bombenabwürfen und Flugzeugabstürzen in der näheren Nachbarschaft, wallfahrtete ich zu den Fundstellen und fahndete nach den neuesten Informationen.
Wo irgendwo ein zappelndes Papier in einem Baum hing, stieg ich ihm nach; wo etwas weiß oder bunt aus den Gräben hervorschimmerte, angelte ich es heraus; liebevoller wird sich kaum ein Papyrologe über unleserlich gewordene Nachrichten aus alten Zeiten gebeugt haben als ich über diese verdreckten, zerknitterten, oft unleserlich gewordenen Botschaften aus besseren Welten, und ich säuberte sie, plättete sie, rubrifizierte sie und lernte sie auswendig.“
Die Feindflugblätter wurden auch von Amts wegen gesammelt. Im „Wehrmacht-Propaganda-Lagebericht für die Zeit vom 16.10.-31.10.1941“ wird das Motiv mit dem Hackebeil der Moskauer Künstlergruppe Kukryniksy, die Hitler auch als Laus und als Affe darstellte, mit archivalischem Ernst als „Gorilla mit dem Gesicht des Führers“ verzeichnet. Auch die Moskauer hatten ihr Material bearbeitet, ihre Bilder nämlich als Teil der deutschen Soldatenblätter für Feier und Freizeit ausgegeben.
Die Deutschen ließen sich selbstverständlich nicht lumpen. In einer weiteren Gegenüberstellung findet sich links oben das Logo der einstmals berühmten Zeitschrift Life und auf dem Titel, was Life nie hatte, eine nackte Frau. Das Pendant hat in der gleichen graphischen Aufteilung statt Life schlicht Death (für Tod) und statt der schönen Nackten einen ausgefransten Totenschädel unterm Helm.
Die Autoren arbeiteten so sorgfältig, dass in den verschiedenen Varianten jeweils der französische, der englische und der amerikanische Helm zum Einsatz kommt.
Der kunstgeschichtlich vorgebildete Betrachter wird sich an das Vanitas-Motiv der Barockzeit erinnert fühlen: vorne des Lebens ganze Pracht, hinten Alter, Fäulnis, Tod. Die Gruppe, die dieses und manch anderes farbenfrohe Motiv herstellte, hieß „Südstern“. Sie operierte in Oberitalien, das sich 1944 noch fest in deutscher Hand befand. Zum „Südstern“ gehörte ein richtiger Kunsthistoriker namens Henri Nannen, der mittlerweile bei der SS-Propagandakompanie Kurt Eggers diente.
Beim „Südstern“ wusste man nicht nur, dass Gentlemen Blondinen bevorzugen, es wurde auch gern mit antisemitischen Anspielungen nach dem Muster operiert: Du setzt hier Dein Leben aufs Spiel, während zu Hause in New York ein Jude Dein Mädchen begrapscht. Die Arbeit bei der Gruppe „Südstern“ war sicherlich nicht die schlechteste Vorschule für den Stern, in dem Nannen den jüdischen Kollegen Hans Habe 1952 als „galizischen Immigranten“ mit „jäh erblondeten Haaren“ beschimpfen konnte, der über die „demagogische Begabung von Goebbels’ Gnaden“ verfüge.
Rühmkorf glaubte, dass er als dreizehnjähriger Schüler mit der Lektüre des Fallguts „zum zweitenmal das Lesen gelernt“ habe. „Wo die Schule mich dumm ließ und das Leben mich unglücklich machte, wurden sie mein Fernlehrkursus, meine Politakademie, meine Kunsthochschule, mein Manna: Flugblätter!“
Er wird kaum gewusst haben, dass exilierte deutsche Schriftsteller wie Johannes R. Becher, Stefan Heym und Klaus Mann an manchen der alliierten Flugblätter mitgewirkt haben, aber mit dem Segen von oben begann er selber zu dichten: „Werft an die Motoren/Gebt Holzgas hinein/Der Krieg ist verloren/Für Hitler, das Schwein.“
Tobias Roth, Moritz Rauchhaus (Hrsg.): Feindflugblätter des Zweiten Weltkriegs. Verlag: Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2020. 288 Seiten, 28 Euro.
Der Dichter Peter
Rühmkorf sammelte
die Blätter liebevoll
Die Propagandakompanie
der SS reagierte mit
antisemitischen Botschaften
Allein die Royal Air Force stellte
6,5 Milliarden Flugblätter in 29 Sprachen her. Bei ihren „Einflügen“ warf sie nicht nur Bomben ab, sondern auch Botschaften in Wort und Bild. Beim Erstellen wirkten mitunter Schriftsteller wie Stefan Heym und Klaus Mann mit. Etwa 25000 Exemplare werden in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt.
Abbildungen: aus dem besprochenen Band/Einblattsammlung der Staatsbibliothek zu Berlin
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2021

Sei kein Tropf, wechsle die Seiten

Manchmal genügte die Erinnerung an ein Leben außerhalb der Gefahr und ohne Uniform: Ein Band stellt Feindflugblätter aus dem Zweiten Weltkrieg vor.

Im März 1945 werfen die deutschen Truppen in Italien Flugblätter über den alliierten Linien ab: Auf einem lächelt eine junge Frau den Leser an und erklärt ihm: "Yes - there is a way out of it!" Dann wird vorgerechnet, dass die Lebenserwartung eines Zivilisten 60,5 Jahre betrage, die eines Soldaten an der Front 23,2. "Also leben Kriegsgefangene 37,3 Jahren länger." Und in Fettdruck: "Alle deutschen Kriegsgefangenenlager werden nach den Grundsätzen der Genfer Konvention geführt." Auch die Amerikaner drucken Flugblätter mit der Aufforderung zur Desertion, aber sie haben mehr zu bieten. Man sieht deutsche Gefangene an einem reichlich gedeckten Tisch, einer von ihnen berichtet von der Verpflegung mit Bohnenkaffee, Milchsuppe und Weißbrot zum Frühstück, Schweinebraten, Kartoffelbrei und Bohnen zu Mittag und kalter Platte abends. Nur an Schwarzbrot fehle es, "bisher".

Die Berliner Staatsbibliothek verfügt über einen Bestand von rund 24 000 Feindflugblättern aus dem Zweiten Weltkrieg. Er verdankt sich im Wesentlichen dem leidenschaftlichen Sammler Klaus Kirchner und dem Interesse dreier von dem Thema ähnlich begeisterter Bibliothekarinnen, die dafür sorgten, dass Kirchners Sammlung von der Berliner Staatsbibliothek angekauft werden konnte. Nun stellen Moritz Rauchhaus und Tobias Roth in ihrem Buch 84 Blätter aus diesem Bestand vor, zur Hälfte deutsche, zur Hälfte alliierte. Mit wenigen Ausnahmen richten sie sich an die gegnerischen Truppen, nicht an die Zivilbevölkerung, und so haben sie eine Stoßrichtung, gleich ob von deutscher oder alliierter Seite abgeworfen: Sie fordern die gegnerischen Soldaten zum Überlaufen auf, sie appellieren an deren Überlebenswunsch. Viele Flugblätter sind zugleich Passierscheine, die eine gute Aufnahme versprechen. Und deswegen ist ein Flugblatt ein gefährlicher Besitz, den keine Armee duldet.

Manche Blätter geben sich ganz unpolitisch. Abgebildet ist etwa ein kleines Mädchen und darunter in Kinderschrift: "Please help bring my Daddy home". Andere setzen das Schicksal der Frontsoldaten in einen politischen Zusammenhang. Die russische Propaganda betont den proletarischen Internationalismus. Die deutsche greift ebenfalls auf den Unterschied von unten und von oben zurück; sie stellt Briten und Amerikanern (speziell an den italienischen Fronten) die Frage, warum sie für die "Plutokraten" kämpfen wollen. Gerne wird ein erotisches Moment beigemischt. Eine Serie zeigt eine junge halbnackte Frau, Georgia; auf dem dunklen Hintergrund sieht man in Strichzeichnungen, wie sich die Landsleute in der Heimat amüsieren: in Jachthäfen, Bars, bei nächtlichen Autofahrten durch strahlende Metropolen. Auf der Rückseite des Blatts dann die Erläuterung: "Nicht nur die Kriegsgewinnler profitieren, praktisch jeder hat genug Geld auszugeben, ausgenommen natürlich die Angehörigen der Soldaten."

Die Formel "Rich Man's War, Poor Man's Fight" war 1944 schon alt, sie stammt aus dem Bürgerkrieg und sollte noch im Vietnam-Krieg eine Rolle spielen. Die NS-Propaganda wendete sie antisemitisch. Auf einer Abbildung sieht man im Hintergrund einen Sanitätsjeep mit Verwundeten, im Vordergrund eine große Limousine mit Davidsstern auf der Tür, der Fahrer die Karikatur eines Juden. Auf der Rückseite werden Juden für die meisten Kriege zwischen nichtjüdischen Staaten verantwortlich gemacht. Die alliierten Flugblätter wirken ruhiger, sie weisen auf die hoffnungslose Lage des Reiches hin und dass die Fortführung des Krieges alles nur noch schlimmer mache, für den einzelnen Frontsoldaten wie für seine Heimat. Vor allem den hier stark vertretenen Flugblättern aus Italien 1944 spürt man an, dass die Alliierten vor dem Sieg stehen, ihre Propaganda kommt ohne die schrillen Töne der deutschen Seite aus.

Hatten die Flugblätter Wirkung? Die Herausgeber möchten das gerne so sehen, das spräche für die Bedeutung ihres Gegenstands. Aber die Überlegung, der Ressourcenverbrauch sei groß gewesen, "Propaganda muss sich also auf eine eigene Art gelohnt haben", ist ganz unplausibel. Gemessen an dem Verschleiß von Material und Kräften, den der Krieg bedeutete, fiel die Flugblattproduktion gewiss nicht ins Gewicht, ganz abgesehen davon, dass im Krieg viel Unsinniges geschieht. Christiane Caemmerer von der Staatsbibliothek Berlin ist in ihrem Nachwort sehr viel skeptischer. Und vermutlich hat sie recht.

Die Wirkung der Propaganda ist schwer zu quantifizieren. Untersuchungen wurden seinerzeit nicht angestellt, Äußerungen von Zeitzeugen sind stark durch deren Interessenlage bestimmt. Hitler und Goebbels hielten die Feindflugblätter für sehr gefährlich, die Weiterverbreitung wurde mit dem Tod bestraft. Aber sie hatten ihren Aufstieg den eigenen propagandistischen Talenten zu verdanken, das wird ihr Urteil gefärbt haben. Umgekehrt hatten die Generäle an der Ostfront allen Grund, die sowjetische Propaganda für irrelevant zu erklären; anderenfalls hätten sie ihrer Führungskraft ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.

Und die Propaganda war oft nicht gut, konnte es auch kaum sein. Eine britische Direktive empfahl Rücksicht auf den Standpunkt des Lesers, aber dann lief es doch oft hüben wie drüben auf Selbstlob und Herabsetzung des Gegners hinaus. Und vor allem hatte die Empfehlung der Desertion, der Kriegsgefangene kehre zuletzt nach Hause zurück, der Tote aber nicht, einen Haken. Der Wechsel der Fronten war eine höchst gefährliche Sache. Und wer dabei von den eigenen Leuten gefasst wurde, der musste bei der Wehrmacht wie auch bei der Roten Armee mit der Hinrichtung rechnen.

STEPHAN SPEICHER

Moritz Rauchhaus und Tobias Roth (Hrsg.): "Feindflugblätter des Zweiten Weltkriegs". Mit Nachwort und einem Essay von Christiane Caemmerer.

Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2020. 288 S., Abb., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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