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Solidarität war einmal ein starkes Wort. Es geriet in Verruf, als jeder für sein Glück und seine Not selbst verantwortlich gemacht wurde. Heute ist die Gesellschaft tiefer denn je zwischen Arm und Reich gespalten. Natürlich gibt es ein Sozialsystem, das einen Ausgleich bewirkt. Dazu brauchen wir aber ein neues Verständnis von Solidarität. Wir sollten uns nicht damit begnügen, materielle Not zu lindern, sondern im anderen uns selbst als Mensch wiedererkennen. Erst durch diese freie Entscheidung zur Mitmenschlichkeit findet eine Gesellschaft wieder zusammen. Heinz Budes Reflexionen über die…mehr

Produktbeschreibung
Solidarität war einmal ein starkes Wort. Es geriet in Verruf, als jeder für sein Glück und seine Not selbst verantwortlich gemacht wurde. Heute ist die Gesellschaft tiefer denn je zwischen Arm und Reich gespalten. Natürlich gibt es ein Sozialsystem, das einen Ausgleich bewirkt. Dazu brauchen wir aber ein neues Verständnis von Solidarität. Wir sollten uns nicht damit begnügen, materielle Not zu lindern, sondern im anderen uns selbst als Mensch wiedererkennen. Erst durch diese freie Entscheidung zur Mitmenschlichkeit findet eine Gesellschaft wieder zusammen. Heinz Budes Reflexionen über die solidarische Existenz liefern die Antworten auf die soziale Frage unserer Zeit.
Autorenporträt
Heinz Bude, geboren 1954, studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Von 2000 bis 2023 war er Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Er lebt in Berlin. Im Carl Hanser Verlag erschien zuletzt: Adorno für Ruinenkinder. Eine Geschichte von 1968 (2018), Solidarität. Die Zukunft einer großen Idee (2019) und, gemeinsam mit Bettina Munk und Karin Wieland, Aufprall (2020).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2019

Der Sinn für das Ganze

Heinz Bude legt die Begriffsschablone "Solidarität" auf den Prüfstand und kommt zu überraschenden Ergebnissen.

Man mag dem Buch mit der Erwartung begegnen, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie es mit der gesellschaftlichen Solidarität im Ganzen bestellt sei. Zumal einen die Ahnung der Verkleinerung des Radius von Lebensformen des Teilens und der Anteilnahme auch in westlichen Gesellschaften beschleicht. Die Frage nach dem Schicksal der Solidarität in der globalen Moderne könnte mit der Hoffnung verbunden sein, eine Idee einer gemeinschaftlichen Weltgesellschaft zu entwickeln oder aber dem fräsenden Neoliberalismus, der den Einzelnen für seine Notlagen selbst verantwortlich macht und die Menschheit zu einer Ansammlung von "rationalen Egoisten" erklärt, Einhalt zu gebieten.

Das macht die Aktualität dieses Bandes aus, der viel grundlegender ansetzt, nämlich bei der Frage, was den Begriff der Solidarität, der vielen wie eine "überkommene und ausgeleierte Begriffsschablone vorkommt, die höchstens sentimentale Bedürfnisse nach einer guten alten Zeit befriedigt" denn eigentlich ausmachen könnte und welche zukunftsweisenden Ideen darin enthalten sind. Die Antworten sind alles andere als trivial, weil sie Grundfragen von Zugehörigkeit und Verbundenheit, von Identität und Gesellschaft berühren.

Mit der ihm eigenen phänomenologischen Präzision öffnet Heinz Bude "die Schachtel dieses Begriffs" und legt im Durchgang durch Klassiker des Faches eine Vielfalt von Bedeutungsschichten solidarischer Gefühle und Beziehungen frei. Sichtbar wird, dass Solidarität nicht mit Barmherzigkeit gleichzusetzen ist, da sich Solidarität nicht auf Mitleid reduzieren lässt; und auch nicht mit Empathie, die auch ganz ohne Verantwortung für den anderen auskommen kann; und auch nicht mit Gerechtigkeit, die auf Regelkonformität und nicht auf Teilhabe setzt.

Schließlich ist Solidarität auch nicht mit Sozialstaatlichkeit identisch, da diese oftmals als von außen Aufoktroyiertes empfunden wird und sich von dem Gefühl für das Ganze oftmals entkoppelt hat. Der Begriff der Solidarität bezieht sich vielmehr auf eine Welt, die wir mit solchen anderen, ohne die wir nicht sein könnten, teilen - und denen wir folglich unsere Existenz verdanken. Das können Freunde, Familienmitglieder oder Menschen aus entfernten Weltregionen sein, es können aber auch die anderen Lebewesen sein, die mit uns die Erde bewohnen. Unsere Solidarität gilt der Gesellschaft im Ganzen, sie wird von dem Gefühl begleitet, Teil von etwas Größerem zu sein.

Budes Buch ist voller verblüffender Denkanstöße und offener Fragen. Eine großartige Leistung ist die Verschränkung von Fallvignetten und Konzepten und die Emphase, mit der er die Analyse vorantreibt. Die gute Nachricht: Solidarität ist zumeist einfach da, auch dort, wo man sie zunächst nicht vermutet, und oftmals auch ohne den Umweg über die Repräsentanz in kollektiven Körperschaften zu nehmen: unter Kollegen, in Nachbarschaften. Eine solidarische Ökologie des alltäglichen Miteinanders bilde sich auch bei Kindern schon sehr früh aus, wenn sie im Dienste einer gemeinsamen Aufgabe auf die Einhaltung von Regeln pochen.

Bude plädiert für einen postheroischen Begriff von Solidarität und zeigt das Unspektakuläre daran auf. So bezweifelt er, dass die erneute Versittlichung und Moralisierung des Solidaritätsbegriffs, wie sie etwa charakteristisch für den Solidarismus in Frankreich und die Sozialdemokratie in Deutschland zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war, heute wieder zukunftsweisend sein könnte. Die Lösung für die Probleme globaler kapitalistischer Ausbeutung, der wachsenden Spaltungen zwischen Arm und Reich und des Klimawandels sucht Bude nicht primär in politischen oder sozialreformerischen Konzepten, obgleich er sich hier keineswegs festlegt. Vielmehr scheint er eher für subsidiäre Lösungen einzutreten, zumal sich Solidarität weder herbeireden noch befehlen lässt. Es gibt nach Bude keinen moralischen Zwang zur Solidarität: "Niemand muss solidarisch sein, man muss nur eine Ahnung davon haben, was man verliert, wenn man vergisst, was wir uns schulden. Mit dem Begriff der Solidarität steht das Ich mitsamt seinen ungeheuren Bedarf an äußeren Zuspruch, innerer Erregung und allseitiger Ausdehnung in Frage".

Doch möglicherweise greift eine Analyse, welche das Ich ins Zentrum stellt und primär die alltäglichen Solidaritäten in den Blick nimmt, nicht weit genug. Wenn es wahr ist, dass Solidarität nicht einfach nur eine freiwillige Zutat ist, die das Leben mitmenschlicher gestaltet, sondern, wie Bude im Anschluss an Durkheim treffend ausführt, das Fundament von Gesellschaft überhaupt, dann fragt sich doch, wie die Zukunft einer globalen Solidarität aussehen und durch welches Ganze die Welt zukünftig zusammengehalten werden könnte. Ein Grund für den Mangel an Weltsolidarität scheint ja in dem Fehlen eines erlebbaren Zusammengehörigkeitsgefühls trotz anwachsender weltweiter Interdependenzen zu liegen.

Wie fühlt man, dass der Norden zunehmend auch von dem Wohlergehen des Südens abhängig ist? Wie realisiert man, was man lange weiß, dass wir mit anderen Lebewesen eine einzige Welt bewohnen? Und: Schließt der Markt Solidarität aus, oder wie könnten die Besserverdienenden ihren Beitrag dazu leisten, dass die Dienstleister, die sie in ihren Haushalten für Säubern, Warenlieferungen oder die Betreuung von Älteren und Kindern beschäftigen, nicht ausgebeutet werden?

Ein weiteres Problem ist der wachsende Abstand zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich nach wie vor mit ihrer Nation identifizieren und dem verlorenen Zusammengehörigkeitsgefühl der nationalen Gemeinschaft hinterhertrauern, auf der einen Seite, und denjenigen, die sich in erster Linie mit der neuen globalen Mittelklasse, der Klasse der Hochqualifizierten und ihrer weltumspannenden kosmopolitischen Kultur, identifizieren, auf der anderen Seite. Für die einen ist der Verbundenheit mit ihrem Land Quelle der Solidarität, für die anderen die professionelle Gemeinschaft, die sich in grenzüberschreitenden Netzwerken durch Wissenskulturen formiert.

Diese Gruppen verhalten sich zunehmend wechselseitig exklusiv, indem sie sich von der jeweils anderen Gruppe abschließen. Doch ein schwindendes Niveau an Vertrauen und Solidarität, das zeigt der Gesellschaftsvergleich, macht Gesellschaften dysfunktional: Entwickelte und weniger entwickelte Gesellschaften unterscheiden sich nämlich nicht nur hinsichtlich des Ausmaßes an Korruption beziehungsweise der Gemeinwohlorientierung ihrer Institutionen, sondern auch darin, wie viel Solidarität, Reziprozitätsbereitschaft, Vertrauen und Kooperationsmöglichkeiten ihre Mitglieder füreinander und für die Gesellschaft im Ganzen (und nicht nur für die Familie innerhalb ihres jeweiligen Clans) aufbringen können.

Je höher das Ausmaß an gesamtgesellschaftlicher Solidarität, je größer die Bereitschaft Fremder, einander zu trauen und zu helfen, und je größer die informelle Verpflichtung auf gesellschaftliche Normen, desto höher das Komplexitätsniveau einer Gesellschaft. Sollte es wirklich stimmen, dass Solidarität im Rückgang begriffen ist, stehen damit der gesellschaftliche und ökonomische Fortschritt auf dem Spiel.

CORNELIA KOPPETSCH

Heinz Bude: "Solidarität". Die Zukunft einer großen Idee.

Carl Hanser Verlag, München 2019. 176 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Dieses Buch ist ein wichtiger Kompass für die Menschen, die das Politische wieder in seinem Ursprung verstehen wollen." Sigmar Gabriel, Tagesspiegel, 30.04.19

"Budes Buch ist voller verblüffender Denkanstöße und offener Fragen. Eine großartige Leistung ist die Verschränkung von Fallvignetten und Konzepten und die Emphase, mit der er die Analyse vorantreibt." Cornelia Koppetsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.05.19

"Budes kurzer Abstecher in die Entwicklungspsychologie und Evolutionsanthropologie ist äußerst anregend ... und ein ausgezeichneter Ausgangspunkt, um nach Antworten zu suchen." Klaus Nüchtern, Falter 12/19

"In kurzen, geschliffen formulierten Kapiteln analysiert Bude die Kräfte, die in der "merkwürdigen Periode des Neoliberalismus" die alten Solidargemeinschaften zersetzt haben. Brillant ist vor allem die Darstellung der schönen neuen Arbeitswelt, die ganz auf das "Psychogramm des Selbstständigen" zugeschnitten ist." Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, 31.03.19

"Es gibt in seinem Buch anrührende, meditative Passagen, in denen er mit Bezug auf den Existenzialisten Albert Camus ein neues, zärtliches Weltempfinden einfordert. Und es gibt schroffe, analytische Passagen, in denen er unsere aktuellen Schwerfälligkeit in Sachen Solidarität auf den Grund geht." Christian Buß, Spiegel Online, 21.03.19