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Eine neue Ethik der Fürsorge
Dieses Buch macht all denen Mut, die sich tagtäglich um ihre Patienten sorgen. Es zeigt ihnen auf, wie wertvoll und unverzichtbar ihre Tätigkeit ist. Denn in der Heilkunde geht es immer um alles. Es geht um Entscheidungen, die sich auf die ganze Biografie eines Menschen auswirken. Dass dabei heute die Ökonomie vorherrscht, widerspricht den Werten, die Grundlage des Heilens sind. Giovanni Maio plädiert daher für eine Rückbesinnung auf Werte wie Geduld, Behutsamkeit, Reflexivität und Demut, ohne die Fürsorge für den Menschen nicht möglich ist.
Ein Buch über
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Produktbeschreibung
Eine neue Ethik der Fürsorge

Dieses Buch macht all denen Mut, die sich tagtäglich um ihre Patienten sorgen. Es zeigt ihnen auf, wie wertvoll und unverzichtbar ihre Tätigkeit ist. Denn in der Heilkunde geht es immer um alles. Es geht um Entscheidungen, die sich auf die ganze Biografie eines Menschen auswirken. Dass dabei heute die Ökonomie vorherrscht, widerspricht den Werten, die Grundlage des Heilens sind. Giovanni Maio plädiert daher für eine Rückbesinnung auf Werte wie Geduld, Behutsamkeit, Reflexivität und Demut, ohne die Fürsorge für den Menschen nicht möglich ist.

Ein Buch über Werte, die verloren zu gehen drohen und die doch für viele der Motor waren, sich für einen Heilberuf zu entscheiden.
Autorenporträt
Giovanni Maio, geboren 1964, ist Philosoph und Arzt mit langjähriger klinischer Erfahrung. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Medizinethik an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität und leitet außerdem das dortige interdisziplinäre Ethikzentrum. Giovanni Maio ist langjähriger Berater der Deutschen Bischofskonferenz, der Bundesregierung und der Bundesärztekammer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.02.2019

Rückkehr zum Treueverhältnis

Giovanni Maio ruft zum Aufstand der Heilberufe auf, verschweigt aber den Missbrauch, den viele Patienten am Gesundheitssystem begehen.

Medizin und Geld stehen schon immer in einem gespannten Verhältnis - Heilen ist kein Geschäft wie andere Dienstleistungen, auch wenn private Unternehmer dies gelegentlich weismachen wollen. Patienten verhalten sich nur dann wie Kunden, wenn sie nicht bedrohlich krank sind. Gesundheit kann man nicht herstellen, und doch wird die medizinische Praxis, vornehmlich in den Kliniken, von Managern dirigiert. Medizinisches Denken, Einfühlungsvermögen, sorgfältige Beobachtung und der geduldige Blick auf das Prozesshafte jedes Krankheitsverlaufs finden im System der optimierten Abläufe moderner Kliniken immer seltener Beachtung. Patienten werden in ein Prokrustesbett aus vorgegebenen Liegezeiten und Behandlungsalgorithmen gezwängt. Diese "zeitverknappende Ökonomisierung und Industrialisierung" steigere nicht die Effizienz, beklagt der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio. Vielmehr zerstöre sie die "Ermöglichungsbedingungen von Medizin".

Da helfen auch die Sprüche nicht, mit denen Kliniken behaupten, der Patient stünde im Mittelpunkt. Wer mit wachem Blick durch Krankenhäuser geht, wird vieles von dem, was Maio beklagt, bestätigt finden. Es ist das Geschäftsmodell privater Betreiber von Krankenhäusern, das Fachpersonal zu reduzieren. Die Verbliebenen werden es schon irgendwie richten. Dass die Gesundheitspolitik jetzt gegensteuern will, bestätigt nur Maios Analyse.

Das soeben beschlossene Gesetz zur Stärkung der Pflege in Kliniken droht dieses Geschäftsmodell zu unterlaufen. Denn jetzt werden Kosten für das Pflegepersonal aus den Fallpauschalen herausgerechnet und gesondert entsprechend der Zahl eingesetzter Fachkräfte erstattet. Da bricht der Eckstein der Umsatzrendite weg. Doch geht Maio fehl, wenn er suggeriert, Manager und Politiker seien alleinige Verursacher der Krise im Gesundheitswesen. Er unterstellt, die Vertreter der Heilberufe, Pflegende und Ärzte, seien derart sozial orientiert, dass alles besser wäre, wenn man sie nur machen ließe.

Pflegende und Ärzte starteten fast ausnahmslos mit einer "prosozialen" Einstellung in den Beruf, die ihnen dann ausgetrieben werde, weil sie vornehmlich ökonomischen Vorgaben Folge zu leisten hätten. Damit gehe eine fatale Entakademisierung und der Verlust der Berufsfreiheit einher. Maios Beschreibung der Gefährdungen der medizinischen Praxis ist nur die halbe Wahrheit. Denn auch die Heilberufe haben Anteil am Dilemma der Medizin in reichen Ländern, die ständig über finanzielle Engpässe klagt. Die Ausgaben für Gesundheit in Deutschland belaufen sich auf mehr als eine Milliarde Euro - täglich. Tendenz steigend. Annähernd vierhundert Milliarden Euro pro Jahr sind ein hübsches Sümmchen.

Und wenn das nicht ausreicht, dann wird doch offensichtlich zu viel oder das Falsche gemacht. Es sind Ärzte, die Patienten die als IGeL-Leistungen bezeichneten und von den Krankenkassen nicht gedeckten Dienste und Behandlungen verkaufen, deren Nutzen als überflüssig zu bezeichnen oft beschönigend ist. Die Zeit zum Überreden der Patienten könnte man durchaus nutzen zur Reflexion und empathischen Kommunikation, woran es - da hat Maio recht - oft mangelt.

Der Autor verschweigt den massiven Missbrauch solidarischer Gesundheitsversorgung, der auf das Konto vieler Patienten und Personen geht, die sich für solche halten. Sie sind ebenso schuld am drohenden Kollaps des Systems. Es genügt der Verweis auf Abertausende von nächtlichen Konsultationen in Notfallambulanzen wegen körperlicher Unbill, die man sich scheut, Krankheit zu nennen. Bei mehr als fünfhundert Millionen Arztkontakten im Jahr in Deutschland fragt man sich, woher denn die vielen Krankheiten kommen sollen.

Diese Einwände schmälern nicht Maios Verdienst, Missstände im Medizinbetrieb zu benennen. Doch weitaus größeren Gewinn zieht der Leser aus der Lektüre des zweiten Teils von Maios Buch. Dort entwickelt der Autor das, was die Identität der Heilberufe ausmacht - oder ausmachen sollte. Die vom Verlag versprochene "neue Ethik der Sorge für die Heilberufe" mag man als verkaufsfördernde Irreführung durchgehen lassen. Denn stark ist Maio, weil es ihm weniger um neue Werte als um alte Tugenden geht, die es wiederzuentdecken gilt, soll die Medizin ihrem Auftrag gerecht werden.

Maio setzte sich bewusst ab vom Mainstream der Medizinethik, für den sich das fachliche Räsonnement nicht selten in einer schlichten Abwägung von Interessen und Prinzipien erschöpft. Maio dagegen reiht sich ein in die Tradition der Medizinphilosophen vom Schlage des vor wenigen Jahren verstorbenen Edmund Pellegrino. Sie erinnern daran, dass gute Ärzte ohne Tugenden nicht zu haben sind.

Was Maio zu den für die Ausübung der Heilkunst notwendigen Tugenden schreibt, möchte man jungen Assistenz- und Chefärzten ebenso an das Herz legen wie alten Hasen. Letztere kann die Lektüre vor einer auch unter Ärzten nicht selten anzutreffenden déformation professionelle bewahren helfen: Maios Einlassungen zur Sorgfalt, zu Geduld und Takt als unabdingbare Voraussetzung für eine gelingende Beziehung von Ärzten zu ihren Patienten sind keine Neuentdeckungen, aber bedeutsam. Und er hat recht, wenn er in Erinnerung ruft, dass die Sorge um die Patienten, die Übernahme jedes Falles, ein Treueverhältnis voraussetzt: zum kranken Menschen wie zum sozialen Auftrag.

Maios Ausführungen sind von eingehender Kenntnis der Sozialphilosophie grundiert. Die Liste angeführter Autoren reicht von Roland Barthes, der Bemerkenswertes zur Kunst des Zuhörens schrieb, über Hans-Georg Gadamer, Karl Löwith, Helmut Schelsky, Helmuth Plessner ("Zur Hygiene des Takts") und Romano Guardini. Giovanni Maio hat schon recht: Die Rückbesinnung auf Tugenden ist Voraussetzung für einen Aufstand der Heilberufe. Und ein solcher ist überfällig, soll sich im Medizinbetrieb endlich Grundlegendes ändern.

STEPHAN SAHM

Giovanni Maio: "Werte für die Medizin". Warum die Heilberufe ihre eigene Identität verteidigen müssen.

Kösel Verlag, München 2018. 208 S., geb., 22,- [Euro].

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