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»Mein Ururopa Arva Fargo war zur Goldsuche nach Alaska abgehauen. He ran off to the Yukon. He ran off to the Klondike. Eine Geschichtsscherbe, hervorgekramt, ratlos zurückgelegt.« Mehr als hundert Jahre nach ihrem Vorfahren macht sich Isabel Fargo Cole von Deutschland auf nach Alaska, von dort über Seattle Richtung Kalifornien, auf den Spuren Arva Fargos und dessen fieberhafter Suche nach dem Gold - Fluch und Segen so vieler Biografien des 'vergoldeten Zeitalters' Ende des 19. Jahrhunderts. Die 'Geschichtsscherben', die sie nicht nur in den verlassenen Claims findet, fügt sie zu einem…mehr

Produktbeschreibung
»Mein Ururopa Arva Fargo war zur Goldsuche nach Alaska abgehauen. He ran off to the Yukon. He ran off to the Klondike. Eine Geschichtsscherbe, hervorgekramt, ratlos zurückgelegt.« Mehr als hundert Jahre nach ihrem Vorfahren macht sich Isabel Fargo Cole von Deutschland auf nach Alaska, von dort über Seattle Richtung Kalifornien, auf den Spuren Arva Fargos und dessen fieberhafter Suche nach dem Gold - Fluch und Segen so vieler Biografien des 'vergoldeten Zeitalters' Ende des 19. Jahrhunderts. Die 'Geschichtsscherben', die sie nicht nur in den verlassenen Claims findet, fügt sie zu einem vielstimmigen Recherche- und Reisetagebuch in ein fremdes, scheinbar unermessliches Land zwischen Ost und West, zwischen Ausbeutung und Bewahrung. Denn die größte Exklave der Welt ist zwar dünn besiedelt, doch wie kaum ein anderer Landstrich von Fantasien ursprünglicher Wildnis und verborgener Reichtümer besetzt.
Coles Expedition führt tief in die Schürf- und Abgründe des amerikanischen Traums, der mit seinen wirkmächtigen Versprechen bis heute Menschenmassen anzieht und wieder ausspuckt: abenteuerliche Glücksritter, Vagabunden und Helden verblasster Zeitungsmeldungen. Was sie dabei zu Tage fördert, ist wertvoller als Gold: ein erzählerisch-essayistisches Schürffeld voller Geschichten und Reflexionen über ein Grenzland fremder Heimat.
Autorenporträt
Isabel Fargo Cole, geb. 1973 in Galena, Illinois, wuchs in New York auf. Seit 1995 lebt sie in Berlin als Autorin und Übersetzerin aus dem Deutschen, u.a. von Annemarie Schwarzenbach, Wolfgang Hilbig, Franz Fühmann, Alexander Kluge und Adalbert Stifter. Zuletzt veröffentlichte sie in der Edition Nautilus die Romane Die grüne Grenze, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse, und Das Gift der Biene.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen kunstvollen Essay über die Lügen der Ahnen und den Kapitalismus sieht Rezensent Felix Stephan in diesem Buch von Isabel Fargo Cole, die in Alaska den Spur ihres Ururgroßvaters folgt. Die Recherche entlarve den Klondike-Goldrausch des späten 19. Jahrhunderts als Fake. Stephan staunt: Ein windiger Journalist jazzte den Yukon hoch. Geld wurde aber nicht mit dem glänzenden Metall gemacht, sondern mit dem Profit, den Lebensmittelhändler und Walfänger durch die Glückssucher erzielten. Stephan weist besonders auf die Haltung von Cole hin: Sie beschreibe, was sie erkundet hat, nicht aus der Position der moralisch überlegenen Spätgeborenen, sondern versuche Menschen und Zeit zu verstehen. Wobei ihn auch die sprachliche Kunstfertigkeit tief beeindruckt, mit der die in Berlin als Übersetzerin lebenden Cole Landschaft beschreibt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2022

Lügen der
Ahnen
Ein Kunstwerk: Isabel Fargo Coles
brillanter Essay „Die Goldküste“
verbindet Reiseerzählung, Anthropologie
und das Nachdenken über das Klima
VON FELIX STEPHAN
Kurz nach dem Konkurs der amerikanischen Krypto-Börse FTX, erzählte der Autor David Wallace-Wells in der New York Times diese Geschichte: In einem Videocall mit potenziellen Investoren hatte der FTX-Gründer Sam Bankman-Fried einmal seine Vision für sein Unternehmen beschrieben als „Markt für alles bis hin zu und inklusive Bananen“, während er gleichzeitig auf seinem Rechner an einer Runde des Multiplayer-Games „League of Legends“ teilnahm.
Als das auffiel, schrieb einer der Investoren „Ich liebe diesen Gründer“ in den Gruppenchat, woraufhin ein anderer ergänzte: „10 out of 10“. Die Verluste dieser Großinvestoren im Zuge der FTX-Pleite bewegen sich heute nicht selten im dreistelligen Millionenbereich. „Welche Stufe des Kapitalismus ist das?“, fragte David Wallace-Wells.
Die Autorin Isabel Fargo Cole würde wahrscheinlich antworten: Immer noch genau dieselbe Stufe, die auch schon den Klondike-Goldrausch am Ende des 19. Jahrhundert ausgelöst hat. Dramaturgisch sind die beiden großen Runs auf das physische Gold im 19. Jahrhundert und das digitale Gold im 21. Jahrhundert nahezu identisch aufgebaut, weshalb sich unbestimmt die Ahnung aufdrängt, dass es sich um jeweils eine Variante desselben Stückes handelt.
Im Jahr 2018 reiste Isabel Fargo Cole, die als Übersetzerin in Berlin lebt, nach Alaska, um sich dort auf die Spuren ihres Ururgroßvaters Arva Cole zu begeben, der einst seine Familie verlassen hatte, um am Yukon sein Glück zu finden. Ihre Nachforschungen ergeben allerdings schnell, dass der Goldrausch vor allem eine große Aneinanderreihung von Fakes, Betrug und rücksichtslosen Geschäftspraktiken gewesen ist.
„Schon der Klondike-Rausch war eine Inszenierung des Publizisten Erastus Brainerd gewesen“, schreibt Fargo Cole. Dieser Spross der Ostküstenelite – Kupferstichkurator, Salonlöwe, Zeitungsmann – leitete das Informationsbüro der Handelskammer von Seattle und als am 17. Juli 1897 ein Dampfer mit Klondike-Gold im Wert von 700 000 Dollar eintraf, ließ er die Nachricht überall verbreiten, um Seattle als das „Tor zum Yukon“ zu positionieren.
An der amerikanisch-kanadischen Grenze musste jeder Goldsucher nachweisen, dass er eine Tonne Proviant dabei hatte, weil die Kanadier verhindern wollten, dass die Leute ihnen reihenweise in den Bergen verhungerten, und diesen Proviant kauften sie in Seattle ein: „Jeder der 70 000 Argonauten, die von Seattle ins Yukon-Gebiet aufbrachen, gab schätzungsweise 1000 Dollar aus – insgesamt 70 Millionen Dollar, die in die Stadtkasse flossen“, schreibt Fargo Cole.
Als die Walfänger das Prinzip verstanden, fingen sie an, aus den Goldsuchern ihr Personal zu rekrutieren. Sie warben mit kostenlosen Überfahrten zu den Goldadern in Alaska, fuhren ihre Passagiere aber stattdessen in die Walfanggebiete aufs freie Meer hinaus, wo diese dann die Gelegenheit bekamen, sich mit schwerer körperlicher Arbeit Essen und Wasser und womöglich eine Heimfahrt zu verdienen. Schiffskapitäne streuten Gerüchte von Goldfunden auf irgendwelchen Inseln, luden dort hunderte Abenteurer ab und stellten ihnen, wenn sie im Begriff waren zu verhungern, die teure Heimfahrt in Rechnung.
Die amerikanische Großerzählung vom schnellen Reichtum legitimiert stillschweigend den Betrug, es sind von Anfang an zwei Seiten derselben Medaille. Daraus geht die Sozialfigur des Grifters hervor, des Schwindlers, der wegen seiner Hartnäckigkeit und seines Einfallsreichtums durchaus auch in den bürgerlichen Kreisen anschlussfähig ist. Isabel Fargo Cole notiert: „In Whitehorse am Yukon, Endstation der Bahn, eröffnete Friedrich Trumpf 1900 das Arctic Hotel and Restaurant, die beste Gaststätte der Gegend und verkapptes Hotel.“ Der Großvater von Donald Trump, der noch das pfälzische f am Namen trug, hatte begriffen, dass das sicherste Geld zu bekommen war, wenn man nicht die Berge anbaggert, sondern die Schürfer: „Schon ein Jahr später hatte er eine ordentliche Summe zusammen, konnte als angesehener Mann nach Kallstadt/Pfalz zurückkehren, mit einer neuen Braut nach New York aufbrechen und ein Immobilienimperium gründen.“
Klingt da eine leise Enttäuschung durch, dass ihr eigener Vorfahr auch zu jenen gehörte, die sich so naiv haben ausnehmen lassen? Der Familienüberlieferung nach hat er auf seiner Goldsuche so viele Schulden angehäuft, dass die Familie das Weingut in Kalifornien verkaufen musste. Implizit handelt das Buch in diesem Sinne vom Urteilen über vorangegangene Generationen, eine moralische Übung, der auch in Deutschland derzeit wieder mit erhöhtem Elan nachgegangen wird.
Fargo Cole ist der Impuls bestens vertraut: Aus dem Flugzeug, das sie von Berlin nach Alaska bringt, schaut sie bang auf das Packeis, das sich von den Rändern her auflöst. Sie begreift sich als Teil eines Milieus, das hoffe, seiner „Zeit so weit voraus zu sein, dass wir das Urteil unserer Enkel nicht zu fürchten brauchen“.
Als Hannah Arendt ihre Berichte vom Eichmann-Prozess veröffentlichte, bekam sie oft zu hören, dass niemand sich ein Urteil bilden könne, der nicht dabei gewesen sei. Darauf erwiderte Arendt, dass es zu diesem Zweck allgemeine moralische Normen gebe und vielmehr das Gegenteil wahr sei: Wer dabei war, während diese Normen schleichend ausgehöhlt wurden, sei es durch Hierarchien, Befehlsketten oder die Macht der öffentlichen Meinung, könne gerade kein ungetrübtes Urteil treffen.
Isabel Fargo Coles schaut mit einem anderen Interesse auf ihren Ururgroßvater und seine Generation. Sie sucht nicht nach belastenden Indizien, sondern nach Argumenten für die Verteidigung. Das ist gewiss der steilere Weg, die Generation gilt allgemein schwerster Vergehen als schuldig: Die indigenen Völker Alaskas wurden ihres Landes, ihrer Kultur und in unzähligen Fällen ihres Lebens beraubt. Selbst die antikapitalistischen und umweltbewussten Bewegungen um 1900 waren durchzogen von Rassisten und Eugenikern. Und auf den Gipfeln schmelzen die Gletscher.
„Welcher Unschuld trauern wir eigentlich nach, wenn wir die virale Verbreitung der Lügen, den Verlust einer gemeinsamen Realität beklagen?“, fragt Fargo Cole an einer Stelle, „Eine einfachere, unschuldigere Zeit – das ist ja nur ein reaktionärer Traum. Die Schwindler von damals haben ihre Mitmenschen ins Verderben gelockt, mit Gerüchten aufgehetzt. Mangels Kontrollierbarkeit war man ihnen noch hilfloser ausgeliefert.“
Die Unschuld dieser Zeit lag woanders: „Nicht etwa, dass sie in einer heilen Welt des Konsenses und der Objektivität lebten, sondern dass sie den Anspruch darauf erst gar nicht besaß. Für sie war es selbstverständlich, sich entlang der großen Terra incognita zu bewegen.“ Dieses Bewusstsein hat sich der Mensch, der alles googlen kann, nun so weit abgewöhnt, dass er sich in den Menschen des 19. Jahrhunderts kaum mehr hineinversetzen kann. Die terra incognita gibt es indes immer noch, sie ist nur nicht auf Landkarten zu finden, sondern bei Werner-Herzog-artigen Naturerfahrungen: gigantische Gipfel, die von einem Moment zum anderen im Nebel auftauchen, Grizzlys am Flussufer.
Die Landschaftsbeschreibungen sind die sprachlich die stärksten Momente in Fargos Essay: „Dunkle Ufer trennen zwei leuchtend graue Schichten – Wasser und Dunst. Es nieselt, Feuchte schmiegt sich an. Weiße Nebelsträhnen, Archipele des Wolkenfestlands.“ Die künstlerische Leistung dieses Textes besteht nicht zuletzt darin, dass er seinen Gegenstand selbst immer rätselhafter und uneindeutiger werden lässt, je gründlicher er ihn untersucht und je weiter er doch eigentlich zur Wahrheit vordringen müsste. Die Geschichten, die sich die Familie über Arva erzählt, erweisen sich als fadenscheinig, die Quellen lückenhaft, die Bilder in den Archiven manipuliert.
Als ihr Großvater einmal Vorfahren in New Bedford, Massachusetts, erwähnt, dem Ort, an dem in Melvilles „Moby Dick“ Ishmael bei Kapitän Ahab anheuert, fragt sich die Autorin, ob sie möglicherweise von Walfängern abstamme. Damit wäre die tiefe Verwurzelung im amerikanischen Boden, um die sie der Verlust des Weingutes gebracht hat, zumindest kulturell wieder hergestellt. Der Fake und der Fakt, heißt es einmal, gingen möglicherweise auf dieselbe lateinische Wurzel zurück: facere, machen.
Isabel Fargo Cole:
Die Goldküste.
Eine Irrfahrt.
Reihe Naturkunden.
Matthes & Seitz,
Berlin 2022.
367 Seiten, 38 Euro.
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