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Drei Generationen von Frauen versuchen verzweifelt einander zu retten. Nach dem New-York-Times-Bestseller "Die Klarheit" schreibt Leslie Jamison auch in ihrem ersten Roman über Sucht.
Als junge Frau läuft Tilly von zu Hause weg und landet in der schäbigen Unterwelt Nevadas, wo sie statt des großen Glücks nur Drogen, Alkohol und die falschen Männer findet. Eines Tages, nachdem Tilly beinahe dreißig Jahre lang keinen Kontakt zu ihrer Familie hatte und sich in einem Trailerpark in der Wüste fast zu Tode getrunken hat, steht ihre Nichte vor der Tür ihres Wohnwagens und zwingt sie zu einem…mehr

Produktbeschreibung
Drei Generationen von Frauen versuchen verzweifelt einander zu retten. Nach dem New-York-Times-Bestseller "Die Klarheit" schreibt Leslie Jamison auch in ihrem ersten Roman über Sucht.

Als junge Frau läuft Tilly von zu Hause weg und landet in der schäbigen Unterwelt Nevadas, wo sie statt des großen Glücks nur Drogen, Alkohol und die falschen Männer findet. Eines Tages, nachdem Tilly beinahe dreißig Jahre lang keinen Kontakt zu ihrer Familie hatte und sich in einem Trailerpark in der Wüste fast zu Tode getrunken hat, steht ihre Nichte vor der Tür ihres Wohnwagens und zwingt sie zu einem Neuanfang. Der Gin-Trailer erzählt die Geschichte der eigentümlichen Beziehung, die zwischen den beiden entsteht. Ein großer Roman über Sucht und Ausweglosigkeit, über echte Verzweiflung und die flüchtigen hellen Augenblicke, die so schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind.
Autorenporträt
Leslie Jamison, geboren 1983 und aufgewachsen in Los Angeles, ist die Autorin von "Die Empathie-Tests. Über Einfühlung und das Leiden anderer" (2015), "Die Klarheit" (2018) und dem Roman "Der Gin-Trailer" (2019). Sie schreibt u. a. für die New York Times, The Atlantic und Harper's, leitet das Non-Fiction-Programm der Columbia University und lebt mit ihrer Familie in New York.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Zwischen Himmel und Fenster
Leslie Jamisons schmerzvolles Debüt „Der Gin-Trailer“
Nachdem schon alles mehrfach den Bach runtergegangen ist, dann wieder etwas hoch, dann wieder runter, dann wieder etwas hoch, dann wieder ganz runter, nachdem man sich durch sehr viel Erbrochenes und Fruchtwasser, Tränen und Blut gequält hat, springt einem eine Frage entgegen, die den Impuls auslöst, das Buch gegen die Wand zu schmeißen und laut „Ja, warum denn nicht!!“ zu rufen. Da steht also: „Monate später erzählte sie mir von einem Vogel, der sich mal in ihren Trailer verirrt hatte, und genauso sah sie aus in ihrem lachhaften Aufzug: wie ein Tier, das gegen Fenster klatscht, etwas, das man gleichzeitig mitleidig und ekelerfüllt betrachtet. Warum nur erkannte es den Unterschied zwischen Fensterscheibe und Himmel nicht?“
Sie, damit ist Tilly gemeint, eine mittelalte schwere Alkoholikerin. Die, die sich die Frage stellt, ist Tillys Nichte Stella, die alles versucht, um ihre Tante trocken zu bekommen, um ihr zu helfen. Die Szene die sie hier beschreibt, findet statt am Morgen von Tillys erstem Arbeitstag in einem Job, den ihr Stella verschafft hat. Die Klamotten, die sie anhat, sehen furchtbar aus, vor allem sehen sie an ihr furchtbar aus, denn Tillys Körper ist nur mehr eine unförmige Masse Fleisch mit ein paar Haaren. Weil Tilly aber so stolz ist, bestätigt Stella ihr, wie gut sie darin aussehe. Und fragt sich insgeheim: Wie kann es sein, dass sie den Unterschied zwischen Fensterscheibe und Himmel nicht sieht und immer wieder dagegenklatscht? Es ist genau diese Frage, die einen beim Lesen nicht mehr loslassen wird, die einen verzweifeln lässt und gleichzeitig dazu führt, dass man sich den Figuren immer enger verbunden fühlt. Warum gibt es keinen Ausweg aus dem Elend für sie?
Mit dieser Härte und Aussichtslosigkeit ist der Ton gesetzt für Leslie Jamisons Debütroman „Der Gin-Trailer“, der im Original schon 2010 erschien und jetzt von Kirsten Riesselmann ins Deutsche übersetzt wurde. Dass man sich überhaupt die Mühe gemacht hat, ein Erstlingswerk nach fast zehn Jahren in Deutschland zu veröffentlichen, liegt daran, dass Jamison mit den zwei nachfolgenden Büchern großen Erfolg hatte. Die „Empathie-Tests“, autobiografisch-literarische Essays, in denen Jamison der Frage nachgeht, wie es gelingen kann, den Schmerz eines anderen Menschen nachzuvollziehen, waren ein Bestseller in den USA. Letztes Jahr erschien „Die Klarheit“, eine 600 Seiten starke Abhandlung über den Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Literatur und damit auch über ihre eigene Alkoholabhängigkeit.
Sucht und Schmerz – das sind auch die beiden Hauptthemen in „Gin Trailer“, nur eben in Form eines Roman und nicht in der von Essays. Um es gleich zu sagen: Es verwundert nicht, dass Jamison erst mit ihren Essays der Durchbruch gelang und ihr Debüt im Vergleich dazu wenig Beachtung fand. Gerade, wenn komplizierte Sprachbilder bemüht werden, was leider zu oft passiert, ist der Roman am schwächsten. Wenn Jamison hingegen schlicht und sachlich das Elend ihrer Figuren beschreibt, entsteht ein Sog, dem man sich nur zu gerne entziehen würde – vergeblich.
Da ist also Tilly, die eigentlich Mathilda heißt. Als Kind wird sie vergewaltigt, als Jugendliche haut sie von zu Hause ab, flieht von Los Angeles in trostlose Vororte, wo sie sich prostituiert und zu trinken beginnt. Es sind die späten 60er, und die neue Freiheit, die überall winkt, bedeutet für manche eben auch Freiheit zur Selbstzerstörung. Tilly will nach Hause zurückkehren, doch die Mutter weist sie ab, und so landet sie schließlich in einem Wohnwagen in Nevada, in der Wüste, allein. Der Gin hilft ihr. Sie bekommt ein Kind von einem Freier. Und Tilly trinkt und trinkt und trinkt.
In diesem völlig verwahrlosten Zustand wird sie Jahrzehnte später von ihrer Nichte Stella gefunden. Stella lebt eigentlich ein geiles Leben in New York, alles was in ihrem Leben wichtig ist, sieht gut aus: die Freunde, die Liebhaber, die Cocktails. Mit alldem versucht sie vergeblich ihre Wunden zu kaschieren, die Magersucht, den Selbsthass, den Ekel vor dem eigenen Körper. Der Tod der Großmutter reißt sie raus, und sie nimmt sich vor, die Tante Tilly aufzusuchen, über die alle in der Familie schweigen, und von der sie nur weiß, dass sie in einem Wohnwagen irgendwo in Nevada lebt.
Die Geschichte, wie die Nichte aus New York die kaputte Tante in der Wüste findet und die beiden dann aufbrechen, um vielleicht doch noch ein neues, gutes Leben zu finden, wird immer abwechselnd von den beiden Figuren erzählt. Ein Kapitel aus der einen, ein Kapitel aus der anderen Perspektive. Das macht das Ganze nicht nur spannender, sondern auch noch brutaler, noch unbarmherziger, weil man das kleine Glück der einen schon im nächsten Kapitel als Unglück der anderen gespiegelt bekommt.
Warum also erkennt Tilly den Unterschied zwischen Fensterscheibe und Himmel nicht? Jamison hat selbst zu oft am Abgrund gestanden und den letzten Schluck aus der Flasche genommen, um eine einfache Antwort darauf zu geben. Klar, der Alkohol. Aber hinter jeder Suchtgeschichte steckt eine Lebensgeschichte. Jamison hat in ihren Sachbüchern versucht, Schmerzen verständlich zu machen. In der fiktiven Geschichte von Tilly und Stella aber wird der Schmerz nicht nur verständlich, sondern spürbar. Das ist eine völlig andere Herangehensweise. Mag sein, dass sie als Romanschriftstellerin nicht so gut ist, wie als Essayistin. Trotzdem verdammt gut, dass sie diesen Roman geschrieben hat.
XAVER VON CRANACH
Es sind die späten 60er, und die
neue Freiheit bedeutet eben auch
Freiheit zur Selbstzerstörung
Leslie Jamison:
Der Gin-Trailer. Roman.
Aus dem Englischen
von Kirsten Riesselmann. Hanser Berlin,
München 2019.
352 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Stella ist eine erstaunliche Figur, eine Art moderne Version der so sympathischen wie verlorenen Holly Golightly aus Truman Capotes Frühstück bei Tiffany.« taz. die tageszeitung 20201222