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Das Pariser Leben - Mode, Konsum, Kunst & Geselligkeit - diente den Klassikern in Weimar als steter Gegenpol des eigenen Tuns - und doch bezog ihr Schaffen aus dem vermeintlich Anderen eine bislang ungeahnte Inspiration.Goethe war nie in Paris. Die Kultur der im späten 18. Jahrhundert tonangebenden französischen Metropole scheint am klassischen Weimar insgesamt vorbeigegangen zu sein: Die Klassiker, so schien es bislang, bezogen ihre literarische Inspiration und künstlerische Bildung in erster Linie aus dem »antiken« Süden, etwa Rom. Mit dieser Vorstellung aber, so zeigt Boris Roman Gibhardt,…mehr

Produktbeschreibung
Das Pariser Leben - Mode, Konsum, Kunst & Geselligkeit - diente den Klassikern in Weimar als steter Gegenpol des eigenen Tuns - und doch bezog ihr Schaffen aus dem vermeintlich Anderen eine bislang ungeahnte Inspiration.Goethe war nie in Paris. Die Kultur der im späten 18. Jahrhundert tonangebenden französischen Metropole scheint am klassischen Weimar insgesamt vorbeigegangen zu sein: Die Klassiker, so schien es bislang, bezogen ihre literarische Inspiration und künstlerische Bildung in erster Linie aus dem »antiken« Süden, etwa Rom. Mit dieser Vorstellung aber, so zeigt Boris Roman Gibhardt, ist das Bild der Weimarer Klassik unvollständig. Vielmehr wurde im beginnenden urbanen Zeitalter das Pariser Leben nirgendwo so akribisch als ästhetisches Phänomen studiert wie im klassischen Weimar; fast leidenschaftlich stilisierte man sich als Gegenpol zur Großstadt. Doch dass eine kategorische Abwehr der Pariser Populärkultur - Mode, Konsum, Kunst fürs Publikum - nicht die Antwort auf die längst greifbaren epochalen Veränderungen der Kultur sein konnte, stand auch und gerade Goethe schon früh deutlich vor Augen.Boris Roman Gibhardt zeichnet nicht nur das deutsche Paris-Bild um 1800 am Weimarer Beispiel nach, sondern er deckt auch auf, dass der abwehrende wie faszinierte Einblick in das Dazwischen von Kunst und Konsum die geheime Triebfeder war, mit deren Wirkung sich vom Werther-Roman bis zu Faust II Goethes Begriff des Schönen in seiner bis heute gültigen Gestalt erst entfalten konnte.
Autorenporträt
Boris Roman Gibhardt ist Privatdozent für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Deutsche Philologie an der FU Berlin und ist Kurator für Dichternachlässe bei der Klassik Stiftung Weimar. In den letzten Jahren hatte er Stipendien und Fellowships an der Harvard University, der Stanford University, der Friedrich Schlegel-Graduiertenschule Berlin, dem Institute for Advanced Study Nagoya (Japan), dem Instituto de Estudos Avancados São Paulo, dem Zentrum für Interdisziplinäre Forschung Bielefeld und dem Internationalen Zentrum für Kulturwissenschaften Wien inne. Er ist Mitherausgeber der Deutsch-Französischen Zeitschrift für Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft und Ästhetik »Regards Croisés«. Veröffentlichungen u. a.: Vorgriffe auf das schöne Leben. Weimarer Klassik und Pariser Mode (2019); Nachtseite des Sinnbilds. Die Romantische Allegorie (2018).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.02.2020

Die Welt der Wünsche
Im klassischen Weimar galt die Großstadt als Gegenbild, dennoch wurde die Pariser Mode eifrig studiert
Als der Weimarer Schreiner Johann Martin Mieding im Januar 1782 starb, widmete Goethe seinem Gedenken eine Eloge, wie sie damals, weil barock anmutend, schon aus der Mode gekommen war. Goethe hatte den Handwerker, der unter anderem die Bühnenbilder des kleinen Hoftheaters gestaltet hatte, sehr geschätzt. Dennoch ist das Gedicht etwas anderes als nur eine Totenrede in poetischer Form.
Es enthält eine detaillierte Darstellung des Weimarer Liebhabertheaters und eine halb ernste, halb heitere Huldigung an die Stadt als einen Ort der Wissenschaft und der Kunst: „O Weimar! dir fiel ein besonder Los“, lauten die berühmtesten Zeilen des Gedichts, „Wie Bethlehem in Juda, klein und groß!“ Ironisch ist an diesem Werk vor allem, dass Goethe die Stadt als einen Ort des Scheins darstellt, der schon durch den Tod eines Bühnenbildners erschüttert werden kann. „Wir sind niemals bedeutend gewesen“, lautet dieser Gedanke in prosaischer Form, niedergelegt in einem Brief Goethes an den Verleger Cotta im Herbst 1807, „unsre ganze Bedeutung bestand in einer gegen unsere Kräfte disproportionirten Beförderung der Künste und der Wissenschaften.“
Dieses Bild Weimars ist bis heute lebendig geblieben: dass da tief in der deutschen Provinz eine Stadt lag, die, einem klassischen Bildungsideal verpflichtet, über erstaunlich lange Zeit hinweg einen Gegenpol zu den großen Bewegungen der Zeit um 1800 zu bilden schien, gegen das revolutionäre und dann napoleonische Frankreich, gegen eine Moderne, wie sie sich in London oder dann auch in Berlin herauszubilden begann, gegen den Nationalstaat, die Industrie und das Romantische. In die Antike schien der Weimarer Sinn vielmehr gerichtet, sowie nach Italien, als Vermittlung und Fortsetzung dieses Ideals, nicht aber dorthin, wo man sich mit den „Konflikten und Gärungen des augenblicklichen Tages“ (Goethe) herumzuschlagen hatte. Diesem Bild, genauer: dieser Polarität widerspricht nun der Berliner Germanist Boris Roman Gibhardt in einer groß angelegten Studie, die vorgibt, der „Weimarer Klassik und Pariser Mode um 1800“ gewidmet zu sein. Tatsächlich ist dieses Buch weitaus mehr, ein über weite Strecken gelungener Versuch, die schlichte Entgegensetzung durch ein ganzes Geflecht von Bewegungen zu ersetzen, von denen etliche geradewegs nach Paris führten oder von dorther kamen.
Mitten in der „Gegenwelt“ Weimar lebte Friedrich Justin Bertuch, ein Mann von ähnlicher Ausbildung und im selben Alter wie Goethe, doch mit gänzlich anderen Interessen. Bertuch wurde, nachdem er Hofmeister, Übersetzer und Sekretär des Herzogs gewesen war, zum größten Unternehmer der Stadt, zuerst als Fabrikant von Papierblumen, dann auch als Verleger. Beginnend im Jahr 1786 gab er das Journal des Luxus und der Moden heraus, eine Zeitschrift von bald europäischer Bedeutung und die erste Illustrierte überhaupt. Diese trug das „moderne Babylon“ (Friedrich Schlegel) nach Weimar, in Gestalt vor allem von Berichten und Bildern einer sich entfaltenden Warenwelt, in deren Mittelpunkt die jüngsten Moden in Kleidung und Inneneinrichtung standen.
Sie tat es mit einer Wucht und Geschwindigkeit, gegen die jedes Beharren auf klassischen Idealen, auf Natürlichkeit und stiller Größe etwa, offenbar zwecklos war. Zugleich aber war die Zeitschrift mehr als nur eine Agentur flüchtiger Aufregungen. Sie stellte für das Kunsthandwerk ein System des Austauschs und der Übertragung dar, wie es, nach einer Vorstellung Goethes, die „Weltliteratur“ für die Dichtung hätte sein sollen: Es übersetzte Eiche in Kiefer, Marmor in Gips, Seide in Leinen, herrschaftliche Salons in private Wohnzimmer, und vor allem bot es auch die Weimarer Kunstwelt einem internationalen Publikum dar.
Selbstverständlich gab es vor der Revolution auch in Weimar, wie an allen deutschen Höfen, enge Verbindungen nach Paris. Sie galten dem gesamten Apparat der politischen Repräsentation, sie umfassten die Philosophie, die Literatur und darin vor allem Voltaire. Die wichtigen französischen Zeitschriften wurden in Weimar gelesen, an den Kupferstichen aus Paris bildete sich das Kunsturteil. Wenn Goethe und die Seinen diesem Vorbild gegenüber gründliche Vorbehalte hegten, dann aus programmatischen Gründen: „Sie glauben nicht, wie impertinent und vordrängend dieser Pariser Geschmack ist“, schrieb Wilhelm von Humboldt im Februar 1804 an Goethe, offenbar wohl wissend, dass dieser solche Sätze als Bestätigung seiner Vorstellungen von Weimar als eines einsam „leuchtenden Puncts“, als einer kleinen, elitären, am Ideal der Polis ausgerichteten Gemeinschaft verstehen würde.
Goethe war nie in Paris gewesen. Zugleich aber dürfte er, wie Roman Boris Gibhardt schreibt, unter allen Menschen, die nie in Paris waren, die französische Hauptstadt studiert haben wie kaum ein Zweiter. Schon bald nach der Rückkehr aus Italien im Jahr 1788 muss die Orientierung nach Paris die nach Rom abgelöst haben, auch wenn es in der französischen Hauptstadt keinen Winckelmann gab, der als Vermittler und nicht zuletzt auch als Erfinder der anderen Welt hätte fungieren können.
Stattdessen suchte Goethe sich Korrespondenten, dirigierte diese durch die Stadt, ließ sich Stiche besorgen, übersetzte Diderots beinahe verloren gegangenen Roman „Rameaus Neffe“ (1805) und konnte sich, einigen tiefen Vorbehalten gegen die Theatralik der Werke zum Trotz, für die damals jüngste Variante des französischen Klassizismus begeistern. Dabei ging er so weit, mehrere Gemälde Jacques-Louis Davids, darunter den „Schwur der Horatier“, im Jahr 1813 als „Bilder-Scenen mit Gesang“ für ein Fest am Weimarer Hof zu inszenieren. Aber war es äußerste Ehre oder die Summe eines Verhängnisses, dass es David d’Angers war, der Skulpteur des Pariser Pantheons, der Goethe im Jahr 1829 als olympischen „Genie-Kopf“ abbildete, als „vieux gaillard“ („alten Kerl“) mit hoher Stirn und flammendem Haar?
Roman Boris Gibhardt kennt nicht nur die Kunst, die Literatur und die Bilder. Er kennt auch die Mode, weiß, dass Chemisenkleider aus Seide oder Musselin gefertigt werden, wobei Letzterer gern einen Eindruck von feuchtem Stoff vermitteln soll. Ihm ist die Mechanik vertraut, mit der David Röntgen seine Schreibtische ausstattete, und es ist ihm bekannt, dass Bordüren letztlich doch aus Frankreich kommen. Die Vertrautheit mit Material und Produktionstechnik ist notwendig, um darzulegen, in welchem Umfang und in welcher Tiefe eine Mode nicht nur die soziale Oberfläche gestaltet und reproduziert, sondern auch ein Reflexionsmedium weit ausgreifender gesellschaftlicher Veränderungen ist.
Deswegen war Bertuchs Journal des Luxus und der Moden mitsamt der darin vorgestellten Waren- und Konsumkultur zwar der Gegenspieler einer klassizistischen Ästhetik, wie sie Weimar regieren sollte, zugleich aber auch nicht. Eine „Zwitterwelt“ tat sich in Bertuchs Zeitschrift auf, die dem Gedanken einer „Arche Noah“ (Wieland) für Kunst und Wissenschaft ebenso verpflichtet war wie den Gesetzen des Marktes.
Goethe war in jungen Jahren selbst Initiator einer Mode gewesen, als Verfasser des „Werther“ (1774), dessen Held so markant in umgeschlagenen Stiefeln, gelben Lederhosen und blauem Frack herumlief, dass sein Autor es ihm nachtat und mit ihm unzählige andere junge Männer. Diese Erscheinung war, so Boris Roman Gibhardt, unmittelbar an die Entwicklung eines noch relativ neuen literarischen Mediums gebunden: an den Roman.
Dieser habe, indem er seine Gestalten den Lesern zur Identifikation anbot, dem Publikum eine ganze Welt der Wünsche eröffnet. Er habe die „freien Geister gleichsam erst erweckt, die sich nun der ästhetischen Erziehung nicht länger fügten“, sondern sich das Material ihrer Selbst-Fiktionalisierung von überallher besorgten, zum Beispiel aus dem Journal des Luxus des Moden. So betrachtet, besitzt die Gestalt des modischen „Werther“ ein direktes Gegenüber in Goethes spätestem Werk, im „Faust. Der Tragödie zweiter Teil“ (1832), genauer: in der Entfesselung des „Mummenschanzes“, als dessen Treibkraft sich bald der Kredit und die Warenwirtschaft entpuppen.
THOMAS STEINFELD
Boris Roman Gibhardt: Vorgriffe auf das schöne Leben. Weimarer Klassik und Pariser Mode um 1800. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 584 S., 49 Euro.
Das bekannte Bild von Weimar
als provinzielles Gegenüber
der Metropolen wird hier revidiert
Durch die Werther-Mode
lernte das Publikum die Technik
fiktiver Selbststilisierung
„O Weimar! dir fiel ein besonder Los“ – Georg Melchior Kraus: „Abendgesellschaft bei Anna Amalia“.
Foto: Wallstein Verlag
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»Bis in alle Verästelungen des kulturellen Lebens und der ästhetischen Diskurse der Zeit hinein spürt der Autor diesem komplexen und nicht selten widersprüchlichen Verhältnis zwischen thüringischer Kleinstadt und französischer Metropole nach.« (Ernest W. B. Hess-Lüttich, Kodikas/Code - International Journal of Semiotics, Juli/Dezember 2018)