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In seinen skeptischen Denkbewegungen, mit denen er die Tradition Aby Warburgs neu begründete, gehörteder Kunst- und Kulturhistoriker Martin Warnke zu den intellektuell prägenden Figuren der späteren Bundesrepublik.Matthias Bormuth widmet ihm einen groß angelegten biografischen Essay. Schon Warnkes Berichte über den »Auschwitz-Prozess« zeigten, dass der junge Rubens-Forscher nicht nur über das Verhüllende in der Kunst nachdachte. Als umstrittener Aufklärer pochte er auf Individuum und Autonomie der Kunst und las Karl Marx gegen den Strich, die HofkünstlerVelázquez und Goya erscheinen bei ihm…mehr

Produktbeschreibung
In seinen skeptischen Denkbewegungen, mit denen er die Tradition Aby Warburgs neu begründete, gehörteder Kunst- und Kulturhistoriker Martin Warnke zu den intellektuell prägenden Figuren der späteren Bundesrepublik.Matthias Bormuth widmet ihm einen groß angelegten biografischen Essay. Schon Warnkes Berichte über den »Auschwitz-Prozess« zeigten, dass der junge Rubens-Forscher nicht nur über das Verhüllende in der Kunst nachdachte. Als umstrittener Aufklärer pochte er auf Individuum und Autonomie der Kunst und las Karl Marx gegen den Strich, die HofkünstlerVelázquez und Goya erscheinen bei ihm als geniale Zeugen einer prekären Wirklichkeit, die sie vieldeutig enthüllen. Seine Schriften und Lebensspuren offenbaren eine Dynamik, deren persönlicher Kern ein vielschichtiges Rätsel bleibt: Auch der Wissenschaftler lebt von der Kunst des Verbergens, die zugleich herausfordert, implizite Botschaften zu erkennen.
Autorenporträt
Matthias Bormuth, geboren 1963, studierte in Marburg und Göttingen Humanmedizin und promovierte über Karl Jaspers. Er ist Inhaber der Heisenberg-Professur für vergleichende Ideengeschichte am Institut für Philosophie der Universität Oldenburg und Vorsitzender der Karl-Jaspers-Gesellschaft. Zuletzt erschien bei Berenberg »Die Verunglückten. Bachmann, Johnson, Meinhof, Améry« (2019).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent und Kunsthistoriker Stefan Trinks preist Matthias Bormuths Biografie über den Kunsthistoriker Martin Warnke. Denn eindrücklich arbeite der Ideenhistoriker Warnkes besondere Relevanz im Kontext der Geistesgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts heraus. So habe sich der 1937 im brasilianischen Ijuí geborene Denker trotz großen "alteuropäischen Wissens" stets neben altehrwürdiger Hochkultur auch mit vermeintlich banalen lebensweltlichen Phänomen wie der Couchecke beschäftigt; mit Aby Warburg als Vorbild, so Trinks. Auch Warnkes starke Skepsis gegenüber Massenmeinungen trete aus Bormuths Darstellung deutlich hervor - als "Kurzschluss-Verweigerer" befriedigte er mit seinen Büchern oft nicht die Erwartungen. Auch aus seiner "politischen Ikonografie", mit der er bekannt wurde, spreche stets eine Neigung zur Pragmatik, abseits des "bloß" Künstlerischen, erklärt Trinks. Eine "enorm bereichernde" Biografie, die der Leserschaft einen der "klügsten deutschen Köpfe" nahebringt, lobt der Kritiker.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2023

Verkappung als Lebensform

Skrupulös: Matthias Bormuth erzählt Leben und Werk des Kunsthistorikers Martin Warnke.

An der Historie des Fachs Kunstgeschichte Interessierte kennen Martin Warnkes zentrale Rolle auf dem Kölner Kunsthistorikertag 1970. Manche haben vielleicht noch den Sprachklang seiner stets ausgefeilten Zeitungsbeiträge im Ohr oder seine Kritik "Zur Situation der Couchecke" an dem seit Biedermeierzeiten in der Ecke der "guten Stube" hausenden Möbelmonster - sonst aber eher nichts von und über diesen Magier der tief bedachten Worte und Ideen gehört. Entstanden ist die Ikonologie der "Couchecke", die Warnke als "geschlossene Zelle" beschrieb, 1979 als Beitrag zu den von Jürgen Habermas versammelten "Stichworten zur ,Geistigen Situation der Zeit'", und es spricht für den Autor, sich schon so früh neben seiner Beschäftigung mit Heroen der Kunst wie Rubens, Goya und Velázquez auch mit dem niedersten, eben nicht höfischen Mobiliar befasst zu haben; worin er dem Kulturwissenschaftler Aby Warburg nachfolgte, den Warnke als einer der Ersten ins Bewusstsein des Fachs zurückrief und der vor hundert Jahren schon Reklamebilder neben Botticelligemälde stellte.

Wenn die Geschichtsmuse Klio eine Restgerechtigkeit kennt, wird die intellektuelle Biographie, die der Oldenburger Ideenhistoriker Matthias Bormuth nun unter dem Titel "Zur geistigen Situation der Couchecke" vorlegt, einen der klügsten deutschen Köpfe des zwanzigsten Jahrhunderts dem Publikum besser bekannt machen. Wobei der vor drei Jahren verstorbene Warnke, 1937 im brasilianischen Ijuí als Sohn eines protestantischen Predigers zur Welt gekommen, eigentlich gebürtiger Neuweltler war.

Dennoch lässt sich wohl kaum ein Kunsthistoriker finden, der mehr alteuropäisches Wissen in sich versammelte und dieses seinen Studenten und Lesern zwangloser zu vermitteln vermochte. Plastisch wird das, wenn Bormuth in seiner dichten Lebensskizze die makellose Rezitation von Goethes "Prometheus" vor der Verwandtschaft in Jena mit der Frage des an den Urwald gewöhnten Siebzehnjährigen enden lässt, was eigentlich Disteln seien. Derartige Brückenphänomene interessieren den vergleichenden Ideenhistoriker Bormuth mehr als eine bloße Erfolgsgeschichte des Begründers der Politischen Ikonographie. Ihn beschäftigt Warnkes unbedingter Wille, protestantisch streng hinter die Worte zu blicken und Bilder gegen den Strich zu lesen - wenig verwunderlich stammen einige der wichtigsten Artikel zu Luthers und Cranachs Bildpolitik von ihm -, gepaart mit der spitzbübisch sokratischen Freude, mehr Fragen aufzuwerfen, als fixe Antworten zu geben.

Warnke interessierten Verunsicherungen in Bildern und in den durch sie verursachten Reaktionen stets am meisten. So verwunderte ihn an seinem frühen Forschungsfokus "Bilderstürme" nicht etwa ihre wiederkehrende Existenz, vielmehr ihr schlechtes Ansehen. Bormuth legt ein starkes Augenmerk auf Warnkes Beschäftigung mit den zyklisch sich ereignenden Ikonoklasmen.

Im Buch erfährt man als Nachgeborener endlich auch, wie isoliert sich Warnke nach seiner mutigen Anprangerung des "braunen Sounds" der Ordinarien ab 1933 auf dem Kölner Kunsthistorikertag 1970 fühlte, nach dem sich der eigene Berufsverband von ihm öffentlich distanziert hatte. Verständlich wird dadurch, warum Warnke aus seiner protestantisch nüchternen Sozialisation heraus jedem Pathos in Stimme und Schrift den Boden zu entziehen und seine Texte von aller Gefühlsduselei und vor allem Parteinahme zu entlasten versuchte - um so die "Freiheit eines Christenmenschen", der er in eigener Sicht als Sohn eines Predigers eher nominell war, wiederzugewinnen. Die heute noch ergreifendste Beschreibung der Auschwitz-Prozesse in Frankfurt, gerade weil sie sich jeder wohlfeilen Empathie enthält und gründlich die Abgründe benennt, stammt aus Warnkes Feder - als junger Journalist begleitete er die Prozesse für die "Stuttgarter Zeitung".

Bei fortschreitender Lektüre von Bornmuths Biographie drängt sich ein Gefühl immer stärker auf: Warnke muss die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts derart internalisiert haben, dass er sich unausgesprochen das antike Motto des "Et si omnes ego non" zu eigen machte. Mit traumhafter Souveränität stellte er sich gegen - nicht nur - wissenschaftliche Mehrheitsmeinungen und hat auf lange Sicht nahezu stets recht behalten. Formal kleidete er das in den Gestus der dissimulatio, niemals im tückisch täuschenden Zwecksinn Macchiavellis, vielmehr im Sinn von Ciceros rhetorischem Entwurf einer sich nie gemeinmachenden, schon sprachlich immer durch Brillanz abweichenden Tendenz zur wachsam kritischen Gegenbewegung, um sich größtmögliche Freiheit zu erhalten. Bormuth webt die von Warnke früh in den ersten drei Semestern Münchner Kunstgeschichtsstudium bei Hans Sedlmayr - mit seinem "Verlust der Mitte" einer der umstrittensten Kunsthistoriker der Nachkriegszeit - angewandte dissimulazione onesta subtil in alle Kapitel ein, vor allem dann mit Blick auf Warnkes Interpretation von Rubens, in dessen sublime Kritik übenden Medici-Zyklus der Dissertant klare Bezüge zur liberalen Staatstheorie des frühen Aufklärers Hugo Grotius aufzeigte. Eine erneute Enttäuschung von Erwartungshaltungen lag darin, dass in den politisch bewegten Sechzigern und Siebzigern ein Großteil des Fachs die sich emanzipierenden Künstler aus Bürgertum und niederen Ständen als Triebkraft einer Evolution der Kunst ansah, Warnke hingegen ganz auf den Hofkünstler fokussierte, der den Herrschenden näher war als seiner eventuell schlichten Herkunft und sich gerade durch diese Augenhöhe mit der Macht zum Souverän der Kunst ermächtigte, weil die Potentaten diesen - ein typisches Warnke-Wort - "frech" agierenden Hofkünstlern nahezu alles verziehen.

Genauso enttäuschte Warnkes Buch "Bau und Überbau" zur mittelalterlichen Architektursoziologie jede Erwartung einer Stärkung des Individuums durch Extraktion von namhaften "Meistern" aus den anonymen Bauhütten der Gotik - der Kurzschluss-Verweigerer Warnke hielt dagegen, dass die Errichtung der riesigen Kathedralen, Brücken und Infrastrukturen ohne generations- und ständeübergreifendes Kooperieren unmöglich gewesen wäre und es eines erheblichen politischen Austarierens bedurfte, welches weit über "nur" künstlerische Belange hinausging - darin wieder Warnkes Vorbild Rubens ähnlich, der als wohlhabend unabhängiger Juristensohn mindestens so sehr Diplomat wie Maler war. Diese Grundsympathie mit dem im Umgang mit Herrschenden gewandten Künstler endete, wo die nötige Distanz zu verheerender Macht fehlte - von den beiden Spaniern Dalí und Picasso war ihm Letzterer, der Franco fern blieb - näher. Sein seufzendes Urteil über Dalí ist aktuell geblieben: "Der Massen-Erfolg, ist nicht mehr auf Seiten der Echten, man muss Schauspieler sein, ihn zu haben."

Bormuths Schilderungen münden folgerichtig in die "Politische Ikonographie", mit der sich Warnke verewigt hat. Wann immer Gebärden auf Bildern von Politikern markant abweichen, werden vernünftigerweise zuallererst seine Bemerkungen konsultiert. Die Lösung, mit der er selbst politisch kontaminierte Werke für die wissenschaftliche Analyse zu retten vermochte, lag dabei in nüchterner Formanalyse: "Der Inhalt, als Ideologie durchschaut und verurteilt, vermag doch die Form nicht mit hinabzureißen; gegen die Lüge des ideologischen Inhalts hält sich in der Form die Hoffnung nach dem Glück der Wahrheit", schreibt Warnke 1962 über einen Walhalla-Vortrag des in der NS-Zeit emigrierten Michelangelo-Forschers Leopold Ettlinger, der ihm 1970 in Köln als Sektionsleiter zur Seite stand.

Warnkes Zettelkasten zur Politikonographie im Hamburger Warburg Haus ist legendär, und der Ursprung all dessen, Warburgs Fächergrenzen lustvoll überspringende Bibliothek und sein Mnemosyne-Atlas gegen das Vergessen des allzu leicht zu Übersehenden, wurde von Warnke mit dem Geld seines Leibniz-Preises gesichert. Bei Warnke, das wird nach Lektüre dieser Darstellung seines Lebenswegs klar, war es nicht nur der von Aby Warburg geforderte "Denkraum der Besonnenheit", den er lebte, als vielmehr ein "Denkraum der Unabhängigkeit", der zu außergewöhnlichen Erträgen an Ideen führte.

Vielen galt Ernst Gombrichs "Intellektuelle Biographie" Warburgs als Krönung ideengeschichtlichen Erzählens im zwanzigsten Jahrhundert. Nun gibt es eine noch aufschlussreichere, nicht nur Kunsthistoriker enorm bereichernde Biographie. STEFAN TRINKS

Matthias Bormuth:

"Zur Situation der

Couchecke". Martin Warnke in seiner Zeit.

Berenberg Verlag, Berlin 2022. 224 S., geb., 25,- Euro.

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