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2016 hat die Duisburger Filmwoche ihre 40. Ausgabe gefeiert, 2017 deren Leiter Werner Ruzicka seinen 70.Geburtstag, 2018 wird er seine Abschiedsvorstellung geben - ein Anlass, um zurückzublicken. Ruzicka wird das Festival dann 33 Jahre lang geprägt haben und damit das Kulturleben von Deutschlands drittärmster Stadt. Ein Gespräch über neue und alte Linke im Ruhrgebiet der 70er Jahre, Leipzig-Reisen vor der Wende und den regionalen wie filmkulturellen Strukturwandel - eine Oral History der (bundes)deutschen Dokumentarfilmgeschichte aus Duisburger Perspektive.

Produktbeschreibung
2016 hat die Duisburger Filmwoche ihre 40. Ausgabe gefeiert, 2017 deren Leiter Werner Ruzicka seinen 70.Geburtstag, 2018 wird er seine Abschiedsvorstellung geben - ein Anlass, um zurückzublicken. Ruzicka wird das Festival dann 33 Jahre lang geprägt haben und damit das Kulturleben von Deutschlands drittärmster Stadt. Ein Gespräch über neue und alte Linke im Ruhrgebiet der 70er Jahre, Leipzig-Reisen vor der Wende und den regionalen wie filmkulturellen Strukturwandel - eine Oral History der (bundes)deutschen Dokumentarfilmgeschichte aus Duisburger Perspektive.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2019

Er dirigierte den Flohzirkus
Werner Ruzicka blickt auf die Duisburger Filmwoche

Von 1985 bis 2018 leitete Werner Ruzicka die Duisburger Filmwoche, unlängst gab er seine Abschiedsvorstellung (F.A.Z. vom 14. November 2018). In diesen dreiunddreißig Jahren ist viel passiert im Dokumentarfilm, im Ruhrgebiet: Zeit, Bilanz zu ziehen, was Ruzicka im Gespräch mit dem Journalisten Matthias Dell und dem Medienwissenschaftler Simon Rothöhler tut. Das mag seinem Temperament und seiner Eloquenz entsprechen: "Oral history", passagenweise auch "oral theory", kenntnisreich und meinungsfreudig.

Die Duisburger Filmwoche gab es 1977 zum ersten Mal, seit 1971 fanden "Filminformationstage" statt. Doch die zeigten noch nicht Dokumentarisches, sondern eine Jahresschau - "Kultur für alle". Die Gewerkschaften waren von Anfang an beteiligt und damit auch die DKP, die als "eine Art U-Boot" kulturpolitisch Einfluss nahm und deren drei Buchstaben heute in einer Fußnote erläutert werden (müssen?). Was das inhaltlich bedeutete und wie sich die Veranstaltung zwischen Universität, Filmclubs, linken Splittergruppen und Residuen der Arbeiterkultur profilierte, davon handelt der erste Teil: Die Filmwoche als Ort des kulturellen Aufbruchs im Ruhrgebiet.

Dabei kommt Ruzicka, der, geboren 1947, als Lehrersohn in Bochum aufgewachsen ist und an der Ruhr-Universität studiert hat, auf Milieus und Machtstrukturen zu sprechen - und zu originellen Einsichten über die besonderen Kommunikations- und Lebensformen im Schatten der Zechen und Stahlwerke. Als dezentrale, traditionsschwache Region ohne Kohärenz charakterisiert er einmal mehr das Revier, dessen "mythenbeladene und -stiftende Topographie" erkennbar zu machen als Einzige Bernd und Hilla Becher geschafft hätten. Hergebrachte Zuschreibungen wie Gemeinschaftlichkeit und Integrationsfähigkeit spricht er dem Ruhrgebiet pauschal ab: "Alles Kokolores." Denn "es gibt keine Landsmannschaften im Ruhrgebiet". Doch gibt es, so ließe sich einwenden, Schalker und Borussen, die deren Rollen einnehmen.

Hauptthema ist das Format des Dokumentarischen, sein Selbstverständnis und seine Strategien. Die Duisburger Filmwoche bildete eine eigene Form der Kommunität aus, als offenes Forum und Arbeitsfestival in einer Malocherstadt, auf dem immer nur ein Film gleichzeitig gezeigt und anschließend diskutiert wurde. Gelegenheiten, die Filmemacher anders kennenzulernen - nachzulesen in den Duisburger Protokollen. Debatten von damals werden, oft konkret am Beispiel einzelner Filme, rekapituliert: Paradigmen für eine kompakte Szene, deren Möglichkeiten zwischen Gegenöffentlichkeit und Standortpolitik sich mit den dritten Fernsehprogrammen veränderten.

Zeitgeschichte reflektiert das Gespräch, wenn es um die Dokwoche in Leipzig geht, den deutsch-deutschen Filmverkehr, Ost-West-Begegnungen, Stasi-Verdacht und Subversion. Ruzicka wahrt Distanz zum Betrieb: "Dass man mit Charme und Persuasion im Grunde Substanz substituiert, ist auch eine Gefahr, in die man bei diesem Job gerät." Dabei schützt er sich mit Selbstironie: "Im Grunde ist es ein Flohzirkus, dem ich da vorstehe." Das Stichwort kommt von Harun Farocki, einem Dauergast der Filmwoche, auf den immer wieder Bezug genommen wird. Von ihm stammt auch das Nachwort, das dem Buch den Titel gibt: Über "Duisburg Düsterburg" aber ist wenig mehr zu erfahren, als dass es "Deutschlands drittärmste Stadt" ist.

Manches wiederholt sich, anderes bleibt insiderhaft, wieder anderes fehlt: So, dass mit Zadek auch Fassbinder am Schauspielhaus Bochum war. Dem Rezensenten kommt die zweifelhafte Ehre zu, erwähnt zu werden: als "der nicht verkehrte F.A.Z.-Feuilletonist", der "kein großer Kenner" sei. So kann nur urteilen, wer sich selbst für einen großen Kenner hält. Dieser aber muss hier weder in Latein (zweimal heißt es "tertium comparationes"!) noch in Geographie über Grundkenntnisse verfügen: Der Sitz der Emschergenossenschaft wird in der "nördlichen Innenstadt" (statt im Südviertel) von Essen verortet, deren Fotosammlung dem Museum Folkwang statt dem Ruhr Museum zugeschlagen. Was, zugegeben, der Lektüre des Gesprächs keinen großen Abbruch tut.

ANDREAS ROSSMANN.

Matthias Dell und Simon Rothöhler: "Duisburg Düsterburg".

Werner Ruzicka im Gespräch. Verbrecher Verlag, Berlin 2018. 166 S., Abb., br., 22,- [Euro].

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