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Mit der neuen, umfassenden Briefedition erfährt die historisch-kritische Nestroy-Ausgabe ihren vorläufigen Abschluß. In den nächsten zwei Jahren werden noch je ein Nachtrags- und ein Dokumentationsband folgen. Die Briefedition enthält gegenüber der letzten Ausgabe aus den siebziger Jahren nicht nur 37 zusätzliche Nestroy-Briefe bzw. Briefnachweise, sondern auch sämtliche Briefe an Nestroy, die Briefe seiner Lebensgefährtin Marie Weiler sowie die von Nestroys Vater an seinen jüngeren Sohn Ferdinand, versehen mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Kommentar und Erläuterungen des Herausgebers.…mehr

Produktbeschreibung
Mit der neuen, umfassenden Briefedition erfährt die historisch-kritische Nestroy-Ausgabe ihren vorläufigen Abschluß. In den nächsten zwei Jahren werden noch je ein Nachtrags- und ein Dokumentationsband folgen.
Die Briefedition enthält gegenüber der letzten Ausgabe aus den siebziger Jahren nicht nur 37 zusätzliche Nestroy-Briefe bzw. Briefnachweise, sondern auch sämtliche Briefe an Nestroy, die Briefe seiner Lebensgefährtin Marie Weiler sowie die von Nestroys Vater an seinen jüngeren Sohn Ferdinand, versehen mit einem ausführlichen wissenschaftlichen Kommentar und Erläuterungen des Herausgebers.
Autorenporträt
Johann (Nepomuk Eduard Ambrosius) Nestroy, geboren am 7. Dezember 1801 in Wien, gestorben am 25. Mai 1862 in Graz.insbesondere Vaudevilles, Romane, Novellen), aber durch den Witz ihrer Dialoge, durch das virtuose Spiel mit der Sprache und durch die philosophierenden, kommentierenden Couplets die Vorlagen vergessen machen, wenn sie nicht ausdrücklich wie 'Tannhäuser' (UA 1857), 'Lohengrin' (UA 185
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2005

Schnupftuch und Saphirchen
Pointiert: Johann Nestroy in seinen Briefen
Johann Nestroy, ein Mann, der verschwenderische Summen für Waisenhäuser und Kinderkrankenanstalten spendet und zugleich habituell seine Frau betrügt, ein glühender Verfechter der alten monarchischen Ordnung und von eben dieser Ordnung wiederholt wegen Verstoß gegen das Zensurgesetz eingesperrt - wie reimt sich das alles zusammen?
In seinen Briefen, die jetzt in einer sorgfältigen und liebevollen Edition von Walter Obermaier bei Deuticke erschienen sind, wird man Aufschluss nur partiell erhalten. Nestroy war kein besonders fleißiger Korrespondent; die größere Menge der 230 Schreiben hat es mit geschäftlichen Angelegenheiten zu tun, in einem spezifisch österreichischen Stil voll ausschweifender bürokratischer Höflichkeit verfasst - „In Entgegensehung Ihrer gefälligen Äußerung zeichne ich mich mit Hochachtung / Euer Wohlgebohren / ergebenster / J. Nestroy”, so unterfertigte man vor hundertfünfzig Jahren Mitteilungen, für die man heute eine E-Mail zu Hilfe nähme.
Aber dass es sich so verhält, dass der Mensch Nestroy aus der Geste seiner Briefe nur so unvollständig hervortritt, ist bereits ein Teil des Befunds. Man hat, ähnlich wie etwa bei Johann Sebastian Bach, das Gefühl, bei dieser Ungreifbarkeit des Privaten handle es sich weniger um persönliche Bescheidenheit als um das Hereinragen älteren Denkens in eine schon anders geartete Gegenwart; eines Denkens, das dem Individuellen um seiner selbst willen keinen Wert beimisst, sich darum mit der ständischen Rolle begnügt und nachgeborenen Biografen die vexierende Frage beschert, wie so viel Genie mit so viel Normalität unter einem bürgerlichen Dach hat hausen können.
Aus dieser weiten Fläche jedoch heben sich, wie die unerlaubten Improvisationen auf der Bühne, für die er in Arrest kam, einzelne lange Schreiben Nestroys heraus, die einen völlig anderen Charakter tragen. Nestroy pflegte seine Liebschaften mit großer Umsicht zu führen. Dennoch überliefert ist, in mehreren Fassungen, der Entwurf eines Briefs an ein Fräulein Köfer, der in seiner Mischung aus Galanterie, Keckheit und Überredungsgabe ein einzigartiges Exemplar seiner Gattung, des erotischen Anbahnungsschreibens, genannt werden muss.
Das stille Glück junger Damen
„Meine Ansicht ist die”, erklärt Nestroy der Unbekannten, die er nur ein einziges Mal aus der Ferne gesehen hat, „junge schöne Damen mögen in was für immer Lebensverhältnissen seyn, ein im Stillen begünstigter, beglückter, und dafür dankbarer, discreter Freund ist nie unbedingt zu verwerffen, und selbst, wenn Sie Braut seyn sollten, dürfte Ihnen nach den Flitterwochen ein derart geheimer Freund nicht ohne Nutzen seyn. Wenn Sie in meine Absicht eingehen, mein Fräulein, und darauf kömmt Alles an, dann hoffe ich, daß Sie das, was ich Ihnen alsbald proponieren werde, nicht zurückweisen dürften.” Er proponiert das Folgende: Sie sollen einander zu festgesetzter Stunde mit dem Wagen im Prater begegnen und sie im Augenblick des Vorüberfahrens wie zufällig ihr Schnupftuch heben, als „hochbeglückendes Zeichen”. Sie tut es, und die Liaison nimmt ihren Lauf.
An solchen Stellen kommt der Leser ins Sinnieren, was die Menschheit verlor, als sie Schnupftücher, Petschafte, Fächer, Degen und andere gebärdenträchtige Dinge als unpraktisch verabschiedet hat. Auch der Kämpfer und Spötter Nestroy zeigt sich, auf fast erschreckende Weise, in dem offenen Brief an den Literaturkritiker Moritz Gottlieb Saphir, der ihn des Pointenraubs bezichtigt hatte. Auch hier hat Nestroy, wie die diplomatische Umschrift erkennen lässt, lang gefeilt und nicht geruht, bis jeder Widerhaken saß. „An mein liebs Saphirchen. (XDank für mein neueste Dank] du hast mich wider eimahl (x belustigt, x) Schon glaube ich Du habest vergessen auf mich, Du loser Schelm, und war Dir (x schon X) (+ deßhalb +) recht gram Du abscheuliches Saphrchen, nun da lese ich auf eimhl in Dein Sudelblättchen ein paar Spaltn voll (x x) (+ gegen +) mich (+ gerichtet+)Einschub vom rechten Rand: (An der Nidrträchtigkeit erken ich mein Saphirchen wider] jetzt bin ich wider ausgesöhnt mit Dir, (x denn x) (+ wirklich +) Du hast mich weidlich belustigt damit, wie traurig und schaurig ist Dein Berserkerwuth gegen mich, wie toll Dein Gebell und Geklaff, wie bissig das Gefletsch Deiner Zähne! Halt! Dein Zähne? ich weiß nicht einmahl ob Du welche hast, und ob sie Dein gehören Du tragst ja so Manches was nicht Dein gehört.”
Der Umriss eines Freundes
Von kulturhistorischem Interesse dürfte sein, dass bereits Nestroy (und nicht erst Ludwig Erhard) einen ihm missliebigen Intellektuellen als „Pinscher” schmäht - allerdings noch verbunden mit der genauen Vorstellung: Große Pinscherhunde mussten in Wien Wagen mit Wäsche ziehen und waren offensichtlich wegen ihres aggressiven Temperaments gefürchtet. Überhaupt wird man finden, dass Nestroy niemals, nicht einmal in der Wut, bei einer Phrase landet, und sogar seine Schimpfwörter anschaut.
Der Band ist vermehrt um etliche Briefe von Nestroys Frau Marie Weiler. Kennt man nur Nestroy, so gelangt man fast automatisch zu einem ungerechten, xanthippehaften Bild derjenigen, die Nestroy nur als „die Frau” bezeichnet. Hier aber erlebt man sie selbst, wie sie, schwankend in Rechtschreibung und Zeichensetzung, aber vollkommen trittfest im Satzbau, mit Würde das Ihrige zu wahren sucht und gegen Ende des Lebens mit Kummer berichtet, dass sie ihren Mann nunmehr als einen Fremden betrachten müsse. Fast alle ihre Briefe adressiert sie an Ernst Stainhauser, den Freund ihres Mannes. Selbst und gerade in den Zeiten von Zerwürfnis und Trennung wenden sich beide, Gatte und Gattin, an ihn, und er rät ihnen, jedem einzeln, er vermittelt, er regelt die chaotischen Finanzen; er, der „Beschwichtigungshofrath”, genießt das unumschränkte Vertrauen beider.
Nach Nestroys Tod steht er der Witwe, die sich mit 54 Jahren alt und verlassen fühlt, treu zur Seite. „Sehr geehrter Freund!” nennt sie ihn, oder, mit einer Auszeichnung, die nur dem Österreichischen möglich ist, „Lieber Herr von Stainhauser”. Obwohl sich von ihm kein einziger Brief erhalten zu haben scheint, gewinnt sein Charakter, im Zwischenraum der ihm symmetrisch zugewandten Profile beider ehelicher Widersacher, überaus deutlichen Umriss: nicht der Dritte im Bunde ist er, sondern der, der den Bund zusammenhält, loyal, selbstlos, praktisch in praktischen und weise in menschlichen Dingen und voll einer nie erlahmenden Geduld. Möchten wir alle solch einen Freund haben!
BURKHARD MÜLLE
JOHANN NESTROY: Sämtliche Briefe. Hrsg. von Walter Obermaier. Deuticke Verlag, Wien 2005. 432 Seiten, 58 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Unter den 230 erhaltenen Briefen von Johann Nestroy interessieren Paul Jandl vor allem jene, in denen Nestroy sein Werk gegen Zensur und Kritiker verteidigt. Hier entpuppe sich Nestroy als "Meister des Invektiven", der Feinde ohne Skrupel als "Wäschepintscher" bezeichnet oder ironisch verlangt, man möge doch Sitzplätze für die armen Zensurbeamten einrichten. Vom Privatmann erfährt man weniger, die meisten intimen Schriftstücke hat er vernichtet. Nur in einigen Briefen an den engen Freund Ernst Stainhauser spricht Nestroy über seine Affären, sein "Ingenium in Liebesdingen" ist aber doch immer wieder zu spüren. Einige der Stücke sind Zeitdokumente geworden, berichtet Jandl und nennt eine Kritik an der Zensur, die noch Spuren des Brandes des Wiener Justizpalastes von 1927 aufweist. Schließlich würdigt er noch kurz das "philologische Großunternehmen" der Nestroy-Gesamtausgabe, die mit diesem Band vorläufig abgeschlossen wird.

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