22,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

"Komme Samstag, letzten Karton abholen, okay?" Diese Nachricht seiner Frau Joyce, die ihn vor kurzem verlassen hat, stürzt Samuel Hagenau erneut in tiefe Verzweiflung, und er läuft in den Wald, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dort entdeckt er ein ausgebranntes Autowrack, darunter eine Leiche. Ganz in der Nähe liegt das ehemalige Durchgangslager Westerbork, wo er als Archäologe tätig ist, im Laufe der Ermittlungen ergeben sich aber auch Beziehungen zu drei ehemaligen RAF-Mitgliedern ... Ein sehr dichter, intensiver Roman über Verantwortung und Schuld, Vergangenheit und Erinnern, vor allem…mehr

Produktbeschreibung
"Komme Samstag, letzten Karton abholen, okay?" Diese Nachricht seiner Frau Joyce, die ihn vor kurzem verlassen hat, stürzt Samuel Hagenau erneut in tiefe Verzweiflung, und er läuft in den Wald, um einen klaren Kopf zu bekommen. Dort entdeckt er ein ausgebranntes Autowrack, darunter eine Leiche. Ganz in der Nähe liegt das ehemalige Durchgangslager Westerbork, wo er als Archäologe tätig ist, im Laufe der Ermittlungen ergeben sich aber auch Beziehungen zu drei ehemaligen RAF-Mitgliedern ... Ein sehr dichter, intensiver Roman über Verantwortung und Schuld, Vergangenheit und Erinnern, vor allem aber über die Liebe - was es bedeutet, zu lieben und geliebt zu werden.
Autorenporträt
Marcel Möring, geboren 1957 in Enschede, gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Literaten der Niederlande. Für seinen ersten Roman »Mendel« erhielt er 1991 den wichtigsten Debütpreis des Landes, den Geertjan-Lubberhuizen-Preis, und weitere Romane wurden mit dem AKO-Literaturpreis, der Goldenen Eule und dem Flämischen Literaturpreis ausgezeichnet. Sein Roman »Der nächtige Ort« wurde 2007 mit dem Ferdinand-Bordewijk-Preis zum besten niederländischen Roman des Jahres gekürt. Marcel Möring lebt in Rotterdam.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2022

Schiffbruch mit Zuschauern
Der niederländische Autor Marcel Möring verbindet einen Kriminalfall mit einer gescheiterten Ehe

Der Romantitel "Amen" verweist einerseits auf die Bezüge dieses Buches zur Bibel. Andererseits bezeichnet er einen Ort im Nordosten von Holland. Hier war im Zweiten Weltkrieg das Durchgangslager Westerbork, von dem aus niederländische Juden in andere Konzentrationslager geschickt wurden. Der Protagonist des Romans ist Samuel Hagenau, ein Archäologe mit jüdischen Vorfahren, der Jahrzehnte später nach den Spuren der Vergangenheit in diesem Lager gräbt. Seine Ehefrau Joyce hat ihn verlassen. Bei einem Spaziergang in die Gegend des Lagers stößt er auf ein ausgebranntes Auto, unter dem sich eine verkohlte Leiche befindet. Im Laufe des Romans stellt sich heraus, dass drei untergetauchte deutsche RAF-Terroristen in der Ausgrabungsstätte des Lagers gearbeitet haben. Einer von ihnen hatte Krebs, nach seinem Tod wurde seine Leiche unter ein Auto gelegt und das Fahrzeug in Brand gesteckt.

Der Roman ist aus der Perspektive von Samuel Hagenau erzählt. Schilderungen aus den Blickwinkeln von erster, zweiter und dritter Person wechseln sich ab, wobei auch dabei die Stimme des Protagonisten erkennbar bleibt. Ein größerer Teil des Buches besteht aus einem Inneren Monolog, einer Flut von Gedanken, in denen Hagenau vor allem versucht, die gescheiterte Beziehung zu seiner Frau aufzuarbeiten. Das ist mitunter quälend, denn aus dem Strudel von Vorwürfen und Schuldgefühlen, von Trauer und Verzweiflung gibt es kein Entrinnen. Hagenau ribbelt die Beziehung zu seiner Frau auf, analysiert die Ehe, schildert den Sex, die Konflikte, die unausgesprochenen Vorwürfe, versucht zu verstehen, warum ihn seine Frau verlassen hat, warum sie unglücklich war. Es ist die Situation eines Schiffbruchs mit Zuschauer; der Leser schaut von der Küste aus zu, wie ein Schiff kentert und Menschen ertrinken. Man wird hineingezogen in eine Beziehung, in der es um das Beobachten der zweiten Kategorie geht: Samuel ahnt, was Joyce denkt, fühlt und wahrnimmt. Er bezieht es auf sich. Die Sicht seiner Partnerin auf ihn verändert sein Verhalten. Der Kreislauf führt zu keiner Auflösung. Die Ausgestaltung der Beziehung hat aber auch einen sinnlichen Aspekt, was sich in der Darstellung erotischer Situationen zeigt. Die Differenzen der Ehe werden deutlich, wenn Joyce zum Beispiel fremde Städte kennenlernen will. Samuel hat daran kein Interesse. Er ist der Meinung, dass sich die Neugier auf den Partner richten sollte. Es geht ihm um Forschungen auf den Fundstätten der Liebe.

Lesenswert wird "Amen" durch den Kontrast zwischen der Lebensgeschichte des Protagonisten und dem Kriminalfall in der Gegend um Westerbork. Während in Samuel Hagenaus Privatleben die Konflikte ungelöst erscheinen, wird die Identität der Leiche geklärt. Die beiden noch lebenden RAF-Terroristen bleiben weiterhin untergetaucht. Für die Struktur des Romans ist die Spannung von hoher Bedeutung, die durch den Fund der Leiche erzeugt wird. Die Aufschlüsselung des Falls bildet für den Leser das Motiv, den Text bis zum Schluss zu lesen. Das Lamento über den Verlust der Liebe und der Ehefrau kann den dramaturgischen Rahmen für den Roman nicht herstellen.

Literarisch reizvoll ist das Buch durch die erzählerischen Spiegelungen von Begriffen wie Schuld, Verantwortung, Verlust, Archäologie oder Bewältigung der Vergangenheit. Diese Momente verbinden die unterschiedlichen Erzählstränge. Die untergetauchten Terroristen der RAF fühlen sich verantwortlich für die Schuld ihrer Vorfahren im Dritten Reich. Deswegen helfen sie bei der Arbeit in den ehemaligen Lagerstätten mit. Schuld ist auch ein Thema bei der Erzählung über das Mädchen Shannon, die ausgelöst wird durch die Namensgleichheit einer ermittelnden Polizistin, die den Protagonisten zum Fund der Leiche befragt. Bei einem Sommerurlaub in den Alpen, den Samuel Hagenau mit seinen Eltern und der Familie der Nachbarn unternimmt, verschwindet die Tochter des mitgereisten Ehepaares. Die Nachforschungen bleiben vergebens, die Eltern des Kindes machen sich Vorwürfe, aber auch Samuel, der mit ihr gespielt hat.

Zentrales Bild für den Roman "Amen" ist die Archäologie, die auf alle Tätigkeiten von Samuel Hagenau angewendet werden kann. Der Beruf des Protagonisten bezeichnet gleichzeitig eine Eigenschaft seines Charakters. Die Vergangenheit ist für ihn von zentraler Bedeutung, was mit persönlichen und historischen Brüchen zu tun hat. Seine Großmutter ist im Konzentrationslager Sobibor umgebracht worden. Seine Eltern haben sich scheiden lassen. Er selbst steht vor den Scherben seiner Ehe.

Das Unglück verstärkt die Bewegung in die Vergangenheit. "Ich frage mich, während ich auf dem Bauch liege und die trockene Erde rieche, ob mein Entschluss, Archäologe zu werden, einem unbewussten, aber tief empfundenen Verlangen nach dem Abwesenden entsprang, nach dem, was nicht da ist und erst sichtbar wird, wenn der Verlust empfunden wird, wenn man danach zu graben beginnt. Und was das bedeutet." Die Abwesenheit seiner Frau wird verstärkt durch die Nachricht am Beginn des Buches, dass Joyce den letzten Karton für ihren Umzug an einem Samstag abholen möchte. Der Roman endet mit diesem Treffen; auf der letzten Seite finden sich die Worte "es geschieht nichts Neues unter der Sonne", die der Bibel entnommen sind.

Marcel Möring, der 1957 in Enschede geboren wurde, hat ein Buch geschrieben, in dem er seinen Protagonisten allseitige Archäologie betreiben lässt. Samuel Hagenau gräbt im konkreten und übertragenen Sinn, mit den Händen, mit dem Herzen und mit dem Kopf. Die Schlüsselmetapher gibt dem Buch die erzählerische Kontur. Sie ist verflochten mit der Handlung des Kriminalfalls, sodass der Leser selbst zum Interpreten, zum Archäologen wird, der in den Schichten des Romans zu graben beginnt. THOMAS COMBRINK

Marcel Möring: "Amen". Roman.

Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Luchterhand Literaturverlag. München 2022. 224 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Aus Sicht von Rezensent Thomas Combrink geht es in Marcel Mörings Roman in mehrfacher Hinsicht um Vergangenheitsbewältigung. Ein Erzählstrang seziert in Selbstgesprächen die gescheiterte Ehe des Protagonisten. Die Schilderungen hält der Rezensent für qualvoll, aber durchaus plastisch und sinnlich, sodass man als Leser Anteil nimmt. Ein anderer Erzählstrang verfolgt die Kriminalgeschichte, die sich um den Fund der Leiche eines ehemaligen RAF-Terroristen auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers entspinnt. Hieraus generiert der Roman seine eigentliche Spannung, so Combrink. Die Überschneidungen der Fragen nach Schuld und Verantwortung im Bereich des Privaten und Politischen, in der Gegenwart wie in der Vergangenheit hält der Rezensent in erzählerischer Hinsicht für besonders interessant.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Marcel Möring dreht ein großes Rad und verbindet in seinem schmalen, risikofreudigen Roman eine ganze Reihe komplexer Fragen. Und ja, er verbindet sie auf seine Weise stimmig, mit existenzieller Wucht, und am Ende ist es wohl ihr sprachlicher und gedanklicher Drive, der die abgründige Geschichte Samuel Hagenaus so mitreißend macht.« Ferdinand Quante / WDR 5