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Scheint das Potenzial universaler Emanzipationsbestrebungen ausgeschöpft, folgt auf das alte Ärgernis der Benachteiligung das neue der Diskriminierung, die, weil sie rein subjektiv in den Blick genommen wird, überall gefunden werden kann. Mit dem inflationären Verweis auf ausgegrenzte und neuerdings »unsichtbare« Minderheiten, vervielfältigen sich auch die omnipotenten Geschlechterphantasien und werden einem progressiven Sinn anverwandelt. Als irgendwie queer - das heißt: divers, einzigartig und subversiv - will inzwischen jeder den Partikeln seines zerfallenen Selbst unbezweifelbar…mehr

Produktbeschreibung
Scheint das Potenzial universaler Emanzipationsbestrebungen ausgeschöpft, folgt auf das alte Ärgernis der Benachteiligung das neue der Diskriminierung, die, weil sie rein subjektiv in den Blick genommen wird, überall gefunden werden kann. Mit dem inflationären Verweis auf ausgegrenzte und neuerdings »unsichtbare« Minderheiten, vervielfältigen sich auch die omnipotenten Geschlechterphantasien und werden einem progressiven Sinn anverwandelt. Als irgendwie queer - das heißt: divers, einzigartig und subversiv - will inzwischen jeder den Partikeln seines zerfallenen Selbst unbezweifelbar authentische Subjektivität zuschreiben. Doch ist kein Mensch identisch mit sich selbst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2023

Organisiert weinerlich
Sara Rukaj über den Queerfeminismus

Was inzwischen alles unter "Identitätspolitik" fällt, lässt sich kaum noch sagen; eher schon, was nicht darunterfällt. Es gibt praktisch keine von ihr unbehelligte Sphäre mehr, ein unentwirrbares Knäuel aus Theorien, Analysen, Behauptungen oder Forderungen, in dem zwei menschliche Merkmale, die man traditionell für unveränderlich gehalten hätte, maßgeblich sind: die Ethnie beziehungsweise Hautfarbe und das Geschlecht.

Letzteres hat die Publizistin Sara Rukaj sich vorgeknöpft. "Die Antiquiertheit der Frau" ist, anspielend auf den berühmten Günther-Anders-Titel, ein gepfeffertes, an Marx und Freud geschultes Pamphlet gegen den Gender- beziehungsweise Queerfeminismus insbesondere Judith-Butlerscher Prägung. Schon der polemische, das Gendern unterlassende und insofern fast ein wenig altmodische Ton bereitet Vergnügen; die Schärfe der Analysen und die Fähigkeit zur komprimierten, aber nicht unzulässig verkürzenden Sicht auf Denkschulen oder vielmehr -moden imponieren und wirken oft augenöffnend.

Ausgehend von der im Untertitel abgelegten Grundannahme ("Vom Verschwinden des feministischen Subjekts"), setzt Rukaj auseinander, wie aus dem klassischen Feminismus ein "Mitmachspektakel durchideologisierter Netzaktivisten", das "Abwrackunternehmen einer verunsicherten und allzu humorlosen Mittelklasse" werden konnte. Rukaj zeigt, wie gerade das identitäre Denken, eine Unterart des (philosophischen) Essenzialismus, ebenjenes Subjekt zum Verschwinden gebracht hat, das es doch retten wollte. An die Stelle der Individualität sei die ",Performität' aller möglichen Identitäten getreten, mit denen herzhaft gespielt und en passant um die vielfältigsten Geschlechterpronomen gewetteifert wird".

Rukaj legt manche Widersprüchlichkeit frei: "Identität", vor allem das Geschlecht, ist einerseits wichtig, es wird andauernd darüber gesprochen; aber irgendwie soll es auch keine Rolle spielen, weil es ja arbiträr ist und im Grunde gar nicht existiert, jedenfalls nicht in seiner binären Form. Immer wieder kommt dabei das von FDP und Grünen vorangetriebene und bald wohl wirklich in Form gegossene "Selbstbestimmungsgesetz" in den Blick, nach dem es jedermann erlaubt sein soll, das eigene Geschlecht quasi nach Gefühl, unter Absehung von biologischen Tatsachen zu "bestimmen" und eintragen zu lassen.

Rukaj haut ihren Gegnern die ökonomische Leerstelle, welche die Fixiertheit aufs körperliche So-Sein, aber Anders-sein-Wollen nun einmal lässt, immer wieder um die Ohren. Sie entlarvt das entsprechende gesellschaftspolitische Engagement als Kult von "Betroffenheit und Selbstverwirklichung", als "organisierte Weinerlichkeit", die von wahrer Aufklärung genauso weit entfernt sei wie von tatsächlicher Emanzipation.

Man hat die Begriffe "Spätkapitalismus" und "Neoliberalismus" inzwischen reichlich gehört. Wenn Rukaj sie ebenfalls bemüht, dann aber nur, um zu zeigen, wie sehr die gender- und queerfeministischen Bemühungen den von der Wirtschaft, marxistisch gesprochen: vom Kapital propagierten Ideen von Flexibilität, Einsatzfreude und Verwertbarkeit verhaftet und damit letztlich, ganz anders, als die noch stets locker sitzende Bereitschaft zur "Kapitalismuskritik" glauben lassen könnte, systemkonform sind. Mit dem Feminismus, der hier angegriffen wird, ist wahrlich Staat zu machen: "Die Frauen sind verschwunden oder, so könnte man plausibler resümieren, die Frauenfrage wurde dem Staat überantwortet, der sie je nach Handlungs- und Finanzierungsspielraum als symbolpolitisches Fortschrittslabel integriert."

Diese Form von Feminismus, ja Identitätspolitik überhaupt wird, so könnte man, selbst unter Abweichung von der hier konsequent verfolgten marxistisch-freudianischen Linie, sagen, betrieben von Leuten, die dem System mit seinem Primat der Wirtschaft zumindest nicht hinderlich sind. Sara Rukaj zeigt mit ihrer Schrift, der man für eine weitere Auflage die Tilgung zahlreicher Schreib- oder Druckfehler empfehlen möchte, dass und warum die allenthalben akklamierte Dekonstruktion der Geschlechter im Grunde unpolitisch und deswegen auch weitgehend folgenlos ist. EDO REENTS

Sara Rukaj: "Die Antiquiertheit der Frau". Vom Verschwinden des feministischen Subjekts.

Edition Tiamat, Berlin 2022. 200 S., br., 18,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Edo Reents empfiehlt Sara Rukajs "gepfefferte" Abrechnung mit einem systemkonformen Genderfeminismus. Mit Marx und Freud im Gepäck und scharfen Analysen, so Reents, öffnet die Autorin dem Leser die Augen in Sachen Denkschulen und eines fehlgeleiteten identitären Denkens, zeigt Widersprüche bei der Bewertung des Geschlechts auf und kritisiert eine "organisierte Weinerlichkeit", die gesellschaftspolitisches Engagement ad absurdum führt. Reents wünscht dem Band in nächster Auflage weniger Druckfehler und viele Leser.

© Perlentaucher Medien GmbH