129,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Das Christentum nimmt zur materiellen Kultur eine ambivalente Haltung ein. Einerseits schöpft es sein Selbstverständnis aus der Ablehnung oder Domestizierung idolatrischer Praktiken, andererseits greift es in vielfältiger Weise auf einen Kult der Dinge zurück. In exemplarischen Untersuchungen der christlichen Dingkultur vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert behandelt Laube jene Räume und Praktiken, die ein Nahverhältnis von Mensch und Ding herstellen. Ohne die unmittelbare Anmutung der Dinge sind weder die im Kirchenraum ausgestellten Exotika noch die eklektisch gestalteten Reliquiare in…mehr

Produktbeschreibung
Das Christentum nimmt zur materiellen Kultur eine ambivalente Haltung ein. Einerseits schöpft es sein Selbstverständnis aus der Ablehnung oder Domestizierung idolatrischer Praktiken, andererseits greift es in vielfältiger Weise auf einen Kult der Dinge zurück. In exemplarischen Untersuchungen der christlichen Dingkultur vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert behandelt Laube jene Räume und Praktiken, die ein Nahverhältnis von Mensch und Ding herstellen. Ohne die unmittelbare Anmutung der Dinge sind weder die im Kirchenraum ausgestellten Exotika noch die eklektisch gestalteten Reliquiare in den Heiltumssammlungen denkbar. Die frühmoderne Wissenschaftsauffassung verdichtete sich im Kabinett, wo gesammelte Gegenstände in epiphanischen Momenten des Sehens und Berührens erfahren werden konnten. Weitgehend textunabhängige, sich in Dingen konzentrierende Medienwelten entstanden im Dienst der Erinnerung an Luther, in der Gestalt des pietistischen Wissenstheaters und nicht zuletzt im Programm einer auf christliche Artefakte aufbauenden "Monumentalen Theologie". Von der Reliquie zum Ding ist das Standardwerk über Bedeutung und Wandel auratisch aufgeladener Objekte in der christlichen Kulturgeschichte.

Stefan Laube lehrt als Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Autorenporträt
Stefan Laube lehrt als Privatdozent an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das Ding ist kein Dingsbums, erklärt Thomas Steinfeld. Ersterem hat der Historiker Stefan Laube ein Buch gewidmet: "Von der Reliquie zum Ding". Was es mit dem Ding auf sich hat, ist, dass es damit etwas auf sich hat; wir reden dann von Dingen, wenn wir etwas getrennt von seiner Umgebung erkennen und mit einem Zweck verbinden, erfährt der Rezensent von Steinfeld. Es kann aber auch passieren, dass wir aus Dingen nicht nur ihren Zweck herauslesen, sondern auch etwas in sie hinein. Genau in diesen Momenten, wenn die "Differenz zwischen Herauslesen und Hineinlesen" verwischt, können Dinge eine eigenwillige Rolle einnehmen. Sie werden zu Reliquien oder in Museen ausgestellt, finden sich in Sammlungen wieder, werden gefürchtet, bestaunt, angebetet, fasst der Rezensent zusammen. Hinter Laubes Ausführungen vermutet Steinfeld auch eine polemische Absicht: der Autor wolle zeigen, dass es nie eine "wirkliche" Säkularisierung gegeben hat und dass wir noch immer von der Aura der Dinge fasziniert werden. Da auch im vorliegenden Buch eine wissenschaftliche Reflexion auf diese Faszination möglich zu sein scheint, findet der Rezensent die These des Autors allerdings etwas widersprüchlich - und eine "Dingwissenschaft", wie Laube sie fordert, hält Steinfeld für die Spielerei einer Geisteswissenschaft, die "ihr Heil im Konkreten sucht".

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.01.2013

Heiliges, herausgelesen und hineingelesen
Unser Glaube an die Dinge, behauptet der Berliner Historiker Stefan Laube in einer gelehrten Studie,
ist ein altes religiöses Erbe, das noch in der Aura des modernen Museums wirksam ist
VON THOMAS STEINFELD
Als die Bilderstürmer des sechzehnten Jahrhunderts die Kirchen leerten und nichts darin zurückblieb außer kahlen Wänden, harten Bänken und den paar Dingen, die sogar radikale Protestanten für den Ritus brauchten, da schien sich der gläubige Mensch von allem Überflüssigen gelöst zu haben. Dass fast nichts mehr da war, musste doch Mittel und Ausweis einer ganz auf Gott konzentrierten, nur dem heiligen Wort verpflichteten, befreiten Seele sein – ähnlich der Leere moderner Räume, die dem zeitgemäßen Menschen die ideale Umgebung für eine Begegnung mit dem Wesentlichen, das heißt: mit sich selbst, schenken soll. Doch geht dieser Gedanke nicht auf: Denn je weniger Dinge ein solcher Raum erhält, weil sein Benutzer vom Geist der Reinigung erfasst wurde, desto mehr Bedeutung erheischt ein jedes Ding, das darin zurückbleibt. Und dieser Gewinn an Bedeutung geht fort, bis er beim letzten Ding angekommen ist, bei dem Ding, das nicht fortzuräumen oder gar aus der Welt zu schaffen ist: beim Raum selbst, der, sei er nun ein Kirchenschiff, ein Museum oder nur ein gewöhnliches Wohnzimmer, die Voraussetzung selbst der Leere ist. Das Ding ist da, und sobald man sich ihm zuwendet und seinen Gebrauch erkennt, ist da auch Bedeutung.
  Dem Ding, nicht als Dingsbums, sondern als herausgehobenes Stück Wirklichkeit verstanden, hat der Berliner Historiker Stefan Laube ein Buch gewidmet, das nicht nur ein bislang kaum betretenes Forschungsgebiet öffnen will, sondern Ding und Bedeutung in ein neues Verhältnis zueinander setzt. Der Bogen, den er dabei schlägt, reicht von den Kirchenräumen des Mittelalters, mit ihren Reliquien und Kuriosa, ihren Votivgaben und Straußeneiern, über die Wunderkammern des Barock und den „Tempel menschlicher Einfachheit“, als das einst das ehemalige Wohnhaus Martin Luthers in Wittenberg galt, bis hin zu den wissenschaftlichen Sammlungen des späten neunzehnten Jahrhunderts. Wohin man auch blickt: Auf dem Schreibtisch liegt eine Muschel, in der Nische steht eine Wachsfigur, ein Sammlungsschrank enthält Hunderte von Steinen. Und immer gehen das Heilige und das Profane, die Gegenstände der Verehrung und die Gegenstände des Staunens ineinander über. Und nie, auch nicht bei Martin Luther oder in Zeiten der strengsten Verehrung des Reformators, ist das Wort total und die sinnliche Anschauung aus der Welt geschafft.
  Ein Ding entsteht, indem der Mensch einen Gegenstand aus der Natur absondert und mit eigenen Zwecken verbindet. Dinge sind Gegenstände, in die eine Absicht eingegangen ist – ein Umstand, von dem übrigens schon die Etymologie berichtet, nämlich durch die Herkunft des Wortes aus dem „thing“ der germanischen Rechtsprechung, oder durch die Herkunft der „Sache“ aus der „causa“ des römischen Rechts. Der realisierte Zweck schlägt sich an den Gegenständen als Spuren des Gebrauchs nieder, und diese kann man lesen, als Rückstände von etwas, was selbst nicht unmittelbar physisch präsent ist. Eine solche Spur nun muss nicht absichtlich entstanden, sie kann natürlich zustande gekommen sein. Und doch kann sie, wenn die Bedeutung und mit ihr das Lesen, in einem weiteren Sinne, in der Welt sind, für das Dokument der bewussten Realisierung eines Zwecks gehalten werden. Denn Herauslesen und Hineinlesen sind nicht scharf zu trennen, und das gilt nicht nur für den Zahn des Narwals, den man lange Zeit für das Horn des Einhorns halten wollte, sondern auch für die pietistischen Werke, die halbverkohlt eine Feuersbrunst in den Franckeschen Stiftungen überstanden hatten: Dass sie von den Flammen nicht verzehrt worden waren, sollte ihren Wahrheitsgehalt beglaubigen.
  Beim Ding, so wie es Stefan Laube historisch und begrifflich entfaltet, geht es also beileibe nicht um jedes Ding. Damit es zum emphatischen Ding werden und also Eingang in eine Kirche, in eine Wunderkammer oder ein Museum finden kann, um dort ausgestellt und betrachtet zu werden zu werden, muss etwas mit ihm geschehen sein: Es muss sich von seinem ursprünglichen Gebrauch gelöst haben, in einen ideellen Zusammenhang getreten und mehr oder minder auratisch geworden sein. Das aber kann es nur werden, wenn die Differenz zwischen Herauslesen und Hineinlesen noch unentwickelt oder überhaupt undeutlich ist. Alle Dinge, von denen dieses Buch handelt, unterliegen der Unklarheit, wie es sich in ihrem Fall mit dem Lesen verhält. Zwar kann man, im Nachvollzug der Chronologie innerhalb dieses Werkes sagen, dass es tatsächlich so etwas wie einen theoretischen Fortschritt gibt: dergestalt, dass es sich ein mittelalterlicher Mensch gar nicht vorstellen konnte, ein Meteorit könne vom Himmel fallen, ohne ihn persönlich zu meinen, während moderne Menschen zuweilen klarer trennen. Aber nur zuweilen: dass es aber mit dieser Unklarheit ein wissenschaftlich aufgeklärtes Ende nehme, dass der moderne Mensch sie irgendwie hinter sich habe – dass nun lässt sich eben nicht sagen.
  Ein sehr gelehrtes Buch hat Stefan Laube geschrieben, ein Buch mit Hunderten, wenn nicht gar Tausenden von Beispielen aus ganz Europa, unter denen einige gründlich untersucht werden: die Stiftskirchen in Halle und Wittenberg, das Wohnhaus Luthers, die Franckeschen Stiftungen und das „Christliche Museum“ des Berliner Theologen Ferdinand Piper. Auf dem Grund dieses Werkes allerdings scheint eine polemische Absicht hindurch: eine wirkliche Säkularisierung habe es nie gegeben, meint Stefan Laube. Statt dessen würden ältere, bis ins Mittelalterliche zurückreichende Formen des Dingglaubens spätestens um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einer „nicht kirchengebundene Sakralisierung“ unterworfen, ohne die insbesondere das Museum gar nicht denkbar wäre: „Jene energetische Strahlung, jene auratische Aufladung der Dinge, wie sie angeblich für magisch-animistische Kulturen so charakteristisch sind“, schreibt Stefan Laube, habe sich „in den vermeintlich säkularisierten Räumen und Epochen keineswegs“ verflüchtigt.
  Was aber ist dann mit einer Wissenschaft, die über auratische Dinge schreibt? Will sie etwas über diese Dinge wissen? Oder will sie zugleich an ihrer Aura teilhaben? Auch diese Differenz ist letztlich nicht aufzulösen. Denn so entschieden Stefan Laube über den Irrglauben, man lebe in tatsächlich säkularisierten Verhältnissen, schreibt und damit tatsächlich säkular argumentiert, so offensichtlich ist auch, dass er das eigene Buch als Wunderkammer angelegt hat, dass also die Vielzahl der Beispiele und vor allem deren exotischer (und manchmal skurriler) Charakter auf eine andere Weise vom Reiz der Dinge kündet, als ihre Analyse nahelegen könnte. Dieser Übergang aber ist nicht nur Ausweis der Begeisterung. Er verdeckt ein begriffliches Problem: Denn die Differenz zwischen Herauslesen und Hineinlesen ist ja keine Eigenschaft des Dings, sondern eine Frage des Umgangs mit dem Ding. Sie ist ein Problem der Hermeneutik oder, im weiteren Sinne, der Ästhetik, also der Wissenschaft von der Wahrnehmung. Als solche wurde sie in den vergangenen zweihundert Jahren auch behandelt, mit gar nicht verächtlichen Ergebnissen.
  Wenn nun aber, am Ende des Buches, Stefan Laube eine zu schaffende „Dingwissenschaft“ fordert, die den vorhandenen Disziplinen an die Seite zu treten habe, so hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Gegenstand verschoben: Der Umgang mit dem Ding soll eingehen in das Ding selbst, das folglich zu einer „selbsttätigen Substanz“ werden und ein „Eigenleben“ entfalten muss, was man durchaus für eine neuerliche Auratisierung, dieses Mal allerdings mit akademischen Mitteln, halten könnte. So etwas aber geschieht, wenn eine Geisteswissenschaft, des Geistes müde, ihr Heil im Konkreten sucht.  
Ein Ding entsteht, indem der
Mensch einen Gegenstand aus
der Natur absondert
Die neue „Dingwissenschaft“
ist selbst voll der Reize
einer Wunderkammer
  
  
  
Stefan Laube: Von der Reliquie zum Ding.
Heiliger Ort – Wunderkammer – Museum. Akademie Verlag,
Berlin 2012. 592 Seiten, 89,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr
"Die grosszügig illustrierte Studie ist reich an Beobachtungen und Funden." Daniel Jütte in: Neue Zürcher Zeitung, 29. August 2012 http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/mensch-und-ding-wort-und-reliquie-1.17536877