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Die strafrechtliche Ahndung des durch die Justiz im Dritten Reich begangenen Unrechts gilt als gescheitert. Obwohl im nationalsozialistischen Deutschland der "Dolch des Mörders unter der Robe des Richters verborgen" war, wurde nach dem Krieg kaum ein Vertreter der Justiz verurteilt. Dieser Umstand wurde vielfach vereinfachend mit der biografischen Belastung der nach 1945 über ihre ehemaligen Kollegen urteilenden Richter erklärt. Zu wenig Beachtung fand bisher die rechtliche Argumentation, die den Urteilen zugrunde lag und die sich vor allem auf eine aus dem Straftatbestand der Rechtsbeugung…mehr

Produktbeschreibung
Die strafrechtliche Ahndung des durch die Justiz im Dritten Reich begangenen Unrechts gilt als gescheitert. Obwohl im nationalsozialistischen Deutschland der "Dolch des Mörders unter der Robe des Richters verborgen" war, wurde nach dem Krieg kaum ein Vertreter der Justiz verurteilt. Dieser Umstand wurde vielfach vereinfachend mit der biografischen Belastung der nach 1945 über ihre ehemaligen Kollegen urteilenden Richter erklärt. Zu wenig Beachtung fand bisher die rechtliche Argumentation, die den Urteilen zugrunde lag und die sich vor allem auf eine aus dem Straftatbestand der Rechtsbeugung abgeleitete Privilegierung stützte. Alexander Hoeppel analysiert die Strafrechtsdogmatik der nach 1945 gefällten Urteile, zeichnet die bis zum heutigen Tage fortlaufenden Entwicklungslinien nach und bewertet sie als "strafrechtliche Selbstimmunisierung".
Autorenporträt
Geboren 1984; Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, der Politischen Wissenschaft und der Philosophie; Wissenschaftliche Mitarbeiter am Zentralinstitut für Angewandte Ethik und Wissenschaftskommunikation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; Projektleiter des Model United Nations Projektes der Universität Erlangen-Nürnberg (FAUMUN); Lehrbeauftragter für Verhandlungslehre ebenda; seit 2017 selbstständiger Verhandlungstrainer; 2018 Promotion.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2020

Wenn Verblendung zu Exkulpierung führt
Definitionsprobleme: Alexander Hoeppel untersucht, warum die gerichtliche Aufarbeitung von NS-Justizunrecht nicht gelang

Beugt ein Richter das Recht, wenn er einen Bürger zum Tode verurteilt, der sich an einer Kundgebung zur kampflosen Übergabe seiner Stadt an die heranrückenden feindlichen Truppen beteiligt hat? Oder der sich abfällig über das Regime geäußert hat? Diese und andere Fälle, welche sich kurz vor der deutschen Kapitulation im Jahre 1945 abgespielt haben, waren Gegenstand der bundesdeutschen Nachkriegsrechtsprechung, die es meist ablehnte - bis hinauf zum Bundesgerichtshof -, die beteiligten Richter wegen Rechtsbeugung zu verurteilen. Alexander Hoeppel untersucht die Gründe dieser aus seiner Sicht gescheiterten strafjuristischen Aufarbeitung des NS-Justizunrechts mittels einer ausschließlich rechtsdogmatischen - nicht moralischen oder politischen - Analyse der relevanten Urteile. Er will damit die in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Rechtsdogmatik der Rechtsbeugung mit Blick auf NS-Unrecht aufarbeiten.

Der ausführlichen Urteilsanalyse geht eine rechtsphilosophische, methodologische und strafrechtsdogmatische Grundlegung sowie ein rechtshistorischer Abriss zur strafrechtlichen Aufarbeitung der NS-Verbrechen durch die Alliierten voraus. Diese Hinführung stellt eine beeindruckende, allerdings nicht immer leicht zu lesende Tour d'Horizon zu aktuellen Fragen der strafrechtlichen Vergangenheitsaufarbeitung und der sogenannten Transitionsjustiz dar. Eine Straffung des Texts mit einem klareren Fokus auf das eigentliche Untersuchungsziel hätte hier notgetan. Strenggenommen hätte es als rechtsphilosophische Grundlegung gereicht, das Spannungsverhältnis zwischen Naturrecht und Positivismus anhand der Lehre Gustav Radbruchs darzulegen. Denn dessen berühmter Aufsatz "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" hat die Rechtsprechung zur Rechtsbeugung in zwei Punkten präjudiziert.

Radbruch postuliert zum einen die heute so genannte Sperrwirkung des Tatbestands der Rechtsbeugung, indem er eine eventuelle sonstige Strafbarkeit des Richters wegen (fahrlässiger) Tötung (durch das verhängte Todesurteil) davon abhängig macht, dass ihm überhaupt eine Rechtsbeugung vorgeworfen werden kann. Dies gilt auch heute noch, das heißt der Richter kann wegen Straftaten (etwa Tötungsdelikten), die in einem inneren Zusammenhang mit seiner Rechtssache stehen, nur bestraft werden, wenn er sich zugleich wegen Rechtsbeugung strafbar gemacht hat.

Hoeppel weist zwar auf einige Urteile hin, die diese Sperrwirkung ablehnten, doch blieb diese Rechtsprechung vereinzelt und wurde mit einem Urteil des Bundesgerichtshofs im Dezember 1956 beendet. Im Übrigen setzte sie die Durchführung eines sogenannten "Scheinverfahrens" - als Gegenbegriff zur Rechtsbeugung - voraus, was letztlich die Rechtsunsicherheit nur vergrößerte, weil dieser Begriff zu keinem Zeitpunkt hinreichend definiert wurde.

Was die Rechtsbeugung selbst angeht, so lag der Grund ihrer Ablehnung vor allem im schwierigen Nachweis der erhöhten Vorsatzanforderungen, wonach ein Richter "bewusst und gewollt" das Recht gebeugt haben musste. Interessanterweise war diese Subjektivierung aber gar nicht explizit im Gesetz vorgesehen. Die auf die NS-Verfahren anwendbare, bis 1974 geltende Fassung enthielt lediglich das Wort "vorsätzlich", wofür es auch ausreicht, dass der Täter das tatbestandlich umschriebene Verhalten nur in Kauf nimmt. Die Subjektivierung war somit eine Konstruktion der Rechtsprechung, ja sie wurde, wie Hoeppel nachweist, zu einer die richterlichen Angeklagten begünstigenden Auslegung weiterentwickelt, indem der politisch verblendete, fanatische Richter gerade deshalb exkulpiert wurde, weil er nicht wissentlich eine Rechtsbeugung begangen haben konnte.

Dies führt wieder zurück zu Radbruch, der solcher Exkulpation zumindest den Boden bereitet, wenn er die Möglichkeit eines Vorsatzes verblendeter Richter bezweifelte: "Aber konnten Richter, die von dem herrschenden Positivismus so weit verbildet waren, dass sie ein anderes als das gesetzte Recht nicht kannten, bei der Anwendung positiver Gesetze den Vorsatz der Rechtsbeugung haben?"

Damit schließt sich der Kreis zwischen der sogenannten Positivismuslegende, also der irrigen Vorstellung, die nationalsozialistischen Juristen seien aufgrund eines exzessiven Gesetzespositivismus gegenüber dem NS-Unrecht wehrlos gewesen, und der mangelnden Verurteilung dieser Juristen durch die Nachkriegsjustiz. Zugrunde liegt dem freilich, worauf Hoeppel richtig hinweist, eine selektive Radbruch-Rezeption, die souverän ignoriert, dass jener immer der Gerechtigkeit Vorrang vor der Rechtssicherheit eingeräumt hat, nur eben "mit einer möglichst geringen Einbuße an Rechtssicherheit". In anderen Schriften hat er sogar, etwa mit Blick auf NS-Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deutlicher dafür plädiert, die Rechtssicherheit zurückzudrängen - insbesondere zugunsten einer Flexibilisierung des Rückwirkungsverbots.

All dies ändert freilich nichts daran, dass der Tatbestand der Rechtsbeugung, und zwar auch in seiner heutigen, unstrittig nur bedingten Vorsatz verlangenden Fassung, daran krankt, dass schon seine objektive Seite - die Beugung des Rechts - nicht überzeugend definiert werden kann. Das frühere Partikularrecht sprach von "Ungerechtigkeit". Damit war immerhin der Kern des Unrechtsvorwurfs plakativer benannt, ohne freilich diese "Ungerechtigkeiten" zu konkretisieren, die Strafe verdienen. Rechtsphilosophische Bemühungen sind hier nur von begrenztem praktischen Nutzen. Denn die Schwierigkeit besteht gerade darin zu bestimmen, wann "der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ,unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen hat" (Unerträglichkeitsformel) beziehungsweise "wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird", ja diese "bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde" (Verleugnungsformel). Weder kann das daraus folgende Nicht-Recht von jenem "unrichtigen Recht" einfach abgegrenzt noch die rechtsbeugende Ungerechtigkeit durch solche Formeln hinreichend konkretisiert werden.

Auch Hoeppels Abstellen auf ein ordentliches Gerichtsverfahren und die lege artis erfolgte richterliche Auslegung bleibt blass. Denn damit sind, wie er selbst konzedieren muss, "die speziellen rechtsdogmatischen Fragestellungen" noch nicht beantwortet. Im Fehlen eines Vorschlags eines konkretisierten Rechtsbeugungstatbestands liegt denn auch das Manko der Arbeit. Ein solcher müsste versuchen, das Spannungsverhältnis aufzulösen zwischen der Sicherung der Herrschaft des Rechts durch Kriminalisierung elementarer Verstöße gegen die Rechtspflege und der Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit als einer ihrer Grundlagen.

KAI AMBOS.

Alexander Hoeppel: "NS-Justiz und Rechtsbeugung".

Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2019. 585 S., br., 109,- [Euro].

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