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Mit "Gegensprechstadt - ground zero" legt Gerhard Falkner ein Opus Magnum der polymeren Poesie vor - von David Moss musikalisch umgesetzt und begleitet. Vor dem Horizont der Hauptstadt verkettet er das große Geschehen mit winzigen Annotationen, die ihm der denkende Körper während seines Vorüberziehens hinzufügt. Der Tradition der großen Langgedichte des 19. und 20. Jahrhunderts folgend, grüßt "ground zero" eine ganze Reihe von ihnen mit rhythmischen und motivischen Anspielungen. Das Gedicht thematisiert disparate geistige Tendenzen, etwa zwischen Ost und West, Theorie und Plattheit,…mehr

Produktbeschreibung
Mit "Gegensprechstadt - ground zero" legt Gerhard Falkner ein Opus Magnum der polymeren Poesie vor - von David Moss musikalisch umgesetzt und begleitet. Vor dem Horizont der Hauptstadt verkettet er das große Geschehen mit winzigen Annotationen, die ihm der denkende Körper während seines Vorüberziehens hinzufügt. Der Tradition der großen Langgedichte des 19. und 20. Jahrhunderts folgend, grüßt "ground zero" eine ganze Reihe von ihnen mit rhythmischen und motivischen Anspielungen. Das Gedicht thematisiert disparate geistige Tendenzen, etwa zwischen Ost und West, Theorie und Plattheit, gesellschaftlicher Utopie und entnervendem und entseelendem Materialismus. Es verfolgt die Bahn der Schönheit und des komplementären Terrors, des radikalen Denkens und der ridikülen Spaßgesellschaft, den Gang des Chronos, mit seinem 11. September, seinem 3. Oktober und seinem politischen Gesetz der Reziprozität: Was zerstört, wird zerstört werden, und wenn Schönheit zerstört wird, entsteht "ground zero".
Autorenporträt
Gerhard Falkner, geboren 1951 in Schwabach, veröffentlichte zahlreiche Einzeltitel als Autor und Herausgeber. Zu den wichtigsten zählen die Gedichtbände "wemut", Luchterhand 1989, "X-te Person Einzahl", Suhrkamp 1996, und "Endogene Gedichte", DuMont 2000, der Thesenband "Über den Unwert des Gedichts", Aufbau 1993, und die Theaterstücke "Der Quälmeister" und "Alte Helden", beide DuMont 1998, sowie die Anthologien "AmLit. Neue Literatur aus den USA", Galrev 1992, und zusammen mit Orsolya Kalàsz "Budapester Szenen. Jüngste Lyrik aus Ungarn", DuMont 1999. Sein Werk wurde unter anderem 1987 mit dem Bayerischen Staatsförderpreis und 2004 mit dem Schillerpreis ausgezeichnet. Gerhard Falkner nahm an Festivals rund um die Welt teil. Nach Aufenthalten unter anderem in London, New York, Mexiko,Amsterdam und Rom lebt er heute in Berlin und in Bayern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2005

Schlaflos in Berlin
Herausfordernd: Gerhard Falkners vielstimmige Großstadtdichtung

Wo die U-Bahn oberirdisch fährt, stülpt eine Stadt sich um und hält ihren Unterbauch ans Licht. Das sogenannte "Gleisdreieck" in Berlin ist solch ein Ort urbaner Umkehr, an dem ein ganzes Geflecht alter Verkehrs- und Versorgungsschläuche plötzlich an die Oberfläche quillt. 1924 schrieb der große Joseph Roth ein glühendes "Bekenntnis zum Gleisdreieck" und feierte es als "Mittelpunkt", wo "alle vitalen Energien" der Großstadt "Ursprung und Mündung zugleich" haben, so wie "das Herz Ausgang und Ziel des Blutstroms ist, der durch die Adern des Körpers rauscht". Im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts geriet dieser Ort allerdings bald ganz ins Abseits, wurde erst zum Zonenrandgebiet und Brachland des zerteilten Stadtkörpers, dann zum Abraum- und Schuttgelände seiner brachialen Neuerfindung. Neuerdings entstehen dort Sportanlagen für die business class vom Potsdamer Platz.

Jetzt lesen wir, wie der Dichter Gerhard Falkner "als Unangebundener / durch die vollkommene Figur" des Gleisdreiecks streift: "das Leben spielte seine / in vielen billigen Bällen geworfenen Zugaben / vom Spielfeldrand / in die knietiefen Blumen / und aus den Gedanken heraus, wahllos gestaltet / gelang noch einmal ein home run". Seine Streifzüge durch Berlin führen diesen zeitgenössischen Flaneur an solche abseitigen Orte, die auf dem Stadtplan sehr viel leichter als in der Stadt zu finden sind, weil heutzutage sämtliche Verkehrsströme an ihnen vorbeirauschen. Seine Beobachtungen, die er dort notiert, haben daher oftmals einen suchenden, fast archäologischen Charakter, als wollten sie unter all der lärmenden Gegenwärtigkeit des neuen Berlin an alte Schichten stoßen. Das gilt auch für seine Sprache, die in vielen Formulierungen noch einmal Echos jener hochtönenden Großstadtliteratur der Moderne zurückwirft - als nehme er die Bälle, die ihm zugespielt werden, dankbar, aber wahllos im Vorübergehen an. Denn ein Unangebundener kann von "home" wohl nur als "home run" sprechen.

Mit "Gegensprechstadt - ground zero" legt der Lyriker Gerhard Falkner, Jahrgang 1951, einen weiteren Band vor, der seine Erkundungen im Feld der Sprache als Expedition in ganz konkretes urbanes wie historisches Gelände eindrucksvoll vorantreibt. Dazu wählt er die Form eines Langgedichts aus knapp neunzig Strophen, deren klare Architektur aus alternierenden, reimlosen Versen dennoch Raum für andere Bauformen bietet und den epischen Strom immer wieder durch Elemente konkreter Poesie, durch fremde Stimmen oder Echowirkungen bricht. Eine seiner Absichten sei es dabei gewesen, wie der Autor im Nachwort erklärt, "poetisch der Schrumpfung von kontinuierlicher und überpersönlicher Zeit in jene jeweils fragmentierte und nur vom Subjekt als wahr erlebte Jetztzeitigkeit nachzuspüren". Doch statt über derlei Tiefsinn nachzugrübeln, den Falkner mitzuliefern müssen meint, sollte man sich ruhig der persönlichen Lektüre überlassen, die das Programmatische schnell schrumpfen läßt und dafür ungleich spannendere Erlebnisse subjektiv spürbar macht.

Das Wörtchen "gegen", das den Titel "Gegensprechstadt" prägt, ist dabei weniger in antagonistischer Bedeutung als vielmehr im Sinne des Begegnens und Entgegnens zu verstehen, wie es sich in jedem Aufeinandertreffen ereignet, ob zwischen Stadt und Flaneur, Geschichte und Gegenwart oder Sprache und Welt: Das Gegenüber fordert stets heraus. Falkners Text antwortet auf diese Forderung mit lyrischen Momentaufnahmen wie mit literarischen Zitaten, mit elegisch inszenierten Abschiedsgesten wie mit harten Schnitten, mit sperrigen Wortfügungen wie auch gefälligen Phrasen. So entsteht ein bizarrer Reigen aus poetischen Figuren, die, teils wie Heimsuchungen, teils wie Heilsbringer, gegen die Zumutungen einer Hauptstadt aufgeboten werden, die sich am liebsten nur im Hier und Jetzt begreifen will. "Berlin beginnt immer mit den Worten: Heute, Jetzt / und Hier bin ich", heißt es an einer Stelle, die erhellt, wovon "Gegensprechstadt - ground zero" spricht: vom Nullpunkt solcher Selbsterfindung.

Falkner beginnt mit den Worten: "Ich habe zuwenig geschlafen / in diesem Jahrhundert." Wie ein Refrain ziehen sie sich durch den Text und markieren, wie er immer wieder neu ansetzt, seinen Gegenstand zu entwerfen oder zu umwerben. Denn mit dem Aufbruch in ein neues Jahrhundert ist diese Stadt erst recht erwacht und läßt dem, der sie erkunden will, wohl noch weniger an Schlaf. So erklärt sich jedenfalls das Somnambule dieses Textes, der oftmals wirkt, als streife der Flaneur mit aufgerissenen Augen, aber dennoch wie im Traum umher und gleite durch eine eigentümliche Assoziationswelt. Dieser Effekt verstärkt sich noch in der akustischen Umsetzung des Werks (in der Regie von Heiko Strunk), die Falkners Lesung mit der Musik des New Yorker Komponisten David Moss durchsetzt. Sie beginnt mit dumpfen, perkussiven Schlägen, die wie ein später Nachhall aus "Berlin - Sinfonie der Großstadt" klingen, geht dann aber bald in eine Toncollage über, die den Wortlaut mit disparaten Klängen und Geräuschen anreichert.

Dabei sind bei Falkner viele Verse selbst schon gleichermaßen vielsinnig wie vielstimmig gestaltet, denn durchweg zeugt der Text von dem, was er in einer wunderbar spielerischen Formulierung als "Reichspielungsantum der Sprache" bezeichnet. Bei soviel Verweisungs- und Verwerfungsarbeit in der Sprache bleibt die Frage, an welchem Ort dieses Großstadtgedicht eigentlich selbst zu Hause wäre, letztlich offen. Von Heimatdichtung spricht man landläufig ja ohnehin nur noch im Sinn von einfältiger Beschränkung. In einem radikalen Sinn dagegen könnte jeder Akt, sich eine Welt sprachlich einzurichten, dazu zählen, und sei ihr Universum noch so groß. Der gestirnte Himmel über uns fand einst sein Zuhause im moralischen Gesetz in uns. Joseph Roth begeisterte in "klaren Nächten das Gleisdreieck, das von zehntausend Laternen durchsilberte Tal - es ist feierlich wie der gestirnte Nachthimmel: eingefangen darin wie in der gläsernen Himmelskugel sind Sehnsucht und Erfüllung". Schlaflos in Berlin, probt Falkner solche Posen noch einmal und sieht von der Oberbaumbrücke "eine glänzende Nacht / die Sterne aus Styropor / im Wasser die Männer Borofskis / überragt vom Lichterautomat der Allianz". Immerhin.

TOBIAS DÖRING

Gerhard Falkner: "Gegensprechstadt - ground zero". Gedicht & CD: Music by David Moss. kookbooks, Idstein 2005. 94 S. + CD, br., 24,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"ein Jahrhundert-Gedicht" Freitag "ein bizarrer Reigen aus poetischen Figuren, die, teils wie Heimsuchungen, teils wie Heilsbringer, gegen die Zumutungen einer Hauptstadt aufgeboten werden [...] :Berlin beginnt immer mit den Worten: Heute, Jetzt / und Hier bin ich9, heißt es an einer Stelle, die erhellt, wovon :Gegensprechstadt - ground zero9 spricht: vom Nullpunkt solcher Selbsterfindung." FAZ "hat sich Falkner an eine neue Kühnheit gewagt: an die Rekonstruktion des modernen Großstadtpoems [...]:Gegensprechstadt - ground zero9 ist zugleich Großstadtgesang, politische Rhapsodik nach den Erschütterungen des 11. September und Requiem auf eine verlorene Liebe." Tagesspiegel "ein ganz großer Wurf. [...] :Gegensprechstadt - ground zero9 kann man in seiner Luzidität wirklich jedem Literaturfan empfehlen [...] Der Text bietet so vielfältige Zugänge, dass er der zeitgenössischen Lyrik insgesamt womöglich neue Leser erschließen könnte." satt.org "mitreissender Wortfluss" NZZ

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Eindrucksvoll" findet es Tobias Döring, wie Gerhard Falkner seine Expeditionen in das Feld der Sprache mit ganz gegenständlichen Erkundungen von Berlins städtischen Landschaften fortsetzt. Der Rezensent verweist immer wieder auf Joseph Roth, der das Gleisdreieck in Berlin 1924 beschrieben hat. Falkner spiele nun mit dem Widerhall der "hochtönenden Großstadtliteratur" und packe sie in ein neunzigstrophiges, reimloses "Langgedicht", das immer wieder durch eingestreute Stimmen oder konkrete Poesie unterbrochen wird. Den theoretischen Überbau, den der Autor im Nachbau erläutert, rät der Rezensent schnell zu vergessen und sich lieber der Lektüre hinzugeben, die mit ihrer reichen Mischung aus "lyrischen Momentaufnahmen", literarischen Verweisen, "elegisch inszenierten Abschiedsgesten" plötzlichen Schnitten "ungleich spannendere" Erfahrungen bereithalte. Die beigefügte "Toncollage" mit der Musik von David Moss kommentiert Döring lakonisch mit "disparat".

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