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Die Welt, in der man aufwächst, wird zum Maßstab für die ganze Welt. Doch was, wenn dieser Augenblick, der über unser Leben entscheidet, geprägt ist von Zerstörung, von Verschwinden? Um diese Frage kreist die große Romantrilogie Dieter Fortes, »Das Haus auf meinen Schultern«, einem europäischen Familienepos, das in den Ruinen unseres Jahrhunderts seinen Fluchtpunkt findet. In »Schweigen - oder sprechen?« gibt Dieter Forte in einem langen Gespräch Auskunft über diese Arbeit, die das Unaus- und Unangesprochene unserer jüngsten Vergangenheit berührt. Neben autobiographischen Erinnerungen und…mehr

Produktbeschreibung
Die Welt, in der man aufwächst, wird zum Maßstab für die ganze Welt. Doch was, wenn dieser Augenblick, der über unser Leben entscheidet, geprägt ist von Zerstörung, von Verschwinden? Um diese Frage kreist die große Romantrilogie Dieter Fortes, »Das Haus auf meinen Schultern«, einem europäischen Familienepos, das in den Ruinen unseres Jahrhunderts seinen Fluchtpunkt findet. In »Schweigen - oder sprechen?« gibt Dieter Forte in einem langen Gespräch Auskunft über diese Arbeit, die das Unaus- und Unangesprochene unserer jüngsten Vergangenheit berührt. Neben autobiographischen Erinnerungen und Essays steht der Beginn einer neuen Erzählung, die den Schrecken zum Drehpunkt einer neuen Geschichte werden lässt.

Volker Hage begleitet seit Jahren mit Kommentaren und Gesprächen das Werk Dieter Fortes, über das die »Frankfurter Rundschau« schrieb: "Den beiden großen Epen der zweiten Jahrhunderthälfte in Westdeutschland, der »Blechtrommel« und der »Ästhetik des Widerstands«, hat Fortemit seiner Romantrilogie ein drittes zugestellt."
Autorenporträt
Forte, DieterDieter Forte, 1935 in Düsseldorf geboren, gestorben 2019 in Basel. Seine hoch gerühmten Romane »Das Muster«, »Tagundnachtgleiche« (ursprünglich »Der Junge mit den blutigen Schuhen«), »In der Erinnerung« und »Auf der anderen Seite der Welt« bilden die »Tetralogie der Erinnerung«. Als Theaterautor gelang Forte mit »Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltung« ein Welterfolg, dem weitere Dramen, erfolgreiche Fernsehspiele und preisgekrönte Hörspiele folgten. Zuletzt erschien »Als der Himmel noch nicht benannt war«. Über seine Arbeit gibt Auskunft der Materialienband »Es ist schon ein eigenartiges Schreiben ...«, herausgegeben von Jürgen Hosemann.Literaturpreise:In Auswahl:2005 Niederrheinischer Literaturpreis2005 Johann-Jakob-Christoph von Grimmelshausen-Preis2004 Hans-Erich-Nossack-Preis2003 Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft Düsseldorf1999 Bremer Literaturpreis1992 Basler LiteraturpreisStipendien der Kulturstiftung Nordrhein-Westfalen und des Deutschen Literaturfonds Darmstadt1980 Fernsehspiel des Monats Oktober (für: Der Aufstieg)1980 Hörspiel des Monats Juli (für: Sprachspiel)

Hage, VolkerVolker Hage, 1949 in Hamburg geboren, war Literaturredakteur des Spiegel; zuvor arbeitete er bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit. Er lehrte als Gastprofessor in Deutschland und in den USA. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher, 2015 erschien sein erster Roman.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2002

Ausgebombt
Luftkriegs-Zeuge: Dieter Fortes
„Schweigen oder Sprechen”
Das unpersönliche „man” hat keinen guten Ruf. Es gilt als sprachliche Ausweichbewegung vor dem Ich, als Flucht des Individuums ins vage Allgemeine, als augenzwinkernde Entlastung von Verantwortlichkeit: „Man gönnt sich ja sonst nichts.” Vollkommen ruiniert ist der Ruf des „man”, seit ihm der Philosoph Martin Heidegger in „Sein und Zeit” (1927) die Leviten gelesen hat. Er machte es zum Agenten des Geredes, der Neugier und der Zweideutigkeit, der Auslieferung des alltäglichen Daseins an die Welt und die Anderen, den Betrieb und die Uneigentlichkeit. Das Man, so die Quintessenz seiner philosophischen Entlarvung, verbreite die Meinung, dass nicht „ich” sterbe, sondern dass „man” stirbt, es mache den Tod zu etwas, „das mich nicht als eigener unmittelbar betrifft”.
Der Schriftsteller Dieter Forte hat kürzlich ein Buch veröffentlicht, in dem die Übergänge vom „Ich” zum „man” sich an die Theorie des Philosophen Heidegger nicht halten. In dem schmalen Band sind Interviews, Rezensionen und Prosaminiaturen versammelt, die um Fortes Lebensthema kreisen, die Erfahrung des Bombenkrieges, der Luftangriffe auf seine Heimatstadt Düsseldorf in den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges. In den abschließenden Bänden der Ende der neunziger Jahre vollendeten Romantrilogie „Das Haus auf meinen Schultern” hat Forte diese Erfahrung ins Zentrum gestellt. In diesem Buch spricht nicht der Erzähler, sondern der Autor. Wenn er in dem großen Interview mit dem Literaturkritiker Volker Hage „ich” sagt, klingt das so: „Ich bin ein Kind des Krieges, 1935 geboren, 1939 begann der Krieg, sechs Jahre Krieg als Kind, und drei Jahre Nachkriegszeit. Also ich empfinde mein Leben als zerstört. Ich bin ein Kriegskind und durch den Krieg geprägt, in jeder Weise.” Das ist ein Bulletin, ein Fazit.
Süddeutsche Unbetroffenheit
Aber wenn es darum geht, wie das Kind vom Krieg geprägt wurde, dann verschlägt es dem „Ich” immer wieder die Sprache und es übergibt dem „man” das Wort: „Man lag halb angezogen auf dem Bett, schlief für eine Stunde ein, dann heulten schon wieder die Sirenen und man fuhr wieder hoch. Manchmal hörte man im Schlaf Sirenen, obwohl keine heulten, man war ein Nervenbündel, immerzu die Treppe hoch und runter.”
Nicht nur die Entlastung vom Schrecken der Erinnerung lässt in solchen Passagen das Ich seine Zuflucht beim „man” nehmen. Im scheinbar Unpersönlichen steckt hier das Historische: die Gewissheit, Teil eines kollektiven Schicksals gewesen, von einer überpersönlich-schematischen Erfahrung gezeichnet zu sein. Dieses „man” ist der unruhige Doppelgänger jenes genüsslich die zur Anekdote gerundete Vergangenheit zurückrufenden „man” auf erinnerungsseligen Klassentreffen. Es treibt das Ich gerade nicht in Illusion und Selbstberuhigung, sondern zur Einsicht seiner Vernichtbarkeit. Wenn Dieter Forte ins „man” fällt, wird dieses zum Zeichen nicht der Kapitulation des Ich vor der Sprache der Konvention, sondern dafür, dass von einem Massenschicksal die Rede ist.
Das Buch des Historikers Jörg Friedrich über den Luftkrieg, „Der Brand”, enthält ein Register der Städte, deren Zerstörung es dokumentiert, samt Vororten. Von Lübeck über Dortmund bis Pforzheim. Aus dem Panorama der Feuerstürme gewinnt es seine Eindringlichkeit als Geschichtsbuch, durchs lokale Detail seinen Charakter als Findbuch. Die Deutschen können hier im Zusammenhang lesen, was in ihren Familiengeschichten halb verschüttet überliefert ist. Organ dieser fragmentarischen Überlieferung aus der Nahperspektive ist das „man”, das bei Forte vom Schrecken der Geschichte erzählt. Zu ihm gehört so etwas wie ein lebensgeschichtliches Expertentum, etwa in der Spiegel-Rezension von W.G. Sebalds Essay „Literatur und Luftkrieg” (1999). Forte teilt zwar dessen Grundthese, das Trauma des Luftkrieges sei im Nachkriegsdeutschland der „kollektiven Amnesie” verfallen. Aber er lässt überdeutlich sein Unbehagen an der Distanz erkennen, aus der Sebald selber schrieb. Er argwöhnt darin, mehr noch in Martin Walsers „Der springende Brunnen” (1999), die Unbetroffenheit des Süddeutschen aus der Provinz, der allenfalls den fernen Widerschein der Feuer erlebt hatte.
Das an Faulkner anknüpfende knappe Prosastück „In einem Satz auf einem Atem” formuliert prägnanter als der Titelessay Fortes Poetik des Erzählens „vom Untergang einer Welt”. Gegen Heidegger fällt darin gerade dem „man” die Aufgabe zu, den Tod des Ich zur Sprache zu bringen: „Wenn man sich dann langsam dieser Erinnerung nähert und sie beschreibt, nur einen Angriff, der vielleicht eine Stunde dauert, was das für eine entsetzliche Stunde ist, in einem Keller, der dann dunkel wird, in dem es kracht, der Boden zittert, die Bomberwellen kommen immer näher, werden ohrenbetäubend, man versteht nichts mehr, der Luftdruck schüttelt einen, man kann sich kaum festhalten, man wird herumgewirbelt und man weiß, in der nächsten Sekunde kann man tot sein. Fällt die Bombe ins Haus oder ist das Nachbarhaus getroffen? Die berstende Explosion über einem, war das bei uns oder im nächsten Haus? Sind die anderen tot? Lebt man noch?”
LOTHAR MÜLLER
DIETER FORTE: Schweigen oder sprechen. Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Volker Hage. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002. 96 Seiten, 12 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.2002

Hinter der Sprache das Grauen
Luftkrieg und Literatur: Dieter Forte antwortet auf W. G. Sebald

In seinen Zürcher Vorlesungen, die unter dem Titel "Literatur und Luftkrieg" in Buchform vorliegen, hatte W. G. Sebald 1997 konstatiert, daß "wir Deutsche heute ein auffallend geschichtsblindes und traditionsloses Volk" seien. Die Ursache suchte er darin, daß die Nachkriegsliteratur, ganz mit der Wiederherstellung eines positiven Selbstbildes beschäftigt, der kollektiven "Selbstanästhetisierung" der frühen Bundesrepublik Vorschub geleistet habe. Dabei sei ihre katastrophale Vorgeschichte einer zweiten "Liquidierung", nämlich einem Schweigetabu, zum Opfer gefallen. Dieses Schweigen teilte dem Nachgeborenen Sebald (Jahrgang 1944) das Gefühl mit, nichts von den "Ungeheuerlichkeiten im Hintergrund meines eigenen Lebens erfahren zu können". Es war nicht zuletzt ein höchst persönliches Anliegen, das ihn zu dieser Polemik trieb, die hohe Wellen schlug.

Auf diese provokanten Thesen gibt Dieter Forte, der selbst in seiner autobiographischen Trilogie "Das Haus auf meinen Schultern" die Zerstörung seiner Heimatstadt Düsseldorf intensiv geschildert hatte, nun eine ausführliche Antwort. Er setzt seine eigene Erfahrung dagegen: Forte, Jahrgang 1935, hat den Luftkrieg als Kind unmittelbar erlitten und gehört zu jenen, bei denen damals, nach einem Wort Wolf Biermanns, die Lebensuhr stehengeblieben ist. Ein jetzt erschienener Sammelband Fortes, der bereits veröffentlichte und neue literarische Miniaturen, Rezensionen und ein Interview bündelt, umkreist die Frage, ob ein Erlebnis wie das Ausgebombtwerden überhaupt literarisch verarbeitet werden kann.

Dabei stimmt er Sebald in einigen Punkten zu, bestätigt etwa die verheerenden Folgen kollektiver Verdrängung. Gleichzeitig beruft er sich immer wieder auf seine persönliche Verzweiflung als Schriftsteller, der die Erinnerung zu bannen sucht, und macht geltend, daß die "fast körperliche Vernichtung der eigenen Identität" zu Traumatisierungen führt, die erst Jahrzehnte später verbalisiert werden können - sollte das überhaupt möglich sein. Der Preis ist zuweilen ein hoher: Der psychische Apparat droht ständig zu versagen. Völlig unpathetisch macht Forte klar, was die Last der Erinnerung ihm abverlangt; es ist ein Schreiben am Rande des Abgrunds.

Zudem stellt die Erfahrung des absoluten Schreckens, des "Zivilisationsterrors", der sich primär gegen die Zivilbevölkerung richtete, die Literatur vor ein Repräsentationsproblem. Es entsteht eine notwendige Disproportion zwischen Worten und Erfahrung: "Hinter der Sprache existiert natürlich ein Grauen, das nicht mehr schilderbar ist. Es gibt da Grenzen." Innerhalb derer muß sich die Sprache ihren Spielraum erkämpfen: Aus dieser Feststellung spricht Verständnis für die Schweigenden und die Bitte darum, selbst recht verstanden zu werden. Aber auch die Aufforderung, sich der Mühe der Erinnerungsarbeit auszusetzen, besonders als Schriftsteller: Wenn die Literatur "die größten Ereignisse dieses Jahrhunderts ausläßt, dann darf man schon fragen, was sie eigentlich noch wert ist, was sie eigentlich noch schildern will."

Die Feststellung wird Forte zur Maxime: Rigoros setzt er sich den Zumutungen der Vergangenheit aus. "Abschied", der letzte Text des Bandes, gleichzeitig die lang erwartete Anknüpfung an "Das Haus auf meinen Schultern", ist davon gezeichnet. Die Schrecken sind überstanden, nicht aber verarbeitet: Das "abbrechende Todesatmen" durchzieht motivisch den Text, die Schrecken des Kriegs bleiben omnipräsent; schlafende Mitreisende verwandeln sich unversehens in einen "Leichenberg aufgedunsener Körper". Forte, der durch die Kriegserfahrungen eine Zeitlang gestottert hat, schreibt in Sätzen von epischer Länge über die Beschneidung des Atems. Wie der Asthmatiker Proust scheint der Schriftsteller die zerstörte Stimme ersetzen, die vernichtete Poesie der Welt durch ein Maximieren prosaischer Bildkraft ausgleichen und einfangen zu wollen.

Ohne an Strenge in der moralischen Befragung nachzulassen, gelingt es Forte, die ästhetische und existentielle Dimension des Luftkriegserlebnisses zu vertiefen. Die von Sebald angestoßene Debatte verliert ihre Abstraktion, die dadurch entstehen mußte, daß ein nicht unmittelbar Betroffener die Unverhältnismäßigkeit der historischen Fakten und einige wenige Augenzeugenberichte mit einer literarischen Wand des Schweigens konfrontierte. Forte entwickelt aus der Sicht des erlebenden Kindes und des Schriftstellers zugleich in besonderer Art und Weise eine der großen Fragen des zwanzigsten Jahrhunderts, die nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik. Seine Bemühungen könnten nicht zuletzt dazu dienen, die gerade im angloamerikanischen Raum geführte Diskussion um Trauma und Modernität zu erweitern, die sich bisher bevorzugt um den Ersten Weltkrieg und die Opfer des Holocaust drehte.

NIKLAS BENDER

Dieter Forte: "Schweigen oder Sprechen". Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2002. 94 S., geb., 12,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Bombenterror des Zweiten Weltkriegs ist nach Thomas Kraft das Lebensthema Dieter Fortes, das dieser auch in seiner Romantrilogie "Das Haus auf meinen Schultern" abgearbeitet hat, indem er versuchte, Erinnerungen zu evozieren, um an die tiefsten Schichten seiner Erinnerung zu gelangen. Die Qual besteht weiter, das Entsetzen ist nicht gewichen, weiß Kraft nach Lektüre dieses kleinen Bandes. In Prosatexten und kleinen Rezensionen des Autors sowie durch ein Interview mit dem Herausgeber Volker Hage entwirft Forte darin eine kleine Poetik des Schweigens und Schreiben. Forte rufe noch einmal das Schreckensbild jener Düsseldorfer Bombennächte in Erinnerung und äußere sich außerdem über verschiedene Schreibstrategien zur Vergangenheitsbewältigung. So erkläre er das "duale Erzählen", das eine Innen- und Außenperspektive gleichzeitig zusammenzubringen versucht, aus eigener Erfahrung für unzureichend. Auch W.G. Sebalds "nachgestellte Schreibmethode" sei letztlich zum Scheitern verurteilt gewesen.

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