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Amphetamin ist als Pharmazeutikum die normalste Sache der Welt: Kinder und Soldaten bekommen Amphetaminpräparate legal zugeteilt, um zu leisten, was von ihnen erwartet wird. Als Chrystal Meth alias Pep, Yaba oder Speed hingegen wird es als 'Killerdroge' für den jüngsten Anstieg an HIV-Infektionen verantwortlich gemacht und gilt bei Politikern als große gesundheitliche und gesellschaftliche Bedrohung.Das Buch stellt die schillernde Wirkung dieser Droge in ihrem Zwiespalt dar, indem es die Entwicklungsgeschichte des Amphetamins vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nacherzählt, von…mehr

Produktbeschreibung
Amphetamin ist als Pharmazeutikum die normalste Sache der Welt: Kinder und Soldaten bekommen Amphetaminpräparate legal zugeteilt, um zu leisten, was von ihnen erwartet wird. Als Chrystal Meth alias Pep, Yaba oder Speed hingegen wird es als 'Killerdroge' für den jüngsten Anstieg an HIV-Infektionen verantwortlich gemacht und gilt bei Politikern als große gesundheitliche und gesellschaftliche Bedrohung.Das Buch stellt die schillernde Wirkung dieser Droge in ihrem Zwiespalt dar, indem es die Entwicklungsgeschichte des Amphetamins vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart nacherzählt, von seiner extremen Leistungssteigerung bis zur schnellen Abhängigkeit und Zerstörung. Detailliert untersucht der Autor den Einfluss der Droge auf die Arbeiten von Künstlern wie Judy Garland, Philip K. Dick, Jean Paul Sartre, Andy Warhol, Elvis Presley oder Johnny Rotten.
Autorenporträt
Hans-Christian Dany, geboren 1966, lebt als Künstler in Hamburg und schon lange im Urlaub von dem, was er tun soll. Wie viele, die nicht wissen, wohin mit sich, schreibt er. Manchmal werden daraus Bücher. Bei Edition Nautilus erschienen zuletzt »Speed. Eine Gesellschaft auf Droge« (2008, Neuauflage 2012), »Morgen werde ich Idiot. Kybernetik und Kontrollgesellschaft« (2013), »Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft« (2015) und »MA-1. Mode und Uniform« (2018).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2008

Die Beschleunigung und ihre Fliehkräfte
Gezielter denken, schärfer schießen, schneller arbeiten: Eine Kulturgeschichte des Aufputschmittels Amphetamin
Nur die Augen verraten es. Weit aufgerissen und mit tellergroßen Pupillen starren sie in den Himmel. Sie passen nicht recht zu dem Mädchen, das in dem Musicalfilm „Wizard of Oz” die Unschuld vom Lande spielt und mit glockenheller Stimme von einem verzauberten Land singt. Das Lied „Somewhere over the Rainbow” hört bald die ganze Welt. Was niemand ahnt: Judy Garland, gerade 16 geworden, ist bis in die Haarspitzen mit Aufputschmitteln vollgepumpt.
Das war 1938. Bei den Dreharbeiten kam die populäre Kultur erstmals in Berührung mit Amphetamin, notiert Hans-Christian Dany in seinem Buch „Speed”, einer eigenwilligen und faszinierenden Kulturgeschichte des Wirkstoffs 1-Phenylpropan-2-amin. Diese synthetische Substanz vermag Erstaunliches: Sie versetzt den Körper schlagartig in einen Notfall-Zustand, macht hellwach und mobilisiert enorme Kraftreserven. Entsprechend hält sie die Gesellschaft überall dort in Bewegung, wo Extremes geleistet wird. In Hollywood etwa, wo der Kinderstar auf Geheiß der Produzenten gegen die Pubertät kämpfte. Mit rauen Mengen Benzedrine, einem Appetitzügler auf Amphetamin-Basis, erhungerte sich Garland einen Kinderkörper. Das chemische Korsett raubte ihr zusätzlich den Schlaf, sodass sie „Somewhere over the Rainbow” in einem hypernervösen Dämmerzustand sang. Tagelang hatte sie weder gegessen noch geschlafen.
Garlands Drogengeschichte ist eine von zahlreichen Nahaufnahmen, aus denen der Künstler, Kurator und Autor Hans-Christian Dany die merkwürdige Karriere des Amphetamin zusammenfügt. Hitler, Sartre, Warhol, Elvis – sie alle suchten ihren Körper neurochemisch gefügig zu machen.
Doch wie so oft war es das Militär, welches das Potential der leistungsfördernden Substanz entdeckte, die ein rumänischer Chemiker Namens Lazar Edeleanu 1887 erstmals an der Berliner Universität synthetisierte. Überdrehte Feldpostkarten dokumentieren den massiven Einsatz von Amphetamin in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Später, in den dreißiger Jahren, entwickelte die Pharmaindustrie Asthma-Mittel, Appetitzügler und Antidepressiva auf der Basis von Amphetamin. Nach dem Zweiten Weltkrieg experimentierte die CIA mit Amphetamin als Wahrheitsserum zur Spionageabwehr. Gleichzeitig entdeckten zahlreiche Jugendbewegungen den chemischen Beschleuniger. Die Beat-Poeten, Mods, Punks und die Technoszene zweckentfremdeten Medikamente und stellten ihr eigenes Amphetamin in illegalen Drogenküchen her. Heute bekommen Kinder, die unter Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) leiden, mit Ritalin ein amphetamin-ähnliches Antidepressivum verabreicht.
Acht Jahre recherchierte Dany für sein Buch. Entsprechend liefert er mehr als breites Wissen. „Speed” ist keine Ansammlung verpeilter Drogen-Stories, sondern eine Annäherung an den Fetisch Geschwindigkeit, den Dany als großes Glücksversprechen des zwanzigsten Jahrhunderts ausmacht. Leistung, Disziplin und Effizienz sind die Schlüssel-Sehnsüchte, welche die neurochemische Optimierung stillen soll. Mit einer Flucht aus der Wirklichkeit oder gar künstlichen Paradiesen hat der Kult der Beschleunigung nicht viel gemein. Es geht meist recht freudlos um die Verbesserung der Arbeitskraft. Sogar in der künstlerischen Praxis. Ein Prophet der Produktivität war Andy Warhol. Der fand, dass jeder eine Maschine sein sollte, und entsagte menschlichen Bedürfnissen wie Schlaf und Hunger weitgehend mit Hilfe der Diätpillen Obetrol. Die Serialität, die Lust an der Wiederholung, die fabrikartige Fertigung des Drucks anstelle des subjektiven Ausdrucks des Pinsels – in all diesen künstlerischen Eigenarten Warhols findet Dany Spurenelemente des chemisch induzierten Tempos.
Keine Frage des Kopfes
Amphetamin, so Danys Hauptthese, hat sich zum Doping der Leistungsgesellschaft entwickelt. Es hält fit für den beschleunigten Wirtschaftskreislauf. Grundlegend dafür ist ein verändertes Körperverständnis, das sich immer mehr zum Technischen entwickelt. Die Hochkonjunktur, die Psychopharmaka derzeit auf dem Arzneimittelmarkt erleben, zeigt, dass psychische Probleme längst nicht mehr als eine Frage des Kopfes verstanden werden. Die Arzneimittelhersteller bieten ein immer größer werdendes Arsenal an Mittelchen an, das den Körper funktionstüchtig halten soll. „Tiefer durchatmen, gezielter denken, schöner geformt sein, schärfer schießen und schneller arbeiten – das sind Wünsche, die mit dem Stoff in Erfüllung gehen sollen”, so Dany. Die universelle Anwendungsmöglichkeit ist der Grund, weshalb Amphetamin in so vielen unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft angekommen ist.
Dass legale und illegale Arbeits- und Verbesserungsdrogen bald so verbreitet sein könnten wie Mobiltelefone, wie Dany am Ende seines Buches als Horrorszenario prognostiziert, scheint aber doch etwas weit gegriffen zu sein. Zwar ist der diskret drogennutzende Leistungsträger längst kein Ausnahmefall mehr. Präparate wie Provigil halten Investmentbanker auf den Beinen, illegal hergestellte Speedtabletten lassen die Arbeiter in den Sweatshops Südostasiens die unmenschlichen Strapazen erdulden und so genannte „Go Pills” putschen Piloten in Kriegseinsätzen auf und sind ein Grund für die rapide Zunahme des „Friendly Fire”. Letztlich aber wendet sich das Hirndoping gegen seine Nutzer, wie Danys Reigen ruheloser Gestalten zeigt. Die chemische Verfügungsgewalt über die körperlichen Energiereserven blieb auch für Judy Garland eine Illusion. Wie stark ihr das Leben durch ihrer Tablettensucht entglitt, davon erzählt am eindringlichsten der Roman „Valley of the Dolls” von Jacqueline Susann. Ironie des Schicksals: In der Film-Version des Romans tauchte auch Garland selbst auf. Allerdings nur ganz kurz. Nicht mal in ihrer eigenen Demontage reichte es noch für die Hauptrolle. FELIX DENK
HANS-CHRISTIAN DANY: Speed. Eine Gesellschaft auf Droge. Edition Nautilus, Hamburg 2008. 191 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Felix Denk lobt Hans-Christian Danys Geschichte des Aufputschmittels Amphetamin, das 1887 von einem rumänischen Chemiker in Berlin synthetisiert, zunächst beim Militär verwendet wurde und dem als eines seiner ersten prominenten Opfer Judy Garland verfiel. Acht Jahre habe Dany, selbst Künstler, Kurator und Autor an diesem Buch gearbeitet und dabei zahlreichen Exempeln prominenter User nachgespürt. Trotz der lesenswerten Geschichten von Garland, Hitler oder Elvis bleibt sein Buch aber mehr als eine Ansammlung von individuellen Drogengeschichten, bekundet der Rezensent gefesselt. Der Autor legt nämlich überzeugend dar, dass Amphetamin die Droge der "Leistungsgesellschaft" des vergangenen Jahrhunderts war, die nicht etwa Rausch, sondern Produktivitätssteigerung bringen sollte. Nur die am Ende von Dany geäußerte Befürchtung, Aufputschmittel würden demnächst so selbstverständlich genutzt werden wie das Handy, hält der Rezensent für übertrieben.

© Perlentaucher Medien GmbH