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Jean-François Kervégans langjährige Auseinandersetzung mit dem Werk Carl Schmitts verfolgt ein doppeltes, ein didaktisches sowie ein begriffliches Ziel. Der erste Teil des Buches enthält wichtige Angaben zur Lebens- und zur Werkgeschichte, die die komplizierte und polemische Rezeption seiner Schriften erklären können. Der zweite Teil des Buchs enthält den Versuch, mit Bezug auf fünf distinkte begriffliche Felder (Theologie, Normativität, Legitimität, Politik, Welt) die Richtigkeit und Fruchtbarkeit des Schmittschen Denkens zu prüfen. Es geht sozusagen darum, "mit Carl Schmitt gegen Carl…mehr

Produktbeschreibung
Jean-François Kervégans langjährige Auseinandersetzung mit dem Werk Carl Schmitts verfolgt ein doppeltes, ein didaktisches sowie ein begriffliches Ziel. Der erste Teil des Buches enthält wichtige Angaben zur Lebens- und zur Werkgeschichte, die die komplizierte und polemische Rezeption seiner Schriften erklären können. Der zweite Teil des Buchs enthält den Versuch, mit Bezug auf fünf distinkte begriffliche Felder (Theologie, Normativität, Legitimität, Politik, Welt) die Richtigkeit und Fruchtbarkeit des Schmittschen Denkens zu prüfen. Es geht sozusagen darum, "mit Carl Schmitt gegen Carl Schmitt" zu denken. Der Zweck dieser Überlegungen besteht darin, in Bezug auf die genannten Gegenstände zu zeigen, dass es sich empfiehlt, im doppelten Sinn der Redewendung "von Carl Schmitt auszugehen". Das heißt: Solange es fruchtbar scheint, sollte man sich seine Begrifflichkeit frei aneignen. Ansonsten aber von ihr Abschied nehmen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2019

Zugänge zu diesem unerbittlichen Denken
Nur unbelastete Autoren sind wirklich tot: Jean-François Kervégan arbeitet sich am Werk Carl Schmitts ab

Seit Jürgen Habermas vor fast siebzig Jahren "mit Heidegger gegen Heidegger" denken wollte, ist dieses Verfahren im Umgang mit intellektuellen Edelnazis vielfach imitiert worden: in der Begriffswelt einer radikalen Infragestellung der Moderne, aber zu deren letztendlicher Bejahung. Das gilt insbesondere auch für Carl Schmitt. Liberale, Linke und Konservative haben gleichermaßen mit ihm gegen ihn gedacht. Nun auch der in Paris lehrende Philosoph Jean-François Kervégan. Sein Buch über den richtigen Umgang mit diesem Autor liegt jetzt in deutscher Übersetzung vor.

Die titelgebende Frage: "Was tun mit Carl Schmitt?" ist durch die verstrichene Zeit bereits entschärft. Denn seit er tot ist, kann er jedenfalls nicht mehr gerichtlich belangt, sondern nur noch gelesen oder nicht gelesen, zitiert oder nicht zitiert, interpretiert oder vergessen werden. Kann man die Frage, wie dabei zu verfahren ist, für alle Texte eines Autors einheitlich beantworten? Schon in der Art der Frage manifestiert sich eine fast grenzenlose Konzeption von Autorschaft, die auch Kervégan vor allem biographisch, das heißt mit dem nationalsozialistischen Engagement Schmitts begründet. Tot ist nur der unbelastete Autor.

Kervégan möchte zeigen, dass Schmitts Kategorienwelt auf einer Spannung aufgebaut ist, die unversöhnliche Unterscheidungen erzeugt: auf der radikalen Andersartigkeit von Norm und Entscheidung etwa oder den Gegensätzen von Legalität und Legitimität, von Liberalismus und Demokratie, von Land und Meer. So sehr diese Gegenbegriffe Schlüssel zur historisch-politischen Entschlüsselung der fragilen Moderne seien, so wenigen taugten sie, so Kervégan, zur theoretischen Bewältigung der Lagen, die sie beschreiben. Schmitts Fragen, so könnte man das zusammenfassen, sind alle großartig, die Antworten leider alle falsch: Dass beispielsweise die staatliche, innerhalb parlamentarischer Verfahren erzeugte und von einer rationalen Bürokratie verwaltete Legalität die Frage ihrer Legitimität nicht beantwortet, hilft zwar bei der Rekonstruktion der Funktion von modernen Verfassungen und der Pathologien gegenwärtiger Gesetzgebung. Die "Relegitimation der Gesetzgebung" kann aber viel eher eine prozedurale Demokratietheorie leisten.

Natürlich ist Kervégan nicht der Erste, der dieses "unerbittliche, katalytische, überwältigende Denken", wie es Benno Zabel in seinem der Übersetzung beigegebenen Essay nennt, auf falsche Alternativen befragt, zu denen es führt. Und natürlich ist die Einsicht, dass die Erklärungskraft eines jeden Autors begrenzt ist, das Denken also über ihn hinaus muss, nicht sonderlich aufregend. Aber Kervégan hat eine diskutable Einteilung der Problemkomplexe anzubieten, die das Werk Schmitts durchziehen: Theologie, Normativität, Legitimität, Politik, Welt. Anhand dieser Leitkategorien diskutiert Kervégan Schmitts gesamtes Denken von den neukantianischen Anfängen bis zur Geschichtsphilosophie der Nachkriegszeit.

Dabei führt er mit einer beeindruckenden Kenntnis auch der entlegensten Texte durch die Denkwelt Schmitts, deren Mitte er in der Frage nach dem Schicksal des Staates in der Moderne sieht. Er zeigt Kontinuitäten auf, stellt überraschende Bezüge her und weist Widersprüche auf. Solcher Textkenntnis wird man es kaum zum Vorwurf machen, dass sie die jüngere internationale Schmitt-Forschung nahezu vollständig ignoriert. Den Anspruch einer immanenten Kritik löst er dabei vor allem in den Kapiteln über die politische Theologie und den Anti-Universalismus ein. Dagegen wird Schmitts Rechtstheorie weniger diskutiert als vielmehr durch Paraphrasen seines Antipoden Hans Kelsen wohlbekannten Gegenargumenten ausgesetzt.

Auch hat das Buch zwei weitere Ebenen, die die Argumentation bisweilen überfrachten. Kervégan hat ihm eine allgemeine Einführung in Biographie, Gesamtwerk und Rezeption vorangestellt und setzt sich zudem immer wieder kritisch, aber schwer nachvollziehbar, mit seiner eigenen früheren Schmitt-Interpretation auseinander. Eine solche Einführung mag in dieser Form auf Französisch nicht greifbar sein, in der Übersetzung hätte sie entfallen können, ebenso wie die Abschnitte zum Verhältnis von Jürgen Habermas zu Schmitt, über das anderswo Nuancierteres steht.

Lesenswert sind dagegen die Abschnitte zur französischen Schmitt-Rezeption, die Kervégan von den Schriften der französischen Gesprächspartner aus der Zwischenkriegszeit wie Jacques Maritain oder René Capitant bis zum Schmitt-Boom der Gegenwart nachzeichnet. Dabei demonstriert er noch einmal jene rätselhafte Bewegung eines Teils des intellektuellen Frankreichs von der Enttäuschung über den Marxismus hin zum deutschen Existenzialismus Schmitts und Heideggers. Auch in diesen Teilen bleibt aber, wer es genau wissen will, nicht selten ohne befriedigende Antwort: Über die Schmitt-Lektüre von René Capitant, einem bedeutenden französischen Staatsrechtler und Politiker der Vierten und Fünften Republik, wüsste man gern mehr, als dass ihn mit dem Mann aus Plettenberg ein großes Interesse an "Krisensituationen der Legitimität" verband. Für welchen politischen Denker der Zeit gälte das nicht?

In eine eher zweifelhafte Tradition reiht sich Kervégan ein, wenn er die Schriften der Jahre 1933 bis 1936 mit Ausnahme der 1934 erschienenen Schrift über die "drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens" als theoretisch wertlos beiseite schiebt und nur als Dokumente der Mitwirkung an einem Verbrechen gelten lassen will. Gerade im Falle Schmitts gibt es nämlich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Texte der NS-Zeit einen anderen Anspruch oder Status hätten als die früheren und späteren. Nach der Veröffentlichung von Martin Heideggers "Schwarzen Heften" ist es wohl an der Zeit, eine für die Forschung verlässliche Edition der nationalsozialistischen Schriften Schmitts in Angriff zu nehmen, von dem im April 1933 erschienen Artikel über das Ermächtigungsgesetz bis zum 1936 publizierten Vortrag über "Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist".

FLORIAN MEINEL

Jean-François Kervégan: "Was tun mit Carl Schmitt?"

Aus dem Französischen von Bernd Schwibs. Mit einem Essay von Benno Zabel. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen 2019. 367 S., br., 29,- [Euro].

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