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Kaum ein Thema hat den Diskurs um den Islam in Deutschland in den letzten zwei Jahren so sehr bestimmt wie der Salafismus. Doch wie groß ist die Bedrohung durch die sogenannten Salafisten wirklich? Was glauben Salafisten eigentlich genau? Inwiefern unterscheiden sie sich von anderen islamistischen Strömungen? Was macht den Salafismus für Jugendliche so attraktiv? Wie steht es um das Verhältnis zur Gewalt? In diesem Band zeichnen internationale Experten ein ganzheitliches Bild des Phänomens "Salafismus" in Deutschland und im internationalen Kontext. Mit Beiträgen von Guido Steinberg, Joas…mehr

Produktbeschreibung
Kaum ein Thema hat den Diskurs um den Islam in Deutschland in den letzten zwei Jahren so sehr bestimmt wie der Salafismus. Doch wie groß ist die Bedrohung durch die sogenannten Salafisten wirklich? Was glauben Salafisten eigentlich genau? Inwiefern unterscheiden sie sich von anderen islamistischen Strömungen? Was macht den Salafismus für Jugendliche so attraktiv? Wie steht es um das Verhältnis zur Gewalt? In diesem Band zeichnen internationale Experten ein ganzheitliches Bild des Phänomens "Salafismus" in Deutschland und im internationalen Kontext.
Mit Beiträgen von Guido Steinberg, Joas Wagemakers, Aaron Zelin, Claudia Dantschke, Justyna Nedza, Nina Wiedl, Mohammad Gharaibeh, Bacem Dziri, Samet Yilmaz, Olaf Farschid, Benno Köpfer, Mohammed Masbah und Samir Amghar sowie einem Vorwort von Tilman Seidensticker
Autorenporträt
Behnam Timo Said, geb. 1982, hat in Hamburg Islamwissenschaft, Politikwissenschaft sowie Sozial- und Wirtschaftsgeschichte studiert. Seit 2008 ist er als Islamwissenschaftler bei der Behörde für Inneres und Sport Hamburg, Amt für Verfassungsschutz tätig. Hazim Fouad, geb. 1984, hat in Bochum, Kairo und London Anglistik/Amerikanistik und Orientalistik/Islamwissenschaft studiert. Seit 2011 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Senator für Inneres und Sport, Landesamt für Verfassungsschutz Bremen tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2014

Die sündigen westlichen Werte

Steinzeit oder Avantgarde? Salafisten behaupten, den wahren Islam zu lehren, sind aber selbst in viele Gruppen zersplittert. Ein Sammelband liefert dringend nötige Aufklärung.

Der Salafismus macht in der arabischen Welt von sich reden und beunruhigt seit einigen Jahren auch die europäische Öffentlichkeit; mehr und mehr wird sogar Deutschland von diesem religiös-politischen Phänomen bewegt - von der Frage vor allem, was der Salafismus als eine besonders radikale Strömung im Islam eigentlich sei, was er wolle und ob man ihn zu fürchten habe. Der von den beiden Islamwissenschaftlern Behnam T. Said und Hazim Fouad herausgegebene Sammelband gibt darauf eine umfassende, wissenschaftlich fundierte und detaillierte Antwort.

Als theologische Bewegung gibt es den "Salafismus" in der traditionellen islamischen Hemisphäre seit Jahrhunderten, in wiederkehrenden Wellen und Schüben einer "nach hinten" gewandten Quellenauslegung; in Europa und Amerika ist er hingegen eine Erscheinung allenfalls der neunziger Jahre. Vor allem in West-, Nord- und Mitteleuropa stößt er auf eine sich stärker säkularisierende, auch entchristlichte westliche Welt und ruft Befremden, bisweilen auch Verstörung hervor. Während sich viele andere islamische Strömungen mit der Moderne auseinandersetzen und dabei auch zu differenzierten Auffassungen gelangen, sind sich Salafisten in ihrer manichäischen Ablehnung von Demokratie, Pluralismus und "sündigen westlichen Werten" prinzipiell einig.

Alle fünfzehn muslimische und westliche Orientalisten und Gesellschaftswissenschaftler des Bandes sprechen entweder Arabisch als Muttersprache oder beherrschen das Arabische. Sie haben also Zugang zu den Originalquellen des Salafismus aller Jahrhunderte. Die Aufsätze zeigen freilich, dass selbst diese radikalste Erscheinung der islamischen Religion und Kultur differenziert zu betrachten ist. Nach außen hin erscheint der Salafismus häufig monolithisch. Wer den umfangreichen Band studiert, bekommt aber den Eindruck, es handele sich um ein ähnlich zersplittertes ideologisches Konstrukt, wie es seinerzeit die verschiedenen sektiererischen Gruppen des Marxismus und Neo-Marxismus waren, die sich allein in ihrer Ablehnung des Kapitalismus einig waren, sonst aber in nichts.

Salafisten streben nach dem "wahren Islam". Den freilich legen sie von vornherein fest: Es ist für sie der Islam der "frommen Altvorderen" (al salaf al salih), wie er angeblich in den ersten drei Generationen nach dem Hinscheiden des Propheten Mohammed im Jahre 632 nach Christus bestand, insbesondere zur Zeit der sahaba, der direkten Genossen des Propheten, die ihn persönlich kannten. Durch diese Hinneigung zu einem vorgeblichen Ur-Islam und durch die empörende Rigidität ihrer (in westlichen Publikationen oft als "Steinzeitislam" bezeichneten) Auffassungen unterscheiden sie sich von der Mehrheit der Muslime, erst recht der "liberalen", die nämlich in den Jahrhunderten des "Hochislam", insbesondere der Zeit der Abbassiden (750 bis 1258), das Goldene Zeitalter ihrer Religion und Kultur erblicken, dessen Glanz und Größe man wieder erreichen müsse. Mit dem Islamismus hat der Salafismus viel, mit dem traditionellen Islam schon weniger, mit dem liberalen gar nichts zu tun, ebenso wenig mit dem Schiitentum oder gar der Mystik, dem Sufismus, der eine Religion des Herzens und der inneren Gotteserfahrung ist. Salafisten treiben den islamischen Fundamentalismus (Islamismus) auf die Spitze.

Immer wieder entstanden im dar al islam, dem Gebiet islamischer Herrschaft, Bewegungen, die auf eine - zumeist defensiv verstandene - "Erneuerung" der Religion aus waren und versuchten, nach ihrer Meinung unzulässige Neuerungen (bid'a) zu bekämpfen. Zum Stammvater dieser "Reinigungsbestrebungen" wurde Ibn Taimiya (1263 bis 1328), der seine Lehren nach dem für die islamische Welt verheerenden Einfall der Mongolen als eine Doktrin des Widerstandes gegen den damit einhergehenden Verfall, wie er ihn verstand, gesehen haben wollte. Gegen das Osmanentum und seine hanafitische, von ihm als zu offen empfundene Auslegung des Islam wandte sich im achtzehnten Jahrhundert Mohammed Ibn Abdal Wahhab, dessen Doktrin - der sogenannte Wahhabismus - heutzutage in Saudi-Arabien herrscht.

Der Essay von Guido Steinberg (Stiftung Wissenschaft und Politik) mit dem Titel "Saudi-Arabien. Der Salafismus in seinem Mutterland" ist der Kern dieser Sammlung von Texten. Er macht das Königreich als den Hort fast aller salafistischen Strömungen fest, die mit Ölgeld auch nach Kräften gefördert werden. Mehr als die eher traditionell ausgerichtete Al-Azhar-Moschee und -Universität zu Kairo machen heute die saudischen Universitäten von Mekka und al Medina Stimmung in der islamischen Welt. Doch wie in Goethes Ballade vom Zauberlehrling und alten Hexenmeister wurde Saudi-Arabien selbst Opfer der eigenen Propaganda. Viele Salafisten lehnen die Verbindung Riads mit Washington ab, schon 1979 kam es zur vorübergehenden Besetzung der Großen Moschee zu Mekka durch einen salafistischen "Mahdi" aus dem Jemen. Auch Usama Bin Ladin und seine Al Qaida entstammten ursprünglich diesem religiös-politischen Biotop.

Dennoch ist Salafismus nicht gleich Salafismus. Quietistische Gruppen wollen ihre radikale Art der Religionsausübung allein durch Predigt verbreiten und lehnen politischen Aktionismus ab. Unter ihnen gibt es, wie Samir Amghar beschreibt, Inkludisten und Exkludisten, das heißt Muslime, die gegenüber abweichenden Meinungen offener sind, und andere, die auf dem Alleinvertretungsanspruch ihres "wahren Islam" beharren, die übrigen Muslime zu "Ungläubigen" (kuffar) erklären. Man könnte sie mit antimodernen christlichen Sekten vergleichen, die alles unternehmen, um die moderne Welt aus ihrer Lebenswirklichkeit zu verbannen, wobei die Salafisten sich durchaus modernster Technik bedienen, um ihre rigiden Vorstellungen einer wahren islamischen Gemeinschaft unter das Volk zu bringen.

Die politisch ausgerichteten Salafisten hingegen streben offen nach dem "wahren islamischen Staat", nach dem von ihnen imaginierten Vorbild der frühislamischen Gemeinde, wobei manche Gruppen - zumal in der europäischen Diaspora - das politische Engagement zunächst rein defensiv verstehen: als Durchsetzung der Rechte von Muslimen in den westlichen Gesellschaften. Ihr Vehikel sind - manches Mal auch gewalttätige - Demonstrationen, wie sie auch in Deutschland vorkamen. Die dschihadistischen bis terroristischen Salafisten schließlich, die nicht weniger zersplittert sind und sich in ideologischen Grabenkämpfen verlieren, machen kein Hehl aus ihrem Ziel: die bestehenden Regime in der islamischen Welt durch ihnen gemäße "frühislamische" zu ersetzen, in denen Gott "der alleinige Souverän" ist. Alles andere ist Götzendienst.

Von besonderem Interesse für hiesige Leser ist der europäische beziehungsweise deutsche Kontext des Salafismus, von dem seit etwa 25 Jahren gesprochen werden kann. Neben Großbritannien und Frankreich tritt insbesondere seit dem Irakkrieg auch Deutschland mehr und mehr in den Brennpunkt. Die Zahl der Salafisten bleibt jedoch mit vier- bis fünftausend Anhängern bei etwa vier Millionen Muslimen überschaubar. Immer öfter wenden sich auch Deutsche ohne türkischen oder arabischen Migrationshintergrund dem Salafismus zu. Schwerpunkte des Salafismus haben sich in Köln und Frankfurt herausgebildet, salafistische Prediger wie Pierre Vogel (Abu Hamza) machen von sich reden und bringen Verfassungsschützer auf den Plan. Der wichtigste Ort salafistischer Präsenz ist jedoch das Internet, wie die Orientalistin Nina Wiedl in ihrem Beitrag über die "Geschichte des Salafismus in Deutschland" schreibt.

Für manche Jugendliche scheint gerade der Rigorismus salafistischer Gebote und Verbote das zu sein, was sie in einer beliebiger werdenden Gesellschaft an einfachen Lösungen und Sinnstiftungen brauchen. Der Verfassungsschutz allein hilft im Kampf gegen diese Orientierungslosigkeit und den Rigorismus nicht.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Behnam T. Said/Hazim Fouad (Hrsg): "Salafismus". Auf der Suche nach dem wahren Islam.

Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2014. 527 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für den Sammelband "Salafismus" haben die Herausgeber Behnam T. Said und Hazim Fouad fünfzehn Orientalisten und Gesellschaftswissenschaftler unterschiedlichster Herkunft gewinnen können, die sich mit der Geschichte dieser Strömung des Islam beschäftigen, die allerdings in sich noch einmal so gespalten ist, dass Rezensent Wolfgang Günter Lerch vor einer zu einheitlichen Vorstellung warnt. Es gibt zwar eine gemeinsame Orientierung am sogenannten "frommen Altvorderen", und auch ein nach dem "imaginierten Vorbild der frühislamischen Gemeinde" ausgerichtetes Leben ist den verschieden Ausprägungen gemein, informiert der Rezensent, doch während manche Gruppen sich deshalb hauptsächlich für religiöse Freiheiten einsetzen und ihren partikularen Glauben predigen, gibt es auch offensivere Gruppen, die vor allem in der islamischen Welt den "frühislamischen" Staat wieder einführen wollen, einige davon auch durchaus gewaltbereit, fasst Lerch zusammen. Faszinierend findet der Rezensent die Technikaffinität der Salafisten: vor allem in nordeuropäischen Ländern findet ein Großteil der religiösen und politischen Arbeit im Internet statt, verrät Lerch, der in diesem Buch sichtbar viel gelernt hat.

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