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Vor 200 Jahren wurde in Marne der große Gelehrte Karl Viktor Müllenhoff geboren. Er arbeitete intensiv mit Theodor Storm, Theodor Mommsen und Klaus Groth zusammen. In seiner Berliner Zeit stand er in engem Kontakt mit den Brüdern Grimm. Müllenhoff ist vor allem bekannt geworden durch seine Sammlung der Märchen, Lieder und Sagen, mit der er einen wichtigen Teil der kulturellen Überlieferung Schleswig-Holsteins sicherte.Das Müllenhoff-Lesebuch präsentiert die schönsten Märchen aus Schleswig-Holstein. Auch die Sagen um Klaus Störtebeker und Martje Floris, über das Biikebrennen und Rungholt, über…mehr

Produktbeschreibung
Vor 200 Jahren wurde in Marne der große Gelehrte Karl Viktor Müllenhoff geboren. Er arbeitete intensiv mit Theodor Storm, Theodor Mommsen und Klaus Groth zusammen. In seiner Berliner Zeit stand er in engem Kontakt mit den Brüdern Grimm. Müllenhoff ist vor allem bekannt geworden durch seine Sammlung der Märchen, Lieder und Sagen, mit der er einen wichtigen Teil der kulturellen Überlieferung Schleswig-Holsteins sicherte.Das Müllenhoff-Lesebuch präsentiert die schönsten Märchen aus Schleswig-Holstein. Auch die Sagen um Klaus Störtebeker und Martje Floris, über das Biikebrennen und Rungholt, über das alte Plön und den Ugleisee und das berühmteste Lied aus Müllenhoffs Sammlung, "Dat Du min leevsten büst", werden hier wiederentdeckt. Theodor Storm und Klaus Groth kommen ebenso zu Wort wie Theodor Mommsen und Jacob und Wilhelm Grimm. Lesenswert sind auch ausgewählte Briefe Müllenhoffs, die besonders Stationen seines Werdegangs lebendig werden lassen.Eingeleitet wird der kurzweilige Banddurch eine biografische Annäherung von Frank Trende, die Müllenhoffs Weg aus Dithmarschen und Kiel nach Berlin nachzeichnet.
Autorenporträt
Frank Trende, geboren 1963, Ministerialrat, Autor zahlreicher Beiträge und Bücher zur schleswig-holsteinischen Landeskunde und Kulturgeschichte. Zuletzt im Boyens Buchverlag besonders erfolgreich: "Historische Orte erzählen Schleswig-Holsteins Geschichte", "Literarische Reisen zwischen Nord- und Ostsee", "Neuland! war das Zauberwort", "Herrenhaus-Geschichten im Herzen Schleswig-Holsteins" und "Sie rettete die ganze Stadt".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2019

Unter Profis trägt Gefühlsgewissheit nicht weit
Unerbittlicher Kämpe im Nibelungenstreit: Frank Trendes Lesebuch zum Germanistenpionier Karl Müllenhoff

In Gustav Freytags Roman "Die verlorene Handschrift" (1864) gibt es eine unscheinbare Szene, die sehr viel über die Wissenschaftsgeschichte der Deutschen Philologie aussagt. Als nämlich Germanistikprofessor Felix Werner auf der Suche nach einem Manuskript seiner späteren Frau Ilse begegnet, verbinden sich die Sphären der Bürger- und der Gelehrtengemeinschaft im Zeichen der Liebe: "Als sie ihm seine Tasse in die Hand gab, sah er so glücklich aus, als hätte er den geheimen Sinn einer schwierigen Schriftstelle gefunden." Philologie, die Liebe zum Wort, und die Intimität der Ehe teilen eine gemeinsame Aufmerksamkeitshaltung: Hier wie dort darf das Objekt der Zuneigung vollständige Beachtung erwarten. Einer der wichtigsten Vertreter dieses philologischen Ethos war Karl Müllenhoff, dessen 200. Geburtstag im letzten Jahr war. Das "Lesebuch" von Frank Trende erinnert an den großen Gelehrten und charakterisiert mit ausgewählten Dokumenten sein wissenschaftliches Leben.

Müllenhoff studierte bei Moriz Haupt, den sich Freytag zum Vorbild für seinen Gelehrten auf der Jagd nach der verlorenen Handschrift genommen hatte. Er gab die Schriften Jacob Grimms heraus und reüssierte mit einer Sammlung von "Sagen, Märchen und Liedern der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg", die noch Walter Benjamin in einem Atemzug mit den "Kinder- und Hausmärchen" nannte. Jacob Grimm galt zwar vielen seiner Kollegen als etwas zu kühn in der Thesenbildung, gleichwohl verkörperte er in geradezu idealer Weise die "Andacht zum Unbedeutenden". Germanisten dieses Schlags, so meinte ein Schüler Müllenhoffs, blickten "in das Antlitz des deutschen Volkes" wie in das "Antlitz der Geliebten", auf "jedes Fältchen, jeden Schatten, der über die Stirn hingleitet, jede Locke, die heute anders gelegt ist als gestern, jeden veränderten Zug, der um Mund und Auge spielt". Kurzum: "Die Liebe sieht alles ..." - und, so muss man hinzufügen, sie liebt alles.

Diese hingebungsvolle Haltung unterschied die Profis von den Nebenstundengelehrten. Während man sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus ganz unterschiedlichen Gründen als Germanist fühlen konnte und dabei ein größeres Publikum im Blick behalten durfte, geriet diese Position im Zuge der wissenschaftlichen Spezialisierung unter Verdacht. Die deutsche Philologie steckte wie andere moderne Wissenschaften ihren Sonderhorizont ab. Für die Germanistik bedeutete dies allerdings eine besondere Herausforderung, weil die Alphabetisierungsrate steil nach oben ging und Bücher generell immer billiger wurden. Um deutsche Dichter zu lesen, benötigte man keine wissenschaftlichen Kompetenzen. "In Sachen deutscher Litteratur und Sprache", so pöbelte Müllenhoff, "traut sich jeder leicht ein Urtheil und Kenntnis zu; gerade diejenigen pflegen am lautesten und häufigsten mitzusprechen, die am wenigsten davon verstehen".

Die gelehrten Tugendhelden erwarteten von ihresgleichen Treue und Entsagungsbereitschaft. Wer sich wirklich seriös und professionell mit der Sprach- und Literaturgeschichte befassen wollte, dem musste jeder Buchstabe gleichermaßen wertvoll sein, jede Verszeile und jeder Halbsatz, der sich auf irgendeinem Pergamentfragment fand. Der Dilettantismus von "Liebhabern" erschien nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern vor allem auch moralisch fragwürdig. Noch aber blieben die Zugangsschranken durchlässig, auch weil es keine formalisierten Berufungsverfahren gab. Als "Professor der deutschen Litteratur und Sprache", klagte Müllenhoff, kamen viel zu viele in Frage, denn "nach der speciellen philologisch-wissenschaftlichen Vorbildung wird dabei nicht gefragt".

Außenstehenden erschien Müllenhoff wie ein "verdorrter Jacob Grimm". Aus der Innenperspektive aber war der Vorwurf, ein "Stockphilologe" zu sein, ein großes Lob, ebenso wie der Tadel Ludolf Wienbargs, der meinte, ein Gelehrter wie Müllenhoff trage Volkspoesie nicht fürs Volk zusammen. Entscheidend war für Müllenhoff freilich, dass empirische Forschung mit "strenger Methode" getrieben wird.

Der Streit um die Frage, wer zur Scientific Community gehört und wer draußen bleiben muss, eskalierte im sogenannten "Nibelungenstreit" um die angemessene Auffassung des Heldenlieds. Hier gab Müllenhoff als zentrale Figur der Berliner Partei seiner Streitlust freien Lauf. Ein Rezensent traf dabei durchaus einen wunden Punkt, als er kritisierte, Müllenhoff nenne dasjenige "verkehrt, unvernünftig, thöricht ..., was mit seinen Meinungen oder den Ansichten derjenigen, deren Auctorität er huldigt, nicht übereinstimmt". Er sei "mit solchen Ausdrücken dann am freigebigsten..., wenn er keine haltbaren Gründe gegen etwas vorzubringen weiß". Solange die Kenner unter sich und mehr oder weniger einer Meinung waren, genügte es tatsächlich, sich auf das eigene philologische Gespür und Taktgefühl zu berufen. Im "Nibelungenstreit" aber standen sich zwei Gruppen von Profis gegenüber, die beide Anspruch auf harte Wissenschaftlichkeit erhoben. Gefühlsgewissheit half nicht mehr weiter. Für diese Pattsituation hatte Müllenhoff keinen Lösungsvorschlag parat und verschloss sich zudem den Innovationsangeboten, die sein Schüler Wilhelm Scherer entwickelte. Dazu zählte auch die Ausdifferenzierung der "Neueren deutschen Literaturwissenschaft", die die Konflikte der älteren Abteilung einfach ignorieren durfte.

Es ist eine schöne und passende Idee, einen Gelehrten wie Müllenhoff durch ein Lesebuch zu charakterisieren, das ihn aus ganz verschiedenen Perspektiven zeigt. Auszüge aus den Märchen und Sagen, aus Briefen und Aufsätzen vermitteln einen Eindruck von den Forschungsleidenschaften und den Alltagssorgen des Gelehrten. Rezeptionszeugnisse von Schriftstellern belegen, dass Literatur und Literaturwissenschaft trotz ihrer konsequent gepflegten Abneigung doch enge Beziehungen unterhalten. Die ausführliche biographische Einleitung des Lesebuchs bietet einen erhellenden Rahmen.

Leider bleiben die Prinzipien der Textauswahl dabei unklar. Doppelungen hätten vermieden werden können, und für die Leser wären größere kuratorische Bemühungen, orientierende Zwischentexte oder Anmerkungen von Vorteil gewesen, um die eigentümlich zeitgebundene Modernität Müllenhoffs zu verstehen. Der jedenfalls würde in den heutigen Wissenschaftsbetrieb gut passen, wenn er nach wie vor behauptete: "Wissenschaft ist Arbeit, und wer nicht arbeiten will, muß fortbleiben."

STEFFEN MARTUS

Frank Trende (Hrsg.): "Die Geschichten sind ja schnell gelesen". Ein Müllenhoff-Lesebuch.

Boyens-Verlag, Heide 2018. 256 S., geb., 24,- [Euro].

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