Snapshots Blog - von Sascha Josuweit

Fett auf der Krim

Von Sascha Josuweit
07.03.2014. Aleatorisch Bildmaterial, Netznews und Gossip verarbeitend erkundet unser Autor die Möglichkeiten eines Parallelfeuilletons
Zu den weniger bekannten Details über Joseph Beuys zählt die Tatsache, dass der junge Luftwaffenfreiwillige Teile seiner Funkerausbildung von dem Tierfilmer Heinz Sielmann erhielt. Sielmann war Ausbilder an der Luftnachrichtenschule der Wehrmacht in Posen. Einem breiten Publikum wurde er durch seine näselnd kommentierten »Expeditionen ins Tierreich« bekannt. Sielmann war es auch, der bei Beuys das Interesse für Botanik und Zoologie weckte. Nach Beendigung der Ausbildung wurde Beuys auf der Krim stationiert und nahm erfolgreich am Luftkampf um Sewastopol teil, damals wie heute die strategisch hochwichtige Basis der russischen Schwarzmeerflotte und eine mächtige Festung. Nach Einsätzen in Königgrätz und an der östlichen Adria wurde Beuys '44 erneut auf die umkämpfte Halbinsel beordert. Diesmal siegte unter großen Verlusten die Rote Armee. Hitler hatte die Krim in Gotengau umbenennen und gemäß der »Heim ins Reich«-Doktrin mit Volksdeutschen aus Südtirol besiedeln wollen, daraus wurde nun nichts. Die Stuka mit Beuys an Bord geriet in Schlechtwetter und stürzte ab. Es folgt die bekannte Legende aus Tartarenfett und Filz. Die Vorstellung von spiritueller Heilung und einer Übertragung von Heilenergie erlaubte es dem Steinerianer Beuys, selber als schamanistischer Schmerzensmann in Erscheinung zu treten. Bezug nehmend auf die von Margarete und Alexander Mitscherlich diagnostizierte »Unfähigkeit zu trauern« führt Sandro Bocola in seiner psychoanalytischen Kunstgeschichte »Die Kunst der Moderne« Beuys' manischen Messianismus auf die narzisstische Kränkung durch die Niederlage im Zweiten Weltkrieg zurück. Der Leipziger Künstler Jörg Herold besuchte die Absturzstelle auf der Krim und sprach mit Zeitzeugen. Er fand heraus: Die Zeitspanne zwischen der Havarie der Ju 87 und der Versorgung des nur leicht verletzten Beuys in einem Feldlazarett der Wehrmacht betrug nicht einmal 24 Stunden.