Spätaffäre

Das Phänomen geht über das Politische hinaus

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
21.01.2014. Im Abendprogramm bieten wir eine Dokumentation über Jean Seberg aus der Mediathek von Arte, eine längere Diskussion über Claudio Abbado im SWR, eine "Répliques"-Folge mit Alain Finkielkraut und Reiner Stach über Kafka und den Überwachungsstaat.

Für die Augen

Nur noch bis morgen zu sehen: Anne Andreus schöne Dokumentation über Jean Seberg, in der man ihre Stimme hört, alte Fersehinterview zu sehen bekommt und Zeitgenossen wie Clint Eastwood über sie sprechen. In der Arte-Mediathek, 53 Minuten.

Eine weitere letzte Chance auf Arte: Benno Soukups Hommage an Arno Schmidt, die mit vielen von Schmidt selbst geschossenen Fotografien in HD aufwartet. In der FR zeigte sich Hans-Jürgen Linke davon sehr begeistert: "Das vielstimmige Porträt begnügt sich nicht mit Chronologie und Tatsachen, obwohl es in diese Hinsicht kaum Wünsche offen lässt. … Seine Poesie bekommt der Film vor allem durch das elegische Zeitgefühl, das sich in ihm ausbreitet."
Archiv: Für die Augen

Für die Ohren

Die Musikkritiker Uwe Friedrich und Wolfgang Schreiber sowie der Kontrabassist und Ex-Philhamoniker Rudolf Watzel unterhalten sich, moderiert von Ursula Nusser, im SWR 2-Forum über Claudio Abbado. Die Unterhaltung ist besonders interessant, weil Watzel auch die Konflikte zwischen den Philharmonikern, die zur Zeit der Übernahme des Orchesters durch Abbado noch stark von Herbert von Karajan, ja Furtwängler geprägt waren und dem eher antiautoritären Abbado zu Spreche bringt. Die Sendung dauert 45 Minuten.

Was auch immer man von Alain Finkielkraut hält - niemand spricht das Französische besser aus als er. Schon deshalb ist es ein Vergnügen, seiner France-Culture-Sendung Répliques zuzuhören. In seiner letzten Sendung vom Samstag unterhält er sich mit Catherine Kintzler und Nacira Guénif-Souilamas, Autorinnen neuer Bücher zum Thema, über Herausforderungen des Laizismus.

Keine Lust auf Wortbeiträge? Dann schwelgen Sie einfach in den entspannten Klängen der Mülheimer Band Bohren & der Club of Gore, deren Ambient Jazz einen ganz tief in die Nacht entführt. Das neue, am 24. Januar erscheinende Album kann man bei Pitchfork vorab in voller Länge hören.
Archiv: Für die Ohren

Für Sinn und Verstand

Was Kafka im "Prozess" vorweggenommen hat, waren nicht die großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts, nicht Terror und Verfolgung, meint sein Biografie Reiner Stach in einem lesenswerten Essay im New Statesman, sondern den modernen Überwachungsstaat, der vor allem dank seiner willigen Helfer so gut funktioniert: "Kafka beschrieb nicht nur, wie aus Menschen Opfer wurden, sondern zeigte auch, in welchem Maß die Macht auf die Komplizenschaft ihrer Opfer angewiesen ist. Das Phänomen geht über das Politische hinaus und berührt die Erkenntnise der Psychoanalyse. Wenn ein Sohn auch seinem Vater auch noch lange nach dessen Tod gehorcht, heißt dies, dass er die Knute, die ihn einst niederhielt, in die eigene Hand genommen hat... Für Kafka war das Problem nicht die Maschinerie, - die Bürokratie selbst ist nicht schuld, sie ist kein aktivier Agent. Die Schuld trifft uns."

In der London Review of Books beobachtet Perry Anderson, wie die französischen Provinzstädte aus dem Schatten des selbstgerechten Paris heraustreten. Selbst das erzkatholische Nantes ist unter ihrem Ex-Bürgermeister Jean-Marc Ayrault zu einer echten Kulturmetropole geworden: "Die Handelsbourgeoisie von Nantes zeigte unter dem Ancien Regime so wenig Interesse am intellektuellen Leben, dass mehrmals versucht wurde, die Universität nach Rennes zu verlegen, und als die Revolution alle Universitäten der alten Ordnung abschaffte, wurde bis 1960 nichts unternommen, um eine neue zu gründen. Ein halbes Jahrhundert später gilt Jules Vernes Spott nicht mehr. Das Banausentum ist dem kulturellen Engagement europäischer Städte gewichen, in denen Konzerte, Festivals und Kolloquien das Image der Stadt fördern und Investitionen anziehen sollen. Was Nantes von anderen derartigen Programmen unterscheidet, ist der Raum, den es Filmen aus Afrika, Asien und Lateinamerika auf seinem Festival der drei Kontinente bot. Alle drei der aktuell besten chinesischen Regisseure - Hou Hsiao-Hsien, Jia Zhangke und Wang Bing - verdanken ihren Durchbruch den Erfolgen in Nantes, das mit Jacques Demy auch ihr eigenes Talent hervorgebracht hat."