Spätaffäre

Chaos im Kopf

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07.02.2014. Zu sehen gibt es Josef von Sternbergs Stummfilm "The Docks of New York", der heute die Retrospektive der Berlinale eröffnet. Außerdem: Wes Anderson über Hotels, Markus Gabriel und Wolfgang Welsch über die Postmoderne, Tag Gallagher über John Fords "Stagecoach" und Thierry Chervel über den Relaunch der Feuilletonrundschau im Perlentaucher.

Für die Augen

Heute beginnt die Retrospektive der Berlinale unter dem Titel "Aesthetics of Shadow" (hier Friederike Horstmanns Überblick im Perlentaucher). Eröffnungsfilm und ganz sicher ein Highlight der Reihe ist Josef von Sternbergs Stummfilm "The Docks of New York" aus dem Jahr 1928, über den Lukas Foerster gestern in der taz schrieb: "Nur für eine Nacht hat die Hauptfigur, ein von George Bancroft verkörperter Heizer, Landgang. Er entsteigt dem infernalischen, düster dampfenden Schiffsbauch, in dem er seine Tage verbringt, und stürzt sich im Hafenviertel der verruchten Nachtclubs und behelfsmäßig eingerichteten Apartments in die Liebe zu einem 'gefallenen Mädchen'. Diese Liebe setzt sich in dem späten, atmosphärischen Stummfilm am Ende durch - gegen alle Wahrscheinlichkeiten, vor allem aber auch gegen den lockenden Ruf der beiden unterschiedlichen Schattenwelten, in der die beiden Liebenden vorher zu Hause waren." Bei Dailymotion ist der Film in voller Länge und guter Qualität zu sehen. (78 Minuten)

Und noch einmal Retrospektive: Morgen Abend wird auf der Berlinale John Fords Western "Stagecoach" gezeigt, der den jungen John Wayne über Nacht zum Star machte. Hier ist ein äußerst sehenswerter Videoessay des amerikanischen Filmhistorikers Tag Gallagher zu diesem Klassiker. (via Kevin B. Lee, 25 Min.)


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Für die Ohren

Marcel Weiß von Neunetz unterhält sich mit Perlentaucher Thierry Chervel über den Relaunch der Feuilletonrundschau im Perlentaucher und 14 Jahre Medienwandel seit der Gründung des Magazins.



Der Philosoph Markus Gabriel erläutert auf Deutschlandradio Kultur seine Weltsicht. Er nennt sie den "Neuen Realismus" und zieht einen Schlussstrich unter die Postmoderne: Die Welt der Gedanken ist genauso wirklich wie die Welt der Dinge. Doch so vielfältig die Perspektiven sein können - das Ding bleibt, was es ist. (12 Min.) - Im selben Sender meint sein Kollege Wolfgang Welsch, es gehe bei der Postmoderne nicht um Beliebigkeit, sondern um angemessenes Handeln. Die Verabschiedung von ihren kommunistischen Hoffnungen war für die Vordenker der Postmoderne um Jean-François Lyotard das Eintrittstor in die postmoderne Theorie der 1980er-Jahren. An die EINE große Lösung für die Welt wollten sie nicht mehr glauben. (15 Min.)
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Für Sinn und Verstand

In The New Republic nimmt Philip Kennicott den britischen Komponisten Benjamin Britten aufs Korn. Liest man den Text zu Ende, stellt man fest, dass er durchaus einiges Schätzenswerte und sogar "Dorniges" in seiner Musik findet. Aber der Mittelteil über diese "Genie aus der Mittelklasse", das in seinen jungen Jahren Rachmaninows Musik als sentimentalen "Papp" verabscheute und Berg und Schönberg verehrte, ist ein Schlachtfest: "Egal, was der junge Komponist über sentimentalen 'Papp' sagte, Britten schwelgte darin, wie die meisten Menschen in Braten und Schnaps. Und er ist nie so genial wie bei den raren Gelegenheiten, - 'Albert Hering' zum Beispiel - wo er sich einen zweiten Martini genehmigte."

Wes Anderson, dessen neuer Film "Grand Budapest Hotel" gestern die Berlinale eröffnete, erzählt in einem sehr amüsanten Gespräch mit Sven Michaelsen im SZ-Magazin von seinen persönlichen Vorlieben, Abneigungen und Erfahrungen mit Hotels: "Ich habe in Japan mal in einem Ryokan übernachtet. Zur Tradition dieser Gasthäuser gehört es, dass der Gast am späten Nachmittag eincheckt, ein ausführliches Bad nimmt und dann ein Abendessen mit vielen Gängen serviert bekommt. Bedauerlicherweise wusste ich von alldem nichts. Als wir abends um halb elf ankamen, hatten die Angestellten seit Stunden auf uns gewartet. Wir konnten also unmöglich Nein sagen. Was normalerweise dreieinhalb Stunden dauert, absolvierten wir in fünfundvierzig Minuten."