Spätaffäre

Wir fragten nicht, wir urteilten

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16.05.2014. Bei Arte ist der koreanische Regisseur Hong Sang-Soo zu entdecken. Adam Curtis erzählt die Geschichte der Weltmacht USA als assoziatives Kaleidoskop. Costa-Gavras packt in France Culture die heißesten Eisen an. Und Frank Schirrmacher erläutert auf Horizont.net die Rolle der FAZ im Europawahlkampf der SPD.

Für die Augen

Selten genug, dass sich ein Film des koreanischen Regisseurs Hong Sang-Soo nach Deutschland verirrt. Arte zeigt von dem insbesondere in cinephilen Kreisen für seine einfachen, aber clever und behutsam erzählten Geschichten gefeierten Regisseur nun "Hahaha - Das Leben ist ein Witz". Zwei schöne Texte zum Film gibt es hier im Blog von Lukas Foerster und hier von Ekkehard Knörer bei Cargo. Hier steht in der Film Sendermediathek (111 Minuten).

Die späten Fünfziger- und die Sechzigerjahre waren ein politisch wie kulturell enorm formatives und folgenreiches Kapitel der Geschichte. In seinem (nach einem Song von Carole King betitelten) Essayfilm "It Felt Like a Kiss" aus dem Jahr 2009 montiert Adam Curtis Archivmaterial, Filmausschnitte und Popsongs zu einem faszinierenden Kaleidoskop, dessen bisweilen verschwörungstheoretischer Gestus durch assoziative Offenheit unterlaufen wird. Wirr, brillant, bewusstseinserweiternd. (54 Minuten)

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Für die Ohren

Jérôme Clément, der ehemalige Chef von Arte, hat für den immer wieder empfehlenswerten französischen (Staats- und) Kultursender France Culture in dieser Woche fünf Gespräche mit Costa-Gavras zu aktuellen Themen geführt - denn der Regisseur von "Z" und "Missing" wollte lieber über die Themen seines lebenlangen Engagements sprechen als über seine Kinokarriere. Die erste Sendung handelt vom Thema der Immigration: "Je mehr man die freie Zirkulation der Waren propagiert, desto mehr unterbindet man die freie Zirkulation der Menschen." Andere Themen sind der Totalitarismus, der Kapitalismus in Europa und Amerika und die "kulturelle Ausnahme". Jede der Folgen dauert 27 Minuten. Links zu allen fünf Podcasts auf dieser Seite.

In all seinen Büchern setzte sich Raymond Federman mit seiner Biografie auseinander - kein Wunder, da gab es viel zu erzählen: 1928 in der Nähe von Paris geboren, verlor er seine ganze Familie in Auschwitz, emigrierte nach dem Krieg in die USA, arbeitete als Jazz-Saxofonist und trat in die US Army ein. 1954, inzwischen US-Bürger, studierte Federman Komparatistik, wurde Dozent in New York und reüssierte als Schriftsteller. Dradio Kultur hat im Jahr 2008 sein Buch "Mein Körper in Neun Teilen" zu einem atmosphärischen zweisprachigen Hörspiel adaptiert, "eine selbstironische, existentielle und vielstimmige Körperbiografie", wie es im Pressetext heißt. Regie führte Götz Naleppa, es sprechen Raymond Federman und Martin Engler. Hier anzuhören (45 Minuten).
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Für Sinn und Verstand

Immer vor den Wahlen lassen die Medien die Politiker als Schattenarmee vor sich auftreten und salutieren. Frank Schirrmacher ist hier der größte Virtuose. Heute machte Sigmar Gabirel in der FAZ seine Aufwartung und bedankte sich dafür, dass das FAZ-Feuilleton Martin Schulz im EU-Wahlkampf unterstützt. Im ausführlichen Interview mit Horizont.net klingt das bei Schirrmacher dann so: "Wir sehen, wie wichtig Politik für gesellschaftliche Klärungen sein kann - etwas, was wir ja fast schon vergessen haben, vielleicht auch weil wir den Politikern dazu zu wenig Chancen geben. Es war die grundlegende und kundige Intervention von Martin Schulz in der FAZ (und später auch im Stern), die vielen überhaupt erst die Zunge löste, weil sie zum ersten Mal so etwas wie Rückhalt in der Politik spürten für Fragen, die bislang fast ausschließlich im PR-Jargon des Silicon Valley verhandelt wurden." Mal sehen, welche Geschenke die EU den Medien nach den Wahlen macht.

Cordt Schnibbens lange Spiegel-Geschichte über "Meinen Vater, den Werwolf" steht jetzt online. Unter anderem stellt er sich die Frage, die auch eine zentrale Frage aller "Vergangenheitsbewältigung" ist: Warum hat er seinen Vater nicht zur Rede gestellt, als noch Zeit war? "Bei meinen Freunden lief es zu Hause ähnlich, wir rechneten mit der Generation unserer Väter ab, ohne mit unseren Vätern zu reden. Wir fragten nicht, wir urteilten, wir gaben ihnen nicht die Chance, uns ihre Welt zu erklären. Wir haben in uns einen eisernen Vorhang hochgezogen, um uns vor der Geschichte unserer Eltern zu schützen, wir haben uns eingebildet, unberührt und elternlos die Welt verändern zu können."