Spätaffäre

Ein Haus mit Wänden, die parallel stehen

Vorschläge zum Hören, Sehen, Lesen. Wochentags um 17 Uhr
05.06.2014. Fürs Hirn: ein großes Porträt über Jaron Lanier aus dem New Yorker. Für die Ohren: ein Hörspiel von Irmgard Maenner und ein Feature über die Ukraine. Für die Augen: Lewis Hyde als Kontrastprogramm zu Jaron Lanier.

Für Sinn und Verstand

Heute kam die Meldung, dass Jaron Lanier mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Deutsche Leser kennen den amerikanischen Interpionier - er gilt als Erfinder der virtuellen Realität - nur als Konvertiten, als Mahner vor "digitalem Maoismus" und kybernetischem Totalitarismus. Doch 2011 zeichnete Jennifer Kahn im New Yorker ein sehr viel komplexeres Porträt Laniers: Sie beschreibt seine ungewöhnliche - und dramatische - Kindheit, tief geprägt von der Hippiekultur, was ihn allerdings nicht davon abhielt, für Atari oder (seit 2006) im Forschungslabor von Microsoft zu arbeiten: "Laniers Sehnsucht, sich dem Gespräch zu entziehen, während er gleichzeitig Akzeptanz sucht, hat tiefe Wurzeln. "Als ich aufwuchs fand mein Dad manchmal, dass ich nicht exzentrisch genug bin - in dem Sinne, dass ich später als Erwachsener in einem Haus mit Wänden, die parallel stehen, leben wollte, so Sachen", erzählte Lanier. Dann sprach er über seine Mutter. "Hätte sie länger gelebt, ich glaube ich wäre auf konventionelle Art erfolgreicher geworden", meint er. "Ich wäre Medizinprofessor in Harvard geworden oder etwas ähnliches. Mein Dad sagte "Sei der Buckminster Fuller oder der Frank Lloyd Wrigt" - sei der seltsame Außenseiter, der erfolgreich wird. Was ich dann ja auch irgendwie wurde."

Porno, erfahren wir auf Rue89, ist eine ernsthafte Angelegenheit, die inzwischen unter dem Label porn studies auch wissenschaftlich erforscht wird. In einem Gespräch mit dem Geisteswissenschaftler François-Ronan Dubois, der jüngst eine einschlägige Einführung in das - natürlich aus Nordamerika importierte - Fach vorlegte, versucht Renée Greusard mehr darüber herauszufinden. Dubois erklärt es zum einen als eine universitäre Disziplin, zum anderen als eine "militante Bewegung", die einen kritischen und einen positiven Aspekt habe. Ersterer beschäftige sich mit den Stereotypen, Mainstream-Fragen und den konkreten Aufnahme- und Darstellungsformen der Studios, Letzterer "berücksichtigt auch bereits bestehende Initiativen, die jedoch noch Minderheiten darstellen oder Existenzprobleme haben, wie eine ethische, feministische oder schwule Pornografie". Auf die Frage nach der Akzeptanz des Sujets im akademischen Milieu meint er: "Ein junger Forscher, muss es sich schon überlegen, wenn er einen Artikel oder eine Arbeit zu diesem Thema schreibt. Er ist gezwungen, sich zu fragen, ob das eine gute Karrierestrategie ist. Es gibt einen spontanen Vorbehalt dagegen. Wenn man über Balzac arbeitet, muss man sich solche Fragen jedenfalls nicht stellen."

Für die Ohren

In einer Ursendung brachte am 4. Juni Deutschlandradio Kultur Irmgard Maenners Hörspiel "Lichtbogen. Im Mittelpunkt steht Rosa, eine junge, schwangere Frau. Sie steigt aus ihrem Agenturjob aus und zieht mit ihrem Mann in eine gutbürgerliche Gegend Berlins. Hier wohnten einst Offiziere der Alliierten und sie trifft auf recht skurrile Leute ... "Irmgard Maenners Stück flirrt vor Poesie und entzieht sich eindeutigen Zuordnungen", ist in der Presseankündigung zu lesen. - Regie führte Judith Lorentz, zu hören sind Lisa Hrdina, Felix von Manteuffel, Erik Hansen, Ulrike Bliefert, Britta Steffenhagen, Moritz Grove, Lynn Femme u.a. (55 Min.)

Die Ukraine: Nahtstelle zwischen Russland und Europa. Viel wurde über den Konflikt in und um die Ukraine in den letzten Wochen geschrieben und diskutiert. Die Sendung "Biedermann und Brandstifter. Wer kämpft in der Ukraine?" des HR2 wirft, die Ereignisse resümierend, einen genaueren Blick auf die Konfliktparteien und deren Akteure in- und außerhalb des umkämpften Gebiets. Die Frage wer für was kämpft, wird anhand von Gesprächen mit Auslandskorrespondenten, Journalisten und Politikern erörtert. (55 Min.)
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Stichwörter: Hörspiel, Hr2

Für die Augen

Am 10. Juni 1944, vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie, verübte die SS in dem südwestfranzösischen Dorf Oradour-sur-Glane das schlimmste Massaker, das sie in Westeuropa zu verantworten hat. 642 Menschen wurden umgebracht, ganze Schulklassen darunter. Ute Caspar erinnert an dieses Ereignis, das das französische Deutschlandbild dauerhaft prägte und um das es in Frankreich bis heute erbitterte interne Debatten gibt. Die ARD-Dokumentation dauert 45 Minuten.

Wir leben in einer Welt des Eigentums und einer Welt, die Eigentum als Voraussetzung wirtschaftlichen Fortschritts ansieht, aber ist Eigentum im Bereich der Kultur nicht eher schädlich? Sollten Ideen und Werke nicht möglichst frei zirkulieren können? Wie lässt sich eine Ökonomie des Geistes denken? Das sind Fragen, die Lewis Hyde in seinem Text "Common as Air" und in diesem Vortrag erörtert. Wir stellen ihn als ein kleines Kontrastprogramm zu Jaron Laniers apokalyptischen Visionen zur "Gratiskultur" (mehr dazu hier) in die Spätaffäre.

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