Post aus Barcelona

Wer spricht Kastilisch?

Von Barbara Baumgartner
13.05.2005. Während die spanische Sprache international immer beliebter wird, verschwindet sie in den "autonomen Regionen" das Landes wie Katalonien aus dem Straßenbild. Die Sprachenpolitik dieser Region nimmt kangsam provinzielle Züge an. Und überhaupt: Was ist mit dem Okzitanischen?
Juan Marse (mehr hier) ist ein Schriftsteller Kataloniens, soviel ist unbestritten: einer der besten. Aber ist er ein katalanischer Schriftsteller? Er lebt in Barcelona, wo er geboren wurde, auch seine Bücher handeln zum Großteil in dieser Stadt - Bücher, die er allerdings, und das ist hier der Punkt, auf spanisch (kastilisch) schreibt statt in der Regionalsprache katalanisch (hier mehr zur Bedeutung und Verbreitung des Katalanischen in Europa) Weshalb die regionalen Nationalisten Marse eben nicht zu den katalanischen Autoren zählen. Erst kürzlich ist die Frage wieder aufgetaucht, als sich der Politiker Josep Lluis Carod-Rovira, Vorsitzender der nationalistischen Splitterpartei Esquerra Republicana Gedanken zur Buchmesse in Frankfurt 2007 machte. Katalonien wird dann Schwerpunktthema sein - und Carod fand, so eine Einladung gelte doch eigentlich nur für Autoren, die auf katalanisch schreiben.

Ein paar Tage zuvor hatte Marse in einem Interview mit El Pais gesagt, es interessiere ihn schon lange nicht mehr, "in welche Parzelle" man ihn einordne - "auch wenn mich die eigennützige Neigung, Sprache und Kultur zu verwechseln, rasend macht." Keineswegs seien ihm die Schwierigkeiten von Minderheitensprachen, vor allem des Katalanischen, gleichgültig; Vorrang aber hätten "die Rechte der Menschen, also die freie Sprachwahl der Bürger". Und weil vor ein paar Monaten in einem Arbeiterviertel Barcelonas wegen Schlamperei auf allen Ebenen ein U-Bahn-Tunnel nachgab und hunderte Menschen ihre Wohnung verloren, fragte Marse noch, warum die katalanischen Politiker nicht die wahren Probleme der Bürger lösten, anstatt Zeit und Geld damit zu verschwenden, sich um "die Essenz des Vaterlandes, die Sprache und die verdammte nationale Identität" zu kümmern.

Identitätsfragen haben in Spanien zur Zeit Konjunkur, denn das Staatsmodell der autonomen Regionen wird neu verhandelt. Vor allem das Baskenland und Katalonien drängen auf mehr Selbstbestimmung. Dabei geht es neben Steuern und Kompetenzen auch um Symbole, und ständig kommt die "eigene Identität" dieser Regionen ins Spiel, ihre "historische Sonderrolle". Katalonien soll in einem neuen Autonomiestatut als "Nation" bezeichnet werden, darauf haben sich kürzlich alle Parteien im Regionalparlament verständigt (die Einmütigkeit erstaunt, wenn man daran denkt, dass nach einer Umfrage von La Vanguardia - Kataloniens wichtigste Zeitung, gegründet 1881 und publiziert auf spanisch - nur 21 Prozent der Einwohner Katalonien als Nation begreifen, und 44 Prozent als "Region wie jede andere in Spanien"). Außerdem soll das künftige Statut alle Einwohner dazu verpflichten, katalanisch zu beherrschen.

Als der Zeitungshändler auf die entsprechende Titelschlagzeile schaute, schüttelte er den Kopf, legte die Handkante an die Stirn und sagte - ganz im Sinne Marses - : "Es steht mir bis hier. Dabei regiert jetzt doch die Linke, die immer von Freiheit redet?" Er ist als Junge aus Andalusien gekommen und hat hier sein Leben aufgebaut, wie Tausende, die einst verächtlich "xarnegos" genannt wurden und jetzt politisch korrekt "die anderen Katalanen" heißen.

"Die Linke" - eine Koalition aus Sozialisten, Independisten (Carods Esquerra Republicana) und Grünen - regiert in Katalonien seit Herbst 2003. Der Machtwechsel in der Generalitat de Catalunya war nach 23 Jahren ununterbrochener Herrschaft durch die konservativen Nationalisten erfolgt und demnach vom Hauch einer Revolution umweht, mit Euphorie auf der einen und Katastrophenstimmung auf der anderen Seite. Was jedoch die nationale Selbstbehauptung betrifft, so wurde sie eher noch entschiedener, zumindest in den Symbolen: der katalanische Nationalfeiertag am 11. September wird jetzt mit dem ganzen Pomp eines Staatsakts zelebriert. Wenig geändert hat sich auch an der Sprachpolitik, von jeher Hauptschauplatz der katalanistischen Kämpfe. "Die Sprache", sagt der Regionalpräsident Pasqual Maragall, ein Sozialist, "ist die DNA der Katalanen."

Seine Regierung hat die Strafen für jene Firmen verschärft, die ihre Produkte und Dienstleistungen nicht auch auf katalanisch beschriften und anbieten. Umgekehrt ist das Kastilische - die zweite "offizielle Sprache" Kataloniens - aus dem Straßenbild längst so gut wie verschwunden, und wer Post von der Stadtverwaltung bekommt, sollte ebenso katalanisch lesen können wie Museumsbesucher. In den Schulen wird im allgemeinen auf katalanisch unterrichtet, kastilisch hat den Rang einer Fremdsprache. (Grundlage ist das Gesetz zur Sprachpolitik, das das katalanische Parlament 1997 verabschiedete).

Dennoch ergab kürzlich eine Untersuchung, dass spanisch häufig 10 Prozent, in manchen Schulen sogar 30 Prozent, der Unterrichtszeit einnehme, von den Pausen gar nicht zu reden, worauf die regionale Erziehungsministerin einen "Plan zur Potenzierung und Konsolidierung des Katalanischen" vorstellte. Seit ein paar Monaten hängen in den U-Bahn-Stationen Barcelonas Plakate, auf denen Frauen ermuntert werden, katalanisch zu sprechen.

All das wirkt manchmal überzogen, ja absurd; doch die Katalanen mussten unter Franco jahrzehntelang erleben, wie ihre Sprache, die irgendwo zwischen spanisch, französich und italienisch liegt, verachtet und verboten wurde, und das erklärt wohl eine gewisse Überreaktion. Je nach ideologischem Blickwinkel soll das alles aber auch signalisieren: Katalonien ist ein anderes Land. Wie sagte Timothy Garton Ash (das Diktum des Linguisten Max Weinreich aufgreifend, wonach "eine Sprache ein Dialekt mit Armee und Seestreitkräften" sei): "Ein Staat ist eine Sprache mit einer Armee."

Nun hat die spanische Regierung auf den Vorstoß Kataloniens hin schon bekannt gegeben, mit dem Wort "Nation" in einem Autonomiestatut kein Problem zu haben (die Verfassung spricht in Artikel 2 zur Zeit von Nationalitäten). In großem Gegensatz zu seinem Vorgänger Aznar vom Partido Popular steht der sozialistische Ministerpräsident Zapatero der "Multinationalität" entspannt gegenüber. Den Katalanen, Basken und Galiziern hat er versprochen, er werde das "plurale Spanien" erblühen lassen; als jedoch Abgeordnete von Esquerra Republicana damit auf ihre Weise ernst machen wollten und im Madrider Parlament auf katalanisch intervenierten, lehnten auch die Sozialisten das ab.

Ein Teil der "Madrider" Presse, El Mundo oder ABC, beschwören inzwischen jeden Tag aufs Neue Spaniens Ende, oder zumindest den Anfang eines großen Chaos, und zeichnen die Nationalisten in der Peripherie als unloyale Gestalten, denen man besser nicht den kleinen Finger reicht: sie würden ohnehin keine Ruhe geben, bevor sie nicht die ganze Hand - die Unabhängigkeit - hätten. Und die zahllosen, in ihrer Unverblümtheit ausgesprochen unterhaltsamen Journalisten-"tertulias" (Stammtische) der Radiostationen werden bei diesem Thema schnell hitzig. Hin und wieder kommt dann ein so ranziger kastilischer Nationalismus zum Vorschein, dass man spontan Sympathie für alle Indipendisten empfindet. Meist ist es jedoch einfach erheiternd; neulich zeigte sich ein Teilnehmer sehr besorgt, weil Katalonien womöglich die Verantwortung für den Flughafen Barcelona erhält: sicher würden alle Durchsagen dann ausschließlich auf katalanisch gemacht und tausende verwirrte Passagiere an den falschen gates erscheinen?

Am entgegengesetzten Pol dieser oft irrational geführten Debatte möchten baskische oder katalanische Nationalisten glauben machen, nur verkappte Franco-Anhänger hätten etwas gegen mehr Selbstbestimmung der Regionen.

Was nicht stimmt. Zum Beispiel drückte der ehemalige sozialistische Ministerpräsident Felipe Gonzalez vor kurzem sein Unbehagen darüber aus, wie die regionalen Nationalismen "Territorium und Volk in einem Meer von Konfusionen" vermischten. Es gehe um die Frage, schrieb Gonzalez in El Pais, ob man das Zusammenleben auf der Basis von Bürgerrechten organisieren wolle - oder auf der Grundlage von Identität, Zugehörigkeit. Und nur das erste sei definierbar.

Das klingt weniger theoretisch, wenn man sich die Situation im Baskenland anschaut. 25 Jahre sind dort mittlerweile die Nationalisten (der Partido Nacionalista Vasco) an der Macht - und eines der Ergebnisse sei, klagen Nicht-Nationalisten, dass sie selber irgendwie nicht als "wahre" Basken gelten (und bei Bedrohung durch die Terroristen der ETA nicht so viel Anteilnahme erfahren, wie man erwarten könnte). Katalonien ist damit zum Glück nicht vergleichbar. Hier ist man stolz auf seine Rationalität, seinen Pragmatismus, die Fähigkeit zu paktieren und Kompromisse zu finden. Katalonien ist "normaler", wie der Kommentator Lluis Foix kürzlich schrieb.

Doch gerade die Sprachpolitik wird nicht von allen als "normal" empfunden. Immer wieder sind (angesichts ihrer Unpopularität meist vorsichtige) Mahnungen zu hören, zuviel Sprachpatriotismus etwa an den Universitäten führe zu Provinzialismus. Einen heftigen, wenn auch indirekten, Angriff in dieser Richtung führt Juan R. Lodares, Autor von "Die Zukunft des Spanischen" (El porvenir del Español, eine Besprechung). Er feiert die zunehmende universale Bedeutung des Kastilischen, seine Entwicklung zu einer "großen" internationalen Sprache wie Englisch - und lässt dabei die "positive Diskriminierung" kleiner Sprachen wie des Katalanischen aussehen wie ein unvernünftiges, ja schädliches Auflehnen gegen den natürlichen Lauf der Dinge.

Sprachlicher Neoliberalismus! protestieren die "Schützer" (etwa Llorenç Comajoan und Joan Sola in El Pais); außerdem bedeute Sprache weit mehr als Kommunikation, nämlich Identität. Jeder habe das Recht, "in seiner Sprache zu leben".

Aber beinhaltet dieses Recht auch, anderen die eigene Sprache aufzuzwingen? fragt dagegen der Philosoph Felix Ovejero Lucas (ebenfalls in El Pais). Natürlich sollen Autoren auf katalanisch schreiben dürfen - aber muss man ihnen Leser garantieren? Wenn es selbstverständlich ist, dass Katalanen Anspruch auf Erziehung in ihrer Muttersprache haben - warum dann nicht jene "anderen Katalanen" (etwa die Hälfte der Einwohner Kataloniens), deren Muttersprache spanisch ist? (hier eine Statistik der Generalitat zum Sprachgebrauch) In der realen Situation einer durch und durch gemischten Bevölkerung, schließt Ovejero, seien "Beschwörungen der Identität der Völker" nur um den Preis zu haben, dass man "die Rechte des Individuums untergrabe" - womit wir wieder bei Marse wären.

Und dann stand neulich in der Zeitung, das Val d?Aran, ein Tal in Nordkatalonien, wo etwa 8000 Einwohner noch eine Variante des Okzitanischen sprechen, fordere einen Status der freien Assoziation mit Katalonien; ein lokaler Politiker wurde mit den Worten zitiert, die Einwohner des Tals möchten ihre "nationale Identität zurück erhalten".