Post aus Neapel

Krieg ohne Grenzen

Von Gabriella Vitiello
18.09.2001. Reaktionen in der italienischen Presse auf die Terroranschläge vom 11. September.
Stefano Bartezzaghi, der Sprachsachverständige und Rätselexperte von La Repubblica hat es in seiner Minikolumne "Lapsus" auf den Punkt gebracht: "Die Sprache kennt weder Sicherheitsvorkehrung noch Notfallpläne." Das macht die Suche nach geeigneten Worten und Sprachspielen bereits bei Beinbrüchen und Autounfällen nicht gerade leicht, geschweige denn bei Attentaten und Massakern. Häufig übliche verbale Übertreibungen, meint Bartezzaghi, hatten uns noch nie viel zu sagen, mit dem 11. September aber verwandelten sie sich in Geister-Worte und sind nun so stumm wie die Fernsehbilder, die immer wieder den Angriff auf die Twin Towers zeigen.

Italiens Intellektuelle versuchen trotzdem das scheinbar Unbegreifliche in Sprache zu fassen und äußern sich - mit Metaphern, Fabeln und Gedichten - zu den aktuellen Erscheinungsformen von Macht, Gewalt und Terror. Schließlich müssen auch Zeitungsseiten gefüllt werden und das schaffen die zahlreichen ausländischen Stimmen wie David Grossman, Tahar Ben Jelloun, Paul Virilio oder Susan Sonntag (die Repubblica bringt übrigens den gleichen Artikel wie die FAZ vom 15.9.) kaum allein.

Schriftsteller Stefano Benni, der seit den Ereignissen in Genua wieder wöchentlich einen Artikel für das linksintellektuelle manifesto schreibt, denkt über das Grauen nach, indem er einen Brief an das alte, treue Kino-Monster Godzilla verfasst: "Lieber Godzilla, ich schreibe dir an einen überaus traurigen Tag, nach einem Film mit tollen Spezialeffekten, aber einer sehr enttäuschenden Geschichte: es fehlt das Wort The End, das Publikum, das sich von seinen Sitzen erhebt und draußen die alte Welt wiederfindet." Benni bedauert in seiner Parabel vom unbewaffneten Echsen-Ungeheuer dessen Abgang ins "Paradies der Imagination, wo Monster eine Seele haben und sogar Ehre, im Gegensatz zu den Menschen". Korrigiert sich aber selbst und stellt klar, dass sich die Welt keineswegs am 11. September verändert habe, sondern schon einige Jahre früher: "mit dem Aufkommen einer neuen Gattung von Mutanten des politischen Konflikts, mit der Zunahme von ökonomischen Geiz, von Kriegstechnologie und dem dazugehörigen Waffenhandel."

Ein kinematographischer Vergleich drängt sich auch Alessandro Baricco auf. Der Romanautor gibt in La Repubblica zu, dass er wie viele andere die Ereignisse in New York am Fernseher verfolgte und fortwährend dachte: "das ist wie im Film". Als geradezu schwindelerregend beschreibt Baricco die "dramaturgische Meisterschaft" der katastrophalen Bilder von den einstürzenden Türmen: "das ist zuviel Hollywood, zu viel Fiktion. So war Geschichte noch nie. Die Welt hat keine Zeit, so zu sein. Die Realität beginnt nicht immer wieder von vorn, sie bringt keine Verben in Einklang und schreibt keine schönen Sätze. Das tun wir, wenn wir die Welt erzählen." Die Perfektion der Geschichte, die ästhetische Genauigkeit des Geschehenen findet Baricco erschreckend. Woraus er den Verlust der Wirklichkeit schlussfolgert. Schon seit geraumer Zeit habe man die Realität immer weiter in eine Performance verwandeln wollen, und nun gebe es sie nur noch in Form der Fiktion.

Das wiederum hält Baricco nicht davon ab, gleich noch einen Artikel zu schreiben, und zwar über die Unsichtbarkeit von Gegnern und Grenzen. Beides lässt sich in diesem sogenannten Krieg nicht mit Sicherheit ausfindig machen, was uns, so Baricco philosophisch, folgendes lehren könnte: "Wo die Idee der Grenze verschwindet, gibt es auch die Idee, dass der Feind ein Anderer sei als wir selbst, nicht mehr." Demnach wäre Bin Laden also ein Teil des Systems und der Westen wäre alles, ohne jegliche Grenze. Der Feind sind wir selbst, vermutet der Autor des Erfolgsromans "Seide" und gibt zu, dass dies psychologisch gesehen eine grauenerregende Aussicht sei. Von der Baricco aber selbst so fasziniert ist, dass er den "Feind in dir" als Krebsgeschwür beschreibt, nicht ohne auf die Ursachen dieser neuen Konfliktform einzugehen. Dazu zählen Verteufelung des Feindes und dessen Einverleibung in das eigene Wirtschaftssystem. Es folgt möglicherweise - so Baricco - eine neue Epoche, in der das Wort ’Krieg’ "vor allem die Auseinandersetzungen zwischen dem System und seinen Teilen bezeichnet".

Das klingt - besonders nach den bürgerkriegsähnlichen Ereignissen in Genua während des G8-Gipfels - nach den Mächten der Globalisierung und deren Kritikern und Gegnern. Die globale Dimension der Anschläge von New York heben besonders Dario Fo und Franca Rame in der unabhängigen Wochenzeitung Carta hervor. Zusammen mit Sohn Jacopo veröffentlichen sie einen Friedensaufruf, in dem der Feind ganz klar das Gesicht des ungezügelten Kapitalismus hat, den es zu boykottieren gilt. Deswegen ruft Familie Fo auf zum Verzicht auf Produkte der großen multinationalen Firmen wie Esso, Nestle, McDonald’s oder Coca Cola: "Jedesmal beim Einkaufen hat man die Wahl."

Alessandro Portelli, Professor für amerikanische Literaturgeschichte, geht es nicht darum, die drohende Kriegsgefahr mit dem Einkaufszettel zu bannen, obwohl er seinem Essay in il manifesto ein aussagekräftiges Zitat von Kurt Vonnegut voranstellt: "Wie ist es möglich, etwas Intelligentes über ein Massaker zu sagen?" Statt nach einem Feind zu suchen und ihn zu verorten, betrachtet Portelli lieber Sprache und Symbolik der Attentäter und der US-Regierung. Dabei erinnert er zunächst daran, dass bei den Anschlägen auf New York mit dem WTC nicht einfach nur die Symbole der amerikanischen Macht zerstört wurden, sondern auch Tausende von Menschen um’s Leben kamen. Das habe die Einsicht zur Folge, dass in jedem Moment die Normalität zerstört werden könne. Diese Verletzbarkeit dürfe seitens der USA aber auf gar keinen Fall mit Gegengewalt verdeckt oder gar ausgetrieben werden: "Das ist ein Exorzismus, die Antwort der Mächtigen auf eine brüchige Unverletzbarkeit." Die Sprache der Repression ist genauso eine Sprache des Todes wie die der Attentäter - so der Professor. Und die wiederum haben nicht das geringste Recht, selbsternannt und vom sogenannten Westen anerkannt, für die Armen oder Unterdrückten der Erde zu sprechen: "Ist es nicht Zeit für das demokratische Recht, dass sie für sich selbst sprechen?"

Den ihrer Stimme beraubten Opfern der Flugzeuganschläge hat der Lyriker Alberto Arbasino ein Gedicht geschrieben und dabei an alle Menschen gedacht: "In Trauer um die Menschheit". Der Schriftsteller Erri de Luca geht in seinem Lyrikstück noch einen Schritt weiter und beschreibt in il manifesto die vermeintlichen Täter, die sich auf einen Vergeltungsschlag vorbereiten. "Armselig” nennt er diesen angeblichen Feind, der seine Keller mit Mehl und Kerzen füllt und im nächsten Moment zum Opfer des "anderen Chefs der Welt" wird.