Efeu - Die Kulturrundschau

Schönheit und Eigenwilligkeit

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28.08.2014. In der FAZ versteht Martin Amis nicht, weshalb seine "Holocaust-Komödie" "The Zone of Interest" hierzulande nicht veröffentlicht werden soll. Bei den Netzpiloten hofft Dani Levy, dass uns die Digitalisierung aus den Fängen der Fernsehanstalten befreit. Die NZZ ist froh über den Abschied Alexander Pereiras bei den Salzburger Festpielen. Und die Feuilletons loben einstimmig Alejandro González Iñárritus Auftaktfilm "Birdman" bei den Filmfestspielen von Venedig. 
9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.08.2014 finden Sie hier

Film

Die Netzpiloten präsentieren eine Reihe von Interviews mit Kulturschaffenden, die erzählen, was die Digitalisierung in ihrem Beruf verändert hat. Das erste Gespräch führte Gina Schad schon vor ein paar Tagen mit Film- und Fernsehregisseur Dani Levy, der unter anderem sehr froh ist, dass Netflix nach Deutschland kommt: "Das ist eine Riesenchance. Ich glaube, alles hilft uns, das uns aus den Fängen und Monopolen der Fernsehanstalten "befreit" und uns Alternativen gibt zu den konventionellen Methoden und Auffassungen der Redaktionen und der Zuschauerschaft, die ja bei den Öffentlich-Rechtlichen zwischen 60 und 90 Jahre alt ist." Hier das ganze Interview:



Die Filmfestspiele von Venedig haben gestern Abend mit Alejandro González Iñárritus Dramen-Komödie "Birdman" begonnen, in dem Michael Keaton, der selbst zweimal Batman gespielt hat, den einstigen Darsteller eines Superhelden spielt, der mit seiner Rolle nun ins Theater wechseln möchte. Ein trotz Schwächen gelungener Auftakt, meint Dietmar Dath in der FAZ: "Keatons Selbstanalyse qua Rollenspiel an der Grenze zur Psychose (...) ist nicht nur der Inhalt von "Birdman", sondern auch die Form, in der Iñárritu sich als Künstler ebenfalls selbst analysiert - genauer: die Vorzüge und Mängel seiner Autorenästhetik, von der man schon früher hätte merken können, wie nah sie an den formelhaftesten, klischeestarrsten, manipulativsten Hollywoodkinosprachwerkzeugen entlang gebaut ist." Hier ein Szenenbild aus dem Film:



Glänzend gelaunt berichtet auch Anke Westphal in der Berliner Zeitung von dem Film, in dem "so ausgiebig wie lustvoll mit Doppel- und Meta-Ebenen gearbeitet wird" und "fulminante Schauspielduelle" zwischen Michael Keaton und Edward Norton locken. Diese findet im übrigen auch Susan Vahabzadeh von der SZ "einfach grandios", allerdings ist der forcierte magische Realismus für ihren Geschmack einfach zu beliebig. Christiane Peitz vom Tagesspiegel ist zwar ebenfalls schwer verknallt ins Spiel von Norton und Keaton, doch hält sie den Film auch deshalb für einen "Super-Eröffnungsfilm", da er sich um all das dreht, "was Kino ausmacht: "Um Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Obsession und Autosuggestion, darum, ob wir glauben, was wir sehen." Auch wenn Iñárritu von seiner Spezialität, der kunstvoll montierten Tragödie, nun ins komödiantische Fach gewechselt ist, bleibt er sich in "Birdman" in einer Hinsicht auch weiterhin treu, meint Cristina Nord in der taz, die dem Film als einzige eher distanziert gegenüber steht: "Die Verschachtelungen bleiben auf ähnliche Weise Behauptung wie die Puzzlestruktur in [seinen] anderen Filmen". Für die FAZ bloggt Dietmar Dath aus Venedig.

Weiteres: Den Berlinern legt Detlef Kuhlbrodt von der taz ein Dokumentarfilmfestival zum Thema "Aufeinandertreffen von Welten" ans Herz. Jürgen Vogt berichtet in der taz von den Restaurationsarbeiten am traditionsreichen Kino Sala Lugones in Buenos Aires.

Besprochen werden der neue Marvel-Film "Guardians of the Galaxy" (Perlentaucher, Welt), die DVD der Drag-Queen-Hommage "I Am Divine" (Freitag, unsere Kritik hier), ein Bildband mit Fotografien aus dem Archiv von Jean Seberg (FR), Isabell Šubas "Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste" (Freitag), Volker Schlöndorffs "Diplomatie" (taz, Berliner Zeitung, Freitag, Welt), Rick Ostermanns "Wolfskinder" (taz), Welt), John Carneys "Can A Song Save Your Life" (Tagesspiegel, Zeit) und John Maloofs "Finding Vivan Maier" (NZZ)
Archiv: Film

Musik

Kate Bushs erstes Konzert nach 35 Jahren hat auch Urs Arnold von SZ ganz und gar in seinen Bann gezogen: Gerührt bezeugt er "eine große Pop-Oper, bei der die ungewöhnlich opulente optische Inszenierung kein albernes Eigenleben führt, sondern einfach nur die Schönheit und Eigenwilligkeit dieser Popmusik noch etwas heller strahlen lässt." Sehr aus der Ferne berichtet Matthias Thibaut im Tagesspiegel über die Medienreaktionen auf das Großereignis. Bei Dangerous Minds stoßen wir unterdessen auf die brandneue BBC-Doku über die Sängerin:



Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung stimmt Markus Schneider auf die Berlin Music Week ein. Ganz gerührt kommt FAZ-Kritiker Oliver Maria Schmitt von Rocko Schamonis großer Frankfurter Gala mit vergessenen Chansons nach Hause.

Besprochen werden ein Konzert von Niels Frevert (Berliner Zeitung), das neue Album der Hamburger Emo-Punks Grand Griffon (ZeitOnline), die neuen Konzerte von Wolfgang Rihm, denen Christian Wildhagen in der FAZ mit feinstem ästhetischen Sensorium auf den Grund geht und eine CD mit von Anna Prohaska aufgenommenen Soldatenliedern (SZ).
Archiv: Musik

Literatur

Für die FAZ hat sich Thomas David mit Martin Amis über dessen neuen, heute in England erscheinenden, in Deutschland von Hanser abgelehnten Shoah-Roman "The Zone of Interest" unterhalten. In England wird der Roman bereits als "Holocaust-Komödie" besprochen, der Autor erklärt seine Absichten so: Er wollte "die Idiotie des ganzen NS-Unternehmens hervorheben, die vollkommene Unverständlichkeit des Ganzen. Das ist eine andere Art zu sagen, wie psychopathisch und pathologisch das alles war. ... Was macht man mit einem bizarren Detail wie der Tatsache, dass die Opfer für ihre eigene Bahnreise nach Auschwitz zahlen mussten? Ich glaube nicht, dass ich meinen Roman rechtfertigen muss."

Im Tagesspiegel führt Lars von Törne durch das Schaffen der Comicautorin Ileana Surducan. Erhard Schütz vom Freitag stellt Bücher über den Ersten Weltkrieg vor. Im Freitag schreibt Sabine Kebir den Nachruf auf die Schriftstellerin Elfriede Brüning.

Besprochen werden unter anderen Sofi Oksanens "Als die Tauben verschwanden" (Freitag), Mawils Comic "Kinderland" (Zeit), Benjamin Percys Fantasy-Roman "Roter Mond" (FR) und zwei Romane über Kambodscha unter den Roten Khmer (NZZ).
Archiv: Literatur

Kunst

Hanno Rauterberg besucht für die Zeit eine Performance von Marina Abramovic in London und lernt dabei, dass es eine "Radikalität der Sanftmut" gibt. Im Guardian stellte sich Laura Cumming dagegen bockig, als sie die Performance im Juni besuchte: "Abramovic, or one of the assistants, singles you out of the crowd and moves you around the gallery. She does this by taking your hand and drawing you slowly but firmly along like a naughty child until an appropriate spot is found. There you are stationed - facing the wall, in my case, in punishment position - and left to remain. That this is meant to be Zen seemed implicit in the instructions Abramovic mouthed in my ear. "Relax," she says, taking my shoulders in her strenuous grip. I don"t feel like relaxing. A minute passes. "Breathe!" she insists. Not on your orders, lady…"

Caroline Vinquist stellt im Art-Magazin "Dinge Drucken", ein Buch über die Möglichkeiten von 3D-Druckern vor und stellt fest: "Wenn Sie einen Computer mit Internetanschluss und einen 3D-Drucker besitzen, liegt Ihnen die Welt zu Füßen."
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Bühne

In der NZZ verabschiedet Peter Hagmann nach nur drei Sommern in Salzburg den Intendanten Alexander Pereira. Künstlerischen Substanzverlust, beliebige Ästhetik, Namedropping und Alleinherrschaft wirft Hagmann dem Intendanten vor und schließt: "Im großen Ganzen war in den drei Sommern eine Art Familie rund um Pereira versammelt. Zu ihrem innersten Kreis gehörten Sven-Eric Bechtolf, der dieses Jahr mit einem besonders mittelmäßigen "Don Giovanni" aufgefallen ist, Alvis Hermanis, der offensiv für die reine Bebilderung eintritt, und Damiano Michieletto, dessen Inszenierungen auf Slapstick und Unterhaltung nach der Art einer bunten TV-Show zielen. In allen Fällen blieb das Musiktheater als Theater unterbelichtet, weil die Figuren nicht ausgearbeitet waren und somit kein Profil gewannen; stattdessen lebten Rampensingen und Händeringen von ehedem wieder auf."

Mit dem weltgrößten Kunstfestival, dem Edinburgh Festival Fringe, müsste das Vereinigte Königreich mit der Unabhängigkeit Schottlands etwas sehr besonderes abgeben, berichtet nachtkritik und veröffentlicht einen Theaterbrief des britischen Journalisten Andrew Haydon mit den besten Eindrücken: "Indeed, at this year"s Fringe Summerhall seemed to completely dominate the best-of theatre coverage. It does seem that every year a single venue seems to coalesce in the collective imagination as The Place To Be."
Archiv: Bühne