Virtualienmarkt

Die Buchkultur und der leere Stuhl

Von Rüdiger Wischenbart
21.08.2014. Der Streit um Amazon in den USA und Deutschland ist Symptom einer säkularen Veränderung der Buchbranche. Der Appell an den Staat gegen die Internetgiganten wird nicht weiterhelfen: Die Impulse müssen aus der Gesellschaft kommen. Manifest für eine soziale Marktwirtschaft im Buch-Business.
Teil 1: Es geht ums ganze Ökosystem

Der Auftritt der Autoren, in Gestalt von öffentlichen Aufrufen erst in den USA, jetzt in Deutschland, und wohl demnächst auch in weiteren europäischen Ländern - schlägt ein neues, spannendes Kapitel auf in einem Streit, der anfangs als schnödes Gerangel um Rabatte und Lieferkonditionen bei digitalen Büchern zwischen Verlagen (also Produzenten) und Amazon (einem großen Händler) begonnen hatte.

Nun aber umfasst die Konfrontation alle Seiten - die Urheber, die Mittler und die lesenden Konsumenten. Es geht ums Eingemachte, im Wortsinn: Das gesamte Ökosystem aus Schreiben, Öffentlichmachen (das ist es doch: Verlegen und Publizieren!) und Lesen steht im Fokus der Debatte, und wie dies alles zurzeit neu geordnet wird - zuvorderst wirtschaftlich, doch nicht nur.

Beginnen wir bei den Autoren, ohne die es nicht viel zu verlegen, zu vertreiben und auch nicht zu lesen gibt.


Der (neue) Kampf der Autoren

Seit mehreren Jahren präsentieren sich Autoren, wenn es um die galoppierenden Umbrüche am Markt mit Büchern geht, als eine weitgehend geeinte (Berufs-) Gruppe, die in einem Boot sitze mit den Verlagen, ihren traditionellen professionellen Partnern beim Überführen eines Autorenmanuskripts hin zu Handel und Lesern.

Das ist einerseits klug, weil Geschlossenheit stärkt. Doch es übertüncht auch, in welch großem Ausmaß die Kräfte des Marktes und der Medien die Autoren seit ein, zwei Jahrzehnten de facto in höchst unterschiedliche Untergruppen auseinander gerissen haben. Und die Interessensgemeinschaft mit den Verlagen enthält von jeher schon einen massiven Konflikt um Konditionen, in dem die meisten Autoren nur eine schwache Position halten.

Erst unlängst legte eine überaus sachliche Studie für englische Autoren dar, dass deren durchschnittliche Einkommen aus dem Schreiben seit Jahren kontinuierlich sinken. Auch deutsche Verlage wissen zu erzählen, wie bei Belletristik und Sachbuch die Durchschnittsauflagen drastisch zurückgehen. Da Jahr für Jahr mehr neue Titel erscheinen und der Buchmarkt insgesamt tendenziell schrumpft, kann dies auch gar nicht anders sein.

Wenn dann auch noch eine sehr kleine Zahl von Spitzentiteln in immer luftigere Verkaufshöhen schnellt, und nun auch über Selbstverleger-Bestseller ganze Genres sich auskoppeln, dann ist für Autoren Feuer am Dach. Der Kuchen, der im Kernbereich des Lesebetriebs abgesetzt werden kann, wird von allen Seiten her angenagt.

Dass in den aktuellen Konflikten nicht alle Autoren gleich sind, hat sogleich ein eigener Brief amerikanischer Selfpublishing-Autoren um Hugh Howey gezeigt, in dem Amazon gegenüber den Konzernverlagen wegen dessen Selfpublishing-Angeboten als Ausweg und neue Perspektive gelobt wird. Hugh Howey hatte zuvor schon mehrere Author-Earnings-Reports veröffentlicht, in denen er argumentiert, dass Autoren im Selbstverlag durch höhere Auflagen aufgrund niedriger Preise von nur ein paar Dollar pro Buch letztlich besser abschneiden. Diese Analysen sind jedoch methodisch umstritten, weil sie fast einzig auf Amazon-Rankings aufbauen, deren mathematische Grundlage jedoch als ein strenges Betriebsgeheimnis gehütet wird.

Interessanterweise lehnt sich dem gegenüber der Anti-Amazon-Brief deutscher Autoren sehr viel weiter aus dem Fenster mit der Behauptung: "Amazon manipuliert Empfehlungslisten." Ein klarer Beleg dafür fehlt jedoch in dem Schreiben.

Ich beobachte diese Empfehlungen auf Amazons Webplattform selbst seit ein paar Jahren einigermaßen systematisch, wenn auch nur in punktuellen Ausschnitten. Über Einzelfälle, beispielsweise für ausgewählte Bücher im Konditionenstreit mit Hachette USA oder Bonnier Deutschland, die etwa aus den Empfehlungslisten ("…hat auch gekauft…") ausgeklammert würden, vermag ich nichts auszusagen. Das Gesamtbild, das sich an von Detaildaten auf den Onlineseiten in Form einer Trendbeobachtung mitlesen lässt, erscheint mir indessen als insgesamt einigermaßen konsistent.



Der Club der Alten, und die Amazon-Provokation

Der traditionelle Buchmarkt, mit seinen vielfältigen persönlichen Verwobenheiten zwischen Autoren, Lektoren und Medien, seinen Familienbetrieben bei Verlagen und Buchhandel, den Rivalitäten und Querelen - um gar nicht erst einzutauchen in die noch obskurere Sphäre der literarischen Agenten (!) - verstand sich von jeher als ein weitgehend geschlossener Club, der neue Mitglieder, auf allen Ebenen, nur vorbehaltlich komplizierter Initiationsriten zuließ. Davon zeugt nicht zuletzt eine reichhaltige wie pittoreske Literatur von Autor-Verleger-Korrespondenzen seit mehr als zwei Jahrhunderten, vielfältigen professionellen wie auch erotischen Beziehungsgeflechten, und in Folge unterschiedlichsten wie auch unentwirrbaren Verbandelungen.

Amazon hat von Anfang an, mal mehr, mal weniger, deutlich gemacht, an diesen Wirrungen wenig Interesse zu haben. Herr Bezos ist ein gelernter Investmentbanker und, soweit bekannt, kein Geheimbündler. Allerdings, wenn es um die Außenkommunikation geht, dann ist Amazon so schweigsam und abgeschottet wie ein schottisches Schloss im Hochmoor.

Im Folgeschritt, für den Amazon nun schon seit etlichen Jahren Schwung aufnimmt, will der Online-Händler aus Seattle (der auch aufgrund seiner Herkunft so gar nicht geprägt ist von der europäisch anmutenden Kultur der nordamerikanischen Ostküste, von New York oder Harvard/Neuengland/Boston) all die alten Akteure gleichsam in Bausch und Bogen ersetzen durch seine eigenen, allein am "Consumer" orientierten Angebote und Strukturen. Zu Amazons Firmenkultur gehört, dass bei wichtigen Sitzungen jeweils ein Stuhl unbesetzt bleibt - stellvertretend für diesen so zumindest gedanklich anwesenden Konsumenten.

Diese Strategie der Neuerfindung und des Ersetzens inkludiert selbst die Autoren. Schon vor Jahren investierte Amazon durch Übernahmen und eigene Entwicklungen in Print-on-Demand Firmen wie in User Communities ("Good Read"), und startete den E-Book-Markt 2007 de facto im Alleingang mit dem Launch des Kindle und der entsprechenden Vertriebsplattform auf seinen Webshops.

Es zählt zu den Meisterstücken in Amazons Mix aus Innovation, Beharrlichkeit wie auch sturer Machtstrategie, dass es dem Kindle-Team damals gelang, die sechs führenden US Verlage davon zu überzeugen, ihre wichtigsten Neuerscheinungen in digitalen Ausgaben in das riskante Projekt einzubringen.

Den wirklichen Durchbruch erlebten E-Books in den USA zu Weihnachten 2010. Das ist gerade einmal vier Jahre her. Heute machen digitale Ausgaben rund ein Viertel der Umsätze in den großen Publikumsverlagen aus.

In Deutschland hat dieser Durchbruch 2012 eingesetzt, vor zwei Jahren.

Vernünftigerweise ist indessen von einer Umbruchsphase von wenigstens zwei Jahrzehnten auszugehen, bis sich die neuen Modelle und Konsumgewohnheiten mehrheitlich durchgesetzt haben werden - wie auch immer diese sich gestalten, denn dies ist eine nach vorne hin noch weithin offene Reise!


Teil 2: Der Aufschrei der Autoren