Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
22.08.2006. Die Wochenzeitung Wprost enthüllte jetzt, dass Zbigniew Herbert für den polnischen Geheimdienst gearbeitet hat: Die Gazeta Wyborcza amüsiert das nicht. Der New Yorker betrachtet Daniel Libeskinds Denver Art Museum. In Outlook India ruft Taslima Nasrin ein dreifaches Hurra auf Ayaan Hirsi Ali. Heti Vilaggazdasag will sich weder von Günter Grass noch von Istvan Szabo mehr belehren lassen. De Groene Amsterdammer erklärt, warum die Website der University of Virginia im Iran nicht gefunden werden kann.

Outlook India (Indien), 28.08.2006

"Ein dreifaches Hurra auf Ayaan", ruft die im Exil lebende bangladeschische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Taslima Nasrin nach Lektüre von Ayaan Hirsi Alis Buch "The Caged Virgin". Dabei ist Nasrin längst nicht mit allem einverstanden, was Hirsi Ali schreibt. Frauenfeindlichkeit sei keine Domäne des Islam noch der Religion allein, so Nasrin. Ehrenmorde und Genitalverstümmelung seien kulturell, nicht religiös verankert. "Die Religion ist nicht verantwortlich für das Fortleben uralter, überholter Bräuche. Es sind die Menschen, die es versäumt haben, dagegen zu protestieren." Insofern sei das Buch dennoch ein wichtiger Impuls: "Männliche Reformer sind nutzlos. Um die muslimische Gesellschaft zu reformieren und dem Islam eine Absage zu erteilen, brauchen wir Tausende wütender Frauen".

Außerdem: Shobita Dhar schreibt über das neue Modemekka Kalkutta und seine Protagonisten. Im "Cola-Kampf" setzt T.R. Vivek auf die indischstämmige Pepsi-Chefin Indra K. Nooyi. Und im Interview mit Sheela Reddy spricht der Romancier Vikram Chandra ("Sacred Games") über den Unsinn des Bücher-Rankings und warum das unstrittigste Buch meist gewinnt.
Archiv: Outlook India

New Yorker (USA), 28.08.2006

Paul Goldberger stellt den jüngsten Bau von Daniel Libeskind, das Denver Art Museum vor. Im Gegensatz zu seinem Projekt für Ground Zero werde hier viel von Libeskinds Ideen und Visionen sichtbar - was offenbar geschätzt wird. "George Thorn, der mit dem Museum und anderen zusammen in der Nachbarschaft Wohnanlagen mit Eigentumswohnungen errichtet hatte, erzählt, dass sich nicht diejenigen Wohneinheiten mit Blick auf die Rocky Mountains am leichtesten verkauft hätten, was in Denver bei Immobilien gewöhnlich der Fall sei, sondern die mit Blick auf das Museum. Es erschließt sich leicht, warum. Viele dieser Wohnungen haben große Fenster, die direkt auf Libeskinds kaum fünfzig Fuß entfernte Seitenfassade mit ihren kristallinen Scherbenformen hinausgehen. Vielleicht ist es dieser Blick, den Libeskind die ganze Zeit im Kopf hatte. Von hier aus fühlt sich das Museum nicht mehr wie ein Stück Architektur an. Sondern eher wie eine gewaltige Titanskulptur, die als Dekoration für Ihr Wohnzimmer entworfen wurde."

Weitere Artikel: Malcolm Gladwell erklärt, was das "irische Wirtschaftswunder" mit der Finanzkrise von General Motors zu tun hat (Renten!). Adam Gopnik kommentiert George W. Bushs Sommerlektüre, darunter Camus' "Der Fremde". Zu lesen ist außerdem die Erzählung "How Was It to Be Dead?? von Richard Ford.

David Denby rezensiert zwei neue Bücher über Leben und Werk von Upton Sinclair: den "intimen und intellektuell scharfsinnigen" Band "Radical Innocent: Upton Sinclair" von Anthony Arthur (Random House) und die "politische und anekdotenreichere" Studie "Upton Sinclair and the Other American Century? von Kevin Mattson (John Wiley & Sons). Die Kurzbesprechungen widmen sich unter anderem einer Studie über die menschliche Stimme, die spekuliert, dass Al Gore und John Kerry an "mangelndem stimmlichen Charisma" gescheitert seien. Peter Schjeldahl führt durch die Ausstellung "Napoleon on the Nile: Soldiers, Artists and the Rediscovery of Egypt" im Dahesh Museum. Und Anthony Lane sah im Kino "Factotum" - "ein Film mit Aplomb" über den Schriftsteller Henry "Hank" Chinasky - des norwegischen Regisseurs Bent Hamer mit Matt Dillon in der Hauptrolle und den Dokumentarfilm "This Film Is Not Yet Rated" von Kirby Dick über die Arbeitsweise, Funktion und moralischen Kriterien der Motion Picture Association of America.

Nur im Print: ein Artikel über den Albtraum Lampenfieber, der Versuch der Beantwortung der Frage, wer die Poincare-Vermutung tatsächlich gelöst habe und Lyrik.
Archiv: New Yorker

Espresso (Italien), 24.08.2006

In seiner Bustina di Minerva verteidigt Umberto Eco die Poesie im Internet gegen einen leider ungenannten Lyriker, der alle Online-Dichterei nach Strich und Faden verdammt. "Wenn man im Internet nach Poesie sucht, findet man viel Träges, emotionale Materialisationen irgendwelcher Dorftrottel; die Blogs sind mehr oder weniger von Exhibitionisten bestimmt. Man stößt auf den übelsten Mist, ohne irgendeine Orientierungsmöglichkeit." Eco sieht das Ganze positiv. So verstopfen die schlimmsten Poeten wenigstens nicht die althergebrachten und geschätzten Lyrik-Magazine, und selbst im tiefsten Sumpf "blüht manchmal eine Blume".
Archiv: Espresso
Stichwörter: Eco, Umberto

Gazeta Wyborcza (Polen), 19.08.2006

Eine Zeitung offenbart ein dunkles Kapitel in der Biografie eines der größten Schriftstellers des 20. Jahrhunderts - das kommt Ihnen bekannt vor? Nur diesmal geht es nicht um Grass, sondern um die Enthüllung der Wochenzeitung Wprost, wonach der Dichter Zbigniew Herbert Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes war. Ein Sturm der Entrüstung, Richtigstellungen und Kritik von Historikern waren die Folge. "Im Fall Herbert war schon lange alles aufgeklärt, nur der Verstand der Enthüllungsrevoluzzer muss noch erleuchtet werden. Medien-Jagdhunde und junge Karrieristen wollen über das Leben der größten Personen mit Hilfe der Stasi-Akten urteilen", empört sich Jaroslaw Kurski.

Der amerikanische Europaexperte Daniel Hamilton gesteht im Interview, dass immer mehr Amerikaner von Europa enttäuscht sind. "Statt sich der Probleme dieser Welt zusammen mit uns anzunehmen, sind die Europäer nur mit sich selbst beschäftigt: mit der Einigung des Kontinents, der Stärkung der Union, der Verfassung. Klar sollten sie Europa bauen. Aber warum fehlt dabei die Antwort auf die wichtigste Frage: was will Europa in der Welt tun?"
Archiv: Gazeta Wyborcza

HVG (Ungarn), 17.08.2006

Tamas Laszlo Papp ist von der Entlarvung des ungarischen Filmemachers Istvan Szabo als Stasi-Spitzel und dem Geständnis Günter Grass' gleichermaßen entsetzt: "Aus Überheblichkeit haben sie so lange geschwiegen. Grass und Szabo gelten in intellektuellen Kreisen als künstlerische und moralische Autoritäten, sie waren immer von einer Gefolgschaft aus Schülern, Bewunderern und schnurrenden, sich anschmiegenden Kritikern umgeben... Die künstlerische Qualität ihrer Werke bleibt von ihren Geständnissen zwar unberührt, aber ihre menschliche und moralische Größe nicht. Wie kann jemand von uns verlangen, die Dämonen unserer Vergangenheit zu bewältigen, wenn er selbst Jahrzehnte nicht imstande war, Verantwortung zu übernehmen und ein unrühmliches Kapitel seines Lebens zu gestehen?"
Archiv: HVG

Foglio (Italien), 19.08.2006

Amy Rosenthal trifft die jüdisch-amerikanische Schriftstellerin Cynthia Ozick. Man redet über ihr neues Buch "The Din in the Head" und natürlich Israel. "Ich hoffe, dass der jüdische Staat seinen Churchill findet." Bei der Diskussion um die Frage der Muslime in Europa spottet sie: "Ich wette, dass sich die Europäer die Juden anstelle ihrer jetzigen Minderheiten zurückwünschen. Im Vergleich zu ihren muslimischen Pendants waren die Juden vorbildliche Bürger, mit großartigen Beiträgen zu Kunst, Literatur, Musik und Wirtschaft. Von denen, die italienischer als die Italiener, französischer als die Franzosen waren, ganz zu schweigen. Und jene, die sich nicht anglichen, waren friedliche und ruhige Elemente, die niemanden störten."

Für William Ward sind die Engländer fast zu tolerant gegenüber ihren zahlreichen Minderheiten. Das liege an einer kulturellen Besonderheit der Briten, dem "Trust": "Mit derartig starken und langlebigen Institutionen im Rücken, verstärkt durch die fast schon naturgesetzliche geografische Unangreifbarkeit und die treue Beachtung der Regeln der Zivilität, kann man verstehen, warum die Briten zu leugnen scheinen, was in ihren Ghettos vor sich geht. Berühmte Bürgertugenden der Engländer - Fairness, Toleranz und Ehrlichkeit - rühren von einem nationalen Gefühl her, dem 'Trust', dessen Wesen schwer zu übertragen und erklären ist: mehr oder weniger ein gegenseitiges Vertrauen, auch mit geschlossenen Augen."
Archiv: Foglio
Stichwörter: Ozick, Cynthia, Din

Telerama (Frankreich), 19.08.2006

Laurent Rigoulet unterhält sich mit Ken Loach, dessen neuer Film über den irschen Bürgerkrieg in den zwanziger Jahren , "The Wind That Shakes the Barley", in Frankreich anläuft. Loach spricht auch über sein politisches Engagement und manifestiert als guter alter Trotzkist jede Ablehnung sozialdemokratischer Vermittlungsstrategien: "Für mich ist das ein Drama. Die Leute werfen sich in ihre Kämpfe und werden doch immer wieder von ihren Führern verraten, die mehr Angst haben vor ihren eigenen Truppen als vor ihren Gegnern. Alle sozialen Konflikte, die ich in vierzig Jahren gefilmt habe, hatten immer das gleiche Problem: Die Gewerkschaften und die politischen Parteien kämpfen nur bis zu einem bestimmten Punkt, um am Ende dann doch zu verhandeln. 'Die Bourgeoisie kann nicht alleine regieren', sagte Trotzki. Das gilt immer noch. Die Arbeitgeber brauchen die Gewerkschaftsführer, um zu einem Verhandlungsergebnis zu kommen."
Archiv: Telerama

Al Ahram Weekly (Ägypten), 17.08.2006

Was haben Hip Hopper wie Mos Def, The Roots und Hidden Force gemeinsam? Sie alle sind praktizierende Moslems. Michael Mumisa von der University of Birmingham hat sich mit Muneera und Sakina von den Poetic Pilgrimage unterhalten, um mehr über dieses Phänomen herauszufinden: "Statt schwerer Goldketten tragen sie handgearbeitete hölzerne Sufi Gebetsperlen und ihre Köpfe sind mit modischen Kopftüchern bedeckt wie es der Islam fordert. 'Wir versuchen unseren Fans das Tragen des Hijab als coolste Sache der Welt erscheinen zu lassen', sagen sie mir. 'Wir haben eine Menge Mails von jungen Mädchen aus Großbritannien, den USA und Kanada erhalten, in denen sie uns erklären, sie hätten den Hijab nie anlegen wollen, bevor sie unsere Rapmusic gehört haben und die Art, wie wir darüber rappen. Wir sagen ihnen in unserer Musik, dass der Hijab cool ist und sie sich dessen nicht schämen müssen.' Es war klar, dass ich mit sehr intelligenten jungen Damen sprach."

Im Interview mit Nermeen Al-Mufti erklärt der amerikanische Linguist und Bush-Kritiker Noam Chomsky die USA zum Partizipanten eines Nahost-Krieges, für den es keine "moralische oder legale Rechtfertigung" gibt und in dem Verbrechen (Chomsky erinnert an die Annexion der Golan Höhen und der West Bank) nach Maßgabe des Zwecks beurteilt werden: "Oberstes Ziel ist die Kontrolle der weltgrößten Energiereserven. Wer nicht kooperiert, muss mit Aggression rechnen. Das ist nichts Neues ... Aber wir sollten wissen, dass Israel immer nur so weit gehen kann, wie Washington mitgeht."

Ferner: Youssef Rakha porträtiert den irakischen Schriftsteller und Filmemacher Samuel Shimon. Und Nevine El-Aref begeht die neue Mumien-Galerie im Ägyptischen Museum Kairo.
Archiv: Al Ahram Weekly

Polityka (Polen), 19.08.2006

Adam Krzeminski denkt anlässlich der Debatten um die Ausstellung "Erzwungene Wege" und des Bekenntnisses von Günter Grass über die deutsch-polnischen Beziehungen nach - besonders über die Politik der polnischen Regierungspartei PiS. "Die sture Hilflosigkeit unserer Politiker kann zu einer weiteren Annäherung der deutschen und russischen Eliten führen. Mit unserem Eingeschnapptsein und unserer Verschlossenheit bauen wir selbst an der Brücke über uns hinweg mit." Ein wichtiger Schritt bestünde nun darin, so Krzeminski weiter, an einer gemeinsamen Ausstellung zu Vertreibungen - aufbauend auf dem Projekt des DHM - zu arbeiten, denn "ohne den deutsch-polnischen Dialog und eine weitere Verflechtung der Geschichtsdebatten laufen wir Gefahr, in provinziellem Egozentrismus und fehlender Empathie für das Schicksal des Nachbarn zu enden."
Archiv: Polityka

Spectator (UK), 18.08.2006

Der Terrorismus britischer Muslime ist nicht hausgemacht, er hat nichts zu tun mit Tony Blairs Außenpolitik, Armut, Diskriminierung oder Islamophobie, stellt Stephen Schwartz, selbst 1997 zum Islam konvertiert, klar. "Die rund eine Million Sunniten mit pakistanischem Hintergrund, die unter den britisch-asiatischen Muslimen die größte Gruppe stellen, umfassen auch das größte Kontingent radikaler Muslime in Europa. Ihre Sympathien für den Dschihad sind Ausdruck einer importierten, von Moscheen und anderen religiösen Institutionen organisierten Ideologie, und nicht ein hausgemachtes Phänomen, wie es das Klischee will... Der Islam in Großbritannien ist mehrheitlich von Imamen und anderen religiösen Kadern beeinflusst, die in Pakistan geboren wurden und dort - oder in Saudi-Arabien - ausgebildet wurden."

Nach einer Reihe von Flügen fragt sich Rod Liddle, ob es nicht Zeit wäre, die Sicherheitsbestimmungen an den Flughäfen zu vereinheitlichen. In London durfte er nicht einmal seine Nikotinkaugummis mit an Bord nehmen! "Am JFK waren keine Kekse erlaubt, selbst in einer ungeöffneten Packung nicht... Acht Meilen weiter, am La Guardia wurden Babymilch und - bizarrerweise - Computerspiele als vollkommen sicher angesehen. Am O'Hara in Chicago war es plötzlich erlaubt, Gatorade mit sich zu nehmen, und in Pittsburgh war das Personal so gelangweilt, dass sie auch den Teilchenbeschleuniger in Ihrem Rucksack hätten durchgehen lassen."

Weitere Artikel: Yahya Birt möchte klargestellt sehen, dass es sich bei den Briten, die zum Islam konvertiert sind, weder um gestörte Personen noch um Islamfaschisten handelt: Die meisten seien daran interessiert, "einen spirituellen Weg zu finden." Cosmo Lush mokiert sich über Frankreichs Versuche, der amerikanischen Dominanz im Internet mit der Suchmaschine Quaero oder dem Geoportail zu trotzen. Douglas Davis sieht nach dem Ende der Kämpfe im Libanon eine Propaganda-Schlacht um die Frage heraufziehen, wer den Sieg für sich beanspruchen kann.
Archiv: Spectator

Groene Amsterdammer (Niederlande), 18.08.2006

"Farsi gilt nach Englisch und Mandarin mittlerweile als drittbeliebteste Sprache im Netz, die Zahl iranischer Weblogs wird auf über Hunderttausend geschätzt", berichtet Marte Kaan. Aber das das iranische Web ist nicht "worldwide" und wer sich dort unbedacht äußert, lebt gefährlich. Kaan zitiert den Internetaktivisten Jaadi: "In den letzten Jahren wurden nicht nur mehrere Weblogger verhaftet und sogar gefoltert, sie bauen auch immer schärfere Filter ein. Wenn man beispielsweise im Iran 'Frauen' bei Google eintippt, erscheint 'access denied'. Grund für die Zensur ist nicht nur die Angst vor der Frauenbewegung, sondern auch die Absicht, 'unsittliche' Websites zu blockieren. Das geht soweit, dass beispielsweise die Website der University of Virginia aus dem Iran heraus nicht zu erreichen ist."
Stichwörter: Weblogs, Frauenbewegung, Farsi

Point (Frankreich), 17.08.2006

In seinen Bloc-notes macht Bernard-Henri Levy in dieser Ausgabe fünf Anmerkungen zu den fehlgeschlagenen Anschlägen von London. Nach Analysen der Profile der gut integrierten Täter und ihrer gesellschaftlich offenbar gesicherten Hintergründe schließt er: "Die Urheber der fehlgeschlagenen Attentate von London sind keine Gedemütigten, sondern Faschisten. Oder genauer gesagt sind sie in genau dem gleichen Maße Gedemütigte, nicht mehr und nicht weniger, wie die Faschisten des 20. Jahrhunderts (auch des Nazismus, von dem es schließlich hieß, dass er seinen Ursprung in der deutschen Demütigung durch den Vertrag von Versailles hatte!) Was den Krieg betrifft, den sie vor allem den Anhängern der Frauenbefreiung, dem Zusammenleben der Kulturen und den Werten des Laizismus erklären, muss man darauf mit einer hartnäckigen und bestimmten Bekräftigung dieser Werte reagieren. Das muss im Westen geschehen. Aber es muss auch dort unten in der arabisch-muslimischen Welt geschehen, jenseits dieser anderen Frontlinie, wo die Verteidiger eines demokratischen, gemäßigten und liberalen Islam mehr denn je auf Unterstützung und moralische Munition warten."
Archiv: Point

Weltwoche (Schweiz), 17.08.2006

Hanspeter Born führt ein interessantes Interview mit der saudischen Soziologin Mai Yamani, die junge britische Muslime zu verstehen sucht. "Auf den Websites, an den Universitäten und in den Moscheen ist der Nahe Osten für diese jungen Muslime das zentrale Thema. In ihrem Denken ist das, was sie als Angriffe auf Afghanistan, den Irak, Palästina, den Iran und jetzt auf den Libanon empfinden, Teil einer westlichen Strategie gegen die islamische Welt. Diese jungen Leute sitzen in einer Falle. Sie sind eingekeilt zwischen ihrem Dasein als britische und europäische Bürger, wo sie Redefreiheit geniessen und unter einem demokratischen System leben, und ihrer ererbten arabischen oder muslimischen Identität, dem, was sie sich als Umma vorstellen, diese imaginäre Gemeinschaft aller Muslime."

Die Regisseurin Güzin Kar rät entschieden zum Anschauen von Michael Manns neuem Film "Miami Vice", wo wieder einmal mit großen Wummen zärtlich die Liebe, die Männer und das Leben erklärt werden. "Schauen Sie sich den Film gemeinsam mit dem Menschen Ihres Herzens an. Wenn er oder sie den Film nicht mag, rate ich Ihnen, Monsieur oder Madame galant zum Ausgang aus Ihrem Leben zu begleiten und zu verabschieden. Für immer. Er oder sie wird Sie nicht verstehen. Nie. Wenn Sie selber den Film auch nicht mögen, können Sie sich gemeinsam aus der nächsten Videothek einen Western holen und Ihr Kind Kevin taufen."

Außerdem unterhält sich Roger Köppel mit Angela Merkel und Klaus-Maria Brandauer über Bertolt Brecht. Merkel überrascht mit Werkkenntnis und Sympathie für den Vorzegedichter der DDR. "Ich bezweifle, ob es Brecht auf die Dauer in der DDR ausgehalten hätte, wenn er nicht so früh verstorben wäre."
Archiv: Weltwoche

New York Times (USA), 21.08.2006

Robert Macfarlane hat die undankbare Aufgabe, einen "außerordentlich schlechten" neuen Roman von Irvine Welsh zu besprechen. "The Bedroom Secrets of the Master Chefs", eine Schmuddeladaption von Wildes "Bildnis des Dorian Gray" mit zwei subalternen Restaurantinspektoren in den Hauptrollen, haut mit Wucht in jede Kerbe des schlechten Geschmacks: Tautologien, unreine Metaphern, Fehler ("der Gebrauch des Wortes 'sorgfältig', wo 'vorsichtig' gemeint ist") und verunglückte Doppeldeutigkeiten (Welsh beschreibe die Erektion einer Figur als "sich durch das Material der Hose bohrend", was nahelege, dass der Mann einen ungewöhnlich spitzen Penis habe). Macfarlane kann die Knaller gar nicht alle aufzählen. Klischees ohne Ende, billige Bildlichkeit und, was das Schlimmste ist: "Welsh kann nicht mal richtig übers Trinken schreiben."

Weitere Artikel: Caroline Weber schlüpft in James Sullivans "faszinierende" Kulturgeschichte der Jeans. Terrence Rafferty findet Richard Pevears Neuübertragung von Alexandre Dumas' "The Three Musketeers" so toll, weil sie die Grellheit des Originals bewahrt. Und in einem Essay vergibt Rachel Donadio Sterne für Künstler-Camps in den USA; Kategorien: Arbeit und Sex.
Archiv: New York Times