Christina von Braun

Stille Post

Eine andere Familiengeschichte
Cover: Stille Post
Propyläen Verlag, Berlin 2007
ISBN 9783549073148
Gebunden, 416 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Mit 34 Fotografien. Familiengeschichten haben offene und verborgene Gesichter, sie werden auf laute und auf verschwiegene Weise von Generation zu Generation weitergegeben. Die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun versucht die Botschaften zu entschlüsseln, die ihr vor allem durch die Frauen der Familie nach dem Muster der "Stillen Post" übermittelt wurden. Dabei verknüpft sie auf subtile, einfühlsame Weise eigene Erinnerungen, innere Zwiesprache mit den Verstorbenen und die reichen Quellen des Familienarchivs, wie Briefe, Tagebücher, unveröffentlichte Memoiren. Im Mittelpunkt steht die Großmutter Hildegard Margis, die aufgrund von Kontakten zum kommunistischen Widerstand 1944 von der Gestapo verhaftet wurde und im Gefängnis starb. Ihr vor allem, dieser politisch engagierten, beruflich erfolgreichen, ganz und gar eigenständigen Frau will die Autorin ein Denkmal setzen. Aber auch von den Eltern erzählt sie, Hilde und Sigismund von Braun, die es im Krieg nach Afrika und dann in den Vatikan verschlug, wo der Vater an der deutschen Botschaft tätig war; vom Onkel Wernher von Braun, der in Peenemünde Raketen für Hitler baute und nach dem Krieg in die USA ging; von den Großeltern von Braun, die von ihrem Gut in Niederschlesien vertrieben wurden; und vom Onkel Hans, den die Mutter in den dreißiger Jahren nach England schickte, um ihn vor den Fängen des NS-Regimes zu bewahren. Alle diese turbulenten Lebenswege fügen sich wie ein Puzzle zu einem faszinierenden Gesamtbild deutscher Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 10.05.2007

Beeindruckt und bewegt hat Rezensentin Susanne Meyer diese Familiengeschichte zur Seite gelegt, die nicht der manifesten männlichen Geschichtsschreibung der Familie von Braun, sondern der unterdrückten "stillen Post" ihrer Frauen folgt: also Mutter und Großmutter der Autorin. Da sich der umfasste Zeitraum auf die schlimmsten und bewegtesten Kapitel deutscher Geschichte erstreckt, gibt es auch viel zu erzählen: Nazis, jüdische Vorfahren, Widerstandskämpfer und schlesischer Adel laufen durchs Bild, darunter der Penemünder Rüstungsexperte Wernher von Braun, Mayer zufolge der Onkel der Autorin. Insgesamt fesselt sie diese subversive und hochpersönliche Form der Geschichtsschreibung vor allem deshalb, weil Meyer hier Figuren von "großer Überzeugungskraft" gefunden hat, die ihr einen historischen Zusammenhang in nie gekannter Intensität und Detailgenauigkeit erhellen konnten. Lediglich in einigen seltenen Fällen literarisch verirrter Tochterliebe musste die Rezensentin Kitschalarm geben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.04.2007

Antje Schrupp hat zwei Bücher gelesen, in denen die Autorinnen die verschwiegene und tabuisierte Geschichte ihrer Familien im Nationalsozialismus schildern. Christina von Braun nimmt die Großmutter mütterlicherseits zum Ausgangspunkt der Familienbiografie, deren jüdische Herkunft lange verschwiegen wurde und die 1944 im Gefängnis der Gestapo starb, fasst die Rezensentin zusammen. Der Autorin gelinge es, anhand der Geschichte der eigenen Familie eine Methode zum Verständnis der historischen Zusammenhänge zu entwickeln, die auf der Vorstellung eines stillen, "psychischen Wissens" in der Familie basiert, erklärt Schrupp. Dass sie dabei trotz der Einblicke in persönliche Dokumente, wie Tagebücher und Briefe mit keiner Zeile "voyeuristisch" wirkt, findet die Rezensentin besonders sympathisch und sie lobt das Buch als äußerst interessant.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 04.04.2007

Mit großem Interesse hat Sabine Fröhlich dieses Buch gelesen, in dem die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun ihrer eigenen Familiengeschichte nachgeht. Hier waren es bisher die Männer, die dem Familienstammbaum den Stempel aufdrückten: Wernher von Braun etwa, der Onkel der Autorin, oder ihr Vater, ein Karrierediplomat unter den Nazis. In Vergessenheit geraten sind darüber die weiblichen Erinnerungslinien, denen nun das Interesse der Autorin gilt. Und sie stößt bei der Großmutter auf erstaunliche Parallelen zu ihrem eigenen Leben, berichtet die Rezensentin. Die Großmutter war in der Weimarer Republik eine erfolgreiche Unternehmerin und Politikerin, die - aus einer jüdischen Familie stammend - in den Widerstand gegen die Nazis ging. Nicht ganz klar wird aus der Rezension, was es mit dem Bild der "stillen Post" auf sich hat, Fröhlich stellt sie als etwas dar, das sich unausgesprochen durch die Frauengenerationen "in der Sprache des Körpers" Bahn bricht.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.2007

Geradezu hingerissen ist die Rezensentin Julia Encke von diesem zwischen "Autobiografie, Roman, Familienchronik" und Geschichtsdarstellung schillernden Band der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun. Die Autorin beschreibt - oder erschreibt sich - in dieser persönlichen Familiengeschichte das Verhältnis zu ihrer Mutter und vor allem zur Großmutter, die sie persönlich nie kennengelernt hat. Diese Großmutter, Hildegard Margis, war in den zwanziger Jahren eine aktive Frauenrechtlerin und alleinerziehende Mutter. Ihr nähert sich von Braun in Form fiktiver Briefe, in denen sie aber auch Fragen der Geschichtsschreibung im allgemeinen verhandelt. Wie Darstellung der Historie und Fiktion in diesem Band sich in den "Schatz eines psychischen familiären Wissens" verwandeln, das entlockt Encke das Prädikat "Meisterleistung".
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 21.03.2007

Zunächst mit Skepsis, doch dann mit zunehmenden Interesse und schließlich mit großem Respekt hat Alex Rühle diese Familiengeschichte Christina von Brauns gelesen. Befürchtet hat er, dass hier, wie bei vielen anderen im Nachhinein geschriebenen Memoiren, die kontingente Geschichte im Sinne einer "sinnstiftenden Zentralpersektive" zurechtgerückt wird. Aber Braun wusst offenbar dieser Gefahr auszuweichen. Sie erzählt die Geschichte ihrer Familie, in der sich einmal mehr für Alex Rühle zeigt, dass das Verdrängte, Nicht-Gesagte weitaus weniger vergessen wird, als das Ausgesprochene. Christina von Brauns Großmutter war eine geschäftstüchtige Frau der Weimarer Republik, deren Tochter Hilde, Christina Mutter, sich einträglich mit Sigismund von Braun verheiratet. Die beiden verbringen die letzten Kriegsjahre im Vatikan (zwischen "Feinddiplomaten" und "Achsendiplomaten"), berichtet der Rezensent, während die "halbjüdische" Großmutter in Berlin bleibt und sich der kommunistischen Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe anschließt. Christina von Braun, betont der Rezensent, ist keine große Erzählerin, vielmehr erzähle sie "so vor sich hin". Und noch einen Abstrich muss er schließlich machen: Dass Braun die Wirkmacht der "Stillen Post" ausschließlich bei den Frauen verortet, findet er befremdlich.
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