Heute in den Feuilletons

Zwischen sauberer Recherche und Unsinn

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.04.2013. Der Freitag greift die Debatte um Daniel Cohn-Bendits pädophile Texte auf. Literaturcafé meldet, dass die CDU die Mehrwertsteuer für Ebooks auf 7 Prozent senken will. In der Zeit erklärt Julian Assange, was das Internet ist: nichts anderes als die Öffentlichkeit selbst. Die taz bringt ein Gespräch mit der Filmemeacherin Miriam Faßbender, die zwei Afrikaner beim Versuch begleitete, nach Europa zu gelangen. Die FAZ guckt die Lieblingsfilme von Frieda Grafe. Ganz aktuell: tanzen mit Tilda Swinton. Und nachhaltig pinkeln mit Dezeen.

Welt, 25.04.2013

Thomas Schmid fragt sich auf der Forumsseite zum 30. Jahrestag der Schmach um Hitlers Tagebücher, was ausgerechnet ein angeblich so linksliberales Medium wie den Stern auf diese Spur gezogen hatte: "Als da Hitler auf einmal höchstselbst und oft genug sehr persönlich zu sprechen schien; als dadurch die Distanz, die Historiker zu ihm Buch für Buch aufgebaut hatten, plötzlich weg war; und als zudem anklang, Hitler sei mit der oder jener Untat nicht einverstanden gewesen, die in seinem Namen begangen wurde - da waren auf einmal Bedürfnisse angesprochen, die bisher in unteren Schubladen weggeschlossen waren."

Fürs Feuilleton erkundet Carl von Siemens den Lesesaal der jüngst renovierten Ex-Ostberliner Staatsbibliothek. Tilman Krause zitiert aus einem zur Versteigerung stehenden Brief Fontanes, der sich über die Berliner Luft beschwert.

Besprochen werden die "Dornröschen"-Choreografie Nacho Duatos in München (die Manuel Brug als plagiatorisch beschimpft), Steven Soderberghs Vermächtnis "Side Effects" und der Film "The Broken Circle" des belgischen Regisseurs Felix van Groeningen.

Aus den Blogs, 25.04.2013

Auf Facebook aufgeschnappt: Tilda Swinton bringt mit Barry White das Ebertfest zum Tanzen!

Stichwörter: Facebook, Swinton, Tilda

Freitag, 25.04.2013

Die amtlichen Feuilletons beschweigen die Debatte um Daniel Cohn-Bendit ja bisher recht beredt. Christian Füller greift sie auf. Der ehemalige Odenwald-Schüler Cohn-Bendit hatte 1975 über seine angeblichen sexuellen Erlebnisse mit Kindern geschrieben. Er zitiert einen Satz aus Cohn-Bendits programmatischen Buch "Der große Basar": "Eines der Probleme im Kindergarten war, dass die Liberalen die Existenz der Sexualität allenfalls anerkannten, während wir versucht haben, sie zu entwickeln und uns so zu verhalten, dass es den Kindern möglich war, ihre Sexualität zu verwirklichen." Und Füller schreibt dazu: "Es ist abwegig, solche Sätze als literarische Fiktion abtun zu wollen. Sie waren Programm, nicht Provokation."

Außerdem erkundet Michael Angele, "was uns die TV-Serie 'Homeland' über die Anschläge in den USA lehrt", und Stefan Heidenreich sieht anlässlich des "Gallery Weekend" in Berlin eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Kunstwelt heraufziehen.

Aus den Blogs, 25.04.2013

Wolfgang Tischer berichtet im Literaturcafé von einer CDU-Veranstaltung über die Zukunft des Buchs. Zwar begegnete ihm da auch die zu erwartende Manufactum-Prosa über die Haptik des Papierbuchs, aber immerhin: "Erstmals verkündete der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und auch sein Stellvertreter Günter Krings deutlich, dass sich die CDU/CSU für den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent für E-Books und auch Hörbücher starkmachen werde."

Dieses umweltfreundliche Urinal des französischen Designstudios Faltazi hat seinen ganz eigenen Charme: Man kann ungezwungen beim Pinkeln miteinander sprechen. Und ganz nebenbei verwandelt es auch noch den Urin von - zum Beispiel - Festivalbesuchern in Kompost. Wie man es aufbaut, erklärt Dezeen.

Oh, und erinnert sich noch jemand an die Meldung über die zwei Männer aus den Emiraten, die von der Tugendpolizei aus Saudiarabien ausgewiesen wurden, weil sie zu hübsch seien? Jetzt kann man das überprüfen, Fotos sind da (links eine Probe), jubelt Jezebel. Die Leserkommentare sind nur bedingt jugendfrei.

TAZ, 25.04.2013

Bert Rebhandl unterhält sich mit Miriam Faßbender über die Dreharbeiten zu ihrem Dokumentarfilm "Fremd", in dem sie zwei Afrikaner auf dem Weg nach Europa begleitet. Während des Drehs musste sie ihr Filmmaterial zum Schutz vor Polizei, Schleppern und Hitze schon mal im Sand vergraben. Aber: "Die lange Dauer der Dreharbeiten (über drei Jahre hinweg) hat enorm geholfen, Vertrauen zu bekommen. Ohne Mohamed wäre ich auch nie an diese Un-Orte an der algerisch-marokkanischen und der europäischen Grenze gekommen."

Weitere Artikel: Brigitte Werneburg spricht mit Organisator Cedric Aurelle über das Berliner Gallery Weekend, das morgen beginnt. Besprochen werden der im Safari-Park in Quebec gedrehte Dokumentarfilm "Bestiaire" des Kanadiers Denis Cote, in dem sich Tiere nicht um Bildausschnitte scheren und gern in die Kamera gucken, der Film "The Broken Circle" von Felix van Groeningen, dessen subkulturell-proletarisches Setting laut Cristina Nord nur im Musikalischen überzeugt, und Claudia Schmids Dokumentation über den Bildhauer Richard Deacon "In Between".

Und Tom.

NZZ, 25.04.2013

Eine neue kunsthistorische Perspektive eröffnet die Aachener Pionierausstellung über Utrecht als Zentrum spätmittelalterlicher Bildhauerkunst, meldet Franz Zelger: "Selbst im Bewusstsein der Niederländer war die 'Utrechter Schule' des 16. Jahrhunderts bis heute nur ein vager Begriff. Durch das gegenwärtige Forschungs- und Ausstellungsunternehmen tritt sie zumindest partiell aus dem Schatten des alles überstrahlenden 'Goldenen Zeitalters' hervor. Es steht somit fest: Nicht erst die Caravaggisten setzten Utrecht ins Licht der Kunstwelt." Hier eine Statue des Franz von Assisi von ca. 1470.


Beim Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon beobachtet Geri Krebs die Tendenz zu "Filmen, in denen Regisseure, ganz von sich selber ausgehend, ihre eigene Befindlichkeit ins Zentrum stellen". Paul Andreas berichtet von der Internationalen Bauausstellung auf der Hamburger Elbinsel. Martin Zingg besucht die Genfer Schriftstellerin Catherine Safonoff. Marc Tribelhorn informiert über eine Berner Debatte über Schweizer Geschichtsschreibung.

Besprochen werden Costa-Gavras' Filmsatire "Le capital" und Bücher, darunter "Gräfin Elisa" von Günter de Bruyn (mehr in unserer Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Auf der politischen Seite kommentiert Joachim Güntner die Debatte um Daniel Cohn-Bendit: "Missbrauchsopfer, die wie Cohn-Bendit die Odenwaldschule besucht haben, werfen dem Politiker vor, sich für sie nie ernsthaft engagiert zu haben, als die dortigen Übergriffe von Lehrern auf Schüler ruchbar wurden."