9punkt - Die Debattenrundschau

Ungesunde Inhalte

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.02.2019. Sensation des Tages: Jeff Bezos' wirft dem National Enquirer, einem Donald Trump nahestehenden Boulevardblatt, vor, ihn erpressen zu wollen: "Wenn ich mich in meiner Position nicht gegen diese Erpressung wehren kann, wie viele Leute können es dann?" Das Bundeskartellamt hat Facebook attackiert - es soll ein klein bisschen schwieriger werden, Daten zu verknüpfen: Die Richtung ist richtig, so die meisten Kommentare. Im Guardian erklärt der malische Sänger Salif Keita, warum er sich für Albinos einsetzt. taz und Welt berichten über sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.02.2019 finden Sie hier

Medien

Eine ziemlich irre Geschichte: Jeff Bezos wirft dem Boulevardblatt National Enquirer in einem Blogbeitrag bei Medium vor, ihn mit der Veröffentlichung kompromittierender Fotos erpressen zu wollen und veröffentlicht Mails des Enquirer. Der Enquirer steht Donald Trump sehr nahe und wird unter anderem verdächtigt, dem ehemaligen Playmate Karen McDougal Schweigegeld bezahlt zu haben, damit sie nicht über eine Affäre mit Trump plaudert. Zeit online bringt die Ticker, die das Geschehen zusammenfassen und Bezos zitieren: "Wenn ich mich in meiner Position nicht gegen diese Erpressung wehren kann, wie viele Leute können es dann? Natürlich will ich keine persönlichen Fotos veröffentlicht sehen, aber ich werde auch nicht bei ihren allseits bekannten Erpressungsmethoden mitmachen, bei ihren politischen Gefälligkeiten, politischen Attacken und Korruption."

Nebenbei enthält Bezos's Blogbeitrag ein bemerkenswertes Bekenntnis zur Washington Post, die er vor einigen Jahren gekauft hat und die für ihre kritische Berichterstattung über Trump bekannt ist. Selbst wenn sie die Dinge für ihn kompliziere, so Bezos, "bereue ich meine Investition keineswegs. Die Post ist eine kritische Institution mit einem kritischen Auftrag. Meine Verantwortung für die Post und meine Unterstützung ihrer Mission, die unerschütterlich bleiben wird, ist das, worauf ich am stolzesten sein werde, wenn ich neunzig Jahre alt bin und auf mein Leben zurückblicke, falls ich das Glück habe, so lange zu leben."

Chinesen sind süchtig nach Serien - die erfolgreichste Serie, eine Art chinesisches "Games of Thrones", die am Kaiserhof des 18. Jahrhunderts spielt, schaffte es an einem einzigen Tag auf 530 Millionen Zuschauer, schreibt Lea Deuber in der SZ. Natürlich zensiere die chinesische Regierung auch in den Serienproduktionen, um ihre Agenda durchzusetzen: "2016 verbot China 'vulgäre, unmoralische und ungesunde Inhalte', die die angeblich 'dunkle Seite der Gesellschaft' zeigen würden. Kein TV-Drama solle 'abnormale sexuelle Beziehungen und Verhalten wie Inzest, gleichgeschlechtliche Beziehungen, sexuelle Perversion, Belästigungen, Vergewaltigungen und Gewalt zeigen', heißt es dazu in den staatlichen Vorschriften."
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Internet

Das Bundeskartellamt hat die von Facebook gewollte Verknüpfung der Daten von Facebook, Instagram und Whatsapp ohne Zustimmung der Nutzer untersagt. Jana Lapper begrüßt die Entscheidung in der taz: "Gut, dass das Bundeskartellamt einschreitet. Damit wird Datenschutz mit Wettbewerb verknüpft. Das zeigt, welche wirtschaftliche Bedeutung Nutzerdaten haben. Leider hat das Kartellamt die Datenzusammenführung nicht komplett verboten. Künftig sollen sich User aber dagegen entscheiden können, Facebook braucht ihre Einwilligung. Das stärkt die NutzerInnen."

Auch Markus Beckedahl bedauert in Netzpolitik, dass das Kartellamt die Zusammenführung der Daten nicht kurzerhand verboten hat: "Stattdessen fordert man Facebook auf, zukünftig Nutzerinnen und Nutzer besser zu informieren und sich eine Einwilligung zu holen. Das klingt zwar gut, könnte sich aber in der Praxis schlimmstenfalls auch als Bestätigen eines weiteren Banners oder eines Häkchens in den Einstellungen zur Einwilligung funktionieren - ohne dass die Nutzer verstehen, was da genau passiert. So wie das Facebook bereits seit Jahren macht."

Was für Facebook gilt, sollte auch für Google gelten, findet Lisa Hegemann bei Zeit Online: "Auch Google hat eine monopolartige Stellung in Deutschland, 95 Prozent aller Suchanfragen laufen hierzulande über die amerikanische Suchmaschine. Hinzu kommen die Daten aus anderen Diensten: Legt sich jemand ein Google-Konto an, speichert Google nicht nur sämtliche Kommunikation über Gmail oder Docs. Sondern auch, was diese Person auf YouTube sucht, welche Videos sie anguckt, welche Geräte sie verwendet und welchen Wegbeschreibungen sie in Google Maps folgt. Und mit Google Analytics kann das Unternehmen zu Werbe- und Analysezwecken genau wie Facebook sehen, was Nutzerinnen auf anderen Websites anklicken."

In der SZ wendet Jannis Brühl ein, dass sich das Kartellamt damit ermächtige, auch für Datenschutzfragen zuständig zu sein: "Diese Spannung zwischen dem Schutz von Bürgerdaten und dem Schutz vor Monopolen muss noch aufgelöst werden. Facebook hat angekündigt, Beschwerde einzulegen; vor Gericht wird das Unternehmen argumentieren, dass das Amt Datenschutz und Kartellrecht unerlaubt vermischt. Kommt Facebook damit durch, hat sich das Kartellamt mit seinem Vorstoß auf Datenschutz-Neuland keinen Gefallen getan. Das Update des deutschen Wettbewerbsrechts ist also noch nicht abgeschlossen."
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Ideen

Im Tagesspiegel-Interview sprechen Peter und Harold Marcuse, Sohn und Enkel des Philosophen Herbert Marcuse, über ihre Suche nach dessen Urne, Besuche bei den Horkheimers, die Linke in der Krise und den Anti-Intellektualismus unter Trump. Peter: "Trump ist ja kein böses Monster, das plötzlich auf der Bildfläche aufgetaucht ist, sondern das Ergebnis einer Entwicklung, die schon länger schwelt. In seinem Werk 'Der eindimensionale Mensch', in dem Herbert die Auswirkungen einer kapitalistischen Gesellschaft analysiert, hat er das vorhergesehen: die Instrumentalisierung von Aggression auf Twitter. Das Überdecken von Missständen mit Konsumversprechen. Die Manipulation von Grundinstinkten, um aus dem Verlangen nach Geborgenheit und Sicherheit Profit zu ziehen. Ich bin sicher, mein Vater wusste, dass der Kapitalismus sich nicht einfach auf den Rücken rollt und stirbt."
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Gesellschaft

Im Interview mit dem Guardian schildert der berühmte malische Sänger und Musiker Salif Keita seine sehr schwierigen Anfängen, die mit der Tatsache zu tun hatten, dass er ein Albino ist. Die Musik hat ihn gerettet, aber überall in Afrika, sagt er, werden Menschen verstoßen, gemieden, geschlagen, getötet oder verstümmelt, weil ihre Körperteile magische Kräfte haben sollen. Keita hat zwei Stiftungen gegründet, die Albinos helfen sollen. "Im vergangenen November organisierte er ein Benefizkonzert, um das Bewusstsein für das Problem zu schärfen, nachdem ein fünfjähriges Mädchen mit Albinismus, Ramata Diarra, in der Stadt Fama, 80 Meilen westlich von Bamako, rituell getötet und geköpft worden war. 'Nie wieder', sagte er bei der Veranstaltung. 'Ich habe die starke Hoffnung, dass die Menschen verstehen werden, dass wir auf die gleiche Weise geboren werden und dass wir die gleichen Rechte haben wie alle anderen.'"

Wer die Gilets jaunes ablehnt, macht die Rechten nur stärker, sagt im nun von der SZ gedruckten Tages-Anzeiger-Interview mit Andreas Tobler der Schriftsteller Edouard Louis und verteidigt einmal mehr die "Progressivität" der Bewegung. Seit die Linke immer schwächer werden, fehle ihnen der Rahmen, um ihren Schmerz zu artikulieren. Auch für Homophobie in der Arbeiterklasse hat er eine Erklärung parat: "Pierre Bourdieu würde sagen, man habe der Arbeiterklasse alles weggenommen, das Geld, den Zugang zur Kultur, zur Wissenschaft. Das Einzige, was übrig bleibt, sind die Körper. Es ist daher nicht überraschend, wenn es im Arbeitermilieu homophobe Tendenzen und eine Obsession in Sachen Männlichkeit gibt. Im Milieu meiner Kindheit war Bildung etwas Feminines, etwas für Mädchen, für Schwuchteln. Deshalb verließ mein Vater die Schule ohne Abschluss. Und deshalb hatte er nur miese Jobs."
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Europa

In der AfD gibt es Anhänger einer "linken" Sozialpolitik um Björn Höcke und marktliberale Kräfte um Alice Weidel. Der Kultursoziologe Thomas Wagner, Autor des Buchs "Die Angstmacher", glaubt in der taz, dass die beiden Flügel nach dem Vorbild des Begriffs "soziale Marktwirtschaft" einen Modus vivendi finden könnten. Die ehemaligen Volksparteien hatten ja gezeigt wie das geht: "In der CDU reibt sich die Mittelstandsvereinigung an den Sozialausschüssen, in der SPD der Seeheimer Kreis an der parlamentarischen Linken. Erst durch ein vergleichbares institutionelles Arrangement würde sich die AfD dauerhaft konsolidieren können."

Skandinavien pflegt eine tolerante Einwanderungspolitik, schreibt Aldo Keel in der NZZ. Die muslimischen Communitys seien entsprechend groß, die Integrationsprobleme "massiv" - etwa in Norwegen, das jüngst vor allem Somalier aufgenommen hat: "Die Stadt Oslo schätzte vor ein paar Jahren, dass 50 bis 70 Prozent der Somalier die illegale Droge Khat konsumieren. Da sie bis morgens um vier oder fünf Khat kauen und danach den ganzen Tag schlafen, obliege die Versorgung der Familie den Frauen. Vier von zehn somalischen Kindern werden von den Eltern nach Somalia in die Koranschule geschickt. Wenn sie zurückkehren, finden sie sich nur schlecht zurecht. In Reportagen aus Somalia berichtete das Fernsehen letztes Jahr von atavistischen Erziehungsmethoden."
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Religion

In Italien werden Missbrauchsfälle durch katholische Priester fast nicht geahndet. Schuldige Priester werden der Strafjustiz entzogen und in komfortablen Heimen untergebracht, sagt Francesco Zanardi vom "Rete l'Abuso" (Netzwerk Missbrauch) im Gespräch mit Michael Braun in der taz: "Es gibt in Italien bisher kein einziges Opfer, das von der Kirche entschädigt worden ist. Nur für ein einziges Opfer hat die Kirche die Kosten einer psychologischen Behandlung übernommen. Und weiterhin erstatten die Bischöfe keine Strafanzeige, wenn sie von Missbrauchsfällen im Klerus erfahren. Aber 21 Betreuungsheime für die Täter errichten: das haben sie hinbekommen!" Philipp Gessler berichtet außerdem von Widerständen konservativer Bischöfe vor der geplanten Bischofskonferenz zum Thema Missbrauch in zwei Wochen.

Und in der Welt fragt sich Christian Füller: Wie konnte die sexuelle Gewalt gegen Nonnen in der Kirche überhaupt so lange geheim bleiben? Um dann zu erklären: "Gehorsam und Schweigen gehören in der Kirche zu den Grundregeln im Umgang mit dem Personal - genau wie im sozialen Gefüge der totalen Institution. Und die Nonnen sind, wenn man so will, die Geringsten unter den Insassen. (…) Am Anfang herrscht die Gewalt als Mittel der Erziehung. Diese Gewalt wird dann sexualisiert. Die Täter können es sich leisten, sich an ihrer Überlegenheit aufzugeilen und zu befriedigen. Man kann - auch wenn der Vergleich nicht gefällt - den Extremfall von sexueller Gewalt als Herrschaftsinstrument sogar beobachten: in den großen Affengehegen der Zoos. Unter bestimmten Rassen, etwa den Bonobos oder den Pavianen, herrscht der ranghöchste Affe mithilfe sexueller Dominanz. Er unterwirft Frauen und Kinder sexuell, wie er es will, und er demütigt und unterwirft auch seine Konkurrenten, indem er sie vergewaltigt."
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