Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
03.03.2003. Der Merkur geißelt Europas Mangel an Ehrgeiz. Das TLS schildert, wie Marina Zwetajewa vor der Roten Armee ein Hurra auf den Zaren rief. Im Spiegel erklärt Susan Sontag, warum ein Krieg gegen den Irak schlecht für die irakischen Frauen wäre. In der NY Review of Books erklärt Avishai Margalit, warum der Krieg nur den Fundamentalisten nützen würde. Die NYT Book Review rühmt die Erinnerungen des Golfkriegsveteranen Anthony Swofford. Der Economist denkt immer noch über Frankreich nach. Outlook India sieht Indien im Rinderwahn. In Profil weigert sich Klaus Theweleit, die Kritik der Künstlerblase an Bush ernst zu nehmen.

Merkur (Deutschland), 01.03.2003

Mit seinen Erklärungen, warum die USA und Europa so unterschiedlich sind, hat Robert Kagan ("Macht und Ohnmacht") für viel Aufregung gesorgt. Christoph Bertram findet Kagans Thesen zwar höchst stilvoll, aber deshalb auch nur besonders schön falsch. "Nicht Schwäche macht den Unterschied zu Amerika aus, sondern der Mangel an Ehrgeiz, verstärkt durch einen Entscheidungsprozess, der Schnelligkeit verhindert." Und anders als Kagan behaupte habe Europa nicht etwa eine andere Politik als die USA: "Es hat überhaupt keine". "Die Regierungen Europas sehen sich selbst weiterhin als Zuschauer, nicht als Mitgestalter, wenn es um internationale Ordnung jenseits der gegenwärtigen Grenzen der Europäischen Union geht. Ihre Visionen sind Wunschzettel, nicht Richtlinien zum Handeln. Sie besetzen die moralischen Höhen und überlassen das Handeln in den politischen Niederungen den Vereinigten Staaten. Europa ist geworden, was Schweden in den fünfziger und sechziger Jahren war: Bannerträger einer Vision internationaler Ordnung, die umzusetzen es herzlich wenig tut."

Hans Ulrich Gumbrecht (mehr hier) liefert Impressionen aus der pazifistischen deutschen Seelenlandschaft, in der man sich sich "zu gesundem Volksempfinden vereinigt, mit eben jener Selbstverständlichkeit gegen einen möglichen Krieg zu sein, mit der man sonst nur gegen schlechtes Wetter, einschlagende Blitze oder andere Naturkatastrophen protestiert."

Weitere Artikel: Rudolf Burger gibt Entwarnung: Die Vereinigten Staaten von Europa wird es nicht geben. "Die Völker Europas, die 'großen Lümmel' werden sie verhindern - aus plebejischem Hang zur Demokratie." Heinz Bude blickt auf die allmählich vergehende Bundesrepublik zurück. Konrad Adam rechnet mit den Gewerkschaften ab ("Besitzstand ist auch ein Stand.") Walter Klier delektiert sich am "Tratsch in seiner edelsten Form" - der Biografie. Und von Hans-Jürgen Greif erfahren wir, warum Frankreich dem Ethos den Vorzug vor dem Pathos gibt. Außerdem geht es um Paul Ricoeur, Lucien Febvre und seinen Rabelais, um die soziale Evolution von Tieren und Menschen sowie um die Chemie des Lebens.
Archiv: Merkur

Times Literary Supplement (UK), 28.02.2003

Literarisches Ereignis der Woche sind für das TLS die Moskauer Tagebücher "Earthly Signs" der russischen Dichterin Marina Zwetajewa (mehr hier, hier und hier). Besonders beeindruckt hat Rachel Polonsky, mit welchem Schneid Zwetajewa im Winter 1920 dem sowjetischen Poeten und Literaturbürokraten Valeri Bryusow (mehr hier und hier) den Krieg erklärte - bei einer Soiree für Soldaten der Roten Armee: "Aus dem allgemeinen Dunst aus Parfum, Kokain und Dekolletee, der normalerweise im Politechnikum herrschte, trat sie in militärischem Gewand heraus, mit Militärgürtel und Pelzstiefeln wie Elefanten-Strümpfen. Nach Bryusovs einleitenden Bemerkungen darüber, wie weibliche Dichtung ganz und gar der Liebe und der Leidenschaft gewidmet sein sollte, und nachdem die lieblichen Gedichte einiger willfähriger 'Dichterinnen' vorgetragen worden waren, entledigte sich Zwetajewa ihrer "Ehrenschuld", indem sie sieben Gedichte vortrug, in denen weder 'Liebe' noch das Pronomen 'Ich' vorkam, und die sie mit einem Klagelied über Russland beendete - und einem Hurra auf den Zaren."

Weitere Artikel: Nach "About Schmidt" ist Clive James nun vollends Jack Nicholsons sardonischem Grinsen erlegen. Der Mann könnte, meint James, "sein eigenes Todesurteil vortragen und würde dabei immer noch komisch klingen". Rosalind Porter jubelt über eine sensationelle Entdeckung, die die Oxford-Studentin Kathryn Laing gemacht hat: Rebecca Wests ersten, unveröffentlichten, aber leider auch unvollendeten Roman über die Soufragetten,"The Sentinel". Stein Ringen sorgt sich anlässlich des neuesten UN-Bevölkerungsbericht um die Zukunft Europas, wenn es selbst die skandinavischen Länder mit ihrer familienfreundlichen Politik nicht schafften, ihre Frauen zum Kinderkriegen anzuregen.

New York Review of Books (USA), 13.03.2003

Die New York Review diskutiert schon gar nicht mehr den Krieg selbst, sondern nur noch die Gründe, aus denen man dagegen sein muss. So dekretiert Michael Walzer, dass man den Krieg gegen den Irak ablehnen müsse, weil das System der Waffen-Inspektionen funktioniere.

Der israelische Philosoph Avishai Margalit lehnt dagegen den Krieg aus einem ganz anderen Grund ab: "Wenn Sie einen amerikanischen Regierungsvertreter nach dem 11. September gefragt hätten, wer der Feind ist, hätten Sie drei verschiedene Antworten bekommen: Internationaler Terrorismus, Massenvernichtungswaffen in der Hand solcher Übeltäter wie Saddam Hussein und radikaler Islam in der Art, wie ihn Osama bin Laden verficht. Ich glaube, das Wirrwar in den amerikanischen Überlegungen zum Irakkrieg rührt daher, dass diese Antworten miteinander vermischt werden, als ob sie alle ein und dasselbe wären. Tatsächlich sind sie sehr verschieden und ziehen sehr unterschiedliche und nicht miteinander vereinbare Konsequenzen nach sich. Meiner Ansicht nach sollte der radikale Islam als der Feind betrachtet werden. Ein Krieg gegen Saddam Hussein, wird diesem Feind eher helfen als ihm einen Rückschlag versetzen."

Bushs geplante Steuersenkungen werde gewohnt antimonetaristisch vom Ökonom und Nobelpeisträger Joseph Stiglitz zerpflückt. Die Idee, dass der Durchschnittsamerikaner aus Bushs Programm Nutzen ziehen könnte, entspringe einmal mehr der alten "Trickle-Down"-Theorie: Gib den Reichen Geld und eventuell werden die Armen etwas davon haben. Dies geschah nicht in den Achtzigern und es gibt keinen Grund zu glauben, dass es jetzt geschehen wird, erklärt Stiglitz.

Weitere Artikel: Peter Daily beklagt Haitis verlorene Jahre unter den Präsidenten Jean-Bertrand Aristide und Rene Preval, die keine der in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen konnten, sondern das Land in immer größere Armut führten. Von Tim Flannery können wir lernen, welchen Einfluss Bäume auf unsere Vorstellungskraft und unser Sexualleben haben. Und John Leonard schmäht Norman Mailers Essays zur Literatur "The Spooky Art" als eine Sammlung von leerem Gerede und Wiedergekäutem.

Spiegel (Deutschland), 03.03.2003

Susan Sontag ist überzeugt, dass der Krieg gegen den Irak unabwendbar ist. George W. Bush sei "entschlossen, den Irak zu besetzen", sagt sie im Interview. Sontag ist zwar gegen den Krieg, findet aber auch deutliche Worte zur Frauenfeindlichkeit des Islam. "Der radikale Islam ist, um es milde auszudrücken, schlecht für Frauen. Ich lebe in einer Kultur, in der Frauen ganz selbstverständlich Lebenschancen haben wie Männer - und der radikale Islam verbietet Frauen diese Möglichkeiten. Deshalb bin ich schon aus ethischen Gründen eine Gegnerin dieser Religionsauslegung. Aber ich füge hinzu, dass jeder Fundamentalismus schlecht für Frauen ist. Ich sehe auch, dass es eine radikale Strömung im Islam gibt, die mehr und mehr Menschen erfasst, die gemischte Gefühle gegenüber der Moderne hegen. In vielen Teilen der Erde werden Männer zum Protest gegen das mobilisiert, was sie als Ungerechtigkeit, politische Unfähigkeit und Korruption in ihren Ländern erachten - und daraus entstehen Glaubenssoldaten in einem religiösen Krieg, der zuallererst an der Front gegen Frauen geführt wird." Ein Grund mehr für sie, keinen Krieg gegen den Irak zu führen. "Saddam ist wirklich das Monster, für das er gehalten wird, und ich wäre froh, wenn er abgesetzt würde. Das einzig Gute an ihm ist jedoch, dass er ein säkulares Monster ist. Auf lange Sicht könnte seine Beseitigung aber ein fundamentalistisches Regime ans Ruder bringen."

Weitere Artikel: Im subtil gewählten Titel "Operation 'Rambo'" stellt der Spiegel die "geheimen Spezialtruppen der USA" vor und porträtiert zwei CIA-Agenten, die in Afghanistan entdeckt und ermordet wurden. Weiter berichtet Heiko Martens, dass in deutschen Großkonzernen demnächst rund 330 Milliarden Euro Betriebsrenten gezahlt werden müssen. Und Roberto Begnini plaudert im Interview über seinen neuen Film "Pinocchio".

Nur im Print: ein Essay von Cordt Schnibben über Friedenskritik und Antiamerikanismus.
Archiv: Spiegel

Profil (Österreich), 03.03.2003

Profil-Redakteur Stefan Grissemann hat ein sehr ausführliches Gespräch mit Klaus Theweleit geführt. Da geht's unter anderem um "zwiespältigen Anti-Bush-Interventionen von Künstlern und Intellektuellen". Zum politischen Engagement prominenter Kriegsgegner meint Theweleit, dass es entscheidend sei, "von der Interessenverbindung der Medien und jener Leute, die sich da äußern" auszugehen. Es sei so wie in einer Filmkomödie aus den Fünfzigern, in der Jayne Mansfield als Hollywoodstar alle Fragen einfach mit "Ask my agent" beantworte. Stars hörten auf ihre Agenten, die sondierten erst mal die Lage: "Wie passt eine solche Äußerung ins Bild des Stars?" Wenn nicht Bush Präsident wäre, sondern noch Clinton, "bei dessen Inauguration ja die ganze Künstlerblase zugegen war und Beifall geklatscht" habe, so gäbe es die Kritik "in der Form gar nicht". Bei der Jugoslawien-Bombardierung lief es bekanntlich anders. "Mal spricht man also für den Krieg, ein paar Jahre später spricht man gegen den Krieg". Als einen "fundierten Eingriff der Kunst in die Politik" könne man das nicht bewerten.

Des weiteren finden sich ein Gespräch mit dem Architekten Raimund Abraham über das Ground-Zero-Projekt seines Kollegen Daniel Libeskind und dessen "Liebe zum Kitsch"; sowie ein Gespräch mit dem profil-Hauscartoonisten Gerhard Haderer über sein neues Buch "Von Hunderln und Menschen" und seine Abhängigkeit vom Wieder-Kanzler Wolfgang Schüssel, den die profil-Titelgeschichte als einen Kanzler "auf Abruf" sieht.
Archiv: Profil

Outlook India (Indien), 10.03.2003

"Der Rinderwahn von Mutter Indien wird mal wieder für die ganze Welt sichtbar ausgestellt", seufzt Outlook Indien. Doch die Frage, ob es ein nationales Verbot der Rinderschlachtung geben soll, ist so "todernst", dass Outlook der Debatte seinen Titel widmet. Die Frage um das Schlachtverbot sei zum Symbol eines Wettstreits um eine "ich bin ein besserer Hindu als du"-Politik zwischen den Parteien geworden, schreibt Bhavdeep Kang. Wie explosiv diese Debatte ist, ahnt man anhand der Reaktionen, die er schildert: "Wenn gesagt wird, Hindus fordern ein Schlachtverbot, dann bedeutet das, Dalits (mehr hier, d. Redak.) sind keine Hindus. Dalits lehnen es nicht ab, Kuhfleisch zu essen. Sie tun es zwar nicht im Hindu-Gürtel, weil sie dort getötet werden, wenn sie eine Kuh schlachten. Aber im Süden ist es eine ihrer wichtigsten Nahrungsquellen", wird der Kolumnist Chandrabhan Prasad zitiert. Und Amar Singh von der SP fragt: "Das ist die Büchse der Pandora. Was, wenn die Moslems fordern, dass der Verzehr von Schweinefleisch verboten wird. Wo soll das enden?"

Weitere Artikel: V. Sudarshan beschreibt die nicht allzu enge Verbindung zwischen Deutschland und Indien, und denkt über künftige gemeinsame Interessen nach: Wenn Deutschland auch eine Atommacht würde, stünde es Indiens Atomwaffenprogramm nicht so ablehnend gegenüber. Außerdem hätten beide Länder ein Interesse daran, als ständige Mitglieder in den Sicherheitsrat aufgenommen zu werden - Deutschland als europäisches Schwergewicht, Indien als Gegengewicht zu China.

Außerdem druckt Outlook einen Auszug aus den Memoiren des indischen Kommunisten Mohit Sen.

Archiv: Outlook India
Stichwörter: Mutter, Schweinefleisch, Gürtel

Economist (UK), 27.02.2003

Nur die "Gutgläubigen" glauben noch, dass Frankreichs Widerstand im Sicherheitsrat tatsächlich mit dem Irak-Krieg zu tun hat. Vielmehr geht es den Franzosen um die Frage, "wie der Rest der Welt vorhat, mit Amerikas Machtposition nach dem Kalten Krieg und nach dem 11. September, umzugehen", meint der Economist, Und hierbei könnte sich Frankreichs Taktieren äußerst schädlich auswirken. Denn "die Integrität des Sicherheitsrats hängt jetzt davon ab, ob er Amerika erlaubt, seine Macht zu nutzen, um den Willen des Rats durchzusetzen, und nicht, ob er seine Meinung ändert und Amerika dazu zwingt, auf eine 'Koalition der Willigen' außerhalb seiner Autorität zurückzugreifen. Es ist noch Zeit für Chirac, dies zu überdenken. Im Interesse der Welt und im Eigeninteresse Frankreichs, sollte er es tun."

Passend dazu: Die Franzosen ärgern sich darüber, dass Französisch als EU-Amtssprache zugunsten von Englisch verdrängt wird, und befürchten, dass damit das amerikanische Denken in die EU Einzug erhält. Einziger Trost: "dass das Englische an all den Ausländern zugrunde geht, die es so schlecht sprechen".

Es könnte sein, meint der Economist, dass George W. Bush mit seiner Rede im Washingtoner American Enterprise Institute, in der er die "zivilisierte Welt" zur "Veränderung des Mittleren Ostens" aufgerufen und zum ersten Mal auch den israelisch-palästinensischen Konflikt miteinbezogen hat, die wahre Bush-Doktrin eines aufklärerischen Sendungsbewusstseins preisgegeben hat. "Während andere Länder über den nächsten Schritt im Countdown zu einem Krieg im Irak diskutieren, drängt Bush Amerika dazu, nicht nur darüber zu debattieren, was im Irak nach Husseins Fall passiert, sondern auch über die Auswirkungen, die dieses Ereignis über Jahrzehnte in der Region haben könnte." Selbst wenn Bush einem Irrtum aufsäße, was das demokratische Potenzial der arabischen Welt angeht, "könnte ihm niemand fehlenden Ehrgeiz vorwerfen".

Weitere Artikel: Der Economist erinnert die Irak-besessene Welt daran, dass es da auch noch ein Problem namens Nordkorea gibt. Wir lesen die Besprechung von Margaret Plants Buch über das sterbende Venedig, einen Nachruf auf den Hotel-Pionier Kemmons Wilson und eine Art Nachruf auf Iain Duncan Smith, den Chef der Tories, der nicht nur inkompetent sei, sondern zu allem Übel nicht aus seinen Fehlern lerne.

Außerdem erfahren wir, warum Mexiko seinen frisch erhaltenen Sitz im Sicherheitsrat gleich mit einem diplomatischen Dilemma bezahlt, warum es in Bagdad zur Zeit wie auf der Titanic zugeht, wie sich der Wechsel an Chinas politischer Spitze gestaltet, warum die durchgeführten Testversuche in Sachen AIDS-Impfstoff für Afrika eher nutzlos sind, wie die Physiker sich über Raum und Zeit streiten, dass Flugpassagiere bald in den Genuss des Internets kommen, und schließlich, was Sony sich für unser Wohnzimmer vorstellt.
Archiv: Economist

Express (Frankreich), 27.02.2003

Die Gedenkstätte Yad Vashem wird den Gerechten, die in der Nazizeit verfolgten Juden halfen, einige internationale Nachschlagewerke widmen. Der erste, bei Fayard erschienene Band stellt gerechte Franzosen vor. Lucien Lazare hat den "Dictionnaire des Justes de France " herausgegeben, berichtet Marion Festraëts. Er erinnert an 2000 Franzosen, die einigen in Frankreich lebenden Juden das Leben gerettet haben. "Die Geschichtsschreibung sollte sich nicht nur in den Dienst großer geschichtlicher Ereignisse stellen. Es gibt innerhalb kleiner Mikrophänomene der Geschichte, einzelne Elemente die es verdient haben, in der Geschichte der Shoah an erster Stelle zu stehen. Sie zeugen davon, dass es Menschen gibt, die andere Anliegen haben, als sich einem kriminellen Regime zu unterwerfen", sagt Lazare. Claude Lanzmann kritisiert das Werk als zu eindimensional: "Wir dürfen nicht vergessen, dass ein Viertel der in Frankreich lebenden Juden in Konzentrationslagern umgekommen sind, aber dennoch drei Viertel gerettet worden sind. Dank vieler Franzosen, die in diesem Nachschlagewerk gar nicht auftauchen."
Archiv: Express

New York Times (USA), 02.03.2003

Dunkle Zeiten in der New York Times Book Review: Bücher von Krieg und Faschismus dominieren die Besprechungen. Mark Bowden rühmt "Jarhead" (erstes Kapitel), die Erinnerungen des Golfkriegsveteranen Anthony Swofford, als "eines der besten Bücher, das je über das militärische Leben geschrieben wurde". Selten bekomme der zivile Leser einen so unvermittelten Einblick in die Gedanken eines Soldaten, denn normalerweise werde der Blick durch die "verschwommene Brille des Patriotismus getrübt". Nicht so bei Swofford. Der fängt die "Fröhlichkeit, Anspannung, Geilheit und Einsamkeit" der langen Vorbereitungszeit in der Wüste ein, um dann ehrlich und unverblümt, sprachmächtig und manchmal gar poetisch seine Erfahrungen im Krieg zu vermitteln, schwärmt Bowden. Selten gebe es "Marines, die ihre Erlebnisse überhaupt mitteilen wollen, aber noch seltener sind die Marines, die wie Swofford auch noch schreiben können". Dessen Fazit des Kriegs ist nüchterner als die Rezension: Letztendlich laufe alles darauf hinaus "für alte weiße Männer zu kämpfen und zu sterben".

Antonio Lobo Antunes (mehr hier) lässt in seinem Roman "Inquisitors' Manual" (erstes Kapitel) die Zeit der Diktatur von Antonio Salazar wiederauferstehen. William Deresciewicz hält das Buch für mehr als eine bloße Allegorie auf den Faschismus, vielmehr zeige es auf, wie der Terror die Gesellschaft durchdringe. "Wenn Salazar und sein Regime immer älter werden, atmen wir eine Atmosphäre aus Illusion und Feigheit. Das Regime fällt hier nicht einmal in sich zusammen, sondern viele Male, denn die Geschichte setzt sich aus den Erinnerungen von etwa einem Dutzend sehr verschiedener Charaktere zusammen". Insgesamt, schließt Deresciewicz, das beeindruckende "Porträt einer zur Gänze ruinierten Gesellschaft".

Außerdem: John Sutherland preist Michael Pyes Roman "The Pieces from Berlin" (erstes Kapitel) als technisch ausgefeilte und kunstvolle Reflektion über die Moral. Pyes Protagonistin hilft vor dem Zweiten Weltkrieg jüdischen Freunden, deren Kunstschätze zu verstecken, benutzt diese aber nach dem Krieg als Grundstock für ihren eigenen florierenden Kunsthandel. Joseph Dorman schätzt Gerald Sorins Biografie des Literaturkritikers und langjährigen Sozialisten Irving Howe (erstes Kapitel). Der "emphatische Biograf" Sorin sei zwar mit seiner Figur etwas zu sanft umgesprungen, dennoch sei es ihm gelungen, die Verflechtung von Politik und Literatur in Howes Leben deutlich zu machen. Und David Oshinsky hat Lizabeth Cohens Studie "A Consumers' Republic" mit Gewinn gelesen. Cohen zeige auf, wie sich der kriegsbestimmte Patriotismus in den USA nach 1945 auf den Konsum verlagert hat.
Archiv: New York Times

Nouvel Observateur (Frankreich), 27.02.2003

Im Debattenteil erklärt der Politikwissenschaftler Denis Lacorne, was es mit den jüngsten amerikanischen Ausbrüchen von Frankophobie auf sich hat. Nach einem historischen Exkurs - "Die Frankophobie ist die älteste Sache der Welt" - erklärt er die Funktion des wechselseitigen Austauschs von Stereotypen, die "die nationalen Leidenschaften stärken" sollen. Die zentralen rhetorischen Mittel dieser "bevorzugten nationalistischen Propaganda" seien Polemik, Wirksamkeit (d.h. "leicht zu merken"), Dichotomisierung (die/wir) und ihr performativer Charakter. Lacorne räumt aber ein, dass "auch Frankreich ganz gerne Klischees produziert. Wir mögen keine allzu vielschichtigen amerikanischen Präsidenten wie Jimmy Carter. Dagegen schätzen wir Reagan und bis vor kurzer Zeit George W. Bush: die Realisten, die Harten, die unsere Vorurteile gegenüber dem Antiintellektualismus der amerikanischen Politik bestärken" Denn das sei die französische Vorstellung von "Uncle Sam: brutal, manipulativ und immer im Dienst des amerikanischen Kapitalismus."

Kurz, aber dafür sehr gut wird der neue Roman von Jacques Tournier "A l'interieur du chien" (Grasset) besprochen: "Das Buch ist wie eine Mozartsonate, gespielt von Clara Haskil: Es vertreibt die Finsternis". Mit einigen Auszügen wird der Briefwechsel von Camille Claudel (mehr hier) vorgestellt. 1886 hatte sie beispielsweise Auguste Rodin geschrieben: "Ich kann nicht kommen, wohin Sie mich bestellt haben, weil ich weder einen Hut noch Schuhe habe, und meine Stiefel sind alle abgetragen. Camille". Philippe Sollers rezensiert schließlich einen Essay über die Philosophie der altchinesischen Malerei - "La grande image n'a pas de forme. Ou du non-objet par la peinture" (Seuil).

Darüber hinaus wird in dieser Ausgabe viel geredet: In Interviews geben der amerikanische Jazz-Saxofonist Wayne Shorter, der schon mit John Coltrane und Miles Davis gespielt hat, Auskunft über seine neue CD "Alegria" (mehr hier), Chinas berühmtester Rockstar, Cui Jian, erklärt die anhaltenden Probleme mit den Behörden bei der Organisation eines Konzerts, und Anne de Stael gibt eine kleine Einführung in die große Ausstellung mit Arbeiten ihres Vaters, des Malers Nicolas de Stael (mehr hier) im Centre Pompidou.

New Yorker (USA), 10.03.2003

Beschäftigt sich der Nouvel Obs aus gegebenem Anlass mit der amerikanischen Frankophobie, so widmet sich Simon Schama dem Thema von der anderen Seite her: Er beschreibt den "ungeliebten Amerikaner" als Ergebnis einer "200jährigen Geschichte der Entfremdung von Europa". Schon Ende des 19. Jahrhunderts habe das "Stereotyp des hässlichen Amerikaners in Europa einen festen Platz gehabt: unersättlich, predigend, gewinnsüchtig und unglaublich chauvinistisch". Daneben hätten noch andere amerikanische Charakteristika die europäischen "Romantiker befremdet: die Abscheu vor Tragödien (einem moralischen Korrektiv der Illusion, unbesiegbar zu sein); die starke praktische Vorliebe; die Trennung von der Geschichte und vor allem das, was die Deutschen 'bodenlosigkeit' nannten", nämlich die mobile Bauweise von Häusern, die auch eben mal im Ganzen versetzt werden konnten. "Das bestärkte sie in ihrer Ansicht, die Amerikaner hätten keine wirkliche Ortstreue, und es erklärte, weshalb sie nützliche Höfe Blumengärten vorzogen. Kein Rittersporn, keine Zivilisation."

Paul Goldberger kommentiert das Finale zwischen Gewinner Daniel Libeskind (mehr hier) und dem Büro THINK (mehr hier) unter Leitung von Rafael Vinoly im "erstaunlichen" Architekturwettbewerb für Ground Zero. Und hat sehr hübsche Details recherchiert. "Nachdem die Finalisten einmal feststanden, ging es nicht mehr so vornehm zu. Beide Architekten starteten eine Public-Relation-Offensive. (...) So schickte jemand Mitte Februar aus (Libeskinds) Büro E-Mails an eine Reihe von Leuten, darunter auch einige Journalisten. Die sollte sie dazu bringen, sich bei der Times über einen unerwarteten Verriss durch den Architekturkritiker der Zeitung, Herbert Muschamp, zu beschweren. Zwei Monate zuvor hatte Muschamp Libeskinds Plan noch 'großartig' genannt, nun beschrieb er ihn als eine 'erstaunlich geschmacklose Idee'." Einen Link zu den Entwürfen finden Sie hier.

Des weiteren lesen wir die Erzählung "Christie" von Caitlin Macy. Peter Schjeldahl stellt eine Ausstellung mit Arbeiten von Edouard Vuillard in der National Gallery in Washington. Malcolm Gladwell befasst sich anlässlich des Erscheinens der Studie "The Cell: Inside the 9/11 Plot, and Why the F.B.I. and C.I.A. Failed to Stop It" mit den Paradoxien einer Reform des Nachrichtendienstes, Kurzbesprechungen gibt es unter anderem zu neuen Romanen von William Boyd (mehr hier) und Siri Hustved. Hilton Als lobt eine Inszenierung der Wooster Group von Tschechows "Drei Schwestern", und Anthony Lane sah im Kino "Laurel Canyon" von Lisa Cholodenko mit Frances McDormand und "Irreversible" von Gaspard Noe, der im vergangenen Jahr in Cannes für Aufregung sorgte (mehr hier).

Nur in der Printausgabe: ein "Brief aus Russland" über die post-sowjetische Jugendkultur, das Porträt eines "Pornokönigs", ein Bericht über den Fall John Walker Lindh, jenes jungen Amerikaners, der für die Taliban gekämpft hatte (mehr hier), und Lyrik von Muriel Spark und Philip Schultz.
Archiv: New Yorker