Fallende Blätter

Brot statt Spiele

Von Barbara Jantzen
25.09.2003. Das größte Verbrechen des Feuilletons ist vielleicht, dass es dem Leser glaubhaft gemacht hat, er dürfe sich kein Urteil anmaßen.
Unsere Leser setzen die Diskussion um das Feuilleton fort (eine Übersicht mit allen Artikeln). Hier ein Text der Romanistin Barbara Jantzen.

Wer einem Franzosen gegenüber das Wort "Feuilleton" erwähnt, wird eine skeptisch fragende Augenbraue hochschnellen sehen. Denn das Wort gibt es zwar im Französischen, es heißt dort Serie, und damit können sowohl die in Zeitungen episodenweise veröffentlichten Romane als auch, und das ist heutzutage geläufiger, Fernsehserien gemeint sein. Das Feuilleton als solches allerdings gibt es nicht.

Man erwähne also das Wort "Feuilleton" im journalistischen Kontext, und auf die unweigerliche Augenbraue folgt die Erklärung, es handele sich hier um eine eigenständige Sparte, die mit der Serie höchstens das regelmäßige, weil tägliche Erscheinen gemeinsam habe. Eine vergleichbare Sparte gibt es in der französischen Presselandschaft nicht, fährt man fort, wodurch das Misstrauen natürlich nur wächst. Man hat alle Mühe der Welt, diese störrische Augenbraue wieder zu glätten, und versucht es über die bekannten Kategorien: Das deutsche Feuilleton sei eine "Mischung" (da legt sich das Misstrauen ein wenig, schließlich haben Mischungen noch nie etwas besonderes hervorgebracht) aus den Sparten "Culture", "Debat" und "Societe".

Da verändert sich sofort der Blick, denn auf einmal ist dem Franzosen selbst nicht mehr ganz klar, wo die Grenzen zwischen diesen drei Sparten verlaufen.

Womit man schon bei der Rolle angelangt wäre, die das Feuilleton spielt, und die sie sich zur Aufgabe gemacht hat, nämlich ein Forum der grundlegenden Fragestellungen zu sein, ein von der brennenden Aktualität etwas zurückgezogener Hafen, in dem Entwicklungen beleuchtet und hinterfragt, Zusammenhänge gesucht und hergestellt werden.

Warum diese Spielart des intellektuellen Lebens so nur in Deutschland existiert, ist man allerdings außerstande zu erklären. Man fragt lieber, warum sie anderswo nicht existiert.

Aber das ist vielleicht der springende Punkt. Anstatt das deutsche Feuilleton unter patriotischen Denkmalschutz zu stellen und ihm gutgemeinte Kulturpflege zukommen zu lassen, sollte man sich vielleicht gerade die Frage stellen, was es so unverzichtbar macht, welche Entwicklungen es aber, von der wirtschaftlichen Seite einmal abgesehen, auch verzichtbar haben erscheinen lassen. Denn was man in der Krise über Bord wirft, ist schließlich immer das Verzichtbarste, oder zumindest das scheinbar Verzichtbarste.

Naturgemäß muss unter den Zeitungsressorts das Feuilleton auf der Abschussliste ganz oben stehen. Denn in puncto Verzichtbarkeit (das mildere Wort für Nutzlosigkeit) erfährt das Feuilleton geradezu eine Doppelbelastung, einmal von der Objektseite, denn es geht ja um Literatur (und Kunst im Allgemeinen), und zugleich von der Art, wie es sich gibt. Nutzlos, womit es sich beschäftigt. Nutzlos, die Art und Weise, wie es das tut. Doch solange es sich innerhalb dieser ausgemachten Nutzlosigkeit bewegt, solange wird dem Feuilleton mit Nachsicht begegnet. Vollends nutzlos, weil anmaßend, erscheint das Feuilleton jedoch, wenn es der "wirklichen Welt" den Prozess machen will.

Die Walser-Affäre war sicherlich ein Ereignis, das die Verzichtbarkeit des Feuilletons noch etwas vorangetrieben hat. Manche werden den sommerbedingten Themennotstand dafür verantwortlich machen, dass sich die Affäre ungeheurer eigendynamisch hochgespielt und über Wochen hinweg das Feuilleton (und sogar auch andere Medien) beansprucht hat. Andere werden es vorziehen, dies Frank Schirrmacher allein in die Schuhe zu schieben - die feine Art war seine Vorgehensweise jedenfalls nicht -, doch zu einer Schlacht, wie sie das Feuilleton erlebt hat, gehören auch immer diejenigen, die antworten, und zwar auf derselben Ebene. (Und Schirrmacher wusste, sie würden antworten, er wusste, zu welch einer Debatte es kommen würde). Alles in allem eine Affäre, die uns einmal mehr vorgeführt hat, dass wir alle verkappte Bild-Leser sind und auch einmal unseren Skandal wollen.

So ganz wohl war dabei aber scheinbar niemandem. Die Ethik des Feuilletons wurde daraufhin zu einer neuen Fragestellung des Feuilletons, die sich diesmal allerdings ironischerweise der Empirie verdankte, und keine, und da möchte ich an Carl Wilhelm Mackes Beitrag anknüpfen, eigene Themenvorgabe aus heiterem Himmel war.

Oft wird die Abkehr vom strikt klassischen Rezensionsfeuilleton für die Misere des Feuilletons verantwortlich gemacht, unter dem Eindruck einer doch sehr willkürlichen Themensetzung. Doch vielleicht ist die Frage nach dem Feuilleton eher eine Frage der Ebenen als der Themen. Was zeichnet das Feuilleton, auch in der Behandlung nicht klassisch kultureller Themen, aus? Ich meine zu verstehen, dass es der andere Blick auf die Welt ist, der das Feuilleton lesenswert macht. Ein Feuilletonist berichtet grundsätzlich nicht, hat Kurt Kister (ein Kollege aus der Politik) kürzlich im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Gerade am Begriff des Berichtens scheinen sich also die Geister zu scheiden. Doch sie scheiden sich aufgrund des auf beiden Seiten gepflegten Missverständnis, berichten sei eine objektive Veranstaltung und entbehre jeglicher Gestaltung (das vornehmere Wort für künstlerische Spinnerei). Demnach raunt der Nachrichtenredakteur: "Bloß nicht gestalten", während der Feuilletonist "Bloß nicht berichten" herbetet. Dass diese Mutmaßung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt Kisters Erklärung:

"Wenn jemand berichtet, dann kann er kein Feuilletonist sein, weil ein Feuilletonist grundsätzlich nicht berichtet. Ein Feuilletonist hat in allererster Linie eine Meinung, und wenn er ein junger Feuilletonist ist, also unter 60, dann hat er eine Meinung zu allem, am entschiedensten zu jenen Dingen, die er interessant findet, ohne sich deswegen gleich intensiver mit ihnen beschäftigt zu haben. Die mangelnde Sachkenntnis gleicht der Feuilletonist in seinen Texten - der Feuilletonist schreibt immer Texte, weil er ja eigentlich ein Autor ist und Autoren schreiben ausschließlich Texte - gerne mit originellen Bildern und Analogien aus, die den Vorteil haben, dass man sie hinterher ganz lang erklären kann. (Der Feuilletonist schreibt am liebsten ganz lange Texte.)"

Die Anklage zielt auf das literarische Selbstverständnis des Feuilletons, das sich in Unsachgemäßheit äußert. Doch eher als um Unsachgemäßheit handelt es sich um die Substitution der Sache: Es geht nicht mehr um das Dargestellte, sondern um die Selbstdarstellung des Darstellenden. Nicht von ungefähr heißt Kisters Text "Das Feuilleton", beschäftigt sich aber mit dem Feuilletonisten, als Person.

Auffälliges Signal dieser Verschiebung von Darstellung zu Selbstdarstellung ist die enge Bindung, die das Feuilleton mit der Ironie eingegangen ist. An dieser Bindung wäre im Prinzip nichts auszusetzen, wenn nicht die Ironie, die ich für eine der hohen Erkenntnisformen halte, im Feuilleton zu ihrer eigenen Parodie geworden wäre: indem sie nämlich zum reinen Selbstzweck erhoben wird, das heißt sich in Formulierungen übt, anstatt im Blick. Auf der Präsentationsseite der Süddeutschen Zeitung im Internet liest sich das folgendermaßen:

"Außerdem werden im Feuilleton der SZ regelmäßig Texte mit literarischem Anspruch veröffentlicht, deren Würze häufig eine Prise feine Ironie ist und die aktuelle Themen und Entwicklungen darstellen und erörtern."

Ironie ist also Programm. Doch mit Programmatik hat Erkenntnis wenig gemein. So erwächst auch das Eigentümliche der Texte weniger in der Beobachtung einer Begebenheit, im mittendrin, sondern allein schon aus der Distanz, die man zwischen das Auge und den Ameisenhaufen schiebt, denn letztlich wird alles genau dazu, zum Ameisenhaufen. Natürlich sind Ameisen lächerlich, sie laufen so rum und es ist unglaublich witzig, ihre ernstgemeinte, aber doch so engstirnige Geschäftigkeit zu verspotten. Das mag bei Ameisen ja noch angehen, denn die lesen keine Zeitung. Doch spricht daraus eine Haltung, und darum geht es letztlich.

Das Feuilleton ist stolz auf seine Ironie, soviel ist sicher. Die Ironie als verbrüderndes Blinzeln zur Literatur, zu den Großen wie etwa Thomas Mann. Doch damit wird die Ironie zur Statusfrage. Ironie klingt nach Literatur, Ironie klingt nach Distanz. Ironie klingt nach mehr. Aber wenn sie zum Signal degradiert wird, zum Stilmittel, zur Sprachfigur, verliert sie jeglichen Wert. Sie lässt den Blick frei auf das Selbstverständnis dessen, der sich ihrer bedient. Und das ist kein schöner Anblick, zumal an einem Ort ganz besonders gespart wird, nämlich an der Selbstironie.

Es gibt eine ganze Reihe von Feuilletonisten, auf die all das nicht zutrifft, neben der von Macke bereits genannten Gabriele Goettle, die eben immer wieder genau mittendrin ist, zum Beispiel auch Ijoma Mangold, der es sogar in seinen Rezensionen schafft, dass man jeden Satz aufbewahren möchte, aber eben nicht jeden Satz für sich, sondern den ganzen Text. Seltsamerweise klingen sie nicht überheblich, sie klingen gar nicht, sie schreiben in dem, worüber sie schreiben.

Aber ich möchte nicht missverstanden werden. Es geht nicht darum, als Feuilletonist sozusagen restlos in der Welt aufzugehen. Doch in der mit dem Schreiben einhergehenden Distanz sollte nicht - und das mag vielleicht altmodisch klingen - die Demut verloren gehen. Wenn sie es doch tut, darf man sich nicht über eine Abkehr vom Feuilleton wundern.

Das Feuilleton ist ein einzigartiges Forum. Da stimme ich mit Thomas Steinfeld völlig überein. Gerade weil es ein Ort der Sinngebung ist, in dem wohltuend grundsätzlich angenommen wird, dass Ereignisse nicht für sich selbst sprechen. Daher ist es wichtig, dass das Feuilleton erhalten bleibt. Man stelle sich einen Tag, oder gar eine Woche vor, in der die Tageszeitungen ausschließlich leere Seiten im Feuilleton einlegen, und man bekommt es mit der Angst zu tun. Weder Arte, noch die Kulturzeit auf 3sat können da einspringen. Kultur und Reflexion würden ein an Uhrzeiten gebundenes Geschäft und fielen genau dahin zurück, wo sie nicht hingehören, nämlich außerhalb der täglichen Geschehnisse, außerhalb der Öffentlichkeit, ins Private.

Doch stellt dieser öffentliche Charakter auch Forderungen an das Feuilleton. Manche davon sind geradezu offensichtlich und eigentlich selbstverständlich:

1) Das Feuilleton sollte wirklich Forum sein. Dazu gehört, Beiträge ausdrücklich aneinander anzuknüpfen, gerade auch zwischen den jeweiligen Zeitungen, und dies nicht nur in - teilweise peinlichen - Andeutungen zu tun ("in einer Frankfurter Zeitung"). Die tendenzielle Hermetik der Feuilletons macht das Forum zunichte und steht im genauen Widerspruch mit dem, was das Feuilleton lesenswert macht.

Als Forum zu erkennen ist das deutsche (überregionale) Feuilleton nur noch im Perlentaucher, der auch teilweise die Kontextualisierung der Beiträge leistet, den geschlossenen Kosmos des jeweiligen Zeitungsfeuilletons aufbricht, und damit eine Art mediengeografische Gemeinschaft herstellt, in der die Feuilletons nebeneinander, miteinander und gegeneinander stehen.

2) Das Feuilleton sollte sich um mehr Sachbezogenheit bemühen. Ganz grundlegend, und da knüpfe ich an das von den Chemnitzer Studenten auf der Tagung in Halle angeführte Beispiel an, sollte sich eine Filmkritik mit dem Film beschäftigen. Oder etwas spezieller: Wenn eine Neuübersetzung eines Klassikers erscheint, dann geht es vielleicht weniger darum (ich sage nicht, dass es nicht auch darum gehen kann), die eigene Interpretation endlich an den Mann zu bringen, als sich mit eben dieser Übersetzung zu beschäftigen.

Ein Feuilleton, das dies beherzigen würde, hätte wenig Gelegenheit sich zu überleben.

Wer diese Forderungen stellt, und darauf bestehe ich, ist unerheblich. Die dürftige Resonanz auf die Hallesche Tagung, im Feuilleton selbst (wo dies doch die legitimste Gelegenheit zum Selbstbezug gewesen wäre), hat gezeigt, dass sich das Feuilleton Kritik von außen verbietet. Im Perlentaucher-Fazit zu dieser Tagung wurde ein Journalist erwähnt, der gesagt haben soll, "die Ansicht von Leuten, die zugeben, nicht täglich die Feuilletons zu lesen, interessiere ihn nicht". Da muss man einmal mit aller Schärfe zurückfragen: Deutet die vorgebrachte Kritik nicht auf ein wirkliches Interesse am Feuilleton und seiner Zukunft hin? Oder muss man sich erst einmal als Leser verdient machen, um irgendwann vielleicht gehört zu werden und gerne für eine Zeitungsausgabe zu bezahlen? Zum einen bezahlt der Leser die Zeitung, was oft in Vergessenheit gerät. Zum anderen fällt auf, dass die von Christina Weiss vorgebrachte Bitte um mehr Lesbarkeit prompt als Niveau-Absenkung oder gar als Boulevardisierung verstanden wurde.

Doch die Leser der überregionalen Feuilletons wollen Brot, keine Spiele. Diejenigen Leser, die es auf sich nehmen, dem Feuilleton auf den Leib zu rücken, sich dieser Bastion mit einer schon unnatürlich selbstverständlichen Unterwürfigkeit zu stellen, als das was sie sind, nämlich Leser und keine Feuilletonisten, tun das nicht um des hippen Layouts willen. Das größte Verbrechen des Feuilletons ist vielleicht, dass es dem Leser glaubhaft gemacht hat, er dürfe sich kein Urteil anmaßen.


Barbara Jantzen ist Romanistin und promoviert in Paris über Ethos und Logos im Johannesevangelium.


Eine Übersicht mit allen Artikeln und Vorträgen im Perlentaucher zur Konferenz über die Zeitungskrise in Halle finden Sie hier.