Im Kino

Einfach wieder Film

Die Filmkolumne. Von Janis El-Bira, Lukas Foerster
30.08.2018. In Sergei Loznitsas verstörendem neuen Film "Donbass" führt kein Filmschnitt verlässlich von A nach B. Susanna Fogels Agentenkomödie "Bad Spies" fehlt, einer gut aufgelegten Kate McKinnon zum Trotz, der letzte Wille zur Eskalation.



Alles, was an Sergei Loznitsas neuem Film "Donbass" verwirrt, verstört und frustriert, ist schon in den ersten fünf Minuten im Bild. Man sieht: mutmaßliche Laien-Filmschauspieler in der Maske. Eine Frau wird geschminkt, sie verlangt stärkere Ränder unter den Augen. Die Tür geht auf, jemand erklärt: Alle raus, es wird evakuiert. Die Schauspieler rennen, Schüsse fallen. Nach dem ersten Schnitt des Films steht die Frau mit den falschen Augenrändern vor einem ausgebrannten Bus und gibt ein Fernsehinterview. Sie habe in ihrem Laden gearbeitet, als sie die Explosionen hörte: "Alles scheint unwirklich, furchtbar und vollkommen unmöglich." Ab diesem Moment ist klar, dass die Dinge verrückt sind in "Donbass" und zwar verrückter noch als einfach nur durchgedreht.

Loznitsas Film wirft seinen Blick auf den schon wieder halb vergessenen, unendlich komplizierten Krieg im Donezkbecken in der Ostukraine wie durch ein defektes Kaleidoskop. Zwar entsteht mit jeder Drehung ein neues Bild, reihen sich dreizehn Szenen vignettenhaft aneinander, doch der Mechanismus scheint gestört. Immer bleibt ein Rest des Vorangegangenen oder ein Hinweis auf das Kommende im Sichtfeld hängen. Verstörend ist das, weil Loznitsas Ästhetik auf den ersten Blick strengen dokumentarischen Naturalismus behauptet. Die Kamera in "Donbass" scheint zu sammeln, was das Schlachtfeld dieses Krieges ihr bietet. Manchmal wird sie regelrecht mit hineingerissen in den Sog der Gewalt und muss - wie beim Beschuss des Anfangs - rennen und fliehen. Die große Stilisierung, mit der Loznitsa und sein Kameramann Oleg Mutu eigentlich agieren, zeigt sich oft erst in den Details am Bildrand. Wenn etwa später im Film der ausgebombte Bus vom Beginn in den TV-Nachrichten auftaucht, dann verweist "Donbass" auch auf seine eigene Konstruktion: Das seltsam gestellt wirkende Bombardement entpuppt sich als realer Angriff auf die Inszenierung einer Propagandashow. In Zeiten von Fake News führt kein Filmschnitt mehr verlässlich von A nach B. Auch nicht der eigene.



So schrammen in "Donbass" das Zeigen und das Gezeigte oft haarscharf aneinander vorbei. Die fast journalistische Blickweise des Films lässt sich dabei - vergleichbar mit Loznitsas Dokumentarfilm "Maidan" - von kaum einer grotesken Zuspitzung aus der Ruhe bringen: Scheinbar ohne leitendes Interesse folgt die Kamera einem Jungen durch eine Notunterkunft, nur um gezeigt zu bekommen, dass "hier Leute sitzen und dort drüben noch mehr Leute". Keinen Zentimeter weicht sie von der Stelle, als ein deutscher Reporter, der von russischen Freischärlern als Faschist beschimpft wird, wie aus dem Nichts von einem Bombenhagel weggesprengt wird. Und eine bizarre Hochzeitsfeier in der selbstproklamierten "Volksrepublik Donezk", während der die aufgekratzte Braut schreit, ihr Sohn möge mit einem Maschinengewehr zur Welt kommen, erscheint wie ein Handyvideo, bei dem einfach mal draufgehalten wurde.

Anders als Loznitsas vorangegangener Spielfilm "Die Sanfte" (2016) ist "Donbass" trotz dieser beinahe überlebensgroßen Absurditäten keine Parabel. Fast alles, behauptet der ukrainische Regisseur, habe sich so oder so ähnlich tatsächlich zugetragen. Die episodenhafte Beiläufigkeit, die den Zuschauer eher wie zufällig in das Geschehen involviert und die Figuren ebenso schnell auf- wie wieder abtauchen lässt, hebelt bewusst genau jene Identifikationsmöglichkeiten aus, mit denen sich gegen die eigene Fassungslosigkeit anerzählen ließe. Loznitsa aber ist ein zu kluger, zu skeptischer Künstler, als dass er seinen Filmbildern, die auch nur Bilder über andere Bilder von diesem Krieg sind, diese Last aufbürden würde. "Donbass" ist ein Film, dessen Wut so groß und ehrlich ist, dass sie sich notwendigerweise auch gegen sich selbst und die eigene Zwecklosigkeit richten muss.

Nur ein einziges Mal scheint es, als traue der Film der Tragkraft seiner eigenen Bilder, als kämen die Teilnahmslosigkeit des "Wie" und der Schrecken des "Was" mit großer Dringlichkeit zur Deckung: Ein Soldat wird abgeführt und in Handschellen an eine Bushaltestelle gekettet. Um den Hals hat man ihm die ukrainische Flagge gehängt, vor seiner Brust baumelt ein Schild, das ihn als Freiwilligen in einem ukrainischen Exekutionskommando ausweist. In einer einzigen endlosen Plansequenz kommen nach und nach Passanten hinzu, verhöhnen und filmen den Soldaten, und beginnen schließlich, ihn zu schlagen und zu quälen. Es ist nicht klar, was dieser Mann tatsächlich getan hat. Aber man wünscht sich, dass diese viel zu lange Szene aufhört. Dass ein Schnitt gesetzt werden möge, der diese Bilder einfach wieder Film werden lässt.

Janis El-Bira

Donbass - Deutschland, Ukraine 2018 - Regie: Sergei Loznitsa - Darsteller: Valeriu Andriutã, Natalya Buzko, Evgeny Chistyakov, Georgiy Deliev, Vadim Dubovsky - Laufzeit: 110 Minuten.

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Wie Männer und Frauen sich kennenlernen. Ihrem Freund Drew (Justin Theroux) war Audrey (Mila Kunis), das lernen wir in einer Rückblende, in einer Bar begegnet. Nach einem kurzen Wort- und neugierigen Blickwechsel bittet sie ihn, das schlechteste Lied aus einer neben der Theke aufgestellten Jukebox auszusuchen. Mit seiner Wahl - "Mmm Mmm Mmm Mmm" von den Crash Test Dummies - ist sie hoch zufrieden: genau die richtige Mischung aus Nostalgie und Fremdscham. Ein Jahr später verschwindet Drew zunächst spurlos und macht dann per Handytextnachricht mit ihr Schluss. Woraufhin sie sich, an ihrem Arbeitsplatz an der Supermarktkasse, auf einen neuen Flirt einlässt, diesmal mit Sebastian (Sam Heughan). Ob sie ihm nicht helfen könne, seinen Einkauf zum Auto zu tragen, fragt er sie. Lächelnd blickt sie auf die eine, kleine Tüte Sojamilch, die er aufs Band gestellt hat.

Schon ein paar Sätze später offenbart Sebastian ihr allerdings, dass sowohl er selbst als auch Drew als Geheimagenten tätig sind. In gewisser Weise sind damit beide Kennenlernszenen entwertet. Oder zumindest werden sie umgewertet: Wo Audrey Zuneigung vermutet hatte, war womöglich nur Taktik. Aber stehen nicht fast alle romantische Annäherungsversuche auf die eine oder andere Weise unter Taktikverdacht? Beziehungsweise: Ist Romantik nicht immer schon Taktik? Zu allem Überfluss stellt sich wenige Minuten später heraus, dass der ukrainische Rabauke, auf dessen Avancen Aubreys beste Freundin Morgan (Kate McKinnon) sich eh nur eingelassen hatte, um ihn zum Feminismus zu bekehren (zumindest behauptet sie das), ebenfalls Geheimdienstmitarbeiter ist. Sogar auf die Authentizität plumper Machosprüche ist in der Welt, in der Aubrey und Morgan sich bewegen, kein Verlass mehr.



Das sind die schönsten Momente in "Bad Spies" (im Original deutlich weniger generisch: "The Spy Who Dumped Me"): Szenische Miniaturen, die Zwischenmenschliches fokussieren und das soziale Leben der Gegenwart auf Paradoxien und doppelte Böden abklopfen. Das betrifft nicht nur die Dating-Misadventures der Hauptfiguren Aubrey und Morgan, sondern zum Beispiel auch die eitlen Sticheleien eines männlichen Agentenduos oder die exzessive Freundlichkeit eines übereifrigen Car-Sharing-Fahrers. Leider sind diese Momente nur ornamentales Beiwerk, Hintergrundrauschen eines ziemlich atemlos durcherzählten Actionfilms, der die Amerikanerinnen Aubrey und Morgan, stets verfolgt von Schurkinnen und Schurken diverser Couleur, auf eine Europarundreise schickt. Erst Wien, dann Prag und Amsterdam, schließlich Berlin, Europa im Schnelldurchlauf, jede Station wird mit einer kurzen Postkartenmontage eröffnet, auch sonst ist das alles randvoll gefüllt mit Klischees, was aber durchaus ein wenig tongue-in-cheek zu verstehen ist. Das zeigt sich, wenn in einer Szene eine Killerin "zwei doofe Amerikanerinnen" zur Strecke bringen soll und beim Blick durch das Fernglas ihres Snipergewehrs feststellen muss: die ganze Prager Innenstadt ist voll von doofen, oder jedenfalls sturzbesoffen in die Ecke kotzenden amerikanischen Touristinnen.

"Life Partners", der erste Kinofilm der Regisseurin Susanna Fogel, war eine romantische Komödie, die sich um eine Frauenfreundschaft dreht. "Bad Spies" ist einerseits ein logisches Nachfolgeprojekt: wieder Frauenfreundschaft, diesmal aber kommerziell anschlussfähiger als Agenten-Buddy-Actionkomödie erzählt. Andererseits verwundert es doch ein wenig, dass der Schwerpunkt, anders als zuletzt in den sonst durchaus ähnlich angelegten Filmen "Spy" und "Central Intelligence", deutlich nicht auf der Comedy, sondern auf der Action liegt. Vor allem, weil McKinnon mit an Bord ist - eine großartige Komikerin, die auch durchaus einiges von ihrem Können zeigen darf, aber immer nur häppchenweise: ein paar selbstironische Sprüche hier, ein paar durchgeknallte Lebensweisheiten da, ab und an ein paar längere (aber immer noch viel zu kurze) Szenen, in denen sie ihre großartig theatrale Gestik vorführen kann. Erst ganz am Ende in Berlin, wenn sie sich verkleiden und, nach langem Betteln, Teil einer Zirkusnummer werden darf, ist sie für ein paar Minuten komplett in ihrem Element.

Ansonsten verbringt ihre Figur viel Zeit damit, das Selbstbewusstsein ihrer Freundin aufzupeppeln: Du schaffst das, Du musst Dir nicht von Männern auf der Nase herumtrampeln lassen, Du hast das Zeug zur Agentin. So recht glaubt Aubrey ihr das nicht, und auch der Film hat einige Probleme damit, uns die durchweg eher gehemmt agierende Kunis als Actionheldin zu verkaufen. Vielleicht vor allem aufgrund der nicht ganz glücklichen Besetzung der Hauptrolle wirkt "Bad Spies" gelegentlich wie ein Kompromissfilm, aber vermutlich täuscht das. Fogel hat auch das Drehbuch verfasst und den Film, so steht zu vermuten, von Anfang an nicht als Comedy-Showcase mit ein paar Schießereien angelegt, sondern als rasantes Bewegungskino mit gelegentlichem komödiantischem Störfeuer. Tatsächlich sind die nie wirklich runden, aber durchaus abwechslungsreichen Actionszenen eher zu klein als zu groß angelegt. Was fehlt, ist der letzte Wille zur Eskalation.

Lukas Foerster

Bad Spies - USA 2018 - OT: The Spy Who Dumped Me - Regie: Susanna Fogel - Darsteller: Mila Kunis, Kate McKinnon, Sam Heughan, Justin Theroux, Hasan Minhaj, Kev Adams, Ivanna Sakhno - Laufzeit: 117 Minuten.