9punkt - Die Debattenrundschau

Gegen eine schwarze Wand donnern

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
30.08.2017. In der Washington Post erzählen die russischen Journalisten Andrei Soldatow und Irina Borogan, wie wütend die "Panama Papers" Wladimir Putin machten und wie Wikileaks die eigenen Prinzipien verriet. Im Guardian fordert der Ökonom Nick Srnicek die Verstaatlichung von Google, Facebook und Amazon. Die NZZ geißelt die Zerstörung des Tourismus durch den Tourismus. Und für die Welt schreibt Hans-Christoph Buch eine Wehklage über die afrikanischen Zustände.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.08.2017 finden Sie hier

Politik

Für die Washington Post unterhält sich Adam Taylor mit den russischen Journalisten Andrei Soldatow und Irina Borogan, die bereits 2015 ein Buch über russisches Hacking vorlegten, das sie nun aktualisierten. Vor allem die Veröffentlichung der Panama Papers, sagen sie, habe Putin wütend gemacht und Hillary Clinton zugeschrieben. Die beiden reden auch über die Kooperation von Wikileaks mit den russischen Spionen: "Das Schlimmste, was wir im Frühling und Sommer 2016 entdeckten, war, dass Wikileaks auf einmal die von Julian Assange formulierten Grundsätze verriet und die Journalisten attackierte, mit denen es früher zuammengearbeitet hatte. Und er kannte die Gefahr, der sich die Journalisten aussetzten, als sie die Offshore-Vermögen von Putins persönlichen Freunden offenlegten. Für uns ist das eine Geschichte des Verrats von Freunden und Prinzipien."

Im taz-Interview mit Jan Feddersen stört sich der Hamburger Sozialwissenschaftler Wolfgang Knöbl daran, wie unterschiedslos heute mit dem Begriff Populismus hantiert wird. Nicht jede Vereinfachung ist populistisch. Und: "In jeder Partei gibt es Beispiele von Äußerungen, die populistisch genannt werden könnten. So oder so: Wenn in den Wissenschaften so getan wird, als bezeichne Populismus eine klare Kategorie, ist das falsch. Es würde eher helfen, wenn man sagt: eine Position ist rassistisch, menschenverachtend, verlogen oder falsch. Ich habe den Eindruck, dass durch die generelle Kennzeichnung einzelner Personen oder Äußerungen als populistisch die wirklichen Probleme in den Hintergrund gedrängt werden."

Bügerkrieg, Diktatur und Kleptokratie - Afrika versinkt im Elend: Einen cri de coeur schickt der weltreisende Schriftsteller Hans Christoph Buch in der Welt aus Bangui, der Hauptstadt der Zentralfrikanischen Republik, wo sich die Leute mittlerweile sogar nach Bokassa zurücksehnen: "Schönfärberei wohin man blickt: Ruanda, das Lieblingskind der Deutschen und Amerikaner, ist eine Diktatur, deren Alleinherrscher sich mit 98 Prozent zum dritten Mal wiederwählen ließ: 'Leadership' heißt die beschönigende Formel dafür, und das Verbot von Plastiktüten ändert nichts daran, dass der Hutu-Tutsi-Konflikt nach Kagames Abgang erneut aufbrechen wird. Südafrika, das einzige Industrieland des Kontinents, tritt Mandelas Erbe mit Füßen und lässt die Regenbogendemokratie den Bach runtergehen, während Zimbabwes seniler Autokrat Mugabe unter Mithilfe seiner Frau Grace das eigene Volk malträtiert."

Lesenswert auch Karim El-Gawharys Reportage in der taz aus dem zurückeroberten Mossul.
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Geschichte

Für Unfug hält Patrick Bahners in der FAZ Versuche, Vergleiche mit Auschwitz, Hitler oder überhaupt dem Nationalsozialismus mit einem Tabu zu belegen, wie er die Absage der Documenta-Performance "Auschwitz on the Beach" wertet (unser Resümee): "Ist der Holocaust, als singulär schreckliches Ereignis, wirklich faktisch unvergleichlich? Das würde aus Hitler wieder das Monster und den Betriebsunfall machen. Es wäre seltsam, wenn aus der für uns normativ fundamentalen historischen Erfahrung gar nichts im Sinne jener empirischen, also vergleichenden Klugheit zu lernen sein sollte, die von den Alten auf die Formel von der Geschichte als Lehrmeisterin des Lebens gebracht wurde. Die Spuren schrecken."
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Internet

Die extremen Netzwerkeffekte machen die Plattformkonzerne Google, Facebook und Amazon zusehends zu Monopolisten, schreibt Nick Srnicek, Autor eines Buchs zum Thema, im Guardian. Dagegen helfe nur eins: "Wir haben das Problem noch nicht in seiner ganzen Wucht begriffen, aber in der Vergangenheit waren natürliche Monopole wie Versorgungsunternehmen oder die Eisenbahn, die von riesigen Skaleneffekten profitieren und dem öffentlichen Wohl dienen, die ersten Kandidaten für eine öffentliche Inbesitznahme. Die Lösung für unser neues Monopolproblem liegt in dieser uralten, für unser digitales Zeitalter aktualisierten Antwort. Das hieße, dass wir die Kontrolle über das Internet und unsere digitale Infrastruktur zurückgewännen, statt sie nur nach Profit und Macht suchen zu lassen."
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Europa

Nur begrüßen kann Gottlieb F. Höpli in der NZZ die Massenproteste in Spanien gegen den Massentourismus, hoffentlich folgen dem Beispiel bald weitere Städte und Länder: "In den Straßen von Barcelona und am Strand von Benidorm wird offenkundig, was Prospekte und Reiseplattformen im Internet nie zeigen: die Zerstörung des Tourismus durch den Tourismus, vor der der Berner Touristikprofessor Jost Krippendorf schon vor Jahrzehnten gewarnt hat. Der Tourismus ist seither eine Einbahnstraße geblieben, die sich vom Panoramaweg längst zur wenig attraktiven vielspurigen Autobahn ausgeweitet hat. Will man nicht irgendwann gegen eine schwarze Wand donnern, täte man gut daran, sich nach einer Ausfahrt zu erkundigen."

In der FAZ hat Jakob Strobel y Serra doch noch etwas gefunden, was Europa allen anderen Kontinenten überlegen macht: Die Haute Cuisine. "Gut gekocht wird auf allen Kontinenten. Doch das Kochen als Kunstform, als permanenter, kreativer Prozess, als unendliche, kulinarische Schöpfungsgeschichte ist eine europäische Erfindung, um die uns die ganze Welt beneidet und an der die ganze Menschheit teilhaben will."
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Ideen

Der Politologe Jan-Werner Müller hat in der SZ eine neue Figur der Öffentlichkeit kennengelernt: Der thought leader, der Star-Denker für Superreiche. Der amerikanische Sozialwissenschaftler Daniel Drezner beschreibt ihn in seinem "The Ideas Industry":"Dem thought leader stellt Drezner den scheinbar altmodischen Typ des public intellectual gegenüber. Letzterer verfügt über Spezialwissen und ist gut im Kritisieren, nicht im Cheerleading für sofort praktisch verwertbare Ideen. Der "thought leader" wird gern persönlich, hat Erfahrung und Authentizität im Angebot, der Intellektuelle nur Expertise und Autorität."

In der FR unterhält sich Martin Hesse mit Tristan Garcia, dem Jungstar unter den französischen Philosophen, der in seinen Büchern der These nachhängt, die Moderne habe uns das intensive Leben versprochen, aber nicht gewährt: "Man kann Intensität nicht lange aufrechterhalten, ohne sie zu steigern. Und die Depression ist der Ausdruck eines Widerspruchs zwischen etwas Endlichem wie dem menschlichen Körper und dem modernen Versprechen von Unendlichkeit, was sich letztlich nie einlösen lässt. Intensivierung der Liebe, der Wahrnehmung, der Gefühle. Diese Intensität ist mittlerweile allgegenwärtig. Letztlich haben die aber immer weniger davon."

Außerdem: Der Fanatiker ist sozialpsychologische Typus unserer Zeit, stellt Uwe Justus Wenzel in der NZZ fest.
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Gesellschaft

So falsch findet die Schriftstellerin Nora Bossong im Schlagloch in der taz Jens Spahns Kritik an den englischprechenden Hipstern in Mitte nicht: Sie kennt es sehr gut, das "Unbehagen an einer Hauptstadt, die zwar weltoffen ist, aber doch mitunter so verliebt in die eigene Weltoffenheit, dass es fast zur Weltvergessenheit gerät".
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Medien

Handelsblatt-Redakteur Klaus-Peter Siebenhaar, selbst Autor eines kritischen Buchs über die Öffentlich-Rechtlichen (wobei er allerdings zur Lobby-Perspektive der Zeitungsindustrie neigt) greift bei Meedia in den Streit zwischen FAZ und Sendern um den Begriff "Staatsfunks" ein, den er gerechtfertigt findet: "Die Staatsnähe von ARD, ZDF und Deutschlandradio gehört zur DNA des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Sie ist kein inhaltliches Durchregieren wie im Fall von Ungarn oder Polen, sondern eine personelle, strukturelle und ökonomische Symbiose... Strukturell ist die gegenseitige Abhängigkeit allgegenwärtig. Die fein nach 'schwarz' und 'rot' sortierten Aufsichtsgremien der Anstalten sorgen seit jeher dafür, dass bei der Besetzung von Spitzenpositionen politisch nichts daneben geht. Die Staatsnähe zahlt sich für beide Seiten aus. Die Politik erhält die mediale Plattform des Gebührenrundfunks, und der Gebührenrundfunk seine Milliarden von den Bürgern durch die uneingeschränkte Rückdeckung der Politik."
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Religion

Der Glaube an Gott tut auch seinen Dienern gut, konstatiert Annika Joeres bei hpd.de: "Die Evangelische Kirche in Bayern vermietet rund 160 eigene Wohnungen in der teuersten Stadt Deutschlands - vor allem an leitende Mitarbeiter. Zu einem Quadratmeterpreis zwischen 4,04 und 5,80 Euro, mitten in München. Wer nicht gerade für die Kirche arbeitet, zahlt in München heutzutage das Dreifache."

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