Vorgeblättert

Leseprobe zu Paul Veyne: Foucault. Teil 1

12.03.2009.
XI
Porträt des Samurai

Dieser angebliche Linke war weder Freudianer noch Marxist, weder Sozialist noch Anhänger des Fortschritts, Dritte-Welt-Aktivist oder Heideggerianer, er las weder Bourdieu noch Le Figaro, er war kein "linker Nietzscheaner" (wie so mancher) und übrigens auch kein rechter, sondern er war der Inaktuelle, der Unzeitgemäße seiner Zeit, um einen hier durchaus angebrachten Begriff Nietzsches aufzugreifen. Aufgrund dessen war er Non-Konformist, was ausreichend schien, um ihn zu den Linken zu rechnen. Und doch hielt er persönlich, als er kurz nach 1968 Professor in Vincennes wurde, die Maoisten und linken Gruppen insgeheim für zwar sympathische und - wegen ihres Engagements - gar für nützliche Zeiterscheinungen, wenn auch von untergeordneter Bedeutung. Diese wiederum fanden ihn undurchschaubar. Allerdings war er listig. Während er durchaus der Linken zuneigte, hütete er sich davor, Missverständnisse aufkommen zu lassen, der feine Unterschied, der seine Unzeitgemäßheit vom Linksextremismus seiner Bewunderer unterschied. Denn nur unter den engagierten Linken und bei der Zeitung Liberation konnte er Kampfgefährten für seine punktuellen Aktionen finden.

Ich beeile mich hinzuzufügen, dass er andererseits sehr kategorisch und nicht bereit war, im Interesse seiner literarischen Karriere Konzessionen an irgendwelche Meinungen zu machen. Jeder Schriftsteller verfolgt seine beruflichen Interessen mehr oder weniger offenkundig, mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger hartnäckig. Er verlor die seinen nicht aus den Augen und ging diplomatisch vor, wobei seine Wahrheiten jedoch nicht verhandelbar waren. Er lebte vor allem für seine Bücher und für seine Ideen. In regelmäßigen Abständen gestand er mir seinen Kummer, seine Vorlesungen nicht schnell genug veröffentlichen zu können. Diejenigen, die nach seinem Tod seine Cours und seine Dits et Ecrits auf vorbildliche Weise herausgegeben haben, haben postum seine Wünsche voll und ganz erfüllt.

Die politische Rechte hat in Foucault stets den politischen Feind gewittert, womit sie auch nicht falsch lag. Denn weit davon entfernt, die moderne Welt mit ihrem panem et circenses und ihren virtuellen Realitäten anzuprangern, brachte er ohne spöttischen Unterton die Lügengeschichte dieser Welt in ihrem ganzen Ausmaß ans Licht. Wie könnte ich dies nicht gutheißen, wo doch das ruhige Metier des Historikers darin besteht, genau solches zu tun? Diese zeitlose Hellsichtigkeit unterscheidet die Unzeitgemäßen wie ihn von den Antimodernen, die ihn nicht sehr schätzten (Jean Baudrillard war, wie mir scheint, ein Antimoderner).

Zur großen Befriedigung der Historiker war Foucault bereit, überall und in jeder Zeit bis zu den radikalen Unterschieden vorzudringen. Im selben Zuge ließ er aber jedes Mal durchblicken, dass die vermeintlichen Wurzeln in nichts verwurzelt waren. Beinahe jeder ahnt dies mehr oder weniger, doch im Allgemeinen vergisst man es, um in Frieden leben zu können, oder aber man denkt nur an seinem Schreibtisch hin und wieder darüber nach. Foucault hingegen vergaß es nie, und obwohl er die Welt vom Standpunkt des Sirius aus betrachtete, sah er sie auch als potentielles Schlachtfeld, nun, da diese Welt, die antike ebenso wie die moderne, in seinen Augen jegliche Legitimität eingebüßt hatte. Er arbeitete viel und lebte nicht in einem Zustand ständiger Empörung oder militanter Erregung, er hielt sich indes auf dem Laufenden und holte bei punktuellen Anlässen zum Schlag aus gegen den einen oder anderen unerträglichen Missstand.

Zu den Neuerungen zu Beginn von Giscard d'Estaings siebenjähriger Amtszeit gehörte dessen Absicht, einige der bedeutendsten Intellektuellen, darunter Madame de Romilly, zum Mittagessen in den Elysee-Palast einzuladen. Foucault sagte sein Kommen unter der Bedingung zu, dass er den Präsidenten nach dem sogenannten Prozess des roten Pullovers fragen könne, bei dem ein - möglicherweise unschuldiger - Angeklagter zum Tode verurteilt und, da Giscard sein Gnadengesuch abgelehnt hatte, enthauptet worden war. Foucault blieb dem Elysee-Palast fern.

Wenn man ihn als Menschentyp näher umreißen möchte, so gab es bei Foucault diesen "skeptische[n] Verzicht auf die Kenntnis eines 'Sinns' der Welt", von dem Max Weber spricht, der darin mit einiger Übertreibung eine Einstellung entdeckte, die allen intellektuellen Schichten aller Zeiten gemeinsam sei. Man kann unmöglich wissen, was Homer, Euripides, Shakespeare, Tschechow oder Max Weber höchstpersönlich von ihren eigenen Helden dachten. Im persönlichen Umgang mit Foucault - zumindest, wenn man zu seinen Freunden gehörte (zu seinen Feinden gehörte man besser nicht, da er denjenigen sehr gefährlich werden konnte, die sich damit übernahmen, ihn ausstechen zu wollen, oder meinten, sie hätten wegen der strengen Logik ihrer Denkweise die Berühmtheit mehr verdient als er) - wurde man Zeuge jener interessierten, objektiven Grundhaltung: Ohne eine einzige wertende Äußerung stellte er in seinen Büchern die absonderlichsten Doktrinen vor; mit der von Bewunderung getragenen Sympathie eines Naturforschers für den Einfallsreichtum der Natur akzeptierte er das ganze Spektrum der menschlichen Vielfalt samt ihren Extravaganzen, Schrullen, Lächerlichkeiten, Exzessen, Anfällen von Größenwahn, ohne darüber zu klagen, ohne sich lustig zu machen.

Einmal komme ich zufällig dazu, wie er eines seiner ständigen Telefonate mit Liberation führt. Kurz zuvor war er einer mächtigen und von der Linken verabscheuten Frau begegnet, Marie-France Garaud, einer Beraterin des Präsidenten. "Aber nein", protestierte er zum großen Erstaunen seines Gesprächpartners, "sie hat weniger eine politische als vielmehr eine literarische Persönlichkeitsstruktur!" Nachdem er eingehängt hatte, drehte er sich zu mir und sagte, wobei er vermutlich an seine Kindheit dachte: "Leider habe ich morgen meine Vorlesung im College. Sonst hätte ich, stell dir vor, den Nachmittag auf dem Schoß von Marie-France Garaud verbringen können!" Das nenne ich Humanismus oder ich weiß nicht, was Humanismus ist.

Dies war die unausgesprochene Regel für den Salon, den er in seiner äußerst gepflegten Wohnung in der rue de Vaugirard ins Leben gerufen hatte. Bei jenen Abendgesellschaften mit seinen gewaltigen humorvollen Lachausbrüchen erzählte man keine Klatschgeschichten, und der bedauernswerte Herve Guibert, der bereits ein anerkannter Schriftsteller war und nicht wusste, dass er bald sterben würde, zeigte sich charmant, frei von bissigen Sticheleien. Foucault, weder von Groupies noch von Fans umgeben, war freundschaftlich, loyal und großzügig gegenüber denen, die nicht eifersüchtig auf ihn waren und ihm als Freunde und auf gleicher Augenhöhe begegneten. Es sei noch erwähnt, dass sein stählernes Ego nicht diese kleinen eitlen Blasiertheiten kannte, die man manchmal bei den Größten findet, und die diejenigen, die sich etwas auf sich einbilden, zum Zähneknirschen bringen, und diejenigen, die es nicht tun, gleichgültig lassen. In diesem egalitären, kultivierten und unkonventionellen Salon genoss man in aller Ruhe die Freiheit, man selbst zu sein. Ich ging bei ihm ein und aus, egal, wer sonst noch zu den Gästen des Abends gehörte, da mir Foucault den Titel eines Homosexuellen honoris causa anerkannt hatte, nicht ohne einen leichten Vorwurf: "Ich verstehe nicht, wie ein so offener und gebildeter Mann wie du Frauen den Vorzug geben kann!"

Teil 2