Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.08.2001.

TAZ, 08.08.2001

Der Magnum-Fotograf Martin Parr erklärt im Gespräch mit Yves Rosset, warum er so gerne Postkarten sammelt: "Dass Superstars wie Thomas Struth oder Andreas Gursky die entsprechenden Fotografien hätten machen können und dass wir zugleich keinen einzigen Namen von den Fotografen der abgebildeten Postkarten kennen - das finde ich eine wunderbare Ironie."

Weitere Artikel: Roland Motz hat eine Besichtigung des neuen Museumsquartiers in Wien mitgemacht. Christian Broecking kommentiert Grammys und andere Preise für aktuelle Jazz-CDs. Cristina Nord schreibt zum Tod von Jorge Amado, und Gerrit Bartels hat sich den Dokumentarfilm "Der Traum ist aus" über die Band Ton Steine Scherben angesehen.

Schließlich Tom.

SZ, 08.08.2001

Klaus Harpprecht beschreibt, wie sich Frankreich langsam mit dem Gedanken einer europäischen Föderation der Nationalstaaten anfreundet. Die nationale Souveränität bleibe aber eine heilige Kuh. Nur Francois Bayrou, Präsident der zentristischen Sammelpartei UDF, sei bereit, auch diese zu schlachten: Bayrou "plädiert für eine europäische Demokratie, die den Namen verdient, ja für eine 'Europäische Republik', deren Architektur dem Konzept Gerhard Schröders in manchen Zügen verwandt ist. In dem 'Appell von Strassburg', den er zusammen mit Daniel Cohn-Bendit formuliert hat, forderte er eine Verfassung, die von den 'Generalstaaten der föderativen Union Europas' ausgehandelt werden müsste. Ein 'humanes Frankreich', stellte er fest, setze die Konstruktion einer 'girondistischen Republik' voraus, in der die lokalen und regionalen Zentren imstande sein müssten, mit der nationalen Regierung einen Dialog von gleich zu gleich zu führen. Es mag für ihn eine Genugtuung sein, dass sich auch die deutschen Länder, angefeuert von dem rechts-linken Gespann Stoiber und Clement, ins Zeug legen wollen, um die Unterminierung der föderativen Ordnung durch die Zentralmacht in Berlin endlich aufzuhalten."

Ulrich Raulff denkt über die Bioethik-Debatte nach und über "den Stil, in dem eine intellektuelle Öffentlichkeit den Herausforderungen des naturwissenschaftlichen Wissens begegnet. In welchen Begriffen, in welcher Sprache sie versucht, das akkumulierte Wissen sozial zu meistern. Welche Rolle spielen dabei die Traditionen humanistischen Denkens und Sprechens ? lassen sie sich überhaupt noch retten? Denn dass die biopolitische und bioethische Herausforderung als Krise des humanistischen Denk- und Sprechraums begriffen wurde, geht aus den Reden von Rau bis Frühwald deutlich hervor. Die Rasanz der wissenschaftlichen Entwicklung droht den Denkraum zu vernichten: 'Nachdenken kann man nur, wenn zwischen Entdeckung und Anwendung Zeit bleibt', sagte Johannes Rau. Und alle Redner spürten die sich vertiefende Kluft zwischen dem Expertenidiom und dem Vokabular öffentlicher Erörterung."

Weitere Artikel: Klaus Peter Richter schreibt über die Ansbacher Bach-Woche, die mit Lotte Thaler eine neue Intendantin hat. Stefan Koldehoff berichtet, dass Teile der Niarchos Collection verkauft werden sollen. Christian Kortmann stellt den Maßstiefel-Schuster Ryan aus Montana vor. Josef Riedmiller schreibt zum Tod des Moskauer Dissidenten Boris Birger und Kristina Maidt-Zinke zum Tod des brasilianischen Schriftstellers Jorge Amado. Martin Hecht schreibt in der Reihe "Verblasste Mythen" über das Fremdenzimmer. Und Frank Böckelmann widmet sich in der Reihe "50 Jahre Minima Moralia" einem Absatz über Sprache und Ausdruck.

Besprochen werden die Ausstellung "The Architecture of R.M. Schindler" im National Building Museum in Washington, eine Paul-Klee-Ausstellung in der Balinger Stadthalle, Padraic O Conaires Roman "Exil" (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr) und Frank Oz' Film "The Score" ("Man weiß in manchen Szenen nicht, ob das nun besonders professionell ist, was De Niro und Brando machen, oder nicht einfach ein wenig senil.")

FAZ, 08.08.2001

Eine Schnurre aus der Öffentlichkeitsarbeit der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender erzählt Jörg Thomann. Jeden Sommer erscheint eine Studie, die zur großen Freude der Anstalten herausfindet, dass die Öffentlich-rechtlichen einen viel höheren Anteil an seriöser Information haben - und finanziert wird die Studie von den Öffentlich-Rechtlichen selbst. "ARD und ZDF meinen, der Öffentlichkeit durch eine - selbstverständlich nicht kostenlose Studie - demonstrieren zu müssen, dass sie Informationssendungen einen höheren Stellenwert beimessen als die Privaten; für diese Erkenntnis hätte freilich schon ein Blick in eine Programmzeitschrift genügt. Und wenn es derzeit auch niemanden gibt, der ihre Existenzberichtigung ernstlich in Frage stellte, so drückt sich doch in der Überzeugung von ARD und ZDF, ohne wissenschaftlichen Beistand nicht auszukommen, eine tiefe Verunsicherung aus."

Dietmar Polaczek erzählt, wie peinlich es Silvio Berlusconis Regierung ist, dass die Polizei in Genua so brutal versagte - sie scheint die gewaltbereiten Demonstranten verschont zu haben und prügelte stattdessen lieber friedliche Globalisierungsgegner. Eine in Rom geplante Tagung der FAO will man jetzt gar nicht mehr haben. "Der Tagungsort soll nach Afrika verlegt werden."

Zhou Derong schildert den Versuch der malaysischen Tageszeitung Sinchew Daily, einen chinesischsprachigen Literaturnobelpreis auszuloben. Zunächst wollte man "mindestens zwei Millionen Mark zusammentragen. Oder eine Million, bestimmt aber nicht weniger als zweihunderttausend Mark. Wirklich und wahrhaftig herausgekommen sind am Ende zehntausend Dollar Preisgeld. Reiche Chinesen gibt es, ein chinesischer Alfred Nobel aber fehlt noch. Es bleibt die Ehre."

Weitere Artikel: Der Science-Fiction-Autor und Physiker Gregory Benford fragt in einem ganzseitigen Essay nach realen Perspektiven der Robotik und der Verschmelzung von Mensch und Maschine zu Cyborgs. Walter Haubrich schreibt zum Tod von Jorge Amado. Eberhard Rathgeb gratuliert der Fernsehserie "Das Traumschiff", einem weiteren Stolz der öffentlich-rechtlichen Sender, zum Zwanzigsten und Gerhard Stadelmaier Peter Fitz zum Siebzigsten. Verena Lueken hat in New York eine vom Publikum gestürmte Retrospektive von Harold-Pinter-Stücken besucht. Karl Prümm schreibt zur Wiederaufführung von Godards "Außer Atem". Georg Beck berichtet vom 25. Sommerkurs für Neue Musik im Centre Acanthes, und Claus Pias schreibt zum vierzigsten Geburtstag des aller-, allerersten Computerspiels "Spacewar".

Besprochen werden eine Jeff-Koons-Ausstellung im Kunsthaus Bregenz und eine Ausstellung israelischer Holzschneider im Spendhaus Reutlingen.

Auf der Stilseite porträtiert Jürgen Dollase den Koch Andre Jaeger aus Schaffhausen. Ferner wird eine Luigi-Collani-Ausstellung in Saarbrücken besprochen.

NZZ, 08.08.2001

Mut schöpft Wadih Saadah aus dem Urteil im Prozess der ägyptischen Frauenrechtlerin Nawal el-Saadawi, die bekanntlich wegen angeblich gotteslästerlicher Schriften zwangsgeschieden werden sollte. Sie wurde freigesprochen, und ihr Prozess hat auch ein paar andere Kräfte auf den Plan gerufen: "Die vehementeste Reaktion kam .. von eher unerwarteter Seite. Eine große Zahl ägyptischer Juristen forderten nicht nur explizit die Abschaffung der Zwangsscheidung aus religiösen Gründen, sondern wagten sich weit über ihre Domäne hinaus, indem sie die Unterdrückung der Meinungsfreiheit als eine unmittelbare Ursache gravierendster Missstände in den arabischen Ländern benannten."

Weitere Artikel: Naomi Bubis hat Stimmen zu israelischen Streit um Daniel Barenboim gesammelt, der es gewagt hat, in einem Konzert den israelischen Wagner-Boykott zu brechen - umstritten ist seine Aktion immer noch. Andreas Maurer Andreas Maurer stellt das Programm des Filmfestivals von Locarno vor ("Die Direktorin Irene Bignardi vollführt mit ihrem ersten Piazza-Programm so weit einen graziösen Spagat zwischen Originalität und Massenkompatibilität"). Hugo Loetscher schreibt zum Tod von Jorge Amado. Besprochen werden einige Bücher, darunter Ramona Diefenbachs Debüt "Das Spiegelhaus" (siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr).

FR, 08.08.2001

Mario Vargas Llosa schreibt zum Tod von Jorge Amado. Für ihn schafft es der brasilianische Autor, "Tote zum Leben zu erwecken, wie die brave Dona Flor ihren Ehemann, und sie in eine Existenz zurückzuholen, die trotz allen Elends, das sie mit sich bringt, doch voller Möglichkeiten zum Genuss und zum Glück steckt". Einen weiteren Nachruf auf Jorge Amado hat Erhard Engler verfasst.

Robert Kaltenbrunner eröffnet eine Serie über den "Neuen Traditionalismus" in der Architektur: "Noch ist nicht ausgemacht, ob die Villa Gerl von Hans Kollhoff oder die Villa Bastian von Paul Kahlfeldt, beide im noblen Berliner Stadtteil Zehlendorf gelegen, so etwas wie die Referenzbauten des 'Neuen Traditionalismus' darstellen: Frei von postmoderner Ironie, zugleich von unzweifelhafter architektonischer Qualität, doch von schwer zu identifizierender Zeitgenossenschaft. Kollhoffs Villa Gerl beispielsweise ist auf den ersten Blick nicht anzusehen, dass sie erst unlängst vollendet wurde..."

Klaus Bachmann setzt sich mit dem Preußenbild der Polen auseinander: "Die antipreußischen Reflexe von einst sind abgestumpft . Das kommt nicht von ungefähr: Der größte Teil dessen, was zwischen 1701 und 1945 preußisch war, gehört heute Polen."

Weitere Artikel: Stefan Raulf stellt CDs der Gruppen Beta Band und Exodus 77 vor. Besprochen wird eine Jason Rhoades-Ausstellung im Frankfurter Portikus.