Außer Atem: Das Berlinale Blog

Strotzt von Partikularität: Ted Fendts 'Short Stay' (Forum)

Von Nikolaus Perneczky
15.02.2016. Über das ereignislose Sozialleben eines Anti-Bartleby aus New Jersey.


"Short Stay" von Mubi-Autor und Lincoln-Center-Projektionist Ted Fendt, der im Q&A über William Wellman, Jacques Rivette und Ken Jacobs schwadroniert (und über die radikale Kommasetzung in Herman Melvilles "Pierre oder die Doppeldeutigkeiten), ist ein gänzlich unprätenziöses, nur eine Stunde Lebenszeit beanspruchendes Spielfilmdebüt um einen jungen Mann aus New Jersey, der (um bei Melville zu bleiben) sich in gewisser Hinsicht als Anti-Bartleby beschreiben lässt. Mike sagt zu allem ja, oder eigentlich "yeah" - allerdings ohne jede Überzeugung: das "whatever" kann man sich dazu denken. Wenn er nicht gerade in der Pizzeria jobbt oder in der gut abgehangenen Bar Seltzer trinkt, streift Mike, meist zu Fuß, durch die Straßen des nur eine Pendelzugfahrt von Philadelphia entfernten Suburbia. Man kennt sich hier; ständig begegnet er Bekannten, die ihn zu dieser oder jener Aktivität einladen. "Do you wanna play cards?" - "Yep." "Do you wanna come to my party?" - "Uh-huh."

Fendt sagt, er mag es gar nicht, wenn Filme ihre eigene Lektüreanleitung gleichsam "telegrafieren". Er konzentriert sich stattdessen auf seine Darsteller und die Details ihrer Lebenswelt. "Short Stay" ist eine lose Abfolge kurzer Szenen, in denen sich wenig mitteilt, was sich ins Format einer Nacherzählung fügen würde, die dafür aber von Partikularität - in Gesten, Gangart, Gegenständen - nur so strotzen. Sicher kein Zufall, dass Fendt für diesen speziellen Modus auf 35mm-Analogfilm zurückgegriffen hat (ein Unikum im diesjährigen Forumsprogramm): Das grobe Korn lenkt die Aufmerksamkeit auf das Wimmeln und Wuseln der Wirklichkeit, auch und gerade dann, wenn, wie bei Mike, eigentlich nicht viel los ist.

Etwas passiert dann doch noch. Ein Freund, der für eine Weile Urlaub in Polen machen will, fragt Mike, ob er nicht Lust hätte, in der Zwischenzeit seinen Job zu übernehmen - "Friendly Walking Tours" durch Philadelphia, auf denen Mike Lokalmythologie und erfundene Anekdoten rezitieren soll. Warum auch nicht? Benennbare Konsequenzen hat auch diese Entscheidung keine, außer den Ortswechsel und einige neue Bekanntschaften. Einmal unternimmt Mike den Versuch, eine Frau zum Date zu bewegen: keine Chance. "Short Stay" häuft Nebensächliches und Folgenlosigkeiten an, ist aber zu kurz, um aus dem fehlenden Anhalt an der Erzählwelt - dem Mangel an handgreiflichen Zielen und Projekten - Gravitas oder Pathos zu schlagen. Das will er auch gar nicht. Stattdessen: eindimensionierte und zugleich unterbestimmte Figuren, freischwebend zwischen cinéma vérité und Karikatur, und ihr ereignisloses Sozialleben (von den schlecht bezahlten und prekären Jobs wissen wir nur aus dem Dialog).

Short Stay: ein kurzer Aufenthalt in einer Welt, für die sich das Kino, zumindest in dieser Form, sonst kaum interessiert, und der so schnell wieder vorüber ist, wie er angefangen hat. Fendt gefällt der Einfall eines Freunds, der für das charakteristische, aber schwer zu fassende Sosein dieses wirklich wunderbaren Films, der mich in einen Zustand exaltierter Melancholie versetzt hat, die folgende Formulierung fand: "its blink-and-you'll-miss-it quality".

Short Stay. Regie: Ted Fendt. Mit Mike Maccherone, Elizabeth Soltan, Mark Simmons, Marta Sicinska, Meaghan Lydon. USA 2016, 61 Minuten. (Vorführtermine)