Magazinrundschau

Die Magazinrundschau

Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag ab 10 Uhr.
07.07.2003. Im Merkur lobt Volker Gerhardt den Irakkrieg als Impuls zur Fortschreibung des VölkerrechtsUmberto Eco gibt im Espresso Nachhilfe in Sachen Populismus. Das TLS ärgert sich über den Verlag Gallimard, der Georges Simenon in seine Pleiade aufgenommen hat. Der Express zeigt verbotene Fotos von der chinesischen Kulturrevolution. In der New York Review of Books erklärt Norman Mailer, warum das weiße Amerika den Irakkrieg wollte. Juan Goytisolo verteidigt im Nouvel Obs Jean Genet gegen Antisemitismusvorwürfe.

Merkur (Deutschland), 07.07.2003

Volker Gerhardt, Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität (mehr hier), kommt "bei nüchterner Betrachtung" zu dem Schluss, dass die USA mit dem Irakkrieg einen wichtigen "Impuls zur Fortschreibung des Völkerrechts" gegeben haben. "Schade nur, dass sie niemand dafür lobt." Entscheidend sei doch, so Gerhardt, "dass sich alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dem massiven politischen Druck ausgesetzt sehen, 'republikanisch', also rechtsstaatlich zu werden. Diktatoren verwirken die Souveränität ihres Staates, denn sie handeln dem bereits in der Antike formulierten Grundgedanken politischer Organisation entgegen. Der Grundsatz besagt, dass ein Staat allen Bürgern Schutz zu gewähren und ihre Tugend, das heißt ihr Wohl und ihre Tüchtigkeit, zu fördern hat. Saddam Hussein hat diesem Ziel staatlichen Handelns vorsätzlich und fortgesetzt widersprochen. Also kann man es nur gutheißen, dass an ihm ein Exempel statuiert worden ist." (Den Artikel gibt es nur im Print zu lesen).

Nachdem bereits Jörg Lau mit dem "Radical Chic" des "geistig verwahrlosten" Zlavoj Zizek abgerechnet hat (nachzulesen hier), knüpft sich Luca di Blasi nun den "Cynical Chic" des Medientheoretikers Boris Groys vor, der wohlkalkuliertes Aufsehen erregt mit Äußerungen wie "Terrorist ist ein moderner Beruf, ebenso wie Webdesigner oder Unternehmensberater" oder "Bin Laden ist uns doch in erster Linie als ein Videokünstler bekannt, der mit der Welt durch das Medium Video kommuniziert".

Weiteres: Der Stanford-Germanist Russell Berman (mehr hier) fragt, wie demokratisch ein Krieg sein kann und wie repressiv der Frieden. Siegfried Kohlhammer stellt nach einem Blick auf die mehrere Jahrhunderte umspannende Literatur zum muslimischen Spanien fest, dass entgegen anderslautender Vorwürfe "von Ignorieren, Verschweigen, Indifferenz gegenüber Al-Andalus" in Europa keine Rede sein kann. Und Peter Graf Kielmansegg denkt über zukunftsverantwortliches Handeln von Demokratien nach. In weiteren Artikeln geht es unter anderem um Friedensfeiern, Führungskultur und die Folgenlosigkeit des Pisa-Schocks.
Archiv: Merkur

New York Review of Books (USA), 17.07.2003

Norman Mailer (mehr hier) arbeitet sich wieder einmal - gewohnt unterhaltsam - am weißen Durchschnittsamerikaner ab, der in George Bush seine so treffliche Verkörperung gefunden habe. So sieht Mailer den simplen, aber wahren Grund für den Irakkrieg: "Wir wussten einfach, dass wir darin gut sein werden." Und einen solch einfachen Sieg habe die amerikanische Seele gebraucht, die nicht erst am 11. September Schaden genommen habe, meint Mailer. Vielmehr müsse der weiße Mann seit dreißig Jahren Prügel einstecken, woran nicht die Frauenbewegung Schuld sei, sondern die Tatsache, dass es keine weißen Sportstars mehr gebe.

In einem ausführlichen Report verfolgt Helen Epstein die Aids-Politik in Südafrika, wo sich jährlich immer noch eine halbe Million Menschen mit HIV infizieren. Epstein gibt der Regierung die Schuld daran, noch immer jegliche Bemühungen um Aufklärung und Bekämpfung zu unterminieren. So verschrieb der Gesundheitsminister jüngst Knoblauch als bestes Heilmittel.

Weiteres: Elizabeth Hardwick feiert den russischen Schriftsteller M.E. Saltykow-Schtschedrin (mehr hier), der so wunderbar öde Welten der Gier, Trägheit und Trunkenheit geschaffen hat. Jennifer Schuessler verneigt sich vor dem besten englischsprachigen Literaturkritiker James Wood (mehr hier), um dem Schriftsteller Wood gehörig gegen das Schienbein treten zu können, der mit "The Book against God" seinen ersten Roman vorgelegt hat. Schuessler hält ihn für blanke intellektuelle Protzerei. Luc Sante empfiehlt Arthur Kemptons Geschichte der populären schwarzen Musik "Boogaloo: The Quintessence of American Popular Music" und Andrew Butterfield bespricht die Ausstellung zu Jean-Antoine Houdon in der National Gallery of Art Washington.

Espresso (Italien), 10.07.2003

Alle verdammen das Regime Silvio Berlusconis, nur die Italiener nicht, wundert sich Umberto Eco in seiner Bustina und gibt Nachhilfe in Sachen Populismus. "Sich auf das Volk zu berufen bedeutet, eine Fiktion zu konstruieren. Das Volk in seiner Gesamtheit existiert nicht, der Populist aber konstruiert ein virtuelles Bild des Volkswillens. Mussolini hat das getan, indem er hundert oder zweihunderttausend Menschen auf der Piazza Venezia zusammengetrommelte, die ihm zujubelten und, wie Schauspieler, den Part des Volkes übernahmen. Andere können sich einen Volkswillen basteln, indem sie mit den Meinungsumfragen spielen oder einfach das Fantasma eines 'Volkes' heraufbeschwören. So identifiziert der Populist seine eigenen Pläne mit dem Volkswillen und wandelt dann, wenn er es schafft, einen großen Teil der Bürger in genau das Volk um, das er vorher erfunden hat, weil diese sich mit ihrem virtuellen Bild identifizieren wollen.

Giampaolo Pansa diskutiert die Frage, ob man einfach zulassen sollte, dass Berlusconi sich wie einen Tafazzi aufführen, bis er von selbst untergeht. "Ihr wisst nicht, was ein Tafazzi ist? Eine Puppe im Kabarett, die mit einer Flasche auf ihr Allerheiligstes einhämmert. Ein Symbol des idiotischen Masochismus." Ansonsten ruft Monica Maggi den Sommer der erotischen Fotografie (hier eine Sonderseite zu Werken und Künstlern) aus. Sie nennt die "heißesten" Veranstaltungen und Ausstellungen und stellt die besten Bildbände, Kalender sowie das erste Handbuch des italienischen Pornofilms vor.
Archiv: Espresso

New Yorker (USA), 14.07.2003

Diese Autoren zeigen "Krallen", lobt Walter Isaacson in seiner Rezension zwei Bücher aus dem Inner Circle des Weißen Hauses über die Clinton-Ära: Hillarys "Gelebte Geschichte" und "The Clinton Wars" (Farrar, Straus & Giroux") von ihrer "Eskorte" Sidney Blumenthal. Beide Autoren versuchten, die Sexskandale um Bill Clinton als Ergebnis einer "rechten Verschwörung" zu belegen. "Obwohl beide Bücher unterschiedliche Tonlagen anschlagen (...), stimmen sie in den gleichen Refrain ein. (...) Aber wo die meisten Memoirenautoren die Haltung milder Selbstentlastung einnehmen, sind diese Autoren nicht in der Stimmung für Zugeständnisse. Sie gehen vielmehr zum Angriff über. Ihre Aggressivität markiert eine zeitgemäße Weiterentwicklung im Ton und Stil von Erinnerungen von Leuten, die im Weißen Haus gearbeitet haben." Auch in den Kurzbesprechungen geht es diese Woche um amerikanische Politik, darunter in Robert Dalleks Biografie von John F. Kennedy und Ann Coulters (mehr hier) Studie "Treason", in der die Autorin Amerikas Kritiker am Krieg gegen den Terror direkte "Nachkommen der Sowjet-Sympathisanten" nennt.

Weitere Artikel: Jeffrey Tobin berichtet über einen veritablen Polizeiskandal, der sich in San Francisco aus einer Schlägerei in einer Imbissbude entwickelt hat. Claudia Roth Pierpont schreibt einen ausführlichen Nachruf auf Katherine Hepburn, zu lesen ist außerdem die Erzählung "The Benefit of the Doubt" von Tobias Wolff.

Simon Scham stellt zwei "überraschende" Ausstellungen vergessener dänischer Meister vor: Hendrick Goltzius am Metropolitan Museum und Willem van Tetrode in der Frick Collection. Unter anderem durchaus belustigt zeigt sich Anthony Lane von "Terminator 3" unter der Regie von Jonathan Mostow ("Niemand könnte ihm seine Choreografie des Chaos abstreiten, und Schwarzenegger-Fans werden angetan sein, ihren Helden am Haken eines Krans baumeln zu sehen, während dieser durch ein Dutzend Schaufensterscheiben kracht.") Alex Ross denkt in einem Essay beispielsreich über die zunehmende (oder schon längst abgeschlossene?) Akademisierung des Pop nach. "Immer wieder ist Popmusik als Geschichte der Jugendrebellion beschrieben worden, in der sich jede Generation von der lähmenden Mittelmäßigkeit ihrer Vorgänger befreit. Wenn man diese Rebellionserzählungen aneinander reiht, heben sie sich gegenseitig auf."

Nur in der Printausgabe: ein Porträt der "Geheimwaffe" der Red Socks und "Baseball-Professors" Bill James, ein Text zur Frage, wer derzeit eigentlich das Öl im Irak kontrolliert, und Lyrik von Eamon Grennan und Philip Levine.
Archiv: New Yorker

Times Literary Supplement (UK), 04.07.2003

Georges Simenon hat es geschafft. Seine Romane sind in die Pleiade aufgenommen worden, die "prestigeträchtigste Reihe des prestigeträchtigsten Verlegers", nämlich Gallimard. Richard Vinen ist damit überhaupt nicht glücklich. Simenons eigentliche Welt war das Taschenbuch, meint er. "Die meisten Simenon-Romane wurden schnell geschrieben und kaum korrigiert; es gibt keinen Bedarf an einer endgültigen Version." Simenon, erklärt er, hatte "Gallimard abgewiesen, als er ihn Mitte der vierziger Jahre für den kleineren, aber lukrativere Verlag Presses de la Cite verließ. Er wollte zwar immer als Literat respektiert werden ... aber nicht auf Kosten des kommerziellen Erfolges." So gesehen begreift Vinen nicht, warum nur fünf der insgesamt 75 Maigret-Romane - Simenons bestverkaufte Bücher - in die Pleiade aufgenommen wurden.

Haben die modernen Theologen vor der säkularen Philosophie zu schnell kapituliert? Zumindest Stanley Hauerwas behauptet dies in seinen Vorlesungen "With the Grain of the Universe", und zwar mit soviel Witz und Angrifflust, dass Rowan Williams sich davon hat überzeugen lassen. Auch ihm scheinen die christliche Denker besonders in der Ethik "die Nerven verloren zu haben".

Weiteres: John Finlay empfiehlt "Vincent's Choice", den Begleitkatalog zur Amsterdamer Ausstellung, der Van Gogh nicht als gequälten, halb wahnsinnigen Mistanthropen zeige, sondern als Mann von subtilem Intellekt. Robert Iwrin hat mit viel Sympathie Azar Nafisis "Reading Lolita in Tehran" gelesen. Darin erzählt Nafisi, einst Professorin an der Teheraner Universität, wie sie den Kanon moderner englischer Literatur vor der iranischen Revolution zu retten versuchte.

Express (Frankreich), 03.07.2003

Anlässlich einer Fotoausstellung im Pariser Hotel Sully des chinesischen Reporter und Fotografen Li Zhensheng stellt der Express bisher unveröffentlichte und von der chinesischen Regierung verbotene Fotografien ins Netz, die während der chinesischen Kulturrevolution entstanden sind. Versammelt sind sie in dem Band mit dem Titel "Petit livre rouge d'un photograhe chinois" bei Phaidon. Ohne den Journalisten Li Zhensheng wären die Greueltaten der Roten Garden ohne Gesicht geblieben, schreibt Olivier Le Naire. "Er zählte zu den ganz wenigen Chinesen, die einen Fotoapparat besaßen und die Zugang zu den Selbstkritik-Spektakeln, den Anklagesitzungen und selbst zu Exekutionen hatten", erklärt Le Naire. "Er ist sich auch als einer der ganz wenigen der historischen Tragweite der Ereignisse bewusst geworden und hat all seine Negative versteckt und aufgehoben. Damit riskierte er sein Leben, denn zu jener Zeit waren die Journalisten verpflichtet alle Negative bei ihren Vorgesetzten abzugeben, die ein 'nagatives' Bild von der Kulturrevolution hätten vermitteln können." Auch die New York Times widmet dem Fotografen und der Ausstellung einen längeren Artikel.

Pünktlich zum Auftakt des Theaterfestivals in Avignon bringt der Express ein langes Interview mit dem künstlerischen Leiter Bernard Faivre d'Arcier. Da derzeit Frankreichs Kulturfestivals von Streiks der so genannten Intermittents gelähmt werden (mehr dazu hier), plädiert d'Arcier dafür, den guten alten Marx zur Hand zu nehmen und die Produktionsbedingungen der Theater in verschiedenen Ländern zu überprüfen, auch wenn das die Journalisten nicht gerne hören. Das Geld ist knapp, und so lassen sich Projekte mit Schauspielern wie Isabelle Huppert nicht realisieren, klagt d'Arcier gegenüber dem Express. Das ist wohl auch der Grund, weshalb man Erfolge wie "Platonov" von Eric Lecascade gerne noch einmal feiert. Stolz ist d'Arcier auf die europäische Ausrichtung des Festivals. Geladen sind dieses Jahr unter anderem Thomas Ostermeier und Sasha Waltz. Allons, les intermittents!, titelte die Süddeutsche vom Wochenende zum Streik.

Und: Zum 100. Geburtstags des Literaturpreises "Prix Goncourt" lässt der Express in einer Reihe junge Preisträger Werke alter Preisträger lesen. Lesen Sie selbst!
Archiv: Express

Literaturnaja Gazeta (Russland), 02.07.2003

Warum hatte Che Guevara in der damaligen Sowjetunion keine Freunde? Was unterschied ihn denn von Fidel Castro?, überlegt Aleksej Warlamow. "Der Name Che Guevara war in der Sowjetunion mit einem inoffiziellen, halb geheimen Verbot belegt. (?) Während die sowjetische Führung mit Fidel Castro mehr schlecht als recht übereinkommen und ihn dazu bringen konnte, nach ihren Regeln zu spielen, war Guevara nicht nur unbeugsam, sondern auch das Beispiel eines echten Revolutionärs und damit ein stummer Vorwurf für unsere hinfällige, korrupte Führungsriege, (?) die alle Ideale verraten hatte. Er war völlig zu Recht vom sowjetischen Weg enttäuscht, und dem hatte unsere Führung nichts entgegenzusetzen, nur den berüchtigten Vorwurf, 'er habe die Revolution exportiert'."

Auf dem diesjährigen Moskauer Filmfest sorgte ausgerechnet ein deutscher Beitrag, Wolfgang Beckers Film "Good-bye Lenin", für Aufsehen. Erstaunlich, "mit welcher Eleganz, mit welchem Einfallsreichtum und trockenem Humor das doch eigentlich quälende Thema des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangenheit" vor postsozialem Hintergrund in diesem Film umgesetzt wurde, findet das russische Magazin.

Leider findet sich in dieser Ausgabe der Literaturnaja Gazeta kein Artikel zur Pressefreiheit in Russland, obgleich erst kürzlich die einzige private russische Fernsehstation abgeschaltet wurde. Nach der jüngsten Änderung des Mediengesetzes muss sich auch eine unabhängige Wochenzeitung ihre Themenwahl neuerdings sehr genau überlegen.

Nouvel Observateur (Frankreich), 03.07.2003

In einem Einführungstext zu einem Sonderheft des Nouvel Obs, das am 9. Juli erscheint und vermutlich nur am Kiosk zu haben ist, feiert Jean Daniel Claude Levi-Strauss (mehr hier) als "größten Ethnologen des 20. Jahrhunderts". "Levi-Strauss ist ein gleichermaßen überholter wie unersetzlicher Meister. Die Widerlegungen seiner Thesen sind stets von der Anerkennung des Tributs begleitet, der ihm zu zollen ist. (?) Sein Denken bleibt eine Referenz: Er hat wahrscheinlich die besten Konzepte des Andersseins entwickelt, der Differenz, des Vergleichs und der Entstehung des Ichs durch den Anderen. Weil man den Anderen verstehen kann: Das Andere ist nicht total fremd, man kann darin ein 'strukturelles Unbewusstes' entdecken, das nicht weit entfernt von unserem ist. Und das wilde Denken ist nicht das Denken von Wilden, sondern ein noch nicht domestiziertes Denken."

In einem weiteren Debattentext ("Genet und die Palästinenser") reagiert der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo und Freund von Jean Genet auf ein Buch des Essayisten Eric Marty ("Bref Sejour a Jerusalem", Gallimard), der Genet des Antisemitismus bezichtigt hat. Es habe auf ihn den gleichen Effekt gehabt wie Sartres Genet-Biografie: beide seien ihm "nach etwa dreißig Seiten aus der Hand gefallen". Wie schon Sartre wollten beide Autoren Genet schlicht "reduzieren". Im Falle Martys werde hier "nicht nur dem zu analysierenden Text beschränkende Gewalt angetan, sondern dem einzigartig bunten und komplexen poetischen Universum Genets einige Folgerungen der Art extrahiert: Genet ist Antisemit, hasste Israel und träumte von seiner Zerstörung." Seine eigene Lektüre von Genets "Un captif amoureux" (im Aufsatz "Genet et les Palestiniens, ambiguite politique et radicalite poetique") habe vielmehr gezeigt, dass das posthume Werk des Schriftstellers "eigentlich weniger vom Misslingen der palästinensischen Revolution als von seinem Autor handelt."

Neben Krimi-Empfehlungen für die Ferien (vielleicht hat ja der ein oder andere Lust, am Strand auf dieses Weise sein Französisch aufzubessern) befindet sich der Nouvel Obs im sommerlichen Festivaltaumel. In dieser Woche ist das 57. Festival von Avignon an der Reihe: Wir lesen Interviews mit den Regisseuren Bartabas vom Theatre equestre Zingaro (hier) und Lukas Hembleb, der ein Stück von Pierre Charas nach Motiven von Bacon inszeniert (hier), vorgestellt wird das Tanztheaterprogramm und außerdem präsentiert der Obs seine "sechs Highlights".

Economist (UK), 04.07.2003

Die BBC steht mit der britischen Regierung auf dem Kriegsfuß, berichtet der Economist. Denn laut einem BBC-Bericht habe die Regierung Informationen über den Irak so aufbereitet, dass die Öffentlichkeit dem Krieg zustimmen musste. Hauptakteur soll dabei Tony Blairs PR-Berater Alastair Campbell gewesen sein. Nun soll das Parlamentskommittee für Auswärtige Fragen (Parliament's Foreign Affairs Committee) Licht ins Dunkel bringen, indem es drei Fragen klärt: "Hat die Regierung Geheimdienstinformationen aufgepeppt?", "Hat sich die BBC in ihrer Berichterstattung korrekt verhalten?" und "Hat der Premierminister das Parlament irregeführt?" Eins ist jedoch sicher, meint der Economist: Dieser Konflikt zwischen BBC und Regierung schafft Ablenkung von der eigentlichen Frage: Ist der Irak-Krieg aufgrund von fadenscheinigen Beweisen geführt worden?

Weitere Artikel: Seit neuestem wollen die Brasilianer, die sich immer als harmonische Hybride verstanden haben, durch eine Gleichberechtigungs-Politik in Sachen Hautfarbe glänzen, so der Economist. Doch gerade dadurch haben sie endgültig ihre Rassen-Unschuld verloren. Den Bürgerkrieg in Liberia kann man unmöglich begreifen, wenn man ihn als isolierten Konflikt betrachtet, versichert der Economist und erklärt daraufhin die Bürgerkriegslage im gesamten Westafrika. Kann man angesichts der Tatsache, dass Deutschland und Frankreich zu ähnlichen Mitteln greifen um ihre Wirtschaftskrise zu lösen, von einer deutsch-französischen Vereinbarung oder gar von einem Komplott sprechen? Offiziell zumindest nicht, so der Economist. Weiter geht es darum, wie Kalifornien die direkte Demokratie zum Verhängnis werden kann, und warum mit der von den palästinensischen Terror-Organisationen angebotenen Waffenruhe ein neuer Funken Hoffnung für den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina besteht.

Außerdem wundert sich der Economist, dass Robert Lowells Gesamtwerk "Collected Poems" mehr als 25 Jahre nach seinem Tod erschienen sind, obwohl man Lowell zu den wichtigsten amerikanischen Nachkriegsdichtern zählt. Und schließlich schwärmt der Economist ungehalten für die verstorbene Hollywood-Legende Katherine Hepburn.

Bislang waren die Vermögensverwalter, deren Aufgabe es ist, Investoren und Gelder zu beschaffen, im Rahmen der Spekulationsskandale weitgehend unbescholten geblieben, doch nach Ansicht des Economist sind sie sogar mehr als nur mitverantwortlich. Passend dazu liefert der Economist ein Dossier über Vermögensmanagement.

Nur im Print zu lesen: Italiens turbulenter Start als EU-Vorsitzender und ein Sozialist im Weißen Haus (wer?).
Archiv: Economist

Spiegel (Deutschland), 07.07.2003

Kein Erbarmen mit Michel Friedman, fordert die Schriftstellerin Karen Duve. Vorausgesetzt es stimmt, was die Staatsanwaltschaft behauptet hat, nämlich das Friedman die ukrainischen Prostituierten nicht selbst angerufen, sondern mit ihren Zuhältern verhandelt hat. "Michel Friedman, davon darf man getrost ausgehen, ist ein sehr gut informierter Mensch. Er weiß also, dass Frauenhändler aus Osteuropa mit Erniedrigung, mit der körperlichen und seelischen Zerstörung junger Mädchen arbeiten. Er weiß, dass Polinnen, Ukrainerinnen oder Russinnen nicht deswegen alles über sich ergehen lassen, weil sie 'naturgeil' sind, sondern weil sie durch einmalige, mehrmalige oder tagelange Vergewaltigungen, durch Drohungen, Schläge, Würgen oder Tritte gefügig gemacht worden sind." Der eigentliche Skandal ist für Duve daher, "dass uns in der Diskussion über Michel Friedmans Verhalten etwas als menschlich, allzu menschlich verkauft werden soll, was zutiefst unmenschlich ist."

Weitere Artikel: Gefragt wird, wie sinnvoll die Kennzeichnung von Genfood ist. Ein "etablierter Journalist", dessen Name nicht genannt wird, liefert einen autobiografischen Text über seine Drogensucht.

Nur im Print: Ein Interview mit Gerhard Schröder "über seinen steuerpolitischen Kurswechsel und seine Hoffnungen auf eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung". Der Titel verdammt die bauchfreie Mode und propagiert die "neuen Werte: Ordnung, Höflichkeit, Disziplin und Familie", all die Dinge also, die der Spiegel schon immer hoch gehalten hat.
Archiv: Spiegel

New York Times (USA), 06.07.2003

Zynisch, traurig oder bitter notwendig? Der langjährige Times-Krisenreporter Chris Hedges hat ein Handbuch über den Krieg geschrieben, "What Every Person Should Know about War" (erstes Kapitel). Zusammengefasst in Kapiteln wie ''Das Leben im Krieg", "Kampf" oder "Gefangenschaft und Folter" finden dort alle Betroffenen und Interessierten praktische Antworten auf Fragen wie "Werde ich religiöser?" oder "Werde ich an Sex denken?". Robert Pinskys Urteil fällt gespalten aus. Einerseits findet er Hedges' Idee, die Hölle auf Erden im Stil eines Eheratgebers zu erklären, "fesselnd, eigentümlich und bedeutsam", andererseits hält er die Methode für etwas zu "exzentrisch und selbstironisch", um dem Thema gerecht zu werden. Aber vielleicht ist es ja für die Zukunft nicht schlecht zu wissen, "dass es zu Beginn des Jahres 2003 30 aktive Kriege auf der Welt gab, in einer Welt, die nur zu acht Prozent ihrer überlieferten Geschichte 'völlig friedlich' war. Dass in Friedenszeiten amerikanische Soldaten statistisch gesehen weniger Frauen vergewaltigen als die Männer gleichen Alters im Krieg. Oder dass aufgrund des verbesserten Trainings im Vietnam-Krieg schon neunzig Prozent der Soldaten ihre Waffe abfeuerten, während das im Ersten Weltkrieg nicht einmal die Hälfte taten."

Im Close Reader empfiehlt Margo Jefferson, doch mal wieder Eugene O'Neill (mehr hier) zu lesen. "Er ist einer dieser Schriftsteller, die mal 'in' sind und dann wieder nicht, weil ihre Fehler so sichtbar sind. Er verwirrt uns mit Metaphern und Metaphysik, mit Bergen von Slang und Dialekt." Aber "alles, was er geschrieben hat, ist lesenswert".

Aus den weiteren Besprechungen: Zwei große Biografien widmen sich zwei großen Amerikanern: Garry Wills glaubt George M. Marsden nach der gewinnbringenden Lektüre von "Jonathan Edwards" (erstes Kapitel) durchaus, dass der calvinistische Erneuerer die wichtigste religiöse Figur der Neuen Welt war. Joseph J. Ellis preist Walter Isaacsons "Benjamin Franklin" als ein gründlich recherchiertes, packend geschriebenes und überzeugend argumentiertes Porträt des vielbegabten Politikers, Philosophen und Erfinders. Und Daniel Mendelsohn merkt man die Freude an, dass "The Book Against God" (erstes Kapitel), der Debütroman des gnadenlosen Literaturkritikers James Wood (mehr hier), recht misslungen ist. Die Tatsache, dass "Woods erste fiktionale Unternehmung nicht an den künstlerischen und moralischen Standard heranreicht, nach dem sie so offensichtlich strebt, wirft interessante Fragen zu Woods Arbeit auf - nicht als Autor, sondern als Kritiker."
Archiv: New York Times